Beiträge von Leonhard

    Ich möchte hier einen Neubau aus Krün in Oberbayern vorstellen, den ich sehr sehenswert finde. Krün liegt 8 km nördlich von Mittenwald im Werdenfelser Land zwischen Wetterstein- und Karwendelgebirge. Allgemein sind Neubauten in den Bergregionen Oberbayerns meistens recht traditionell gehalten und folgen dem alten Bauernhausschema mit den weit vorkragenden Satteldächern, es gibt diesbezüglich in vielen Gemeinden rigorose Gestaltungssatzungen. Im Werdenfelser Land gibt es zudem eine lange Bundwerk-Tradition (im entsprechenden Faden von Markus habe ich bereits ein paar Häuser aus dieser Gegend gezeigt), die teilweise auch bei heutigen Bauten aufgegriffen oder zitiert wird. Das genaue Baujahr des folgenden Hauses, das sich in der Karwendelstraße 8 befindet, weiß ich nicht, es ist aber auf jeden Fall kein altes Haus und dürfte dem Zustand des Holzes nach zu urteilen vor maximal 10-15 Jahren entstanden sein. Die aufwendigen Schnitzereien dieses Hauses sind zwar sicher nicht alltäglich, stellen aber auch keinen absoluten Ausnahmefall dar, ich habe im Werdenfelser Land in den letzten Jahren mehrmals ähnlich aufwendige Schnitzereien an Neubauten gesehen. Manches Detail mag man vielleicht auch kitschig nennen, ich finde das Haus aber insgesamt doch sehr schön.

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    Nun zu den Fotos der Zerstörung im 2. Weltkrieg und dem Wiederaufbau.

    Zustand 1946, Blick zur Apsis mit Glockenstuhl:

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    (Bildindex, CC BY-SA 4.0)

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    (Bildindex, CC BY-SA 4.0)

    Blick nach Süden:

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    (Bildindex, CC BY-SA 4.0)

    Hier der historische Grundriss, in dem in der Mitte mit gestrichelten Linien die heutige Altarwand mit den neu entstandenen Nebenräumen eingezeichnet ist:

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    Im Innenraum blieben nach dem Döllgast’schen Wiederaufbau von ehemals 16 Säulen pro Reihe nur 4 übrig, die ehemals reich freskierten und geschmückten Wände wurden weiß gestrichen und der wieder offen gestaltete Dachstuhl holzfarben belassen anstelle der einstigen blau-goldenen Himmelsmalerei. Die naiv-zeitgeistigen Umgestaltungen von 1975 und 1993/94, vor allem die bunte abstrakte Malerei, haben den Raum meiner Meinung nach nur noch weiter entwertet. So ist der heutige Innenraum eine herbe Enttäuschung, bei der nichts von dem sakralen Zauber des einstigen Raumes übriggeblieben ist. Wolf Hofmann 1973 zum Wiederaufbau:

    „Der Bau in seinem heutigen Zustand ist ernüchternd. Nicht viel ist den Zerstörungen des Krieges entgangen, von der Struktur des Baues und der Harmonie des Innenraums ist nur wenig mehr zu erspüren. Der Wiederaufbau unter Hans Döllgast hat versucht, mit den beschränkten finanziellen Mitteln nach dem Krieg den Restbestand zu sichern, vermochte jedoch von der ursprünglichen Wirkung des seiner Ausstattung beraubten Raumes kaum etwas zu retten. Auf ein Drittel seiner originalen Länge verkürzt, wirkt die Basilika unproportioniert, befriedigende neue Wirkungen konnten nicht erzielt werden.
    Verschwunden ist im Innern die Atmosphäre der Freskenwelt, die fern schimmernde Apsis und die langen Säulenreihen, deren Bestand von je 16 Säulen auf 4 geschrumpft ist. Unter der flachgedeckten, von zwei Säulen mit Rundbogen gestützten Orgelempore fällt der Blick in das Schiff und zugleich auf den Chorraum, der so nah herangezogen ist und damit den Raum für die hier begonnenen Proportionen (Höhe des Schiffs, Säulenreihen und Breite der Anlage) nicht genügend macht. Wo früher die entfernte goldschimmernde Apsis leuchtete, ist heute eine glatte weiße Wand gesetzt, das Rund des Altarraums wurde ausgewalzt in eine Fläche. (…) Der das Mittelschiff bedeckende Dachstuhl ist zwar ebenfalls in offener Art konstruiert, wirkt jedoch nicht mehr als sakrales Würdemotiv. Auch der Triumphbogen ist entfallen, da die Apsis durch eine platte Chorwand ersetzt ist. (…) Die einheitlich weißliche Farbgebung läßt das Innenraumbild kahl erscheinen.“

