Die größten und gelungensten Wiederaufbauprojekte zerstörter Städte

  • Wenn ich dich richtig verstehe ist dir ein rigoroser Bruch mit der Vergangenheit lieber als ein Wiederaufbau, der sich lediglich (oder immerhin) daran orientiert. Diesen Standpunkt akzeptiere ich, er dürfte aber nicht weit verbreitet sein. Auch das Thema Rekonstruktion ist davon betroffen. In einer Stadt wie Nürnberg müsste man dazu nur die Gebäude austauschen (siehe Pellerhaus), da die Platzhalter noch existieren. Hier liegt das Problem lediglich am fehlenden Willen. Wo könnte man dagegen in einer Stadt wie Dresden ansetzen, wo außerhalb der Altstadt nichts mehr davon gegeben ist? Es gibt keine historischen Straßenverläufe und Parzellen mehr. Dasselbe gilt für Magdeburg und Chemnitz. Hier wurden einfach jegliche historische Bezüge eliminiert. Was bleibt ist städtebauliche Ödnis, die sich kaum mehr substanziell verbessern lässt.

    So kann man das nicht sehen.

    Ich bin für Rekonstruierung bzw für historisierende Neukreationen auf hohem Niveau. Ich kann daher mit dem Münsteraner Prinzipalmarkt nicht schlecht leben, wenngleich er nicht optimal ist (optimal: Reko, danach: Danziger Neukreation, die qualitativ kaum zu unterscheiden ist. Münster wäre somit die dritte Kategorie: Moderne Neukreation mit gewissem Anklang an alte Formen auf teilweise hohem Niveau, teilweise leider auch in die nächste Kategorie tendierend: Anpassungsarchitektur, immerhin von der Materialwahl und Kubatur auch auf eher hohem Niveau.

    Wo könnte man in Dresden ansetzen, wo außer der Altstadt nichts "erhalten" ist?

    Gute Frage. Ich hab mich, daher wohl dieser in seiner Rigorosität doch übertriebene bzw missverstandene erste Satz obigen Zitats, stets gegen Entwürfe traditioneller Architekten ausgesprochen, die "irgendwie angepasst" wirken, aber alles in allem saft- und kraftlos. Wir zwei beide haben uns oft über Wert und Unwert des Historismus zerfetzt, ich habe einiges von euch Reichsdeutschen gelernt, wo der Historismus eine höhere Qualität hat als bei uns in Wien, obwohl es bei uns auch wertvolle Beispiele gibt, aber ich vertrete klar den Standpunkt, dass ein Wiederaufbau, der unter der künstlerischen Qualität des (durchschnittlichen, vorstädtischen oder relativ einfachen) Historismus bleibt, nicht einmal angedacht werden sollte. Ich bin nicht "für den rigorosen Bruch mit der Vergangenheit", würde aber für die DDner Vororte eine Architektur des Bruches vorschlagen, dh sehr wohl die Rekonstruktion historistischer Glanzbauten (aber bitte genau, ohne Vereinfachung) und diese mit (qualitativ hochwertiger) Moderne konfrontieren. In ein derartiges Ambiente könnte man auch gute Füll- oder Anpassungsbauten einfügen. Das ist ungefähr die Art, in der sich das Chemnitzer Zentrum heute präsentiert, dh wie ich es empfunden habe. Es ist kein Triumph der Moderne, da das Alte unabdingbarer Bestandteil ist.

    Aber eine o8-15 Bebauung für die Dresdner Vorstadt mit regelmäßigen Fenstern und roten Dächern und sonst nichts bringt gar nichts.

    Anderer Versuch: Weiterführung der Barock-Bebauung, die es ja dort ganz früher auch einmal gegeben hatte, "Altstadt" heißt es ja immer noch bis weit nach Süden? Frei nach Danziger Muster?

    Ich hätte nix dagegen!

    Übrigens: bei der hiesigen Diskussion fehlt eine Reflexion über das Hamburger Gänge-Viertel. Dass dort auf einer nicht unbeträchtlichen Fläche ehemalige Altstadtfassaden zusammengetragen dh rekonstruiert (oder neu nachempfunden?) wurden (vom Ort her ahistorisch) bedürfte noch einer Würdigung.

