Die größten und gelungensten Wiederaufbauprojekte zerstörter Städte

  • Ich lern ja gern dazu, nur... wo sind diese vielbesungenen Qualitäten denn? Ich hab sie nie gesehen (sofern über die Wiederherstellung einzelner Objekte, einschließlich der einen rekonstruierten Zeile hinausgehend), und sie wurden mir noch nie schlüssig dargelegt. So gesehen ist mir eine weniger "undifferenzierte Beurteilung", anders als in Minga, wo ja auch nicht alles Gold ist, manches aber eben doch, schlicht nicht möglich.

    Was die angeblich "ähnliche Wortwahl" betrifft, so kommt ich da nicht mit. Die von dir unterstellte Vulgärsprache hab ich eben nicht verwendet. Die heute bereits voll eingetretene Schäbigkeit und Heruntergekommenheit des einstigen so möchtegern flotten Wirtschaftswunderaufbaus lässt die von mir verwandte Assoziation mE durchaus zu, ohne gleich an Fäkalien denken zu müssen. Ja, Wü ist ärmlich und dreckig. Tut mir leid. Diese Beobachtung wurde in solchen Wiederaufbaustädten von unseren Leuten öfters gemacht. Wir sind so etwas halt nicht gewohnt, bei uns haben auch Industriestädte wie Linz ein schönes Zentrum. Ich glaub wirklich, Zeno, dass dir das als Bundesdeutschen gar nicht mehr so auffällt. Österreicher fragen sich (und Passanten) in solchen "Altstädten": Wo bitte geht's hier ins Zentrum? Hab ich erlebt. Auch ich, der ich viele solche "Altstädte" gesehen habe und soweit einschätzen kann, auch das erreichte Positive, weigere mich, dieses Elend als quasi Selbstverständlichkeit anzusehen. Mit so etwas rechnet man, Kriegszerstörung hin oder her in Mitteleuropa nicht, schon gar nicht in einer Kulturstadt. Die so viel besungene "urbane Bügerlichkeit" ist dort nicht zuhause. Da helfen weder mittelalterlicher Stadtgrundriss oder rote Dächer. Such dir mal ein angemessenes Restaurant um den Markt. Es sind schon über 70 Jahre seit der Zerstörung vergangen, und andere Städte haben längst begonnen, die damaligen Fehler zu überdenken und es sich niveauvoller einzurichten.

    Nur die schlimmsten Totalverluste in Bayern (incl. Franken) sind stolz auf ihre Errungenschaften und preisen ihre kaputten, ärmlichen, abgehausten und gammelig gewordenen Stadtzentren um den grünen Klee. Manchmal kommt grade noch der Verweis, man möge sich mal Bochum anschauen.

    Ihr Franken müsst einfach mal lernen, der Realität ins Auge zu schauen, anstatt euch an realistischen Formulierungen zu stoßen. Ihr habt beim Wiederaufbau nichts richtig gemacht, und wenn ihr es euch noch so oft einredet.

  • Ich würde niemals behaupten, dass wir es besser gemacht hätten. Es geht nur darum, ob man den Status quo lobenswert empfindet oder nicht. Übrigens habe ich nicht mit Wü hier angefangen, denn dass das in diesem Strang nichts verloren hat, ist mir wohl am allerklarsten. Es war Giuglio. Und Widerspruch muss, auch wenn es zB Jakob nicht ganz zu passen scheint, erlaubt sein. Vielleicht will jemand noch Nürnberg vorschlagen...

    Von allen wirklich ganz arg zerstörten Städten hat mir Ulm am besten gefallen. Hier wurde von Anbeginn nicht alles falsch gemacht und in jüngerer Zeit eine wesentlich Korrektur vorgenommen. Ich seh ein, dass das hier polarisiert, und habe Ulm daher nicht vorgebracht.

    Das konkurrenzlos gelungenste Wiederaufbauprojekt ist und bleibt für mich der DDner Neumarkt. Und hiergegen zu sagen, dass einem der Wü.er Wiederaufbau (selbst bezogen auf die Gesamtfläche) mehr zusagt, fordert eben so etwas wie Widerspruch heraus.