    Selbst die ansonsten in ästhetischen Urteilen eher zurückhaltende Denkmaltopographie (2009) äußert sich recht deutlich:

    „Leider ist von dieser signifikanten Schöpfung Ludwigs I. nur noch ein architektonischer, zudem völlig bildloser Torso übrig. Die Versuche einer Neuinterpretation des Fragmentes im Sinne eines puristischen Minimalismus sowohl durch den viel gepriesenen reduzierten Wiederaufbau nach dem Konzept von Hans Döllgast wie durch die spätere, liturgisch motivierte Umgestaltung können den immensen Verlust keinesfalls adäquat ersetzen, haben jedoch als jeweils zeittypisch zu gelten.“

    Zustand vor der Umgestaltung 1975: https://www.bildindex.de/document/obj22…0426_08/?part=0

    Der Innenraum heute:

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    Nun zum historischen Innenraum vor der Zerstörung. Wolf Hofmann beschreibt ihn wie folgt (alle folgenden Zitate ebenfalls von ihm):

    „Das Innere des Raums wird gebildet von dem betonten Hauptschiff, dem sich je zwei Seitenschiffe beifügen, durch vier Säulenreihen zu je 16 Säulen getrennt. Die Höhe des Mittelschiffs beträgt mit 23 Metern fast das Doppelte der Seitenschiffe mit je 13 Metern; Länge des Baus insgesamt 76 Meter, Breite der fünf Schiffe zusammen 36 Meter. Die Schildbögen des Mittel- und der Seitenschiffe ruhen ohne Kämpfer auf den insgesamt 64 monolithen Granitsäulen mit romanisierenden Marmorkapitellen, auf denen als christliche Symbole abwechselnd Ähre, Traube, Lilie und Kreuz dargestellt sind. Die langen Säulenreihen führen hin zur Apsis, in welcher der Ort des Hochaltars durch eine Treppenanlage erhöht ist. Die Apsis wird gebildet aus einer Nische in großen Dimensionen, überwölbt von einer Viertelkugel; sie ist gegenüber dem Mittelschiff stark eingezogen und läßt, da sie nicht die Scheitelhöhe der Hochschiffenster erreicht, die Triumphbogenwand großflächig erscheinen, zumal im offenen Dachstuhl auch deren Giebel sichtbar bleibt. Die gleichmäßig gereihten Fenster der Hoch- und Außenwände sowie der Fassadenwand durchlichten den Innenraum annähernd in gleichem Maß."

    Kolorierte Ansicht um 1900:

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    (Wikimedia Commons, gemeinfrei)

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    (Bildindex, CC0 1.0)

    "Die Wirkung des Innenraums wird bestimmt durch die Reihen polierter Granitsäulen und die reiche Freskoausstattung der Wände. Den von den Fenstern der Außenwände durchleuchteten Säulenreihen im unteren Bereich entspricht in der Höhe der offene Dachstuhl mit seinem bloßgelegten Balken-, Hänge- und Sprengwerk vor der Folie eines leuchtendblauen Himmels mit Goldsternen. An den Hochschiffwänden zieht sich ein Fries von zwölf polychromen, breitformatigen Historienbildern hin, zwischen die quadratische Ornamentfelder mit achteckigen Grisaillebildern eingeschoben sind. Die Hauptbilder schildern das segensreiche Wirken des Apostels der Deutschen. Oberhalb des großen Frieses, zwischen den schmalen Rundbogenfenstern, sind in 36 Bildern auf Goldgrund Szenen aus dem Leben von Kirchenfürsten und Märtyrern festgehalten. In die Zwickel der Arkadenbögen ist eine Reihung von 34 Medaillons mit den Porträts von Päpsten eingeordnet, gerahmt mit Arabeskenschmuck."

