München - Die Kirchen (Galerie)

  • Karmelitenkirche St. Nikolaus (profaniert)

    Karmeliterstraße 1

    Erbaut 1657-60

    Typus: Basilika mit Seitenkapellen und Querhaus

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    Auf obigem Bild sieht man am linken Bildrand die Ostseite von St. Michael, auf dem nächsten Bild am rechten Bildrand die Dreifaltigkeitskirche; ein Beispiel dafür, wie nah in der Altstadt Münchens manchmal die Kirchen beieinander stehen:

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    Fassade mit Parcus-Haus (Promenadeplatz):

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    Nordseite der Karmelitenkirche an der Pacellistraße in Richtung östlicher Promenadeplatz:

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    Baugeschichte:

    - 1657 Grundsteinlegung; Baumeister Max Schinnagl nach Plänen von Hans Konrad Asper

    - 1660 Weihe

    - 1802 Aufhebung des Karmelitenklosters, klassizistische Umgestaltung durch Nikolaus Schedel von Greifenhagen, seit 1808 Studienkirche; 1840-42 drei neue spätklassizistische Altäre

    - 1943/44 schwer zerstört: Verlust des Dachstuhls, Einsturz des Vierungsgewölbes sowie der Tonne des Nordarms, teilweise auch des Südarms

    - 1955 äußerliche Wiederherstellung; innen Neuaufteilung: Chor als Diözesanbibliothek (dabei Verwendung der erhaltenen Sakristei mit wertvollen frühbarocken Stuckaturen als Lesesaal), und Langhaus als Veranstaltungssaal


    Von 1654 bis 1660 wurde unter Kurfürst Ferdinand Maria das Kloster und die Kirche der Karmeliten erbaut. Die Karmeliterkirche befindet sich am Übergang zwischen Renaissance und Barock, Norbert Lieb schrieb über sie: „Der basilikale, mit zwei kurzen Querarmen versehene Langbau der Kirche hält sich an die Formierung italienischer Ordensrenaissance. Die Zuordnung der Flankenkapellen, das Pfeilersystem und die Wölbung leiten aber zum Barock über.“ Die Karmeliterkirche ist auf jeden Fall nach dem Dom zu Salzburg das zweite Beispiel einer Saalkirche mit tonnengewölbten Abseiten im altbayerischen Raum (allerdings noch ohne kreuzförmigen Grundriss und Kuppel), weshalb man in diesem Sinne feststellen kann, dass die Karmeliterkirche die erste Barockkirche Münchens war. Die schlichte, fast dekorlose Original-Ausstattung dürfte den Ordensregeln der Unbeschuhten Karmeliten geschuldet gewesen sein, Norbert Lieb glaubte darin allerdings auch die eher nüchterne Tradition des Schweizer Baumeisters Hans Konrad Asper zu erkennen.

    In der schönen, um 1715/19 neugestalteten Sakristei (heute Lesesaal) finden sich feiner Ranken- und Akanthusstuck von Francesco Marazzi sowie Deckenfresken von Johann Georg Gumpp; die Fresken waren übrigens 1802, weil schadhaft, übertüncht worden und wurden erst 1980/81 wieder freigelegt und restauriert.

    1802 wurde die Kirche klassizistisch purifiziert; die ursprüngliche Fassade samt Karmelitenkloster überliefert ein Stich von Wening von 1701:

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    Auch innen wurde die Kirche im Sinne des Aufklärungsklassizismus umgestaltet und die Barockausstattung entfernt; auf diese Weise haben sich ein paar barocke Ausstattungsteile erhalten, so u.a. das von Karl Pfleger gemalte Altarblatt des ursprünglichen Hochaltars von Marx Schinnagl von 1662/63, welches sich heute im Depot der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen befindet (http://www.sammlung.pinakothek.de/en/artwork/9pL…-allen-heiligen), ein Tabernakel von 1780, das in die Allerheiligenkirche am Kreuz und die berühmte Schutzengelgruppe von Ignaz Günther von 1762, die in die Bürgersaalkirche gelangte. 1840-42 wurden drei neue spätklassizistische Altäre aufgestellt.

    Im 2. Weltkrieg wurde die Kirche samt Ausstattung stark zerstört; danach wurde das Äußere wiederhergestellt und direkt nach dem Krieg im gesamten Kirchenraum sogar auch die Gewölbe wieder eingezogen, so dass in dem renovierten Inneren, in dem außerdem der von 1840 stammende Hochaltar und die Kanzel erhalten geblieben waren, auch wieder gelegentlich Gottesdienste gefeiert werden konnten. 1955-57 aber wurde das Innere der Kirche durch Sep Ruf komplett umgestaltet, profaniert und neuen Nutzungen zugeführt: der frühere Chor wurde, in mehrere Magazingeschoße unterteilt, als Diözesanbibliothek, die im Krieg unversehrt gebliebene Sakristei als Lesesaal verwendet; das Langhaus wurde mithilfe von mehreren vertikalen und horizontalen Unterteilungen zu Veranstaltungs-, Ausstellungs- und Lagerräumen umgebaut (z.B. befinden sich Lagerräume oberhalb der heutigen Flachdecke des Hauptraums, d.h. direkt unterhalb der wiedereingezogenen Gewölbe). Aus kunsthistorischer Sicht muss man diesen Umbau natürlich sehr bedauern, vor allem die damit einhergehende Vernichtung des erhaltenen spätklassizistischen Hochaltars und der Kanzel, auch wenn man auf der anderen Seite anerkennen muss, dass die Kirche als Sakralraum heute nicht mehr unbedingt benötigt wird: in unmittelbarer Nachbarschaft stehen Dreifaltigkeitskirche, St. Michael und auch Frauenkirche und Bürgersaalkirche.

    Von der ursprünglichen Ausstattung sind in der Kirche nur die Pilaster mit Gebälk sowie die Musikempore erhalten, welche 1720 mit einer vorkragenden Brüstung samt reichem Stuckdekor sowie einem prächtigen schmiedeeisernen Gitter als Abtrennung zur Vorhalle erweitert worden war.

    Das ehem. Kloster wurde nicht wiederaufgebaut, sondern dessen Areal (durch Sep Ruf) 1954-56 modern (und ziemlich unansehnlich) wiederbebaut.

    Innenansicht vor der Zerstörung:

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    Ansichten nach der Kriegszerstörung:

    https://www.bildindex.de/document/obj22005533

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    Heute:

    Hauptraum, sogenannter Veranstaltungsraum:

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    Die Empore von 1720:

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    Die ehem. Sakristei, heute Lesesaal der Diözesanbibliothek, mit dem wertvollen barocken Gewölbe:

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    Weitere Fotos der Karmelitenkirche hier: https://www.flickr.com/photos/1619455…177720312943955

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

    Einmal editiert, zuletzt von Leonhard (9. Dezember 2023 um 22:40)

  • Theatinerkirche St. Kajetan

    Theatinerstraße 22

    Erbaut 1663-92, Fassade 1765-68

    Typus: überkuppelte Saalkirche mit Abseiten auf kreuzförmigem Grundriss

    Maße: Hauptschiff: Länge 72,50 m, Breite 15,50 m, Höhe 28,55 m

    Kuppel: Durchmesser 17,70 m, Höhe 70,20 m

    Türme: Höhe 64,60 m


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    Die gesamte Platzsituation: am linken Bildrand das Palais Preysing, dann die Feldherrnhalle, anschließend das ehem. Theatinerkloster mit den Türmen der Frauenkirche darüber, dann die Theatinerkirche und schließlich rechts das ehem. Palais Moy:

