Nürnberg - Spezielle historische Ansichten (Galerie)

  • ich mußte immer an das Haus um 1913 aus St.Gallen denken

    Um dieses Haus ging es.


    Es gibt noch eine Reihe von weiteren solchen Rückführungen in einen 'idealen Mittelalterzustand', nur sind sie nicht so bekannt und auch nicht oft auf Fotos zu sehen, weil der Zustand jeweils nur noch ein paar Jahre andauerte. Ganz überrascht war ich beim Lesen der vorletzen Nürnberger Altstadtberichte (2019), als ich folgendes Bildpaar sah:

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    Ebenersgasse 10 von 1835 vor und nach dem Umbau 1939. Am linken Bildrand jeweils das Hans-Sachs-Haus. Fotos aus dem Stadtarchiv Nürnberg, publiziert in Nürnberger Altstadtberichte 2019, S. 72/73.

    Es zeigt just das in meinem letzten Beiträg erwähnte, 1835 errichtete, östliche Nachbarhaus des Hans-Sachs-Hauses, Ebnersgasse 10. Offenbar wurde das Haus mit dem schiefergedeckten, hohen Manssarddach immer als Fremdkörper empfunden, weshalb man noch 1939 zu einer Radikalkur schritt!

    Auch das Imhoffhaus, östliches Nachbaurhaus des Pellerhauses, erhielt im 19. Jahrhundert eine neugotische Fassade, die um 1930 einem renaissancenahen Zustand wieder weichen musste.

    Beim Leistlein-Giebel nähme es mich Wunder, ob der Rückbau des Treppengiebels subventioniert wurde, denn ich denke, dass dies eine private Baumassnahme war und keine öffentliche. Jedenfalls bin ich froh, dass ich das Ansichtskartenpaar hier eingestellt und mir Loggia 'dazwischengefunkt' hatte, denn sonst würde ich mich weiterhin auf dem Holzweg befinden.

  • Hauptmarkt

    Jeder Sammler von Ansichtskarten oder Fotos hat bestimmte Kriterien, wie er sein Sammelgebiet eingrenzt. Nebst hauptsächlich baugeschichtlich auswertbaren Abbildungen sind es auch Themen und Serien, die ich verfolge. Vor allem ist es mir ein Anliegen, die Stadtbefestigung und die Pegnitzläufe innerhalb der Altstadt lückenlos zu dokumentieren. Dann gibt es eine Serie - auch wieder von der Stadtbefestigung - bei der die Ansichten farblich stark nachkoloriert und die Stadtmauern in ein Blütenmeer in den Stadtgräben eingebettet wurden. Schliesslich interessieren mich auch die ersten Ansichtskarten nach Naturfarbenfotografien, die bereits ab 1912 in Umlauf kamen.

    Eine davon ist sehr eindrücklich. Leider habe ich sie nicht selber in meiner Sammlung, und in den letzten fünfzehn Jahren fand ich sie nur zweimal auf dem Markt, wovon ich mal einen Scan kopierte. Doch zur Übersicht folgt zuerst eine Flugaufnahme.

    Während des Nationalsozialismus fanden ab 1923 Reichsparteitage statt. Ab 1927 wurden diese ausschliesslich noch in Nürnberg abgehalten. Vom 5. Reichsparteitag 1933 gibt es eine Flugaufnahme des Hauptmarkts mit einer U-förmigen Tribüne, auf der die Herren den vorbeidefilierenden Truppen beiwohnen und sie grüssen konnten. Einen Aufmarschplatz gab es in Nürnberg nicht, denn das Reichsparteitaggelände war damals erst in Planung.


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    Hauptmarkt gegen Südwesten. Flugaufnahme während der 5. Reichsparteitage 1933. Verlag Reichswinterhilfe-Lotterie 1934/35. Sammlung Riegel.