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    (mediaTUM, CC BY-NC-ND 4.0)

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    (Aquarell von Chr. Reith)

    "Dominierender Blickpunkt ist die goldfarbene Apsis. Hier erscheinen auf Goldgrund, zwischen Palmbäumen stehend, die Gestalten der Heiligen Benedictus und Bonifatius neben den ersten Missionaren Bayerns; darüber schwebt Christus in einer von Engeln umrahmten Glorie. Am Triumphbogen ist das Lamm Gottes dargestellt, darüber zwölf Schäflein, Symbole Christi und der Apostel; zu Seiten des Lammes die vier Attribute der Evangelisten, die in voller Figur in den Zwickelfeldern erscheinen. In der Zone der Säulen hinterfangen gemalte Platten und das Chorgestühl den Altar. Um die Feierlichkeit des Raumbildes nicht zu beeinträchtigen, war die Kanzel nicht ortsfest aufgestellt, sondern konnte auf Rollen verschoben werden. Unter dem erhobenen Chor liegt die Gruft, deren Zugänge sich am Schluß der äußeren Seitenschiffe befinden. Die Krypta dient den Benediktinern als Grablege, in deren Mitte Königin Theresia ruht. Ihr Gemahl, König Ludwig I., ließ sich nicht in der Gruft, sondern im östlichen äußeren Seitenschiff in einem schmucklosen Steinsarkophag beisetzen, der den Sarkophagen der normannischen Könige in Palermo und Monreale nachgebildet ist.“

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    (Wikimedia Commons, CC0 1.0)

    Nahaufnahme von Triumphbogen und Apsis mit den Fresken von Heinrich Heß (St. Benedikt und St. Bonifaz mit den ersten Missionaren Bayerns):

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    Zur Gesamtwirkung:

    St. Bonifaz vor dem Krieg war mehr als nur eine Nachempfindung eines italienischen Vorbilds. (…) Ziebland wiederholte die römische Basilika in den Dimensionen und vielen Einzelheiten, schuf aber gleichzeitig einen individuellen neuen Bau. (…) Auch Ziebland machte keine Ausnahme, als es darum ging, der Grundtendenz der Architektur des 19. Jahrhunderts zu folgen: das eklektische Sondieren nach Elementen verschiedener Architekturstile für einen Bau. In der eigenständigen Gestaltung des Außenbaus sind Anlehnungen an die Romanik zu erkennen. Das Mittelportal ist eine originelle Verarbeitung gotischer Vorbilder. Bezeichnend ist die Gestaltung des Außenbaus in sorgfältiger Ziegelbauweise; die für das 19. Jahrhundert charakteristische Ausdeutung der als Vorbild genommenen einzelnen Stile ins Flächenhafte ist deutlich auszumachen. Interessant ist die Wiederaufnahme des flächigen Lisenenmotivs und besonders des Rundbogenfrieses, das Gärtner nur wenig früher an der Ludwigskirche verwandt hat.
    Die Ikonographie der Ausmalung lehnt sich mit der Apsisgestaltung und den Papstmedaillons zwar frei an frühchristliche Vorbilder an, im großen Bildfries jedoch ist ein eigenes, nur für diesen Bau mögliches Programm entsprechend den Wünschen König Ludwigs verwirklicht. Auch in seiner formalen und farbigen Gestaltung verzichtet dieser Zyklus auf eine Imitation frühchristlicher Darstellungsweise; er war ganz in nazarenischer Manier ausgeführt, wie sie damals in München gepflegt wurde.

    Diese verschiedenen Elemente waren so qualitätvoll zusammengefaßt, daß die Abstimmung des Innern durchaus eine eigene künstlerische Leistung darstellte. Zieblands Kirche war ein Raum, in dem eine gekonnte Architektur trefflich funktionierte im Zusammenklang mit der Ausstattung und dem Abwägen der einzelnen Raumglieder. Harmonisch war der Eindruck der Fresken mit der Führung des Lichts, die Größe des Raums erfüllte den Sinn seiner Bestimmung. Die Bildung einer künstlerischen Einheit verbietet den Gedanken an eine naive Kopie. St. Bonifaz fügte sich gut in das ludovizianische München ein, obwohl dieser Typus einer frühchristlichen Basilika in dieser Kulturlandschaft zunächst fremd erscheinen mußte.“

    Eigenartig sind die heutigen „Flossen“ auf den Seitenwänden der Vorhalle, die es vor der Zerstörung nie gab und für deren Existenz ich keinen Grund herausfinden konnte; im hinteren Teil dieser Mauern, der vom ansteigenden Vordach verdeckt wird, ist zwar jeweils ein Fenster zu sehen, aber das hätte man auch ohne die auffälligen Stirnmauern realisieren können.