    Imgrunde haben wir schon alle Wiederaufbauprojekte durchgearbeitet. In jeder zerstörten Stadt lässt sich was aussetzen, keine wurde vollständig und incl aller gründerzeitlichen Erweiterungsgebiete originalgetreu rekonstruiert. Das Braunschweiger Traditionsinselsystem wird wohl incl gewisser lobenswerten Rekos (Alte Waage) nicht ausreichen, um diese Stadt hier in die engere Wahl zu ziehen. Hamburg-Neustadt ist mit den paar Häusern zu klein, was sogar für den Hildesheimer Markt gilt. Bleibt FFM, was jedoch abseits des Rekogebietes als eher hässlich gilt (obwohl es mE im Ganzen unterschätzt wird, wie die jüngste hiesige Galerie belegt). Münster ist wohl nicht originalgetreu genug und dazu auf wenige Partien beschränkt. Rothenburg könnte man noch anführen, indes scheinen mir dort die relevanten Rekos zu fehlen. Abgesehen davon lebt die Stadt vom Erhaltenen, nicht vom Wiederaufgebauten, wo es kaum einen hinverschlägt. Der Wiederaufbau des Lübecker Gründerviertels wird wohl von jedem als doch zu modern und durchschnittlich angesehen. Berliner Nikolaiviertel... sicher ganz nett, aber... Und überhaupt, Berliner Wiederaufbau... Warum nicht gleich Potsdam mit seinen 2 km abgerissenen Barockfassaden...

    Was bleibt, sind offenbar ewige Reibebäume. Wie gesagt: gut, dass noch keiner Nürnberg vorgebracht hat. Oder Augsburg wäre auch ein ganz heißer Tip für nie endende Querelen.

  • Pff, we agree to diagree. Ich war noch nie in Würzburg, aber das von Königsbau gepostete Bild sieht mir recht stimmungsvoll aus. Mir gefällt es. Und: ja, ich halte den kleinteiligen Aufbau für sinnvoll.

    Die Danziger Fantasiefassaden gefallen mir auch, und ich finde sie sehr gelungen und gefällig. Aber die großen Parkplätze und das viele Grün mitten im Stadtzentrum finde ich nunmal suburban und nicht wirklich stadtzentrumsgemäß.

    <i>Wir sind so etwas halt nicht gewohnt, bei uns haben auch Industriestädte wie Linz ein schönes Zentrum.</i>

    Kann es sein, daß in Ö einfach mehr herrschaftliche kuk-Architektur erhalten ist? D war immer kleinbürgerlicher und industrieller, und zu manchen Zeiten fiel der Putz von der Fassade, nicht nur zu End-DDR-Zeiten, auch im 1. Drittel des 19.Jhdts, wenn man den Bildern von Gärtner und anderen trauen darf.

  • Ich kann Ursus hier schon recht gut verstehen, denn genau so sieht das heutige Würzburg aus, wenn man die erhaltenen Einzelbauten ausblendet:

    https://lh3.googleusercontent.com/proxy/xela8wpqngpqp83lzwh8io0ejnka6jpmxlfnwuz1h0k5i9njdeje2s9w2ym7p1c8-jspfreixmybdrdbkfxp

    Wie ich schon mal schrieb: Würzburg ist nur noch wegen den geretteten Einzelbauten absolut sehenswert, und genau dasselbe gilt auch für das hier (im Gegensatz zu Würzburg) oft -zu Recht- viel gescholtene Köln! Die Wiederaufbauarchitektur selbst sieht dagegen einfach überall gleich miserabel aus...

  • Das hab ich erwartet, Zeno, aber die historische Domstraße sieht auch nicht essentiell anders aus. Das ist ja eben: dass man dem geretteten Grundriss keinesfalls die Historizität ansieht. So wie man die Gründerzeit nicht mehr erkennt, sieht es auch mit Mittelalter und Barock aus...

    aber das von Königsbau gepostete Bild sieht mir recht stimmungsvoll aus.

    Also... lassen wir den Disneyland-Woehrle oder was rechts vorn mal beiseite - dafür ist übrigens ein prominenter barocker oder älterer Fasssadenrestling geopfert worden...

    Diese Perspektive kriegst du realiter nicht zu Gesicht. Sie ist stark herbeigezoomt, wahrscheinlich vom Weg zur Festung aus. DARAN kann man nun wirklich nicht unseren Diskussionsgegenstand messen. Dass die Türme und Kuppeln der Monumentalbauten wiederhergestellt worden sind, ist ja nun unstrittig.