    Wie die Stimmung auf dem Hauptmarkt, damals in Adolf-Hitler-Platz umbenannt, gewesen sein muss, zeigt diese frühe Farbaufnahme. Die alle vier Seiten des Platzes säumenden Bauten - festlich geschmückt - stellten eine eindrückliche Kulisse hinter den Tribünen dar. Auch die Wirkung des Schalls der Redner und des Schreitens der Soldaten muss hier eine ganz andere gewesen sein als die auf einem riesigen und offenen Aufmarschplatz, ähnlich dem eines Verstärkers. Jedenfalls muss es ein eindrückliches Spektakel gewesen sein!

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    Reichsparteitag in Nürnberg um 1933/35. Tribüne am Adolf-Hitler-Platz (Hauptmarkt) während des Vorbeimarschs der Truppen. Ansicht gegen Nordosten. Ungelaufene Farbansichtskarte, Photo Hoffmann München. Unbekannte Sammlung. Vergrösserung.

  • Ebenersgasse 10

    Schon bemerkenswert dieses Bsp! Der "Neubau" von 1939 ist so authentisch, dass ich wirklich dieses Gebäude so aus dem 16-17. Jh. geschätzt hätte ohne die Vorgeschichte zu kennen. Die K-Streben sind typisch für Franken und könnten in das Zeitfenster passen sowie der Dacherker mit Nasenform. Wie siehst du das als Fachmann? Würdest du es mit heutigem noch erweiterten Wissen über Fachwerk anders machen (wenn man so ein Haus rekonstruieren würde) oder ist das schon sehr nahe an der historischen Korrektheit?

  • Die Planer und ausführenden Handwerker hatten ihr Handwerk tatschlich noch gut verstanden. Bis hin zum Dach, das mit historischen Dachziegeln gedeckt wurde, ist das Haus stimmig. Tatsächlich könnte man meinen, dass hier ein spätgotisches Haus renoviert wurde.

    Zum Fachwerk: Beim 3. Obergeschoss könnte man fast meinen, dass hier ein Fachwerk aus dem 16./17. Jahrhundert mit eingezapften Fuss- und Kopfstreben besteht, dessen Fensteransordnung im 19. Jahrhundert regularisiert und bei dieser Gelegenheit das Fachwerk verputzt wurde. Leere Fensterbrüstungen gab es erst ab dem 18. Jahrhundert bei konstruktivem Fachwerk. Der Bauforscher wird damit also recht hereingelegt! Die Giebelwand zeigt K-Streben-Fachwerk, ebenfalls 16./17. Jahrhundert. Für ganz nürnberg-typisches Fachwerk hätte man die kurzen Riegelstückchen zwischen den K-Streben und den benachbarten Pfosten weglassen müssen. Es gibt nur wenige Ausnahmen in Nürnberg, wo diese Riegel vorhanden sind (z. B. Mostgasse 2). Bis hin zum Nasengiebel bei der Firstspitze wirkt alles sehr authentisch!

  • Recht verblüffend, dieses Beispiel Ebenersgasse 10.

    Wenn man solcherart mehrere Beispiele sieht, fängt man an zu grübeln über "Altstadtmoden", und wie sie mit dem jeweiligen Zeitstil zusammenpassen. Ich meine, im 20.Jdht hatten wir freigelegtes Fachwerk, im 19.Jdht eher getünchtes; 1880 sollte die Gotik prächtiger sein als vor Jahrhunderten; 1910 wurde eher wieder geglättet.

  • In der Lorenzer Altstadt

    Anknüpfen möchte ich gleich an das Giebelthema von vorhin und werde ein weiteres Gasthaus in einem historischen Gebäude zeigen.

    ich kenne die echt mittelalterlichen Gebäude nicht, aber dieser Abschluß so ganz ohne Überstand scheint mir eher ein Merkmal des 20. Jhdts, speziell dieser kurzen Zeit vor WK1, der 1940er, der 2000er zu sein.