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    Ansicht vom Dach der Alten Bayerischen Staatsbank (links angeschnitten die Salvatorkirche):

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    Baugeschichte:

    - 1662 erste Entwürfe von Agostino Barelli

    - 1663 Grundsteinlegung, Bauleitung Agostino Barelli und Lorenzo Perti

    - 1665 Übertragung der Bauleitung an den Theatinerpater Antonio Spinelli, der Barelli einen Fehler in den Plänen nachgewiesen hatte und eine Verbreiterung des Mittelschiffs verlangte; Barelli wird vorübergehend entlassen, später allerdings wieder eingestellt und legt ab 1667 neue Entwürfe vor

    - 1669 Beginn der Wölbung des Schiffes, 1671 Beginn der Arbeiten an der Kuppel, 1672 Beginn der Stuckierung des Langhauses durch Carlo Brentano-Moretti

    - 1674 Übertragung der Bauleitung an Enrico Zuccalli, nachdem unter Barelli der Rohbau nahezu fertiggestellt worden war und seine Aufgabe als Architekt damit erledigt war

    - 1674/75 Stuckfiguren für Wand- und Kuppeldekoration von Wolfgang Leutner; 1675 Übernahme der Stuckarbeiten durch Giovanni Brenni

    - 1675 Weihe der noch unvollendeten Kirche

    - 1676-78 Entwürfe Zuccallis für Kuppel und Fassade mit Türmen, nachdem dieser durch Ausschaltung Spinellis (1676) unabhängig geworden war

    - 1679 Anlage der Fürstengruft

    - 1685 Fertigstellung der Kuppel

    - 1685-88 Stuckdekorationen an den kurfürstlichen Oratorien sowie in den Seitenkapellen durch Giovanni Nicolò Perti

    - 1688 Weihe der Loretokapelle mit der Heiligen Stiege, die nach Plänen von Zuccalli errichtet worden war

    - 1690 Vollendung der Türme

    - 1692 Fertigstellung der Kirche mit Ausnahme der Fassade: die hohen Kriegsausgaben Max Emanuels im Krieg gegen die Türken 1683 hatten eine Kürzung des Budgets zur Folge, weswegen die Fassade nicht fertiggestellt werden konnte

    - 1765 Kurfürst Max III. Joseph beschließt den Ausbau der Fassade, Vorlage eines Entwurfes von François de Cuvilliés d.Ä.

    - 1768 Vollendung der Fassade durch François de Cuvilliés d.J.; vier Statuen von Roman Anton Boos

    - 1789 Erneuerung der Stuckaturen in der Kuppel

    - 1820 Abbruch der Loretokapelle und der Heiligen Stiege, Anbau der Grabkapelle für Maximilian II. und seine Gemahlin nach Plänen von Eduard Riedel

    - 1856 Umgestaltung des Altarretabels samt Mensa: Abbruch des vorderen Teils des Tempietto-Tabernakels und Errichtung eines kulissenartigen neobarocken Altarretabels

    - 1927-31 Rekonstruktion der ursprünglichen Mensa und des Tempietto-Tabernakels

    - 1944/45 erhebliche Beschädigungen; Kuppel und Fassade durch mehrere Risse gefährdet, Südturm ausgebrannt und Altar in der südöstlichen Seitenkapelle zerstört, Zerstörung des Dachstuhls, teilweise Zerstörung der Gewölbe und aller Fenster und dadurch auch Zerstörungen des Kircheninneren, besonders im Chor: Hochaltarblatt verbrannt, Retabel und Mensa teilweise zerstört, zwei von den vier Evangelisten zerstört, Orgel und Seitenoratorien zerstört, Chorschranke beschädigt; Sakristei zerstört; Stuckaturen im gesamten Kirchenraum durch Feuchtigkeitseintritt weitgehend beschädigt

    - 1946-55 Wiederherstellung, Stuckaturen erneuert; in den Hochaltar ein Gemälde von Caspar de Crayer von 1646 mit der Darstellung Mariens mit Heiligen eingesetzt, Wiederherstellung mit teilweiser Rekonstruktion des mächtigen Hochaltarretabels

    - 2008-17 Nachbildung bzw. Ergänzung der zwei Evangelistenfiguren Matthäus (völlig zerstört) und Lukas (zur Hälfte zerstört)

    Ausstattung:

    - Holzfiguren der vier Evangelisten zuseiten der Mensa von Balthasar Ableithner (etwa 1670-72)

    - Kanzel von Andreas Faistenberger (1686)

    - Altarblätter: Hochaltar: Antonio Zanchi (1675), Darstellung der Stiftung der Theatinerkirche durch das Herrscherpaar (im 2. Weltkrieg zerstört und durch ein Gemälde von Caspar de Crayer von 1646 ersetzt); Querhausaltar Südseite: Joachim Sandrart (1671), Heiliger Cajetan als Helfer der Pestkranken in Neapel; Querhausaltar Norddseite: Carlo Cignani (1676) Heilige Sippe;

    Seitenkapellen: Carl Loth, Tintoretto, Francesco Vanni, Antonio Zanchi, Pietro Liberi, Antonio Triva


    Die Theatinerkirche stellt die volle Ausbildungsstufe des Barocks dar, sie ist nach dem Salzburger Dom die zweite überkuppelte Saalkirche mit Abseiten auf kreuzförmigem Grundriss in Deutschland. Dieses Bauschema ist die Verschmelzung von Zentral- und Longitudinalbau, der wichtigsten Bauform des italienischen Barocks, die in Il Gesù in Rom (1568-80) ihr stilbildendes Resultat erreicht hatte. Ideengeschichtlich steht die Theatinerkirche als Votivkirche in der Nachfolge von Val de Grâce in Paris (erbaut 1645-67), architektonisch hat sie die Mutterkirche des Theatinerordens Sant’Andrea della Valle (erbaut 1590-1650) in Rom zum Vorbild. Sie ist des weiteren das erste Beispiel der italienischen plastischen Stuckkunst in Bayern, die begeisterte Nachfolge fand; trotz großer Opulenz ergibt sich hier keine Überstrahlung der Architektur, sondern eine untrennbare Verschmelzung von Raum und Dekor. Die einheitliche monochrome Weißfassung ist eine Dekorationsvariante, die sich in Italien (vor allem in Oberitalien, woher die planenden und der Großteil der ausführenden Künstler der Theatinerkirche kamen) neben der polychromen Marmorierung etabliert hatte (welche vor allem in Rom üblich war; wobei auch Sant’Andrea della Valle ursprünglich weiß gefasst war wie auch andere römische Kirchen wie z.B. Sant’Ivo alla Sapienza). Auch die Münchner Michaelskirche kann hierbei als Vorbild gedient haben. Fabian Pius Huber schreibt in seinem Buch „Mut zu prächtigen Dingen – Die Theatinerkirche in München“ zur Raumwirkung der Theatinerkirche: „Alle Materie, ob Ziegel, Stein oder Stuck, fügt sich zu einer Architektur zusammen, die durch die Unterschiedslosigkeit des Materials ihren eigensten Charakter zurückgewinnt, den einer den Raum nicht nur begrenzenden, sondern selbst raumgreifenden Hülle. Die in der Theatinerkirche gelungene, untrennbare Verschmelzung von Raum und Dekor, die zuvor von der Münchner Schule noch zugunsten der Architektur vermieden worden war und später in der Nachfolge Carlones zugunsten des Dekors aufgegeben wurde, sollte in dieser Form nördlich der Alpen nicht mehr erreicht werden.“