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    Nach den schweren Zerstörungen des 2. Weltkriegs wurde die Kirche nur in der Südhälfte wiederhergestellt: der ehemals 76m lange Innenraum wurde von Hans Döllgast auf einen annähernd quadratischen Raum von 32m Länge verkürzt und auf der frei gewordenen Nordhälfte 1969-71 von Karl Theodor Horn ein Pfarrzentrum mit Werktagskirche errichtet, „ein sehr konsequent aus Fertigteilen errichteter Bau aus Sichtbeton“, wie es im Dehio heißt. Dieser Kontrast ist von der Karlstraße zwar nur aus einem spitzen Winkel zu sehen, ist aber trotzdem äußerst ärgerlich und häßlich.

    Heutige Ansichten der Westseite:

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    Wie man sieht, wurden die fehlenden Mauerteile der Kirche von Döllgast bewusst in Struktur und Farbigkeit abgesetzt, um den historischen vom neu ergänzten Bestand zu differenzieren - eine Lösung, die Döllgast auch bei der Wiederherstellung der Alten Pinakothek anwendete.

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    Das nördlich anschließende Benediktinerkloster:

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    In der Mitte zu sehen die Überreste der alten Apsis:

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    Die Eingangsfassade des Klosters:

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    Der westlich anschließende Klostergarten:

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    Wir bleiben in den 1830er Jahren und widmen uns nun der vierten von König Ludwig I. erbauten Kirche (nach der Allerheiligen-Hofkirche 1826, St. Ludwig 1829 und Mariahilf in der Au 1831): St. Bonifaz in der Maxvorstadt.

    Benediktinerabtei- und Pfarrkirche St. Bonifaz

    Karlstraße 34
    Erbaut 1835-47
    Typus: fünfschiffige Basilika mit Säulenarkaden und halbrunder Apsis


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    Baugeschichte:

    - 1819 erste Gedanken Ludwigs I. zum Bau einer Apostelkirche für die Südseite des Königsplatzes als Gegenstück zur Glyptothek samt Entwurf von Leo von Klenze
    - 1822 Entwurf einer mit einem Benediktinerkloster verbundenen Basilika von Georg Friedrich Ziebland für die Südseite des Königsplatzes
    - 1827-29 wird Ziebland von Ludwig I. nach Italien geschickt, um die dortigen Basiliken zu studieren
    - 1834 fünfter und endgültiger Entwurf Zieblands, Verträge mit Ziebland als Architekt und Heinrich Heß als Freskomaler, 1835 Grundsteinlegung mit neuem Standort an der Karlstraße, gleichzeitig Baubeginn des Klosters nördlich anschließend an die Kirche
    - 1840 Fertigstellung des Rohbaus und Beginn der Innenausstattung: Programm der Historienbilder durch den Theologen Ignaz Dollinger, Entwurf und Ausführung der Fresken von Heinrich Heß, Johann von Schraudolph und weiteren Mitarbeitern, Ornamentik von Joseph Schwarzmann
    - 1847 Vollendung des Baus, 1850 Weihe
    - 1850 Gründung der Benediktinerabtei, deren Sitz das inzwischen fertiggestellte Klostergebäude nördlich anschließend an die Kirche wird
    - 1868 Beisetzung König Ludwigs I. im hinteren rechten Nebenraum in einem Marmorsarkophag nach palermitanischen Vorbildern (Entwurf Leo v. Klenze, Ausführung Adalbert Sickinger)
    - 1943-45 weitgehende Zerstörung des Kirche, vor allem der nördlichen Hälfte, Verlust der gesamten Innenausstattung samt Fresken; Teile der Außenschiffmauern sowie die Apsis mit Glockenstuhl bleiben erhalten
    - 1945-50 Wiederherstellung der südlichen Hälfte der Basilika durch Hans Döllgast unter Einziehung einer Trennwand nach Norden, neue Bronze-Portale von Georg Brenninger und Inge Seyffart
    - 1969-71 Errichtung eines Pfarrzentrums mit Werktagskirche im nördlichen Teil der ehem. Basilika zwischen Apsisruine und wiederhergestellter Kirche (nach Plänen von Karl Theodor Horn), der Glockenstuhl wird dabei abgebrochen
    - 1975 Aufstellung eines neuen Altars als Mittelpunkt einer zentralisierten Neuordnung des Kirchenraumes, 1976/77 neue Orgel von Mühleisen (Straßburg)
    - 1993/94 Innenrenovierung mit teilweiser Neugestaltung: zeltartige Leuchtkörper über dem Altar, 24 hängende Leuchtkugeln, Bildtafeln mit abstrakter Malerei an den Wänden, 1996 neues geschnitztes Innenportal von Friedrich Koller


    St. Bonifaz, das nicht nur Pfarrkirche, sondern auch Abteikirche der dahinterliegenden Benediktinerabtei ist, ist nach der Zerstörung im 2. Weltkrieg nur mehr ein „stark verändertes Fragment“ (Bayer. Denkmaltopographie) und seine ehemalige Pracht längst aus dem Bewusstsein der Allgemeinheit verschwunden. Dabei war die „Basilika“, wie sie im Volksmund genannt wurde, vor der Zerstörung eine der bekanntesten Kirchen Münchens, die in keinem Münchner Reiseführer fehlte.