    Das ist ungleich weiter hergeholt wie angesichts dessen:

    Dresden Marketing GmbH - das Unternehmen

    den Dresdner Wiederaufbau zu loben, wohlgemerkt was die Wiederherstellung der ganzen Stadt als urbanes Flächendenkmal beträfe.

    Daher hat Niederländes Bild ungleich mehr Relevanz. Aber man könnte ja wirklich mal was Griffigeres zu posten versuchen-

    wie wärs damit:

    Haus zum roten hahn – WürzburgWiki

    vgl:

    Barockhäuser in der neubaustraße – WürzburgWiki

    interessant auch dieser Vergleich:

    Hof zum heuwagen – WürzburgWiki

    Hof zum heuwagen – WürzburgWiki

    übrigens mW reine Rekos. Hier suggeriert Wiki was Falsches.

  • Jetzt mal so auf die Schnelle rausgehauen (hoffentlich nicht allzu viele Tippfehler, Grammatikfehler u. dgl.):

    Ich glaube jetzt zu wissen, warum wir ein Stück weit aneinander vorbeireden. Wir haben offensichtlich ein unterschiedliches Verständnis von dem Begriff "Wiederaufbau".

    Deine Vorstellung, Ursus, von Wiederaufbau ist offenbar die, dass man den Vorkriegszustand möglichst originalgetrau wiederherstellt.

    Unsere, jedenfalls meine, Vorstellung ist die, dass das zerstörte Gebiet grundsätzlich wieder bebaut wird und dass das in einer der historischen Stadt gemäßen Form erfolgt. Dass es dabei zu einer Vielzahl von Änderungen im Detail kommt, liegt auf der Hand. Dass die Altstadt einer Großstadt nicht im Sinne der Wiederherstellung des Vorkriegszustands wiederaufgebaut werden kann, ist wohl eine fundamentale Denkvoraussetzung. Das mag verständlich sein vor dem Hintergrund, dass viele Altstädte, auch und gerade Würzburg, Mängel hinsichtlich gesunder Wohnverhältnisse aufgewiesen haben. Es hat daher vor dem Krieg schon den Wunsch gegeben, hier einiges zu verändern. Diese Veränderungen allein hätten aber das Aussehen der Altstadt nur relativ gering verändert. Mit der Totalzerstörung sollten diese Änderungen so nebenbei obsolet werden; mit dem Wiederaufbau würden noch weit umfangreichere Veränderungen einhergehen. Vor dem Krieg hat es auch den Wunsch gegeben, einige Verkehrsführungen zu "optimieren", die beim Wiederaufbau erfolgten Optimierungen bestanden aber überwiegend in der Entschärfung von Engstellen und Straßenverbreiterungen; neue Straßenverläufe hat es nur in geringerer Zahl gegeben. Der Wiederaufbau hat ansonsten das alte Straßennetz bewahrt. Das ist in meinen Augen eminent wichtig, um den Charakter und die Wiedererkennbarkeit der alten Stadt zu erhalten. Beim Hochbau sind dann eben die vielen 50er-Jahre-Häuser entstanden, nicht nur in Form des schmalen, dreigeschossigen und traufseitigen Satteldachhauses, sondern auch in Form von Blöcken. Diese stehen zwar überwiegend am Blockrand, da sie aber eine übermäßige Parzellengröße einnehmen, verleugnen sie den Charakter einer Altstadt. Auch ihre Außenansicht ist regelmäßig nur ganz schwach dem historischen Vorbild angepasst, also im Grunde gar nicht. Die wesentlichen Störungen gehen auf Großbauten zurück. Dazu zähle ich auf jeden Fall das maßstabssprengende Mozart-Gymnasium (das mittlerweile denkmalgeschützt ist...). Desweiteren eine größere Zahl von Bauten, die sich im Laufe der letzten Jahrzehnte im Altstadtgebiet breitgemacht haben (auch im wörtlichen Sinne) und ihre Lage in einer Altstadt größtenteils verleugnen. Im Ergebnis besteht die Würzburger Altstadt heute aus einem Sammelsurium einer Vielzahl von Bauten, die überwiegend nicht mehr aufeinander abgestimmt sind und im Gegensatz zur ersten Phase der 50er-Jahre auch kein ruhiges Straßenbild mehr erzeugen. Eine der schönsten Straßen ist die Semmelstraße, in der die alten Parzellen erhalten geblieben sind. Die Qualität des Wiederaufbaus liegt im wesentlichen in der Beibehaltung des Grundrisses und der Porportionen der Neubauten. Neben diversen frühen Fehlleistungen wie etwa dem maßstabssprengenden Bau des Polizeigebäudes in der Augustinerstraße oder dem Hochhaus eines Studentenwohnheims in der Hofstallstraße sind es mittlerweile eine Unzahl von Neubauten der letzten Jahrzehnte, die überwiegend Bausünden sind und wegen ihrer Größe auch nicht einfach ausgeblendet werden können. Ein guter Wiederaufbau sieht in der Tat anders aus. Was für den Wiederaufbau spricht, ist die Feststellung, dass es wesentlich schlimmer hätte kommen können.