    Eine sehr interessante Frage ist die der Nachfolge der Theatinerkirche: ein so epochaler Bau müsste eigentlich sehr deutliche Spuren im Kirchenbau Bayerns oder überhaupt Süddeutschlands hinterlassen haben, möchte man meinen - ähnlich wie St. Michael als Prototyp einer Wandpfeilerkirche den nachfolgenden Kirchenbau Süddeutschlands geprägt hatte. Um die Frage zu präzisieren: es müssten sich zahlreiche überkuppelte Saalkirchen mit Abseiten auf kreuzförmigem Grundriss in ganz Süddeutschland finden lassen. Als direkte Nachfolge der Theatinerkirche können aber nur die Benediktiner-Abteikirche St. Quirinus in Tegernsee, die Klosterkirche Mariä Himmelfahrt in Rohr in Niederbayern und mit Abstrichen die Benediktiner-Abteikirche St. Benedikt in Benediktbeuern gelten; der barocke Wiederaufbau des Passauer Domes St. Stephan kommt nicht als Nachfolgebau in Frage, da er zwar 5 Jahre später (1668) begonnen wurde, aber doch mehr oder weniger zeitgleich zur Theatinerkirche entstand und außerdem von italienischen Bauleuten erbaut und somit direkt aus Italien importiert wurde. Das gleiche Phänomen der geringen Nachwirkung kann man beim ersten „italienischen“ Kirchenbau auf deutschem Boden, dem Salzburger Dom St. Rupert und Virgil (1614-28) feststellen, der im Grunde nur in der Innsbrucker Jesuitenkirche (1627-46) eine direkte Nachfolge gefunden hat (die aber als Wandpfeilerkirche auch nicht ganz unserem italienischen Bauschema folgt). Woran liegt das?

    Die Antwort erscheint naheliegend: das dreischiffige, basilikale Schema der italienischen Kreuzkuppelkirchen wirkt aufgrund des recht engen Mittelschiffs und der fehlenden Beleuchtung über die Seitenschiffe ziemlich dunkel, wie man am Beispiel des Salzburger Doms unschwer erkennen kann (die Beleuchtung erfolgt üblicherweise nur über den Obergaden und die Tambourfenster); das alte Wandpfeilersystem, das mit St. Michael in München und Nachfolgebauten wie der Jesuitenkirche von Dillingen (1610–17) wiederaufgegriffen und erneuert worden war, erzeugt hingegen einheitliche, weite und lichterfüllte Kirchenräume und wurde deshalb von den einheimischen (und interessanterweise auch von den zugewanderten italienischsprachigen Graubündner Baumeistern wie Zuccalli, Riva oder Sciascia) präferiert. Zeitgleich mit dem Bau der Theatinerkirche entstanden so in Bayern Wandpfeilerkirchen wie die Augustiner-Chorherrenstiftskirche Mariä Himmelfahrt in Gars am Inn (1661-90), die Pfarrkirche St. Oswald in Traunstein (1665-90) oder die Augustiner-Chorherrenstiftskirche St. Peter und Paul in Weyarn (1687-93), die alle weiter und leichter wirkten als die schweren italienischen Barockkirchen. Man war nördlich der Alpen zum Entstehungszeitpunkt der Theatinerkirche also im Grunde schon einen Schritt weiter und das aus dem 16.Jh stammende italienische Kreuzkuppelschema wirkte Ende des 17.Jh bereits überholt. Sicherlich hat diese Präferenz für weite und helle Kirchenräume auch geographische Gründe - nördlich der Alpen ist Licht eben ein rareres Gut als im Mittelmeerraum, wo man sich vor zu viel Licht eher schützen muss.

    Warum entschied man sich also in München, wie auch zuvor schon in Salzburg und kurz darauf in Passau, für eine italienische Kreuzkuppelkirche?

    Man kann hier nur mutmaßen, doch mögliche Antworten liegen eigentlich auf der Hand: es war erstens sicherlich eine kulturpolitische Entscheidung des Kurfürstenpaares, das mit diesem Bezug auf Rom die Katholizität Bayerns unterstreichen wollte, zweitens eine Hommage an die italienische Herkunft der Kurfürstin Henriette Adelaide und ihre Vorlieben, drittens die logische Anlehnung an die Mutterkirche des Theatinerordens, Sant’Andrea della Valle in Rom, der mit dem Bau dieser Kirche und des dazugehörigen Klosters nach München geholt werden sollte und viertens vielleicht auch der Wunsch des Kurfürsten Ferdinand Marias, nach der gotischen Hallenkirche der Frauenkirche und der Renaissance-Wandpfeilerkirche von St. Michael einen neuen baulichen Akzent zu setzen und sich somit in der Geschichte zu verewigen.

    Der Verweis auf Rom und die Katholizität trifft sicher auch auf die Fürstbistümer Salzburg und Passau zu, wo man sich ebenfalls Rom und dem Vatikan stark verbunden fühlte und sich von den reformierten Gegenden Deutschlands absetzen wollte.

    Wie bereits erwähnt, waren jedoch die Stuckarbeiten der Theatinerkirche ein stilbildendes Vorbild in ganz Süddeutschland: nicht nur die später berühmte Wessobrunner Schule fand in ihnen reiches Anschauungs- und Inspirationsmaterial, sondern inzwischen gilt es auch als wahrscheinlich, dass Giovanni Battista Carlone zuerst unter der Leitung von Carlo Brentano-Moretti und Prospero Brenni an der Theatinerkirche mitarbeitete und deren Formenschatz anschließend in seine Arbeiten in der Passauer Jesuitenkirche und im Passauer Dom einfließen ließ.

    Ein weiterer Einfluss, den sowohl der Salzburger Dom als auch die Theatinerkirche sowie der Passauer Dom auf den süddeutschen barocken Kirchenbau hatten, liegt in der Doppelturmfassade, die für den italienischen und speziell römischen Barock eher atypisch ist und mehr auf mitteleuropäischen Traditionen gründet.

    Noch einige Anmerkungen zur verspäteten Fertigstellung der Fassade, die erst 1765-68, also ein Jahrhundert nach Baubeginn und über 70 Jahre nach Abschluss der Bauarbeiten erfolgte: nachdem der bayerische Kurfürst Max Emanuel, zu dessen Geburt die Theatinerkirche erbaut worden war, 1683 durch die Türkenkriege hohe Kriegsausgaben hatte, war nicht mehr genügend Geld übrig, um die Fassade zu vollenden; es gab zwar mehrere Entwürfe von Barelli und Zuccalli, die Fassade wurde aber in einer Art Rohbauzustand belassen und bei festlichen Anlässen mit bemalten Tüchern und Festons behängt. Zur damaligen Zeit reichte die Bebauung der Theatinergasse auf der gegenüberliegenden Seite noch viel weiter in den Platz vor der Kirche hinein, so dass die Fassade zu einem großen Teil verdeckt war; wohl aus diesem Grund wurde eine Fertigstellung der Fassade als nicht so dringlich angesehen. Außerdem wandte sich Max Emnauel in den folgenden Jahrzehnten mehr seinem Traum der römisch-deutschen Kaiserkrone zu und gab zu diesem Zweck alle (nicht vorhandenen) Gelder für die Schlösser Nymphenburg und Schleißheim aus. Die Theatinermönche drängten allerdings weiterhin auf eine Fertigstellung der Fassade und erreichten schließlich 1765 beim Kurfürsten Max III. Joseph, dem Enkel Max Emanuels, die Zusage: dieser hatte aus seiner Ehe noch keine Kinder und wollte sich mit der Fertigstellung der Fassade an das Gelübde seiner Urgroßeltern anschließen, damit auch er einen Thronfolger bekäme; diese Bitte sollte sich allerdings nicht erfüllen und so starb die bayerische Linie der Wittelsbacher mit dem Tod Max’ III. Joseph 1777 aus (es kamen dann die pfälzischen Wittelsbacher nach München).