    Mit dem Bau von St. Bonifaz verfolgte Ludwig drei Ziele: erstens der neu entstandenen westlichen Maxvorstadt eine Pfarrkirche, zweitens dem Benediktinerorden nach der Säkularisation wieder eine Heimat in München und drittens sich selbst eine Grabstätte zu geben. Das Projekt war maßgeblicher Teil von Ludwigs Regierungsprogramm der Resakralisierung Bayerns nach der dramatischen Unterbrechung durch Aufklärung und Säkularisation und sollte an die alte Tradition der Verbindung von „Thron und Altar“ anknüpfen. St. Bonifaz war Ludwigs Lieblingskirche und wurde komplett aus seiner Privatschatulle finanziert.
    Im Spannungsfeld des Bemühens um eine Reform des Sakralbaus in der ersten Hälfte des 19. Jhs verfolgt sie im Gegensatz zum intellektuellen klassizistischen Wiederaufgreifen von antiken Tempelformen einerseits und der gefühlsbetonten romantischen Neugotik andererseits einen dritten Weg: die Rückkehr zur frühchristlichen Basilika, wie sie in Italien in den ersten Jahrhunderten nach Christus entstanden war und bereits seit Ende des 18. Jhs in Frankreich wiederbelebt wurde (in Paris z.B. Saint-Philippe-du-Roule 1774-84) - also eine Rückbesinnung auf die Anfänge des Christentums. Bei diesen französischen Beispielen liegt auf den Säulen der Schiffwände aber ein Architrav (also ein gerader Steinbalken), Ludwig favorisierte hingegen letztendlich die Arkadenvariante, bei der die Säulen mit Bögen überspannt sind wie in San Paolo fuori le mura in Rom oder in Sant’Apollinare in Classe in Ravenna. Gerade San Paolo fuori le mura wurde für Ludwig zum programmatischen Vorbild, nachdem die Kirche 1823 durch einen Großbrand schwer beschädigt und anschließend wiederaufgebaut wurde und dadurch in jenen Jahren in aller Munde war. Auch die Wahl des Patroziniums St. Bonifaz ist durch San Paolo fuori le mura inspiriert: so wie diese dem Völkerapostel Paulus geweiht ist, ist St. Bonifaz dem als „Apostel der Deutschen“ geltenden hl. Bonifatius gewidmet. Die Vorhalle, der sogenannte Narthex, findet sein nächstes Vorbild in San Lorenzo fuori le mura.
    Ludwig, der die Bauform der Basilika genau vorgab, schickte schließlich 1827-29 den jungen Regensburger Architekten Georg Friedrich Ziebland (einen Schüler Karl von Fischers) nach Italien, um die dortigen Basiliken genau zu studieren und einen Entwurf für die Kirche samt Kloster vorzulegen. Die gebaute Kirche ergab mit dem dahinterliegenden Benediktinerkloster und dem nochmal nördlich anschließenden, ebenfalls von Ziebland 1838-45 gebauten Ausstellungsgebäude (heute Antikensammlung) am Königsplatz einen durchgehenden Baublock, der „Ludwigs programmatischen Gedanken einer Synthese von Glaube und Wissen, von Antike und Christentum zum Ausdruck bringt“ (Bayer. Denkmaltopographie) und von Wolf Hofmann (in „Münchens Kirchen“ von 1973) folgendermaßen auf den Punkt gebracht wird: „Der Wunschtraum Ludwigs war Wirklichkeit geworden: auf engstem Raum ein Dreiklang von Religion (Basilika), Wissenschaft (Abtei) und Kunst (Ausstellungsgebäude).“ Womit wir wieder bei Ludwigs Regierungsprogramm wären.


    Einige Außenansichten vor der Zerstörung:

    1916/23:

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    (Bildindex, CC BY-SA 4.0)

    Um 1860:

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    (Stadtarchiv München, CC BY-ND 4.0)

    Um 1870:

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    (Stadtarchiv München, CC BY-ND 4.0)

    Ich finde die neue Matthäuskirche auch recht akzeptabel, vor allem innen.