    Und nebenbei: Gegenwärtig wird das Gebäude des Stadttheaters zu einem modernistischen Glaskasten umgestaltet, dass es nur noch zum Davonlaufen ist, das absolute Gegenteil von Stadtbildpflege. Soviel übrigens auch wieder mal zum Thema Ensembleschutz.

  • Mit Verlaub, Zeno, das sind aber schon sehr dürftige Ansprüche an einen gelungenen Wiederaufbau. Um eine überzeugende Wirkung zu erreichen, sollte es in erster Linie um die Wiederherstellung der Seele und Ausstrahlung einer Stadt gehen. Dazu gehören neben der Wiederherstellung von wichtigen Wahrzeichen und Monumentalbauten vor allem einige geschlossene Bereiche mit gelungenen Füllbauten, die sich in Qualität und Anmutung an den früheren Zustand annähern. Es reicht nicht aus, das Straßennetz, die Parzellierungen und die Proportionen der Häuser wiederherzustellen, wenn die Qualität und Aussagekraft der einzelnen Häuser unbefriedigend ist. Das Problem von vielen 50er-Jahren-Füllbauten ist schlicht und simpel, dass sie völlig bieder und unpersönlich sind und in dieser Aussagelosigkeit nicht im Geringsten an den Vorkriegszustand anknüpfen können. Die Bewahrung von Straßennetz und Grundform der Häuser ist völlig nutzlos, wenn der Straßenraum nicht mit Häusern von adäquater Qualität gefüllt wird; es braucht, so wie immer in der Kunst, ein angemessenes und ausgeglichenes Verhältnis von Form und Inhalt. Die Form mag in Würzburg einigermaßen stimmen, der Inhalt und die Seele fehlen leider fast ganz. Das ist das enttäuschende bei Städten wie Würzburg!

    Leuten wie Ursus (und auch mir) ist es dann halt lieber, wenn das sogenannte Altstadtareal zwar klein, aber von hoher Qualität ist (so wie in Warschau oder in Danzig) und der ganze große Rest moderner Müll, anstatt eine riesige Fläche mittelmäßig und nichts wirklich überzeugend. In ersterem Fall besteht immerhin ein kleiner Teil der alten Seele weiter, in zweiterem nichts.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Das mag verständlich sein vor dem Hintergrund, dass viele Altstädte, auch und gerade Würzburg, Mängel hinsichtlich gesunder Wohnverhältnisse aufgewiesen haben. Es hat daher vor dem Krieg schon den Wunsch gegeben, hier einiges zu verändern.

    Übrigens, das war damals eines der häufigsten und im Endeffekt furchtbarsten Argumente gegen die Altstädte, dass man propagiert hat, die Enge und der "Mangel an Luft" wären ungesund... es waren eher die sanitären Verhältnisse in den Häusern, das Fehlen von Bädern, der Mangel an Hygiene und fließendem Wasser, die ungesund waren. Man hat später "enge" Altstädte wie Regensburg oder Salzburg auch wunderbar sanieren und in äußerst gesuchte Wohnquartiere umwandeln können, ohne die alten Häuser abreißen zu müssen. Das darf keine Rechtfertigung für Abrisse von im Krieg beschädigten Häusern sein.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Das sind ja alles sehr interessante Meinungsäußerungen, wobei ich persönlich Zeno zustimme. Wie oft waren die Diskutanten schon in den genannten Städten? Durch "Ihr Franken" fühlt sich aber vermutlich niemand angesprochen (?)