    Hier noch meine Sicht von Würzburg, die erwartungsgemäß vernichtend ausfällt:

    • Größe des Areals (abolut und relativ), das in Anlehnung an den vorherigen Zustand gestaltet wurde (kleinteilige Strukturen, Beibehaltung des vorherigen Straßennetzes): ein Kriterium, das für mich nichts zählt. Die Würzburger "Altstadt" ist riesengroß, was ihr indes nicht zum Vorteil gereicht, zumal es sich um keine solche handelt. Es wäre besser, alle Neubauflächen würden brach liegen, da könnte was Sinnvolles drauf entstehen. Der leere Stadtgrundriss hat für mich keinen Wert.
    • Umfang der Rekonstruktionen: eine (kurze) Häuserzeile in der Neubaustraße, also so gut wie nichts.
    • Authentizität der Rekonstruktionen: wahrscheinlich sehr hoch.
    • Umfang der "angepassten" Neubauten (also Nachkriegsbauten, die als solche erkennbar sind, sich aber hinsichtlich Größe, Dachform usw. - was heißt das usw? an die vorherige Bebauung anlehnen): so gut wie nichts, da die schäbige wie billige "Modernität" in allen Fällen 50 Meter gegen den Wind stinkt. Größe und Dachform sind keine entscheidenden Parameter, wenn alles andere zum Himmel stinkt! Ein bisschen mehr Ansprüche stellen!!!
    • Umfang der historisierenden "Neukreationen" (also Bauten, die völlig neu entworfen wurden, aber den Eindruck vermitteln, aus einer früheren Bauepoche zu stammen): Null
    • Verlust historischer Bebauung: Kommt immer drauf, was man drunter versteht. Jedenfalls sind am Markt wertvolle Barockfassaden Petrinis nachträglich vernichtet worden. So auch am Main-Brückenkopf anstelle dieses unsäglichen Disneylandsupermarktes, der hier so viele Liebhaber zu haben scheint. Zweifellos ist das Gros der wiederherstellbaren Fassadenreste vernichtet worden, obwohl der Zerstörungsgrad sehr hoch war. Einzelne Gebäude wurden gerettet, was hier lobend anzuführen ist, weil ich das nicht unter "Reko" erfassen würde.

    Hier meine Kriterien für eine Wertung von Wiederaufbauprojekten:

    1) Größe des wiederhergestellten Stadtraumes

    2) Anzahl der Rekos darin

    3) Qualität der Rekos

    4) Qualität der Neuschöpfungen (traditionell, angepasst oder modern bzw brüchig)

    5) Störfaktoren intern/extern

    Hier würden Dresden, FF, Hildesheim sehr gut abschneiden

    Im Vergleich dazu Danzig aus nunmehriger Sicht:

    1): mehrere mittelgroße, isolierte Straßenräume

    2) offenbar null, daher entfällt 3. vielleicht doch zwei, drei Beispiele von hoher Qualität-

    4) hohe Qualität

    5) innerhalb der einzelnen Räume keine Störfaktoren, dazwischen eine gewisse Zerrüttung

  • Den Wiederaufbau von Crailsheim, mir auch nicht detallierter bekannt, würde ich auch nicht als einen der besten ansehen, wiewohl er bemerkenswerte Qualitäten aufweist, und ihn daher auch nicht weiter behandeln. Das Drama ist unübersehbar: Ein einigermaßen anständiger Wiederaufbau verliert seinen Wert, wenn so modern gebaut wird wie das in Crailsheim mittlerweile auch der Fall ist. Mit dem Abbruch des wunderschönen Blezinger-Hauses wurde der Stadt das Herz herausgerissen und ein eiskalter, abstoßender Neubau dort hingestellt. Damit ist der Wiederaufbau ad absurdum geführt.

    Aber Crailsheim kennt von Euch wahrscheinlich eh keiner.

  • Verlust historischer Bebauung: Kommt immer drauf, was man drunter versteht. Jedenfalls sind am Markt wertvolle Barockfassaden Petrinis nachträglich vernichtet worden. So auch am Main-Brückenkopf anstelle dieses unsäglichen Disneylandsupermarktes, der hier so viele Liebhaber zu haben scheint. Zweifellos ist das Gros der wiederherstellbaren Fassadenreste vernichtet worden, obwohl der Zerstörungsgrad sehr hoch war. Einzelne Gebäude wurden gerettet, was hier lobend anzuführen ist, weil ich das nicht unter "Reko" erfassen würde.