    Auf den zeitgenössischen Stichen aus dem 17. und 18. Jh ist die Fassade meistens in einer Idealansicht basierend auf den Entwürfen von Zuccalli dargestellt, in echt wird sie vor der Fertigstellung 1765-68 wohl in etwa so ausgesehen haben, wie sie auf folgender Illustration von Johannes Edlweckh zum Tod von Kurfürst und Kaiser Karl Albrecht im Jahre 1745 zu sehen ist (wobei die gegenüberliegende Häuserzeile an der Theatinergasse nicht dargestellt ist):

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    Zustand innen vor der Kriegsbeschädigung:

    Um 1920: https://www.bildindex.de/document/obj22…medium=fm615412

    Nach 1931: https://www.bildindex.de/document/obj22…edium=fm1001690, https://www.bildindex.de/document/obj20…edium=fm1554008

    Nach der Kriegsbeschädigung:

    Katholische Kirche Sankt Kajetan | München | Agostino Barelli | Bildindex der Kunst & Architektur - Bildindex der Kunst & Architektur - Startseite Bildindex

    Katholische Kirche Sankt Kajetan | München | Agostino Barelli | Bildindex der Kunst & Architektur - Bildindex der Kunst & Architektur - Startseite Bildindex

    Nach der Beseitigung der Kriegsschäden (siehe Baugeschichte) und der Rekonstruktion der fehlenden Evangelistenfiguren 2008-17 bleibt als großes Desiderat noch die Wiederherstellung der ursprünglichen Chorschranke und des Tempietto-Altars: beides soll irgendwann einmal stattfinden, in welcher Form, ob originalgetreu oder nur annäherungsweise, muss noch entschieden werden; die heutige provisorische Lösung ist auf jeden Fall sehr unbefriedigend. Die Chorschranke und der Tempietto-Altar sind ein eigenartiger und letztendlich skandalöser Fall, geht ihr Nichtmehrvorhandensein doch nicht auf Kriegszerstörungen zurück. Ursprünglich diente die Chorschranke der Abtrennung des Psallierchors, in dem die Mönche ungestört ihr Stundengebet verrichten konnten, vom vorderen, öffentlichen Altarraum. In der Apsis dahinter befand sich das Altarretabel, auf einer Linie mit der Chorschranke bzw. daran angelehnt die Mensa mit Tempietto-Tabernakel. Trotz Kriegsbeschädigungen hatte diese Anordnung bis nach dem 2. Weltkrieg Bestand und wurde erst nach dem Krieg auf Initiative des seit 1944 fungierenden Kirchenrektors Johann Michl abgebaut. Dieser rechtfertigte sein Vorgehen damit, dass die Anlage „kulissenmäßig“ sei und außerdem nicht den liturgischen Anforderungen der modernen Zeit entsprechen würde. Dabei übersah er allerdings, dass das Verstecken des Psallierchores eines der zentralen Merkmale des Theatinerordens gewesen war, die auch in anderen theatinischen Kirchen verwirklicht worden war.

    Die Sachlage verkomplizierend muss allerdings angemerkt werden, dass der ursprüngliche Tempietto-Tabernakel schon seit 1856 nicht mehr vollständig original erhalten, sondern dessen vorderer Teil 1856 abgebrochen, durch ein neobarockes Altarretabel ersetzt und von 1927-31 rekonstruiert worden war. Wollen wir hoffen, dass dieser letztendlich wichtigste Teil der Kirche in originaler Form wiederauferstehen wird.

    Altarraum 1938 mit dem rekonstruierten Tempietto-Tabernakel: https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/bil…EID=10&SQNZNR=1

    Altarraum im Zustand 1856 bis 1927: https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/bil…EID=10&SQNZNR=1

    https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/bild.aspx?VEID=457212&DEID=10&SQNZNR=1

    (Man sieht übrigens auf dem ersten Foto, dass damals die Fenster des Chors mit Malereien versehen waren, die nach dem 2. Weltkrieg nicht wiederhergestellt wurden; heute befinden sich dort normale, mehrfach gesprosste Fenster)

    Ebenfalls nicht mehr vorhanden, aber (teilweise) im Krieg zerstört, sind die beiden seitlichen hermengestützten Chorlogen: in der linken, südlichen Loge bzw. auf der dahinterliegenden Empore war von 1685 - 1782 die Orgel untergebracht, bevor sie 1782 an den heutigen Standort unter dem Hochaltarretabel verlegt wurde; in der rechten, nördlichen Loge mitsamt dahinterliegendem Oratorium wohnte der Kurfürst der Messe bei, was auch die Ausrichtung der Kanzel nicht zur Kirchengemeinde, sondern davon abgewandt zur Loge erklärt. Auf den Fotos nach der Kriegsbeschädigung sind allerdings auf beiden Seiten noch einige Hermen zu sehen: auf der linken Seite zwei und auf der rechten Seite sogar drei; weswegen die Chorlogen dann nicht in originaler Form wiederhergestellt, die übriggebliebenen Hermen abgebrochen und die Balkone in vereinfachter, an den Logen im Hauptschiff angelehnter Weise wiederhergestellt wurden, entzieht sich meiner Kenntnis. Vielleicht waren die Hermen doch mehr beschädigt als auf den Fotos ersichtlich und man traute sich so kurz nach dem Krieg nicht zu, die fehlenden Hermen in angemessener Qualität zu rekonstruieren; auf jeden Fall ist es ein herber Verlust, auch wenn die heutige Lösung sich perfekt einfügt.

    Nochmal die Ansicht des gesamten Chors vor der Zerstörung: https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/bil…EID=10&SQNZNR=1

    Linke Chorloge vor der Zerstörung:

    Chorloge.jpeg

    Rechte Chorloge (Kurfürstenloge) vor der Zerstörung:

    Kurfurstenloge.jpeg

    Weiteres Bild der Kurfürstenloge vor der Zerstörung: https://www.bildindex.de/document/obj22…edium=fm1257997

    Bilder nach der Zerstörung:

    Linke Chorloge:

    Katholische Kirche Sankt Kajetan | München | Agostino Barelli | Bildindex der Kunst & Architektur - Bildindex der Kunst & Architektur - Startseite Bildindex

    Karyatide | Balthasar Ableitner | Bildindex der Kunst & Architektur - Bildindex der Kunst & Architektur - Startseite Bildindex

    Rechte Chorloge:

    Karyatide | Balthasar Ableitner | Bildindex der Kunst & Architektur - Bildindex der Kunst & Architektur - Startseite Bildindex

    https://www.bildindex.de/document/obj22…medium=fm202640 (Foto leider seitenverkehrt)

    Heutiger Zustand des Chors mit den einfachen Balkonen, dem komplett rekonstruierten Hochaltar und der nur teilweise wiederhergestellten Chorschranke:

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    Wie man sieht, ist die heutige Lösung mit der "Ikea-Regalwand" anstelle der Mensa mit Tempietto-Tabernakel völlig unbefriedigend; wollen wir hoffen, dass die ursprüngliche Lösung eines Tages rekonstruiert wird.