    Die Gleichsetzung von Würzburg mit Pforzheim oder Mannheim kann man objektiv betrachtet aber sicherlich nicht aufrechterhalten, und der schmale Streifen in Dresden zwischen Wilsdruffer Straße und Elbe entschädigt auch nicht für das großflächige Abräumen jeglicher Bausubstanz durch die DDR auf mehreren Quadratkilometern, wie überhaupt die DDR in Sachen Stadtentwicklung kaum zu unterbieten sein dürfte.

    Außerdem ist ja nicht einmal dieses kleine Areal in Dresden wirklich flächendeckend schön - dort stehen die alten DDR-Zeilen, der Kulturpalast, Wilsdruffer Kubus, das grauenhafte Haus am Zwinger, das "Neue Palais" hinter dem Coselpalais, das DDR Hilton mit den Funktionsbauten daneben, die Tiefgarageneinfahrt, jede Menge unschöne Füllbauten inkl. der komplett mißratenen Töpferstraße oder den beiden Prisco-Häusern gleich neben der Frauenkirche, sehr einfach gehaltene Rekonstruktionen wie das Hotel de Saxe mit seinem Flachdach, wobei die Salomonisapotheke einfach eine Fassade auf derselben Betonwand ist usw.

    Unmittelbar hinter dem Zwinger kommt dann mit dem Postplatz, der Marienstraße und all der weiteren Bebauung in sehr großem Umkreis nur noch das Grauen, wofür dieses Areal auch keine Entschädigung sein kann.

    Siehe auch Einige Städte in Google Earth-Ansichten

    sou perfeito porque / igualzinho a você / eu não presto

  • Wir sind so etwas halt nicht gewohnt, bei uns haben auch Industriestädte wie Linz ein schönes Zentrum

    Wiener Neustadt wurde fast völlig zerstört: klick - es zählt zu dem am stärksten zerstörten Städten mit über 90 % überhaupt.

    Ich war 2011 kurz dort und fand den Wiederaufbau äußerst gelungen - ohne mich jetzt groß damit befaßt zu haben (auf Google Earth gibt es auch hierzu ein komplettes Modell).

    Allerdings ist die Vorgehensweise doch eher ähnlich wie in Würzburg, alter Grundriß und darauf eine Mischung aus mehr oder weniger angepaßten Häusern und einigen bewußt als neu gestalteten Gebäuden:

    Die Originalapotheke ist zufällig auf der Wikipedia-Seite abgebildet:

    Auch hier wieder eine - wie ich finde - ausgewogene Mischung:

    sou perfeito porque / igualzinho a você / eu não presto

  • Ich würde den Zerstörungsgrad von WrN nicht überbewerten.

    Die Stadt wurde von den Amerikanern als Ablenkungsmanöver für gezielte Angriffe auf Werke in Regensburg und Schweinfurt, daneben noch als Ausweichziel für Wien wahllos dh ungezielt und planlos bombardiert. Durch die Vielzahl der Angriffe bewirkte die breite Streuung umfassende Zerstörungen im ganzen Stadtgebiet. Aber nirgendwo wurde so richtig plattgemacht wie in Würzburg oder Pforzheim.

    Die vielzitierten 90% kann man einfach nicht vergleichen...

    Theresianische Militärakademie - Vor 75 Jahren

    Der Wiederaufbau verdient keineswegs nur Beifall. Der Teil um die Grazer Straße erstrahlt heute im besten (also übelsten) Wirtschaftswunderstil. Immerhin wurde am Hauptplatz etwas sorgsamer umgegangen. Diese fehlende Differenzierungsfähigkeit ist es, die mich am bundesdt. Wiederaufbau so stört. Dort war der wirtschaftliche Erschließungsdruck auf zentrale Ensembles am höchsten.

  • "Leuten wie Ursus (und auch mir) ist es dann halt lieber, wenn das sogenannte Altstadtareal zwar klein, aber von hoher Qualität ist (so wie in Warschau oder in Danzig) und der ganze große Rest moderner Müll"

    Und ich finde genau das zutiefst unbefriedigend, für mich sind derartige Städte ganz besonders missraten, eben weil der Kontrast so schmerzhaft ist. Aber ich habe bereits im APH gelernt, dass manchen einfach nur eine Altstadt genügt und darüber hinaus an einer Stadt nichts von Interesse ist. Mir fehlt diese selektive Wahrnehmung.