    Das würde ich auch unterstützen, aber man darf die Bauten bis zur Spätgotik nicht ausser Acht lassen. Während die Bauten ab der Renaissance einen Randabschluss entlang der Giebelkontur haben, verläuft die Fassade bei den älteren Gebäuden oft bis zur Giebelkante durch. Prominentestes Beispiel ist Obere Schmiedgasse 54/56, das älteste datierte Fachwerk-Doppelhaus in der Altstadt aus dem Jahr 1338 mit vorgesetzter steinerner Fassade aus dem 16. Jahrhundert.


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    Königstr. 58, 'Hotel Föttinger'. Ungelaufene Ansichtskarte, spätestens 1903, Fritz Schardt, Kunstverlag, Nürnberg.

    Ich bin erstaunt über die Anzahl der Hotels in der Altstadt bis 1945, die in den jahrhundertealten Gebäuden untergebracht waren. Wahrscheinlich waren dies zumeist Familienbetriebe. Das Hotel Föttinger hatte eine frühbarocke Fassade mit einem zurückhaltend verzierten Giebel. Die Giebelkontur wies bereits einen Randabschluss auf. Auffallend sind auch hier wieder die überladenen, klobigen Fenstersimse an jeder zweiten Fensteraxe, wie wir dies bereits beim im ersten Beitrag gezeigten Hauses Hintere Beckschlagergasse 6 angetroffen haben. Zudem ist die Zweigeschossigkeit des Dacherkers bemerkenswert. Rechts ist der Vorvorgängerbau von Königstr. 56 zu sehen, der eine für Nürnberg untypische Fassadendekorationsmalerei aufwies.


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    Königstr. 58, 'Hotel Föttinger'. Ungelaufene Ansichtskarte um 1920, Fritz Schardt, Kunstverlag, Nürnberg.

    Das rechte Nachbarhaus Nr. 56 war in der Zwischenzeit einem überhohen Reformbau gewichen, der sich zwischen das Hotel Föttinger und den Hallplatz mit der Mauthalle hineinzwängte ( Loggia: ohne Randabschluss entlang der Giebelkontur!). Das Haus am linken Bildrand, Königstr. 60, (mit hier nicht sichtbarem Fachwerk-Eckerker) besteht heute noch, im Gegensatz zu den beiden Erstgenannten.


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    Theatergasse 19, 'Böhm's Herrenkeller'. 1947 gelaufene Ansichtskarte, Kunstanstalt Zerreis & Co, Nürnberg.

    Ein Rätsel bleibt mir bis heute die Liegenschaft Theatergasse 19. Das Gebäude - ein einfaches, typisches Nürnberger Bürgerhaus - wurde bis zum 1. Obergeschoss hinunter zerstört. Das Erdgeschoss mit einem Notdach darüber blieb bis heute erhalten! Die Fassade, problemlos und relativ einfach zu rekonstruieren, würde durch ihre vorspringende und schräg zur Gassenflucht stehende Lage zu einem Blickfang von der Königstrasse her! Ein grösserer Aufwand bedeuteten die Sandsteinquader an und für sich, die aber alle schmucklos waren, sowie das Aufzugschörlein. Der Rest des Wiederaufbaus bewegt sich im Bereich üblicher Neubaukosten.


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    Theatergasse 19, 'Böhm's Herrenkeller', 2009.


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    Johannesgasse 29, 'Rösel's Centralsäle'. Ungelaufene Ansichtskarte um 1910/1920, ohne Verlagsangabe.

    In der benachbarten Johannesgasse fallen die vielen historischen zwei- und dreigeschossigen Häuser auf. Hier befanden sich auffallend viele Wirtschaften, von denen ein Bild der nicht mehr existierenden 'Rösel's Centralsäle' ein Beispiel darstellt. Auch das nördlich anstossende Quartier zwischen Lorenzer Strasse und Katharinengasse war von gleicher kleinteiliger Struktur, von der heute nur noch die drei Museumshäuser Kühnertsgasse 18/20/22 sowie Lorenzer Str. 23 zeugen.

    (Alle Bilder aus meiner Sammlung.)