    Das im Krieg zerstörte Hochaltarbild:

    https://www.bildindex.de/document/obj22…medium=fm120155 (seitenverkehrt)

    Stiftung der Theatinerkirche, die Heilige Kaiserin Adelheid, der Heilige Kajetan und die Dreifaltigkeit | Antonio Zanchi | Bildindex der Kunst & Architektur - Bildindex der Kunst & Architektur - Startseite Bildindex

    Farbiger Entwurf zum Hochaltarbild:

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    Heutiges Hochaltarbild (von Caspar de Crayer von 1646):

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    Wer sich eingehender mit der Theatinerkirche beschäftigen möchte, dem sei das hochinteressante Buch „Mut zu prächtigen Dingen - Die Theatinerkirche in München" von Fabian Pius Huber sehr empfohlen, in dem die Baugeschichte und die stilistische Einordnung (u.a. auch die Herleitung aus der italienischen Architektur) ausführlich dargelegt werden.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

    Einmal editiert, zuletzt von Leonhard (9. Dezember 2023 um 22:40)

  • Vielen Dank :) ich mache eigentlich nichts Besonderes, ich hab den Automatikmodus meiner Canon M3 eingestellt und bearbeite die Fotos zwar nach, aber nur sehr konservativ. Bei der Theatinerkirche kommt es meiner Erfahrung nach darauf an, welches Licht draußen herrscht, sie kann bei Sonne, vor allem im oberen Bereich, überwältigend strahlend sein, aber bei schlechtem Wetter auch eher grau. Jedenfalls ist der Salzburger Dom wesentlich düsterer und abweisender, was aber hauptsächlich an den fehlenden Fenstern im Obergaden liegt. Ich gehe einigermaßen regelmäßig in die Messe in die Theatinerkirche und bin eigentlich immer begeistert :)

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • St. Stephan

    Stephansplatz 2

    Filialkirche der Pfarrei St. Peter

    Erbaut 1674-81

    Typus: tonnenüberwölbte Saalkirche mit Fünf-Achtel-Chor


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    Baugeschichte:

    - 1563 Anlage eines neuen Friedhofs vor dem Sendlinger Tor außerhalb der Stadtmauern (damals Südlicher Friedhof, heute Alte Südfriedhof), 1576/77 Errichtung einer Friedhofskirche und 1578 Weihe zu Ehren „unseres Herrn Salvators Jesu Christi“

    - 1638, also während des 30-jährigen Krieges, Abbruch der Kirche, um an dieser Stelle freies Schussfeld zur Verteidigung der Stadt zu haben

    - 1674 Neubau an gleicher Stelle durch Georg Zwerger (Rohbau bis zu seinem Tod 1675), Martin Gunetzrhainer (Rohbau ab 1675) und Michael Dorffner (Tonnengewölbe aus Holz)

    - Ausstattung: Altäre von Georg und Tobias Gressel, Altarbilder von Hofmaler Karl Pfleger und Michael Gumpp, Gestühl von Georg Plank, Bildhauerarbeiten von Johann Pader und Matthias Schütz, Fassung der Altäre durch Johann Zach, Gitter und Türbeschläge von Martin Polzer

    - 1681 Weihe wie schon bei der Vorgängerkirche zu Ehren des Salvators

    - weitere Ausstattung: 1699 rotmarmorner Türstock der Sakristei von Johann Michael Remele, das mit Eisenblech beschlagene Türblatt von Johann Georg Wilhelm, 1749 Sakristeikasten aus Eichenholz von Simon Lindtner, 1751 Guss der Glocke durch die Werkstatt Anton Benedikt Ernst, 1761 neuer Tabernakel mit Monstranz von Joseph Friedrich Canzler, 1762 Anbringung der Kreuzwegbilder auf den Seitenwänden, wahrscheinlich gemalt von Augustin Demmel, 1765-72 eichernes Gestühl und fichtene Ausstattung der oberen Sakristei von Anton Stainer

    - 1779 Innenrestaurierung mit Anbringung von zwei frühklassizistischen Säulenaltären des Stuckators Franz Xaver Feichtmayr d.J. an den beiden Seitenwänden jeweils unter dem mittleren Fenster (nicht mehr existent)

    - 1796 neue Kanzel von Anton Stainer (nicht mehr existent)

    - 1876 Aufstellung eines großen Bronzekruzifixes der Kgl. Erzgießerei an der Westseite der Kirche, ab 1895 Einsetzung mehrerer Glasgemälde in die Kirchenfenster durch die Hofglasmalerei Franz Xaver Zettler, bei der 1928 durchgeführten Innenrestaurierung wurden diese mit Ausnahme des alten Georgsbildes von 1525 wieder entfernt; 1932 Aufstellung eines Kriegerdenkmals von Karl Romeis auf der Südseite der Kirche

    - 1943 wurden Kirche und Friedhof schwer getroffen, am 15. Mai 1945 stürzte ein Teil des Langhausgewölbes ein, wobei auch die beiden Feichtmayr-Altäre von 1779 zerstört wurden

    - 1945 notdürftige Reparatur des Daches, 1946 neues Langhausgewölbe aus Leichtbauplatten ohne Rekonstruktion des Deckenstucks, 1947 Reparatur des in die Brüche gegangenen Georgsfensters, 1948 Überführung des Rokokobeichtstuhls aus Seeon

    - 1959 neue Orgel, 1960er Jahre Beseitigung der Kanzel

    - 1986 neue Außentüren aus Bronze von Franz Berberich

    - 2004 Generalsanierung unter Leitung von Theodor Brannekämper: Trockenlegung der Mauern, Instandsetzung des Dachstuhls und des Langhausgewölbes, 2005 illusionistische Aufmalung des im Krieg zerstörten Deckenstucks auf das Langhausgewölbe nach alten Vorlagen durch Hermenegild Peiker (der Gewölbestuck im Chor hingegen ist original erhalten), 2006 Neufassung der Raumschale, Rekonstruktion der Stuckrahmen an den Fenstern, Ergänzung der Apostelkreuze, Reinigung der Altäre und des Chorstucks, Instandsetzung der Fenster


    St. Stephan liegt zwar außerhalb der Altstadt und wäre somit eigentlich nicht Teil dieser ersten Serie, in der ich die Altstadtkirchen vorstellen möchte; sie gehört für mich in historisch-kultureller Hinsicht als jahrhundertelange Friedhofskirche der Altstadt aber zu dieser dazu, weswegen ich mich entschlossen habe, sie doch hier mit einzubeziehen.