  • Also für mich ist es wichtig, dass eine Altstadt grundsätzlich wiederhergestellt wurde. Und das bezieht sich selbstverständlich auf das ganze Gebiet. Ein bisschen Marktplatz und Öde drumherum ist doch keine wiederaufgebaute Altstadt, was soll man mit sowas anfangen?

    Daher bin ich froh, dass Würzburgs Wiederaufbau die Stadt grundsätzlich hat wiedererstehen lassen. Dass dieser Wiederaufbau nicht perfekt ist, ist klar. Aber da hat man wieder einen Lebensraum vor sich, den man guten Gewissens "Würzburg" nennen kann. Ich brauche eine Stadt, um darin zu leben, und nicht einen Marktplatz, den ich mir am Sonntagnachmittag mal anschaue.

    das sind aber schon sehr dürftige Ansprüche an einen gelungenen Wiederaufbau

    Ich habe doch nicht gesagt, dass das meine Ansprüche wären. Und ich habe auch nicht gesagt, dass Würzburgs Wiederaufbau gelungen wäre. Ich sehe allerdings ganz gewaltige Unterschiede zu anderen Szenarien des Wiederaufbaus, die nach dem Krieg kursiert sind. Und da sind wir vor diversen Katastrophen verschont geblieben.

    Übrigens, das war damals eines der häufigsten und im Endeffekt furchtbarsten Argumente gegen die Altstädte, dass man propagiert hat

    Ich habe doch auch nicht gesagt, dass das meine Argumentation gewesen wäre. Aber vor dem Krieg hat es nun mal gewisse Wünsche gegeben, ob berechtigt oder nicht berechtigt. Und die ihnen zugrundeliegenden Gedanken waren nach dem Krieg nicht einfach weg.

    Ihr tut ja gerade so, als ob es selbstverständlich gewesen wäre, die Altstadt mit allen ihren Häusern genau wieder aufzubauen, und man in Würzburg total versagt hätte. Das Gegenteil war der Fall, das war mitnichten die allgemeine Prämisse. Kennt Ihr die anderen Horror-Entwürfe?

    Also mir ist Würzburg hundertmal lieber als Dresden, wenn es außerhalb des Neuen Marktes so ausschaut wie beschrieben.

  • Erstens einmal wäre diese "ganzheitliche" Sicht, wie sie Königsbau vertritt, zu hinterfragen. Sie ist letztlich ein Produkt aus dem späten XIX Jh, also aus der sogenannten Gründerzeit, und bestand daher nur recht kurz. Damals - sinnlos es zu leugnen - baute man SCHÖN. Die Städte wuchsen rasch an, dies zwar nicht mehr auf dem alten historischen Niveau - gotische oder barocke Stadterweiterungen sind doch etwas anderes - aber doch auf höchst bemerkenswerte und anerkennenswerte Art, überhaupt wenn man den quantitativen Aspekt berücksichtig. Dann kam das XX. Jahrhundert, in dem sich in verschiedenen Schüben - und auch unabhängig von der Kriegszerstörung - die Städte weiter ausbreiteten, schneller, und weit weniger qualitativ, von einzelnen interessanten und hochwertigen Siedlungsprojekten mal abgesehen. Der technische Fortschritt zielte nur auf Kosteneinsparung, Geschwindigkeit und zT auch Lebensqualität der Bewohner ab, nicht jedoch auf Ästhetik.

    Nun war da auch der Krieg. Das Ziel der Bombergeschwader war maximale Kulturzerstörung und maximaler Massenmord, sinnlos, das zu diskutieren. Somit wurden die Stadtzentren bevorzugt angegriffen, in welche auch immer mehr die gründerzeitlichen Erweiterungsgebiete gerückt waren. In Großstädten war die zerstörte Fläche immens.

    Schon zur Zerstörungszeit war das gründerzeitliche Ideal der ganzheitlich "schönen Stadt", vom Stadtkern bis zum Villenviertel, leider weitestgehend Geschichte, und die nachfolgende Entwicklung verstärkte diesen Trend. Ein wirklich qualitativer Wiederaufbau großflächig zerstörter Städte konnte sich nur auf Teilgebiete konzentrieren, wozu in erster Linie das identitätsstiftende Stadtzentrum gehörte. Den Fall, dass eine Stadt ratzeputz bis zu den Villenvierteln wiederaufgebaut wurde, gibt es nicht, sogar entsprechende Altstadtprojekte sind leider selten, und wenn schon sehr klein geraten.