    Das ist ein Punkt, den ich auch schon ansprechen wollte: es geht bei der Beurteilung von Wiederaufbauleistungen nicht nur um die Frage nach Rekonstruktionen, Anpassungsbauten oder moderne Bauten, sondern es geht vor allem einmal darum, zu beurteilen, was von den wiederherstellbaren historischen Überbleibseln tatsächlich gerettet wurde.

    In München z.B. wurden recht wenig Häuser ex nihilo rekonstruiert, aber es wurde doch so einiges, was zumindest zum Teil stehengeblieben war, wiederhergestellt. Die Altstadt wurde, je nachdem welche Quelle man konsultiert, zu 60 - 90 % zerstört oder schwer beschädigt (wenn man sich den Schadensplan ansieht, würde ich sagen zu ca. 75 %), was aber im Falle Münchens als steinerne Stadt bedeutete, dass in vielen Fällen doch noch Teile der Fassaden stehengeblieben waren, die man retten konnte. In den langen Straßenzügen der Ludwigstraße, Maximilianstraße und Brienner Straße sah es kaum anders aus, die meisten Häuser waren schwerst beschädigt und es standen nur noch mehr oder weniger große Teile der Fassaden. Hier und in einigen Fällen in der Altstadt hat man dann eben entschieden, dass man die Fassaden originalgetreu wiederherstellt und neu hinterbaut. Aus genau diesem Grund schaut München zumindest in einigen Teilen wieder so gut aus und nicht, weil man vollkommen zerstörte Häuser von Null auf rekonstruiert oder so tolle Anpassungsbauten kreiert hätte. Bei den Kulturbauten wie Residenz, Nationaltheater, den Kirchen, Museen, den großen Prachtstraßen und generell öffentlichen Gebäuden konnte der bayerische Staat und vor allem die Münchner Stadtverwaltung in vielen Fällen eine einigermaßen zeitnahe Wiederherstellung sicherstellen, das Schicksal der Privatbauten hingegen blieb meistens den privaten Eigentümern überlassen, die in der wirtschaftlich schwierigen Nachkriegszeit oftmals weder finanzielle Mittel noch Interesse hatten, die alten Fassaden mühsam zu retten und neu zu hinterbauen. (Die alten Häuser, vor allem die aus Barock und Klassizismus, waren übrigens bei vielen Eigentümern schon vor dem Krieg nicht mehr sonderlich beliebt gewesen, weil sie zu hohe Räume und somit zu wenig Etagen für eine optimale wirtschaftliche Verwertbarkeit hatten.) Und so ließen so manche Besitzer von alten Häusern die Ruinen einfach jahrelang in Wind und Wetter stehen, bis sie so marode waren und Einsturzgefahr bestand, so dass die Stadtverwaltung, die eigentlich gemäß des Wiederaufbaukonzepts Meitingers die Devise ausgegeben hatte, dass nach Möglichkeit alles wertvolle Stehengebliebene gerettet werde sollte, schließlich doch die Abbruchgenehmigung erteilte. Wie gesagt, es war eine Notzeit und die Stadtverwaltung hatte nicht die Möglichkeit, sich frühzeitig um alle Ruinen zu kümmern.

    So, nach diesem langen Diskurs über München als Beispiel für gerettete historische Bauten nun meine Frage an die Würzburg-Experten: Würzburg war doch auch zum größten Teil eine steinerne Stadt, oder täusche ich mich da? Sind dort nicht auch viele Fassaden oder zumindest Teile davon stehengeblieben? Hätte man davon nicht auch wie in München so einiges retten können? Ich glaube nicht, dass Würzburg stärker bombardiert wurde als München und dass fast alle Fassaden in Schutt und Asche lagen. Meiner Meinung nach könnte der Fehler hier liegen, nämlich dass von Seiten der Stadtverwaltung und der Bevölkerung gar kein großes Interesse bestand, das alte Bild zu retten. Ich hab auch einmal in den Erinnerungen eines Würzburger Malers von der Jahrhundertwende gelesen, dass die Altstadt Würzburgs vielen Bewohnern schon um die Jahrhundertwende relativ egal war.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Sind dort nicht auch viele Fassaden oder zumindest Teile davon stehengeblieben?