    St. Stephan ist die Friedhofskirche des heute so genannten Alten Südlichen Friedhofs, der 1563 angelegt wurde und zwischen 1788 und 1868 der einzige Friedhof für die gesamte Stadtbevölkerung war, nachdem 1788 auf kurfürstliche Anordnung alle Bestattungen innerhalb der Stadtmauern verboten worden waren. Die vorherigen allgemeinen Friedhöfe um die Frauenkirche, Alter Peter, Salvatorkirche und Kreuzkirche sowie diejenigen des Heiliggeistspitals und der Klosterfriedhöfe der Franziskaner und Augustiner wurden damit aufgelassen. Die ursprüngliche, 1576/77 errichtete und dem „Herrn Salvator Jesu Christi“ geweihte Friedhofskirche wurde während des 30-jährigen Krieges abgerissen, um an dieser Stelle ein freies Schussfeld zur Verteidigung der Stadt zu haben. Die 1674-81 erbaute heutige Friedhofskirche wurde zunächst ebenfalls zu Ehren des Salvators geweiht, hatte aber im Hochaltarblatt schon den hl. Diakon und ersten christlichen Märtyrer Stephanus zum Thema; Anfang des 18. Jhs setzte sich schließlich der hl. Stephan als Patron durch (wahrscheinlich auch, weil es in München schon eine Salvatorkirche gab) und ab 1739 wurde die Kirche offiziell “ecclesiam S. Stephani” genannt.

    Die Kirche ist eine einfache und bescheidene Saalkirche, in der allerdings die drei imposanten barocken Altäre von 1676/77 (1707 verändert) ins Auge stechen. Der Gewölbestuck steht in seiner Einfachheit und strengen Felderung noch in der Tradition der 100 Jahre älteren Michaelskirche und ist vollkommen unbeeinflusst von den neuen italienischen Stuckaturen der parallel entstehenden Theatinerkirche. Der Stuckateur ist nicht bekannt, dürfte aber aus der Münchner Stuckatorenschule stammen. Der nach Kriegszerstörung aufgemalte illusionistische Gewölbestuck im Langhaus durch Hermenegild Peiker ist meines Erachtens sehr gut gelungen, man muss schon etwas genauer hinsehen, um zu merken, dass es sich dabei nicht um echten Stuck handelt. Original erhalten ist hingegen der Gewölbestuck im Chor.

    Ein Wort noch zum Alten Südlichen Friedhof: er ist durch viele dort bestattete wichtige Persönlichkeiten aus der Geschichte Münchens und seine zum Teil künstlerisch herausragenden Grabmäler vor allem aus der Zeit des Klassizismus ein außergewöhnlicher und beeindruckender Ort, ein Spaziergang dort ist sehr zu empfehlen. Begraben sind dort u.a. die Architekten Leo von Klenze, Friedrich von Gärtner, Karl von Fischer und Georg von Hauberrisser, die Maler Carl Spitzweg, Wilhelm von Kaulbach und Carl Theodor von Piloty, die Bildhauer Johann Baptist Straub, Roman Anton Boos und Ludwig Schwanthaler sowie die Wissenschaftler Joseph von Fraunhofer, Justus von Liebig und Max von Pettenkofer.

    Fotos vom zerstörten Zustand habe ich leider keine finden können.

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    Das nach Kriegszerstörung rekonstruierte Tonnengewölbe mit den aufgemalten Stuckaturen:

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    Das Grabmal des Bildhauers Johann Baptist Straub an der Westseite der Kirche:

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    Einige Gräber des Alten Südfriedhofs:

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    Kirche von Süden:

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    Weitere Bilder von St. Stephan hier: https://www.flickr.com/photos/1619455…77720313233091/

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Bürgersaalkirche

    Neuhauser Straße 14

    Erbaut 1709-11

    Typus: Flach gewölbter Saalraum über niedrigem Untergeschoß

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    Winterlicher Blick zum Karlstor:

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    Baugeschichte:

    - 1709 Baubeschluss und Grundsteinlegung durch die „Marianische Deutsche Kongregation der Herren und Bürger zu Unserer Lieben Frauen Verkündigung“ zum Bau eines eigenen Kongregationssaals

    - Baupläne Giovanni Antonio Viscardi zugeschrieben, Ausführung Johann Georg Ettenhofer;

    Gesamtentwurf der Ausstattung Johann Andreas Wolff zugeschrieben

    - beteiligte Künstler: Stuck: Pietro Francesco Appiani (Decke) und Georg Joseph Bader (Wände); Fresken: Johann Anton Gumpp; Altar: Andreas Faistenberger, Andreas Faßbindter, Johann Blasius Ableithner, Tobias Bader, Paulus Mangoldt, Dominikus Faistenberger, Kaspar Gottfried Stuber; Engelsfiguren der Musikempore: Andreas Faßbindter; Portal: Tertulian Miller; Marienfigur in der Portalnische: Franz Ableithner zugeschrieben; 13 Ansichten bayerischer Marien-Wallfahrtsorte: Franz Joachim Beich

    - 1710 erste Versammlung im neuen Gebäude, 1711 Ausstattung im wesentlichen abgeschlossen

    - 1768 Silberbüsten der Heiligen Joseph, Joachim, Johann Baptist und Johann Evangelist: Joseph Friedrich Canzler, Modelle Ignaz Günther zugeschrieben

    - 1772-74 Neugestaltung der Decke: Fresko Mariä Himmelfahrt von Martin Knoller, Grisaillebilder und Dekorationsmalerei von Franz Kirzinger, Stuck von Franz Xaver Feichtmayr, Entwurfszeichnung für die Gestaltung der Stichkappenzone von Ignaz Günther. Das große, den gesamten Deckenspiegel füllende Fresko (32 x 10m) war das letzte bedeutende Werk barocker Deckenmalerei in München

    - 1778 nach Aufhebung des Jesuitenordens Konsekration als Kirche in honorem Ss. Trinitatis

    - 1803 Übertragung des Altars der Josephbruderschaft und der Schutzengelgruppe Ignaz Günthers aus der Karmeliterkirche sowie des Kreuzaltars des Liebesbundes aus der Franziskanerkirche

    - 1809/10 Renovierungsarbeiten: Übernahme der Kanzel Ignaz Günthers aus der Kirche der Barmherzigen Brüder; Fassade neu dekoriert

    - 1817 Erwerbung des Gnadenkindls

    - 1885/98 Hochaltarmensa und Orgel erneuert; Neugestaltung der Unterkirche: Ausmalung, Altar (Marienfigur von Franz Drexler), Kreuzwegstationen (Joseph Elsner)

    - 1901 Reinigung des Knollerschen Freskos unter Verwendung schädlicher Säuren

    - 1908 Fassadenrenovierung

    - 1924 Restaurierungsversuch des verdorbenen Freskos

    - 1944 Vernichtung bis auf die Umfassungsmauern; Decke und nicht ausgelagerte Ausstattung zerstört, darunter gesamte Altaranlage mit Ausnahme des Holzreliefs mit der Verkündigung an Maria, Musikempore und Sakristeianbau; Fassade bleibt größtenteils unversehrt

    - 1945/46 Wiederaufbau: Treppenaufgänge aus feuerpolizeilichen Gründen verändert, Ergänzung des Stucks und der Gemälde an den Wänden (Originalstuckaturen aber weitgehend erhalten), Kanzel von Max Grübl mit Figuren Ignaz Günthers

    - 1947 Statuen der Heiligen Joseph und Anna in den Chornischen von Roland Friederichsen

    - 1959 Rekonstruktion der ursprünglichen, auf Kupferstichen überlieferten Stuckdekoration der Decke; neue Orgel, Tünchung der Fassade

    - 1970/71 Neufärbung des Innern, Fassung der Pilaster in Stucco lustro, Ausmalung der Deckenfelder durch Hermann Kaspar


    Der Bürgersaal entstand 1709-11 als Versammlungssaal der „Marianischen Deutschen Kongregation der Herren und Bürger zu Unserer Lieben Frauen Verkündigung“: die Marianische Deutsche Kongregation war 1563 unter Schirmherrschaft der Jesuiten als Vereinigung von Bürgern zur Verkündigung des christlichen Glaubens ins Leben gerufen worden, die Münchner Kongregation wurde 1610 gegründet. Ziel war, Glauben und Leben zu vereinen und eine besondere Beziehung zu Maria zu pflegen. Die Kongregation besteht bis heute, weitere Informationen sind auf ihrer Website zu finden.