    Daher kann ich mit dem:

    Und ich finde genau das zutiefst unbefriedigend, für mich sind derartige Städte ganz besonders missraten, eben weil der Kontrast so schmerzhaft ist. Aber ich habe bereits im APH gelernt, dass manchen einfach nur eine Altstadt genügt und darüber hinaus an einer Stadt nichts von Interesse ist. Mir fehlt diese selektive Wahrnehmung.

    nicht sehr viel anfangen, zumindest nicht in einer Wiederaufbaudebatte. Diese Thesen wurde vor allem von einem gewissen youngwoerth vertreten und bilden mE KEINE gute Lehre. Überhaupt wird dieser Perfektionismus sehr rasch destruktiv, denn diesem Idealbild KONNTE einfach nicht entsprochen werden. Dass "Dresden" in toto städtebaulich "unbefriedigend" sein muss, ist doch angesichts dieses Zerstörungsgrades völlig unvermeidlich. Wenn man den Wiederaufbau betrachtet, muss man einräumen, dass gewisse Leistungen erbracht und gewisse Fehler begangen wurden. Aber dass weite um die Innenstadt anschließende Stadtteile reine Wohnsilosiedlungen geworden sind, war doch bitte unvermeidlich. In solchen Städten KONNTE nicht mehr getan werden, als relativ kleinen, aber wichtigen, sowohl historisch als auch kulturell, Teilen sein Augenmerk zu schenken und den Rest - ästhetisch, kuluturell abzuschreiben. Das muss nicht für immer sein, und darf auch einmal überdacht werden. Aber momentan ist wohl in den inneren Bezirken - Altstadt wie Neustadt noch genug zu tun.

    Wenn man also den nunmehrigen Wiederaufbau von DD - oder auch Chemnitz betrachtet, so kann doch nicht dessen räumliche Beschränkung auf die Altstadt diskutiert werden. Man kann ihn mögen oder nicht, zu modern empfinden, zu unaugewogen oder was auch immer.

    Hier hingegen:

    Also für mich ist es wichtig, dass eine Altstadt grundsätzlich wiederhergestellt wurde.

    bestehen, weniger, was den Wortlaut , den diesen würde ich voll unterschreiben, als das tatsächlich Gemeinte ("grundsätzlich") betrifft, unüberbrückbare Differenzen. Wie schon erörtert: wenn so was wie Würzburg ("grundsätzlich") unter "Altstadt" fällt, dann pfeif ich drauf. Da ist mir das DDR-Konzept der großflächigen Ensemblewirkung von grundsätzlichen Solitären hundertmal lieber. Auch wenn das kaum zu wirklich überzeugenden Lösungen geführt hat, bewahrte es vor den nicht zuletzt ob ihrer Enge wirklich grauenhaften Straßenzügen der heutigen fränkischen Metropolen, und ist nicht zuletzt, wie die konkrete Erfahrung lehrt, in etlichen Fällen reparabel.

    In meinen Augen völlig verdreht bzw vorbei an der augenscheinlichsten Realität ist dieses:

    Ich brauche eine Stadt, um darin zu leben, und nicht einen Marktplatz, den ich mir am Sonntagnachmittag mal anschaue.

    Was aber, wenn man - wie in Würzburg der Fall - beides nicht hat? Wäre da der "Marktplatz" für sich alleine nicht besser?

    Kommt halt drauf an, was man unter "Stadt" oder "Altstadt" bezeichnet. In einem Stadtbildforum wie diesem, nicht "funktional" oder politisch oder sonstwie. Das heutige Würzburg jedenfalls nicht.

    Und was soll das heißen: "um darin zu leben"? Wir reden doch über Ästhetik! Wohnbauten mit Warmwasser und modernem Komfort und Einkaufsstraßen gibt es in Chemnitz genauso.

  • Da ist mir das DDR-Konzept der großflächigen Ensemblewirkung von grundsätzlichen Solitären hundertmal lieber.