    Doch, genau das meine ich. Mit dieser ganzen Fixierung auf Rekos, also Neubauten ex nihilo, übersehen der Stadtbild-Verein und seine Anhänger regelmäßig, dass das erste Ziel immer sein sollte, die erhaltenen Gebäude vor weiterem Verfall und Abbruch zu bewahren. Und nach dem Krieg hat das geheißen, dass beschädigte, aber wiederherstellbare Gebäude möglichst erhalten hätten werden sollen. Und da sieht die Bilanz in Würzburg schlecht aus. Es hat jede Menge Gebäude gegeben, die wiederherstellbar waren, dann aber dennoch niedergelegt wurden.

  • Ansonsten: ich denke, dass 1945 die Zeit für einen ästhetischen Städtebau alter Prägung einfach vorbei war, es ist schlichtweg zuviel verlangt, sich von der damaligen Generation etwas Wertvolles zu erwarten. Die kulturelle Entwicklung in Europa war schon viel zu sehr an dem Punkt angelangt, dass die individuellen Ansprüche an das Leben wichtiger waren als die städtische Gemeinschaft. Die Basis für einen harmonischen Städtebau ist aber das Zusammengehörigkeitsgefühl, das Gefühl einer gemeinsamen Identität. Die Innenstädte waren schon in der Gründerzeit zu Geschäftszentren geworden, in denen Kommerz und Gewinnstreben die alte gemischte Wohn- und Handwerksstruktur verdrängt hatte. Es ist in individualistischen Kommerzgesellschaften moderner kapitalistischer Prägung halt von keinerlei Vorteil, schöne und lebenswerte Stadtbilder zu produzieren und deswegen wurde das Ganze irgendwann auf der Müllhalde der Geschichte entsorgt. Die moderne Stadt hat Services anzubieten und muss funktionieren, so sehen das die meisten.

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    Karl Kraus

  • Das kommt mir doch etwas arg vereinfacht vor, da ich aus Berlin, das ja weitgehend in der Kaiserzeit "gründerzeitlich/historistisch" geplant und gebaut wurde, die Stadtstruktur nicht als negativ empfinde. Die Häuser waren durchaus z.T. für Gewerbe gedacht, und es befand sich auch oft eins drin, aber die letzten 10 Jahre wurde/wird alles mit Wohnhäusern zugestopft, und es ist für Gewerbe zu teuer geworden, die sind meist an den Stadtrand gezogen.

  • Übrigens: bei der hiesigen Diskussion fehlt eine Reflexion über das Hamburger Gänge-Viertel. Dass dort auf einer nicht unbeträchtlichen Fläche ehemalige Altstadtfassaden zusammengetragen dh rekonstruiert (oder neu nachempfunden?) wurden (vom Ort her ahistorisch) bedürfte noch einer Würdigung.

    Die in der Peterstraße und Neanderstraße zusammengetragenen Fassaden der Steinbauten finde ich an sich sehr gelungen und sie scheinen auch weitgehend originalgetreu rekonstruiert zu sein. Die großbürgerlichen Fassaden passen aber nicht so wirklich in das ehem. Gängeviertel am Rand der Altstadt. Ein Wiederaufbau an den Originalstandorten, die sich in der Umgebung der Katharinenkirche befanden, hätte ich viel besser gefunden, weil dort dann mit den anderen erhaltenen Gebäuden eine kleine Altstadt entstanden wäre. Auch wurden für die Rekonstruktionen anscheinend andere historische Gebäude abgerissen.


    Von gelungenem Wiederaufbau kann man insgesamt in Hamburg nicht sprechen, weil dort in den 50er/60er Jahren unwahrscheinlich viele erhaltene Gebäude abgerissen wurden und teilweise ganze Straßenzüge überbaut wurden. Zum Beispiel war die Altstadt von Altona noch zu ca. 40% erhalten, davon wurden allein am Sandberg oberhalb des Fischmarkts ab 1954 über 7400 Häuser abgerissen.