    Die Kirche ist in eine Ober- und eine Unterkirche geteilt, wobei die fensterlose Unterkirche ursprünglich als Druckerei zur Herstellung von Heiligenbildern und Gebetszetteln diente, bevor sie Ende des 19. Jh zur Unterkirche umfunktioniert wurde. Durch die Überführung der sterblichen Überreste des ehemaligen Präses der Kongregation, des seliggesprochenen Pater Rupert Mayer, im Jahre 1948 ist sie zu einer Wallfahrtsstätte geworden, die viele Gläubige anzieht; außerdem beherbergt sie ein Museum zur Kongregation und zum Leben von P. Rupert Mayer.

    Die Kirche wurde im 2. Weltkrieg stark zerstört, sie brannte vollkommen aus und es blieben nur die Umfassungsmauern stehen. Nach dem Krieg entschied man sich, statt des großen Deckenfreskos, welches 1772-74 von Martin Knoller geschaffen worden war, die ursprüngliche Deckengestaltung vom Anfang des 18. Jh zu rekonstruieren, die auf einem Kupferstich nach Zeichnung von Matthias Diesel überliefert war. Die beiden Deckenbilder, die auf diesem Stich natürlich nicht genau zu sehen sind, wurden 1970/71 von Hermann Kaspar auf moderne Art, aber an barocke Traditionen angelehnt, frei nachempfunden.

    Nicht vollständig rekonstruiert wurde der Altar: das erhaltene, wertvolle Holzrelief mit der Verkündigung an Maria wurde in ein einfaches Stuckfeld eingebettet.

    Die komplett zerstörte Musikempore konnte aus feuerpolizeilichen Gründen leider nicht ganz wiederhergestellt werden: ursprünglich wurde die Empore von vier überlebensgroßen Engelsfiguren auf einer Balustrade getragen, die ihrerseits den Saalboden der Oberkirche nach Süden abschlossen. Zwischen diesem Abschluss und der Rückwand, d.h. der Fassade, waren aber einige Meter Luft, so dass der Eintretende, wenn er durch das Kirchenportal in den Vorraum kam, nach oben durch die Balustrade und an den Engelsfiguren vorbei zur Decke der Oberkirche schauen konnte, bevor er diese über die seitlichen Treppenaufgänge erreichte; dies muss ein fantastischer Anblick gewesen sein. Seit dem Wiederaufbau reicht der Saalboden der Oberkirche bis ganz an die Rückwand heran, so dass man die Oberkirche erst auf den Treppenaufgängen zu Gesicht bekommt. In diesem hinteren Bereich der Oberkirche ist heute die berühmte Schutzengelgruppe von Ignaz Günther aufgestellt.

    Ebenfalls aus feuerpolizeilichen Gründen wurden links und rechts neben dem Hauptportal der Fassade zwei weitere, kleine Portale hinzugefügt, die sich aber recht unauffällig in das Gesamtbild der Fassade einfügen.

    Alles in allem wurde der Bürgersaal sehr gut und stimmig wiederhergestellt, wer sich nicht genauer mit der Geschichte beschäftigt, hat bis auf die modernen Deckenbilder (die sich meines Erachtens auch einigermaßen gut einfügen) nicht den Eindruck, dass die Kirche jemals zerstört gewesen sein könnte. Die Entscheidung, die ursprüngliche, überwiegend von Stuckaturen geprägte Deckengestaltung und nicht das Deckenfresko von 1773/74 zu rekonstruieren, mag sicherlich bedauerlich sein, ist aber angesichts der immensen Schwierigkeit, ein Deckenbild von solcher Größe und Qualität nachzumalen, durchaus nachzuvollziehen.

    Fassade um 1920: https://www.bildindex.de/document/obj22…medium=fm616215

    Oberkirche um 1920: https://www.bildindex.de/document/obj22…medium=fm616216

    Hochaltar vor der Zerstörung:

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    (https://www.mmkbuergersaal.de/buergersaalkir…erung-1944.html)

    Das riesige (32 x 10m) spätbarocke Deckenfresko von Martin Knoller (1772-74) mit der Darstellung von Mariä Himmelfahrt:

    Burgersaalkirche-Deckenfresko-Knoller-22Himmelfahrt-Mariens22.jpeg

    Ausschnitt daraus: https://www.bildindex.de/document/obj20…dium=mi12822c01

    Die Oberkirche nach der Zerstörung (Blick nach Süden):

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    (https://www.mmkbuergersaal.de/buergersaalkir…erung-1944.html)

    Blick nach Norden während der Neueindeckung: https://www.bildindex.de/document/obj22…medium=fm202473

    Beschreibung der Zerstörung 1944 auf der Website der Marianischen Kongregation: https://www.mmkbuergersaal.de/buergersaalkir…erung-1944.html

    Die Kupferstiche nach Zeichnung von Matthias Diesel, die die ursprüngliche Deckengestaltung vor der Umgestaltung 1772-74 überliefern und nach denen die Decke nach der Zerstörung des 2. Weltkriegs wiederhergestellt wurde:

    Blick nach vorne: https://www.bildindex.de/document/obj35…rvinus-ab3-0011

    Blick nach hinten: https://www.bildindex.de/document/obj35…rvinus-ab3-0012 (die Empore wurde leider, wie oben bereits geschrieben, nicht vollständig wiederhergestellt)

    Die Oberkirche heute:

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    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Die rekonstruierte Decke mit den zwei modernen Deckengemälden von Hermann Kaspar:

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    Blick vom linken Aufgang:

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    Linke Seite:

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    Die unter der Orgelempore aufgestellte berühmte Schutzengelgruppe von Ignaz Günther:

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    Die Unterkirche:

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    Weitere Fotos der Bürgersaalkirche hier: https://www.flickr.com/photos/1619455…177720313244783

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    Karl Kraus

  • Kleines Gedankenspiel: Mal jede Farbe an Zwickeln, Stichkappen und Decke - ausser den Deckengemälden - weg, nur weisser Stuck. Dann kann man natürlich variieren und beispielsweise das ligierte "MARIA" mit Strahlenkranz wieder vergolden.

    An dieser Decke ´passiert zu viel´, zuviel Kleinteiligkeit, zuviel (teils hässliche) Farbe. Über Geschmack lässt sich aber (fast) immer wunderbar streiten... :)

    Man weiß bei solchen Ergebnissen leider nie, wie die Entscheider Jahre später darüber dachten.