    Am DDR-Aufbau gibt es nichts zu beschönigen, so schlechte Lösungen gab es wohl nirgendwo sonst. In Dresden wurde auf Quadratkilometern alles abgeräumt inkl. ausbaufähiger Ruinen, das einzige Ensemble ist die grauenhafte Prager Straße, und die stand im Wesentlichen im nichts (einfach leere Fläche südlich und nördlich davon) und rundherum ein paar Standard-Häuserzeilen.

    Siehe https://www.moderne-regional.de/fachbeitrag-dr…prager-strasse/

    Anfang der 90er habe ich mir zwei Bildbände mit Luftaufnahmen zu Dresden gekauft, da wuchsen aus vielen Altbauten Bäume aus dem Dach, die Kunstakademie war teilweise auch eine Ruine mit fehlendem Dach, das Schloß sollte ja ursprünglich genauso wie die Sophienkirche abgerissen werden, vom Coselpalais waren die beiden Torbauten aufgebaut worden, Taschenbergpalais und Kurländer Palais Ruinen, die Frauenkirche ebenso, daneben dieses grauenhafte Polizeipräsidium.

    In der Großen Meißner Straße sollten die letzten erhaltenen Bauten gesprengt werden. Es gab sogar Pläne, die innere Neustadt abzureißen und eine Art zweite Prager Straße dort zu errichten, oder so eine Art Warschauer Kulturpalast neben dem Neumarkt zu errichten.

    Ein paar Häuserzeilen südlich der extrem verbreiterten Wilsdruffer (für Demonstrationen) um die Weiße Gasse sollten auf grobschlächtige Weise so etwas wie "Stadt" nachbilden, das ganze Areal um die Webergasse war praktisch unbebaut, die Altmarkt-Südseite ebenso. Der gesamte Neumarkt war grüne Wiese ... rundherum dann die Standard-Plattenbauten oder Häuserzeilen oder einfach überhaupt nichts.

    Also, da ist mir eine dicht bebaute Stadt mit richtigen Straßen und Plätzen lieber, selbst wenn der Reko-Anteil null betragen sollte.

    sou perfeito porque / igualzinho a você / eu não presto

  • In der Großen Meißner Straße sollten die letzten erhaltenen Bauten gesprengt werden.

    Sie SIND auch gesprengt worden, dh die Fassaden bis auf in der Tat ein einziges Haus...

    Die Innere Neustadt war, wie auch Potsdam im Ganzen, kein Ruhmesblatt für den soz. Wiederaufbau. Um den Neustädter Markt ist lang herumgedoktert worden, gesiegt hat der allerschlechteste Entwurf, an dem wir noch heute kiefeln.

    Die Kritik an der Prager Straße hingegen teile ich nicht. Was war dort anderes zu machen? Die Fassaden waren allesamt nicht aufbaufähig, dazu extrem aufwändig kostspielig, man muss auch beachten, dass der Historismus damals als nicht werthaltig angesehen worden ist. Von oben her sieht dieses Konzept natürlich lächerlich aus, aber das ist nicht die relevante Perspektive. Von unten her war es immerhin so etwas wie eine Stadtraumschaffung. Bis heute sind die erhaltenen Relikte so ziemlich das Beste des modernen Wiederaufbaus, incl jenen Mist nach der Wende.

    Die Altstadt, überhaupt um die erwähnte Webergasse war verloren wie der Neumarkt. Die Sprengung der Rampischen war natürlich ein Fehler, allein was hätten diese Häuslein ohne Frauenkirche getaugt? solche Fehler wurden im Westen zu Hauf gemacht, nämlich inmitten von sehr wohl aufbaufähigen und auch -würdigen Ensembles.

    Ansonsten geht es nicht um die Schönredung des in der Tat schiachen DDR-Wiederaufbaus. Ich hab nur das geschrieben:

    wenn so was wie Würzburg ("grundsätzlich") unter "Altstadt" fällt, dann pfeif ich drauf. Da ist mir das DDR-Konzept der großflächigen Ensemblewirkung von grundsätzlichen Solitären hundertmal lieber.

    Abgehen davon hat sich als wirklich schädlich die Verdichtung des Westens herausgestellt, weil diese eben anscheinend irreparabel ist. Nachverdichtung ist immer möglich, Stadtreparatur offenbar nur in nicht verdichteten Bereichen.