  • ob ausgerechnet Berlin vom internationalen Trend der Citybildung ausgenommen war

    Es war verhältnismäßig 'dezentral' mit Bezirkszentren, jedenfalls zu Mauerzeiten und auch in der Kaiserzeit. Seit etwa 15 Jahren läuft das Spiel "alles auf Mitte", und die Innenstadtbezirke werden inzwischen recht einheitlich wahrgenommen, was vorher nicht der Fall war. Weimarer Republik war Zentralisierung (Groß-Berlin-Gesetz 1920), Nazizeit wohl auch eher, aber da könnte es gegen Ende bereits wieder gekippt sein (Erweiterungsplanungen auf 4 Mio.).

  • Ansonsten: ich denke, dass 1945 die Zeit für einen ästhetischen Städtebau alter Prägung einfach vorbei war, es ist schlichtweg zuviel verlangt, sich von der damaligen Generation etwas Wertvolles zu erwarten. Die kulturelle Entwicklung in Europa war schon viel zu sehr an dem Punkt angelangt, dass die individuellen Ansprüche an das Leben wichtiger waren als die städtische Gemeinschaft. Die Basis für einen harmonischen Städtebau ist aber das Zusammengehörigkeitsgefühl, das Gefühl einer gemeinsamen Identität. Die Innenstädte waren schon in der Gründerzeit zu Geschäftszentren geworden, in denen Kommerz und Gewinnstreben die alte gemischte Wohn- und Handwerksstruktur verdrängt hatte. Es ist in individualistischen Kommerzgesellschaften moderner kapitalistischer Prägung halt von keinerlei Vorteil, schöne und lebenswerte Stadtbilder zu produzieren und deswegen wurde das Ganze irgendwann auf der Müllhalde der Geschichte entsorgt. Die moderne Stadt hat Services anzubieten und muss funktionieren, so sehen das die meisten.

    Das trifft natürlich auf Metropolen wie München zu. Hier hätte es nach 45 einfach mehr Dirigismus bedurft, um gewisse Exzesse an Ahistorizität und Unästhetik zu vermeiden. Ingesamt ist Minga ziemlich gespalten, fast schizophren. Es findet sich wirklich noch viel Erhaltenes, aber eindeutig zu wenig Willen der Ensemblebildung oder -Schließung.

    man sieht, was den Bewohnern WIRKLICH wichtig war: Kirchen, imperialer Glanz u Bierhallen.

    Den Fall einer Mittelstadt wie Würzburg, die eigentlich in erster Linie "aus Kultur bestand" und sich so definierte, war das halt ein bisserl zu wenig. Hier hätte man sehr wohl auf eine vernünftige Einbettung des Erhaltenen oder zu Erhaltenden achten müssen, schon allein, weil die Anzahl an Kirchen und Glanzbauten stellenweise eine recht hohe Dichte aufweist. Solche Stellen mit 08-15-Kommerzbauten zuzumüllen, war schon ein arges Stück an Barbarei, die nicht durch den in der Tat hohen Zerstörungsgrad zu rechtfertigen war. Der späte höfische oder fürsterbischöfliche Barock B. Neumanns war bei aller formalen Exzellenz mitunter höchst schlicht und hätte ohneweiters ohne viel Aufwand die Wiederherstellung er Theaterstraße oder Schließung der BN-Promenade ermöglicht - kein Vergleich mit der Münchener Theatinerstraße (deren Trümmerabriss natürlich nicht zu rechtfertigen ist, auch Minga hätte sich dieser Barockstraße niemals entledigen dürfen. Wü ist eben voll daneben gegangen, während in M´. eigentlich etlicher guter Wille vorhanden war. Mehr, als man ob deiner obigen richtigen Zeilen meinen könnte.

  • Größe des Areals (abolut und relativ), das in Anlehnung an den vorherigen Zustand gestaltet wurde (kleinteilige Strukturen, Beibehaltung des vorherigen Straßennetzes): ein Kriterium, das für mich nichts zählt.