    Eine Rekonstruktion der alten Kirche an originaler Stelle ist meiner Meinung nach völlig ausgeschlossen, nicht nur weil Rekonstruktionen im allgemeinen schwer durchzusetzen sind, sondern weil ein großes Gebäude an der dortigen Stelle für die jetzige Nutzung der Sonnenstraße wirklich ein kolossales Hindernis wäre: Sonnenstraße und Stachus sind eine stark frequentierte mehrspurige Stadtautobahn, über den ehemaligen Standort verlaufen zwei Gleise der Trambahn samt Haltstelle und darunter befindet sich noch teilweise eine unterirdische Passage mit Geschäften. Da geb ich Jakob schon recht. An sich fand ich die Situation der alten Matthäuskirche aber sehr reizvoll, auch in Verbindung mit der gründerzeitlichen Bebauung, gerade in der Ansicht vom Stachus aus. Der ganze Stadtraum muss eine sehr urbane und mondäne Atmosphäre gehabt haben, was nicht zuletzt am Platzabschluss durch die Matthäuskirche lag, deren Turm das beherrschende Elemente in diesem Abschnitt der Sonnenstraße gewesen sein muss.

    Als nächstes möchte ich auf eine abgegangene Kirche eingehen, die in dieser Galerie nicht fehlen darf: die alte Matthäuskirche in der Sonnenstraße. Sie war die erste protestantische Kirche Münchens und wurde 1938 von den Nationalsozialisten abgebrochen.
    Wer Näheres zur Entwicklung des protestantischen Glaubens in München erfahren möchte, sei auf meinen Beitrag zur Lukaskirche verwiesen.

    Alte Matthäuskirche (evangelisch-lutherisch)

    Sonnenstraße
    Erbaut 1827-33, abgebrochen 1938
    Typus: querovaler Zentralraum mit Vorhalle und Chor


    Ansicht von Norden (vom Karlsplatz):

    1560px-St._Matthäus%2C_München.jpg
    (Wikimedia Commons, gemeinfrei)

    Ansicht von Süden:

    München%2C_Bayern_-_St._Matthäuskirche_%28Zeno_Ansichtskarten%29.jpg?uselang=de
    (Wikimedia Commons, gemeinfrei)


    Baugeschichte:

    - 1818 Auftrag an Leo von Klenze zum Bau einer evangelischen Kirche, die dieser ursprünglich im Rahmen seiner Planungen für den Odeonsplatz anstelle des späteren Ludwig-Ferdinand-Palais als Westabschluss des Platzes errichten wollte; Ablehnung dieses Planes durch das Protestantische Oberkonsistorium und Beauftragung von Gustav Vorherr mit einem Umbau der Salvatorkirche, die bereits 1806 im Zuge der Säkularisation der neuen protestantischen Glaubensgemeinde überlassen worden, aber nie benutzt worden war, da die profanierte Kirche durchgehend als Wagenremise und Getreidelager verwendet wurde; diese Pläne ließen sich allerdings nicht verwirklichen.
    - 1825 Genehmigung eines Neubaus und Bereitstellung von finanziellen Mitteln durch den bayerischen Landtag
    - 1827-33 Bau der zunächst sogenannten „Protestantischen Kirche München“ (Umbenennung in „Matthäuskirche“ 1885) in der Mitte der Sonnenstraße am Südende des Karlsplatzes nach Plänen von Oberbaurat Johann Nepomuk Pertsch, eines Schülers von Karl von Fischer.
    - 1937/38 Umgestaltung des Innenraumes, vor allem des Altars, durch German Bestelmeyer
    - 1938 Abriss der Kirche auf Anordnung von Gauleiter Adolf Wagner vorgeblich aus Verkehrsgründen; als Ersatzgelände für einen Neubau wird der Evangelischen Kirche ein Bauplatz in den Nußbaumanlagen zwischen Sendlinger-Tor-Platz und Ziemssenstraße zugewiesen, für welchen German Bestelmeyer 1939 einen Entwurf in Gestalt eines Rundbaus mit freistehendem Turm liefert, der aber durch den Ausbruch des Kriegs nicht ausgeführt wird.
    - 1953-55 Bau der neuen Matthäuskirche in den Nußbaumanlagen am Sendlinger-Tor-Platz nach Entwurf von Gustav Gsaenger