  • Zuerst einmal kann man glaube ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Decke auch in ihrer Urfassung ziemlich farbig war, erstens weil die Wände bis zur Zerstörung auch farbig gestaltet waren und zweitens weil die Polychromie absolut üblich in der Barockzeit um 1700 war - auch die nur wenige Jahre danach entstandene Dreifaltigkeitskirche ist farbig durchgestaltet (wenn auch vielleicht etwas geschmackvoller). Die Barockzeit hat, gerade in Mitteleuropa, gerne mit knalligen Farben gearbeitet, viele Stuckaturen waren farbig gefasst und rein weiße Oberflächen wie in der Theatinerkirche waren eher die Ausnahme. Erst in der Rokokozeit setzte sich das strahlende Weiß mehrheitlich durch und das 19. Jh hat dann allgemein eine strengere Monochromie eingeführt; das hat vielleicht bis heute unseren Geschmack geprägt. Auch auf dem oben verlinkten Foto des Vorkriegzustandes um 1920 kann man trotz Schwarz-Weiß erkennen, dass die Stichkappen farbig waren und die Entscheider kannten diesen Zustand sicher noch aus eigener Anschauung und Erinnerung. Von daher ist das Farbkonzept der Decke sicherlich historisch fundiert. Ich persönlich finde die Farbgestaltung des Bürgersaals stimmig, weil ja auch die Wände mit ihren Pilastern und Fenstergirlanden farbige Elemente haben und sich so die Farbgestaltung einheitlich durch den ganzen Raum erstreckt. Was für mich nicht dazu passt, sind die Farben der modernen Deckenfresken, die für meinen Geschmack teilweise zu hart und kalt sind.

    Insgesamt ist die Bürgersaalkirche sicher kein Ort erlesenen oder elitären Geschmacks, sind eher ein Beispiel für den bürgerlichen Barock um 1700 und als solches durchaus schön und beeindruckend. Das Eigenartige an dieser Kirche ist für mich die Tatsache, dass es ein normaler rechtwinkliger Saal mit Flachdecke - eine Schuhschachtel gewissermaßen - und keine architektonisch gestaltete Kirche mit hohem Gewölbe ist und somit nicht dem gängigen Bild einer Barockkirche entspricht; sie wurde ja auch als Versammlungsaal der Kongregation verwendet. Aber der Raum ist absolut sehenswert und ich bin froh, dass er auf diese Weise wiederhergestellt wurde.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Ja, das ist natürlich 25 Jahre später...:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Asamkirche_(Ingolstadt)


    Wenn man sich das letzte Bild in der Reihe ("vor 1970") ansieht - https://www.bildindex.de/document/obj22…m616216/?part=0 - , dann geht es farblich anscheinend erst danach in den Graben.

    Wikipedia:

    "Die Rekonstruktion der herabgestürzten Decke war 1959 durch Reinhold Grübl weitgehend abgeschlossen. In den Jahren 1970–1973 wurde der Bürgersaal farblich neu gefasst und moderne Deckenfresken durch den ehemaligen NS-Künstler Hermann Kaspar angebracht, die sich in barockisierender Form dem Gebäude anpassen.[2] Zu einer erneuten Renovierung kam es in den Jahren 1999–2001"

    Wenn ich es richtig sehe, sind quasi im zweiten Durchgang auch die Pilaster neu marmoriert worden.

  • Ja, der Zustand vor 1970 scheint heller gewesen zu sein; der Zustand der Stichkappen und einiger Deckenfelder auf dem Foto um 1920 hingegen ist deutlich dunkler und wahrscheinlich hat man sich an diesem orientiert. Mag aber sein, dass der Zustand vor 1970 subjektiv schöner war.

    Ingolstadt ist mit München nicht ganz vergleichbar, finde ich - Ingolstadt ist ja schon überwiegend eine Rokokokirche und hat noch das riesige Fresko, welches die gesamte Decke belegt, das macht natürlich insgesamt einen ganz anderen (und auch hochwertigeren) Eindruck.

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    Karl Kraus

  • Den Kongregationssaal in Ingolstadt habe ich deshalb angeführt, weil er vielleicht(!) mit Auslöser für die Umgestaltung 1772 war. Solche Überlegungen kann es schon Jahre / Jahrzehnte vorher gegeben haben, bis man dann Willen und Geld aufbrachte. "Altes Glump" raus, "prächtig und teuer" rein. (*)

    Alles spekulativ, aber es fällt (mir) auf, daß man sich quasi kurz vor Torschluß ein riesiges barockes Fresko geholt hat, aber Rokokostuck womöglich schon nicht mehr so prickelnd fand. Wobei mir wiederum völlig unklar ist, wie weit man den

    Kupferstichen nach Zeichnung von Matthias Diesel trauen kann, wo man in den Zwickeln eine Art Bandelwerk-Stuck zu sehen glaubt, der ja heute nicht vorhanden ist. (**)

    Spannend wäre jetzt, was 1901 ("Reinigung des Knollerschen Freskos unter Verwendung schädlicher Säuren") und 1924 ("Restaurierungsversuch des verdorbenen Freskos") farblich auch um die Deckenmalerei herum passiert ist bzw. verändert worden sein könnte.

    Und nochmal anders: Gibt es Fotos von vor 1901 oder sind beide Innenaufnahmen (Nr. 1 und Nr. 2 der Folge) von - https://www.bildindex.de/document/obj22…m616216/?part=0 - nach 1901 entstanden?

    (*) Wenn schon neu, licht, farbenfroh - kommt dann eine dunkle Rahmung um das Fresko, wie nach 1900 zu sehen?

    (**) Und wer hat es nun richtig getroffen - Diesel oder die Wiederaufbauer?

  • Sehr interessante Überlegungen! Es kann gut sein, dass die Umgestaltung des Münchner Bürgersaals vom Ingolstädter Kongregationssaal inspiriert war. Ich weiß leider nicht mehr und glaube auch nicht, dass man aus der verfügbaren Literatur wesentlich mehr herausfinden wird (vielleicht im Diözesanarchiv?). Die Entscheidung, die Decke nach den Stichen von Diesel zu rekonstruieren, bedeutete natürlich, dass man weitgehend frei und approximativ gestalten musste, das die Stiche ja nicht alle Details zeigen; ich finde diese Entscheidung aber immer noch viel besser als eine verkrampfte "historisch-bewusste", in der dann doch das meiste modern ist.

    Von den Aufnahmen im Bildindex ist nicht genau bekannt, wann sie aufgenommen wurden, beim ersten Bild steht "1916/23", beim zweiten, dunkleren "1885/1920". Wenn Du mehr herausfinden könntest, wäre das natürlich sehr interessant!

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    Karl Kraus

  • Nachtrag zum "Zwickelstuck" nach Diesel - ein Foto der Deckengestaltung von St. Maria HImmelfahrt in Fürstenfeld:

    Zitat Wikipedia:

    "Die südlich-hochbarocke Architektur wird von einer ungewöhnlich prachtvollen Dekoration überzogen, die bereits die Leichtigkeit des Rokoko erkennen lässt. Die Stuckaturen im Chor schuf Pietro Francesco Appiani von 1718 bis 1723, (...)"

    Diese Stuckaturen im Chor der ehemaligen Klosterkirche Fürstenfeld sind nicht so weit weg von denen, die nach Diesel etwa 1710 im Bürgersaal entstanden sind / wären. ´Verdachtsdiagnose´: Da ist beim Wiederaufbau eher "flexibel" verfahren worden, um es mal so zu formulieren.