    Für mich ist das eigentlich das wichtigste Kriterium überhaupt, mich stört es eher, wenn eine Stadt effektiv nur noch aus einem einzigen Platz besteht, der dann immer gezeigt wird und als Imageträger dient, während die eigentliche Stadt damit überhaupt nichts mehr zu tun hat. Wie z. B. bei Dresden, wo zu DDR-Zeiten ja flächig abgeräumt und praktisch überhaupt nichts aufgebaut wurde und dann immer Theaterplatz oder vielleicht auch mal Neumarkt gezeigt wird (klar, das Bauen verursachte nur Kosten, die bei subventionierten Mieten auch nicht gedeckt werden konnten - daher läßt man das vorhandene noch weiter verfallen und verfrachtet die Bevölkerung in riesige Plattenbauten am Stadtrand).

    Daher verstehe ich weder die Geringschätzung von Würzburg noch die Gründe, weshalb dann Chemnitz oder Dresden ganz OK sein sollen. In Dresden Annenviertel, Seevorstadt, Pirnaische Vorstadt - da steht dann 100 x derselbe Standardbau auf der grünen Wiese und meist noch im rechten Winkel zur Straße. Und südlich des Bahnhofs geht es dann genauso weiter ...

    Würzburg war mit einem Zerstörungsgrad von 90 % der Innenstadt eine der am stärksten zerstörten Städte überhaupt, und nach vielen Stunden eines Feuersturms mit bis zu 2000 °C standen zwar noch viele Außenfassaden, waren aber sicherlich nicht mehr statisch intakt.

    Informationen gibt es z. B. im Würzburg Wiki oder in dieser Liste der Baudenkmäler (mit Bildern), ansonsten gefällt mir Würzburg Fotos als gut gemachte Website.

    sou perfeito porque / igualzinho a você / eu não presto

  • und nach vielen Stunden eines Feuersturms mit bis zu 2000 °C standen zwar noch viele Außenfassaden, waren aber sicherlich nicht mehr statisch intakt.

    Die Frage ist, wieviel trotzdem bei gutem Willen noch hätte gerettet werden können... auch statisch nicht mehr intakte Fassaden können abgestützt und neu hinterbaut werden. Aber das ist natürlich schwierig herauszufinden, welche Fassaden man erhalten hätte können und welche nicht. Ich denke erstens, dass Abrissentscheidungen damals in der Not auch oft schnell und unkoordiniert getroffen wurden und zweitens, dass der Mehrheit der damaligen Bevölkerung andere, praktische Probleme mehr am Herzen lagen als die mühselige Erhaltung alter Bausubstanz, für die man größtenteils schon vor dem Krieg nicht mehr viel übrig hatte. Insgesamt glaube ich, dass man bei gutem Willen in Würzburg trotz der großen Zerstörung wesentlich mehr hätte erhalten können, die 90 % Zerstörungsgrad haben sicher nicht so ausgesehen, dass 90 % des Stadtgebietes durch die Bomben bis auf die Grundmauern plattgemacht worden waren. Das Foto auf Wikipedia zeigt eigentlich noch eine ziemlich gut erhaltene Stadtstruktur, die Mauern scheinen fast alle noch da zu sein. Vergleichbare Fotos von München unmittelbar nach dem Krieg sehen oft schlimmer aus.

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    Karl Kraus

  • Die Besonderheit von Würzburg war wohl, daß der damalige Gouverneur der Militärregierung für Bayern, Murray van Wagoner, Würzburg als Denkmal der Zerstörung erhalten wollte, und die Wiederaufbauarbeiten daher 2 Jahre lang zurückgestellt wurden.

    Würzburg sollte an anderer Stelle neu erbaut werden, ähnliche Pläne gab es z. B. auch für Danzig.

    Siehe z. B. hier:

    Zitat

    Über zwei Jahre vergingen nach dem Angriff, bis das Schutträumen am 2. April 1947 mit einem offiziellen Auftrag von Pinkenburg privaten Unternehmen übertragen werden durfte.

    Grund für die zweijährige “Wartezeit” war der Besuch von US-Gouverneur Murray van Wagoner, der kurz nach der Zerstörung die Stadt besuchte. Die Faszination eines Endzeitbildes erfasste den Sohn niederländisch methodistischer Auswanderer. Er glaubte das neuzeitliche Sodom und Gomorrah vor sich zu sehen, den biblischen Sündenfall des Genesis. Der religiöse Gouverneur wollte in den Ruinen der 35 Kirchen gar den Finger Gottes erkennen. Er begann einen Plan für Würzburg als “Freiluftmuseum für Kriegsverwüstungen” zu entwickeln. Gegenüber Randersacker am Main sollte ein neues Würzburg gebaut werden; das Zentrum sollte hingegen im Ruinenzustand bleiben. Damit stieß Wagoner auf heftigen Protest bei den Würzburgern.