    Die alte Matthäuskirche (anfänglich „Protestantische Kirche München“ genannt) war die erste protestantische Kirche Münchens und bis zum Abbruch 1938 Bischofskirche der bayerischen Protestanten. Sie lag inmitten der Sonnenstraße unweit dem Südende des Karlsplatzes und bildete zusammen mit der ihr vorgelagerten Parkanlage den repräsentativen Südabschluss des Platzes. Auch von der Schwanthalerstraße aus stellte ihr Turm einen markanten Point de vue dar.
    Vom Innenraum gibt es erstaunlich wenige Bilder; die wenigen verfügbaren lassen ein sehr feierliches, aber auch strenges klassizistisches Ambiente erkennen. Anzumerken ist, dass der Bau nicht, wie bei den katholischen Kirchenbauprojekten jener Zeit üblich, von König Ludwig I. finanziell gefördert wurde und von daher mit einem eher begrenzten Budget auskommen musste.

    Ihr von den Nationalsozialisten im Juni 1938 vollzogener Abbruch geschah offiziell aus Verkehrsgründen, weil die Kirche angeblich ein Hindernis in der vielbefahrenen Sonnenstraße darstellte; inoffiziell wurde gemutmaßt, dass die Verweigerungshaltung des bayerischen Landesbischofs Hans Meiser, die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern nicht mit den „Deutschen Christen“ zur „Reichskirche“ gleichschalten zu lassen, der entscheidende Grund gewesen sei. Eigenartig ist auf jeden Fall, dass das Innere der Kirche noch kurz zuvor durch German Bestelmeyer umgestaltet worden war, die Entscheidung zum Abriss also sehr kurzfristig erfolgt sein muss.
    Nach dem Krieg wurde die neue Matthäuskirche auf dem bereits vor dem Krieg ausgewiesenen Bauplatz in den Nußbaumanlagen am Sendlinger-Tor-Platz errichtet. Die Stelle der alten Matthäuskirche ist bis heute unbebaut.


    Weitere Außenansichten:

    Vom Karlsplatz aus (um 1900):

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    Um 1865 noch mit biedermeierlicher Bebauung:

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    (Wikimedia Commons; gemeinfrei)

    Karlstor-Rondell mit Matthäuskirche 1913:

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    (Stadtarchiv München; CC BY-ND 4.0)

    Aus der Sonnenstraße:

    München_-_Matthiaskirche.jpg?uselang=de
    (Wikimedia Commons; gemeinfrei)

    Matthauskirche-Postkarte-1907.jpg
    (Wikimedia Commons; CC BY-SA 4.0)

    Ansicht von der Schwanthalerstraße:

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    Eine weitere Ansicht von der Schwanthalerstraße: https://stadtarchiv.muenchen.de/scopequery/bil…EID=10&SQNZNR=1


    Nun zu den wenigen mir bekannten Innenansichten. Zunächst der Grundriss (Graphik von Joseph Unger aus dem Jahr 1827):

    960px-Joseph_Unger%2C_St._Matthäus%2C_1827.jpg?uselang=de
    (Wikimedia Commons; CC BY-SA 4.0)

    Die mir bekannten Fotos:

    Blick nach vorne auf Altar und Orgel:

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    (Wikimedia Commons; gemeinfrei)

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    (Bildindex, CC0 1.0)

    Auf dem folgenden Foto, das kurz vor dem Abbruch entstanden sein muss, sieht man die Umgestaltung des Altars durch German Bestelmeyer, welche kurze Zeit vor dem Abbruch erfolgt war:

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    (Abendzeitung München)

    Nahansicht Orgel und Altar vor der Umgestaltung:

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    (OrganIndex; CC BY-NC-SA 3.0 DE)

    Ansicht der Rückseite:

    München-Ludwigsvorstadt%2C_Alt_St._Matthäus_%283%29.jpeg
    (OrganIndex; CC BY-NC-SA 3.0 DE)

    Seitenansicht der Kanzel: https://stadtarchiv.muenchen.de/scopequery/bil…EID=10&SQNZNR=1

    Weitere Innenansichten sind mir nicht bekannt.