    Auch der BR hat einige Infos zu den letzten Kriegswochen: https://www.br.de/nachrichten/bayern/maerz-mai-45-in-bildern-acht-wochen-weltuntergang-in-bayern-1,rmponss

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  • (verspätete Trümmerbereinigung) Na ja, das wäre eher sogar eine Chance gewesen...

    Die Frage der Trümmerbereinigung ist für uns heute als Ganzes wohl nicht mehr zu klären. Dass bei den meisten Fassaden wohl nicht mehr viel zu machen war, glaube ich auch. Dennoch ist man in Einzelfällen wie den Petrinifassaden am Markt zu weit gegangen. Und der Wiederaufbau war sowieso daneben, dh von völlig falschen Prämissen bestimmt. Ein mittelalterlicher Grundriss ist eben ohne mittelalterliche Bebauung einen Dreck wert, ja sogar höchst unsinnig. Nichts ist so deprimierend wie die viel zu engen Gassen in bundesdt. "Altstädten", in deren hässlicher Bebauung der Straßenverkehr penetrant widerhallt. Mit der Zerstörung und dem Wiederaufbau einer Stadt ist stets ein neues Konzept entstanden, das den zeitgemäßen Bedürfnissen entspricht. Im Falle der autogerechten Stadt der Moderne ist dies natürlich nichts Gutes. Aber autogerechte Stadt und hyperkommerzialisierte Fußgängerzonen mit einem unverändert mittelalterlichen Stadtgrundriss kombinieren zu wollen, ist von jeder Seite her reiner Schwachsinn. Viel vernünftiger wäre es gewesen, gewisse ausgewählte Hauptstraßenzüge von dem Konzept des Grauens auszunehmen, dh im Sinne des Anspruchs einer Kulturstadt "schön" herzurichten, und daneben einige nebensächliche periphere Randgebiete aufzugeben, dh uneingeschränkt den neuen Bedürfnissen anzupassen, was auch keineswegs so unschick wie realiter erfolgt hätte geschehen können. Das verwirklichte Wirtschaftswunder-Konzept: wir lassen den Grundriss wie er war und bauen alles möglichst schnell und ohne Qualität auf, holloderio, wird schon was Hübsches entstehen, war doch schon theoretisch und erst praktisch das Dümmste.

    die eigentliche Stadt damit überhaupt nichts mehr zu tun hat.

    Das ist doch in Würzburg fortwährend der Fall. Die eigentliche Stadt hat mit den Solitären überhaupt nichts mehr zu tun, außer dass sie deren Wirkung gröbest beeinträchtigt.

    Wie kann man so etwas verteidigen gegen den doch immerhin ansatzweise erkennbaren gestalterischen Willen mancher Oststädte?

    und dann immer Theaterplatz oder vielleicht auch mal Neumarkt gezeigt wird

    gemeint (zu DDR-Zeiten) wohl Altmarkt? Den NM hat wohl niemand gezeigt.


    In Dresden Annenviertel, Seevorstadt, Pirnaische Vorstadt - da steht dann 100 x derselbe Standardbau auf der grünen Wiese und meist noch im rechten Winkel zur Straße. Und südlich des Bahnhofs geht es dann genauso weiter ...

    Alles klar. Aber, was ich nicht verstehe: was ist in Würzburg - "Altstadt" denn bitte besser. außer dass die Standardbauten variieren (und sich an Hässlichkeit und Geschmacklosigkeit überbieten)? Was hat die Kleinteiligkeit von Mist und Unrat für einen besonderen Wert? Außer dass dieser Mist ein für alle Mal einzementiert erscheint. Wie es aussieht, kann man Platten wie den Potsdamer Staudenhof bzw die FHS doch noch viel eher abreißen als die ach so kleinteilige wie aber gleichermaßen verunglückte Wü.er "Mikrostruktur". Ich meine, man fühlt sich doch da wie dort hundeelend - warum diese ewigen "Differenzierungen"? Was schmeckt besser? Coca- oder Pepsi-Cola? Ich verweigere die Entscheidung, da ich auf beides kotzen muss. Daher ist mir eine Stadt mit EINEM ordentlichen Platz und ringsherum Wüstenei lieber als eine Stadt ohne ordentlichen Platz und bloß mit Solitären inmitten von Wüstenei.

    Es war klar, dass die umfangreichen Zerstörungen einen endgültigen Charakter haben werden (so waren sie ja auch gedacht) und nur partielle Schadensgutmachung erlauben. Wenn Städte immerhin intakte Plätze hergestellt haben, kann dies daher kein Nachteil sein gegenüber Städten, die das erst gar nicht probiert haben.

    https://www.br.de/nachrichten/bayern/versammlung-gegen-corona-massnahmen-in-wuerzburg-darf-stattfinden,rx4jcfq

  • gemeint (zu DDR-Zeiten) wohl Altmarkt? Den NM hat wohl niemand gezeigt.

    Ich meinte schon das heutige Dresden, wo dann häufig noch ein Schwenk über Frauenkirche und Neumarkt kommt. Den Altmarkt finde ich völlig mißlungen, die viel zu großen Bauten, die Vervielfachung der Fläche, die Wilsdruffer als riesige Schneise, wenn man sich über eine Stadt zu Recht aufregen kann, dann über Dresden.

    P.S. Wenn niemand etwas dagegen hat, verschiebe ich den Strang in die Mädlerpassage, weil ich gern einige Google Earth-Bilder zeigen möchte. Ansonsten würde ich die Bilder in einen eigenen Strang auslagern (Urheberrecht, ich will es ja nicht provozieren mit Abmahnungen, auch wenn die letztlich erfolglos bleiben werden).

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  • Nix dagegen.

    Über den Altmarkt gehen wir natürlich d'accord. Völlig misslungen. Aber der wurde in komm. Zeiten schon touristisch verwurstet als Teil einer langen Nord-Süd-Achse.

    Aber der NM - überhaupt als rel. große Fläche, ist doch uneingeschränkt zu loben, oder nicht?

    Seitens der GHND wurde doch gerade argumentiert, nicht noch einmal solche Straßenräume zu schaffen, die man im Westen zur Genüge kennt.

  • Eigentlich wollten wir hier doch "die größten und gelungensten Wiederaufbauprojekte zerstörter Städte" zusammenstellen und nicht zum soundsovielten Mal hören, dass Dir der Wiederaufbau von Würzburgs Altstadt hinten und vorne nicht zusagt, jedenfalls nicht mit dieser Wortwahl:

    Ich habe eigentlich vorgehabt, die Beurteilung des Würzburger Wiederaufbaus von giulio noch zu ergänzen und evtl. zu verfeinern. Aber nach solchen Beiträgen, die ich als verbale Entgleisung mit der Quintessenz "alles ist scheiße" (um es mit einer ähnlichen Wortwahl wiederzugeben) empfinde, ist mir darauf erst einmal die Lust vergangen. Du kennst Würzburg doch viel besser, als dass Du Dich mit einer derart undifferenzierten Beurteilung unbeliebt machen müsstest.

    Dass meine hier dargelegte Reaktion auf Deine Äußerung so einseitig ausfällt, liegt natürlich auch daran, dass ich zwar sehr wohl weiß, was in Würzburg unbefriedigend ist, aber eben genausosehr, was attraktiv ist und dass der Wiederaufbau in Würzburg durchaus seine Qualitäten hat.

  • (...)

    P.S. Wenn niemand etwas dagegen hat, verschiebe ich den Strang in die Mädlerpassage, weil ich gern einige Google Earth-Bilder zeigen möchte. Ansonsten würde ich die Bilder in einen eigenen Strang auslagern (Urheberrecht, ich will es ja nicht provozieren mit Abmahnungen, auch wenn die letztlich erfolglos bleiben werden).

    Ich fände es ganz unsinnig, diesen lebendigen Thread in "Hinterzimmer" zu verschieben. Wenn schon erforderlich, dann bitte eigener Bilderstrang!

    Im übrigen haben wir die Meinung von ursus carpaticus zum Würzburger Wiederaufbau (die ich nicht teile) verstanden und zur Kenntnis genommen.