    Ich geb Dir recht, dass der Skeuomorphismus in iOS teilweise furchtbar kitschig und nicht zum Anschauen war. Ich bin da für einen Mittelweg, ein bisschen Dreidimensionalität hilft schon bei der schnellen Orientierung. Gerade in Musiksoftware mit Dutzenden von Knöpfen, Fadern, Scrollbalken etc. ist eine rein zweidimensionale Oberfläche viel schwerer zu erkennen und zu navigieren (da gibt es inzwischen leider ein paar schlechte Beispiele). Wenn es mit Geschmack gemacht wird, finde ich eine leichte Tiefenwirkung schön und sinnvoll. Die Dock-Animationen in macOS fand ich immer elegant und hab sie natürlich aktiviert :) ich vermisse auch die schön glänzenden dreidimensionalen Ampelbuttons an den Fenstern so wie sie noch in Snow Leopard waren ;)

    Die weitere Reduktion und "Verflachung" der neuen Meisterhäuser im Vergleich zu den alten entspricht der momentanen Mode, so wie sie sich seit ca. 10 Jahren auch im GUI-Design von Software zeigt: während vorher versucht wurde, aus der Zweidimensionalität des Bildschirms auszubrechen und mit Schlagschatten, Farbverläufen etc. eine dritte Dimension zu simulieren, lässt man inzwischen all dies weg und ist zu einer grafischen Primitivität zurückgekehrt, die schon teilweise an die Anfänge der grafischen Benutzeroberflächen in den 80er Jahren erinnert. Ich bin überzeugt, dass dieser Trend in der Software auch die architektonische Ästhetik geprägt hat - heute ist Software das Medium, mit dem viele Menschen den meisten Kontakt haben und hat somit eine große kulturelle Bedeutung.

    Für mich ist der Unterschied zwischen alten und neuen Meisterhäusern letztendlich marginal, mir gefallen die alten auch nicht. Sie besitzen bereits diese wie zufällig hingeworfene Gestaltung, deren einzige "Ästhetik" sich in Wahrheit daraus speist, dass sie gewissenhaft alles vermeidet, was traditionellem Form- und Gestaltungsempfinden entsprechen würde. Ihre Ästhetik ist "anti", ist Ausdruck vom "Geist, der stets verneint" und nicht das Ergebnis einer konstruktiven, aus sich heraus geborenen und positiven Haltung.

    Ich hab's schon mal an anderer Stelle geschrieben, einige der metallenen Zuganker, die die seitwärts strebenden Schubkräfte der Bögen auffangen, sind im Mauerwerk korrodiert und müssen unbedingt erneuert werden. Wie sich die Kosten insgesamt zusammensetzen, weiß ich aber auch nicht, ich kann aber jemanden fragen, der das evtl. herausfinden kann. Ich bin auch kein riesiger Fan der Feldherrnhalle, aber sie ist nunmal eines der Wahrzeichen Münchens und ihre Erhaltung ist alternativlos. Ich bin mir sicher, dass auch für die Damenstiftkirche das Geld aufgetrieben wird... aber natürlich ist es schade, dass da der Staat keinen größeren Anteil übernimmt

    Bzgl. Feldherrnhalle steht in einem der von Dir verlinkten Artikel drin, dass das Dach eine Photovoltaikanlage bekommen soll... das dürfte man allerdings von unten tatsächlich nicht sehen.

    Der Neubau in der Sonnenstraße ist der gleiche Schmarrn wie immer, aber dort ist es eh schon wurscht. Ich wundere mich nur, dass den Investoren noch nicht aufgefallen ist, dass sich auch in München längst nicht mehr alles vermieten lässt und dass eh schon vieles leer steht... das Argument der höheren Rendite wird immer lächerlicher.

    Ich bin auch kein Regensburg-Experte, aber ich habe auch eher wenig Historismus gesehen, dazu war die Stadt im 19. Jh wohl zu unbedeutend und zu wenig wohlhabend. In der Maximilianstraße gibt es ein paar, allen voran das Parkhotel Maximilian oder das Café Fürstenhof.

    Aber ich denke, selbst wenn es mehr davon gegeben hätte, wäre es im Durchschnitt wohl kaum was Besonderes gewesen... meiner Meinung nach ist die Gründerzeit-Architektur in solchen nicht ganz großen Städten oft enttäuschend, weil sie zu bescheiden und zu niedrig ist... Beispiele wie solche, die Bergischer aus den Vororten von Köln gezeigt hat oder wie in diversen Hannover- oder Bremen-Strängen präsentiert wurden, sind meistens ziemlich fad und ich kann irgendwie verstehen, dass solche Gebäude nicht gerade große Wertschätzung genossen. Für mich liegt der Reiz von Gründerzeit-Architektur schon zu einem guten Teil in ihrer Imposanz, ich kann nicht umhin, dabei hauptsächlich an Wien o.ä. zu denken. Aber das ist nur meine persönliche Meinung und Prägung. Jedenfalls glaube ich nicht, dass ausgerechnet in Regensburg beeindruckende historistische Viertel entstanden wären, wenn die Notwendigkeit dazu dagewesen wäre.