  • Mehr aus der Lorenzer Altstadt


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    Ehemalige Katharinenkirche und Klostergebäude. Im Hintergrund sind rechts vom Kirchendach St. Sebald, der Schuldturm, die Synagoge und darüber die Kaiserburg sichtbar. 1929 gelaufene Ansichtskarte ohne Verlagsangabe.

    Dies ist eine eher seltene Aufnahme der Katharinenkirche, bei der man nebst der Kirche auch in den Innenhof des einstigen Klosters sieht. 1295 aus einer privaten Stiftung hervorgegangen, wurde 1596 das Frauenkloster des Dominikanerordens nach dem Tod der letzten Angehörigen aufgelöst. Heute sieht es nach über 70 Jahren so aus: Google maps. Im Sommer finden hier Freiluftkonzerte statt, und es scheint, dass dieser Ort in dieser Gestalt vorderhand als zementiert gilt.


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    Hof Karolinenstr. 34. Um 1915 (unleserlicher Stempel) gelaufene Ansichtskarte, Verlagsangabe "W. H. D.".

    Auf den ersten Blick besticht dieser Hof durch durch nichts, jedenfalls nicht so, wie man es sich von anderen Höfen mit reichen Holzgalereien gewohnt ist (war). Mir stach aber der zweigeschossige Aufzugsgiebel ins Auge, der sich mit seinem Fachwerk mit den abgefasten Kanten, den zurückspringenenden Gefachsfüllungen und dem Schweizer Giebel als historistische Zutat entpuppt. Eine 'Schönheit' waren auf dem First die beiden Eisengitter zur Aufnahme von Telefondrähten. Den zweigeschossigen Anbau im Hof rechnete ich auf den ersten Blick ebenfalls dieser Zeit zu, vor allem wegen der Terrassenbrüstung und den vier hochformatigen Fenstern, die eher nach Werkstatt aussehen, wären da keine Butzenscheiben drin. Wenn man aber genau schaut, erkennt man, dass das Geländer Steinsäulen und dazwischen gusseiserne(?) Baluster aufweist. Zwischen beiden Bogen darunter erkennt man noch Reste von bemaltem Verputz. Der Anbau stammte wahrscheinlich aus dem 17. Jahrhundert. Heute sieht es hier strassenseitig so aus: Google maps.


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    Ludwigstrasse (heute Ludwigsplatz) und weisser Turm um 1910. Repro einer historischen Ansichtskarte ohne Verlagsangabe.

    Eine typische Ansicht einer Alt-Nürnberger Geschäftsstrasse, bei welcher die Gründerzeit mit Strassenbahn, Litfasssäule und Schaufensterzonen bereits Einzug gehalten hat. Trotzdem dominierten hier weiterhin die historischen Bürgerhäuser, von denen keines das andere übertrumpfen wollte. Heutige Ansicht (betreffend des mittlerweile afgerissenen Alu-Ungetüms 'Wöhrl' auch nicht mehr ganz aktuell): Google maps.


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    Ludwigstrasse und Spittlertor, rechts die Schlehengassse und Deutschhauskaserne. 1904 gelaufene Ansichtskarte, Verlag Dr. Trenckler Co., Leipzig.

    Nach dem Durchschreiten des Weissen Turms (Stadttor der vorletzten Stadtbefestigung) aus der letzten Ansicht offenbarte sich dieser Anblick: wiederum geschlossene, traufständige Häuserzeilen und der Spittlertorturm. Heutige Ansicht: Google maps

    Die Kopfbauten zwischen zwei zusammentreffenden Gassen wurden jedoch durch überladene, für Nürnberg völlig atypische Gründerzeitbauten ersetzt. Beide existieren heute noch: zwischen der Ludwigstrasse und der Schlehengasse Jakobsplatz 3, das allerdings seine Dachlandschaft komplett eingebüsst hat, und zwischen der Schlehengasse und Mostgasse der 'Bäckerhof'. Letzter steht heute auch noch vereinfacht da; die geglätteten Fassaden empfinde ich hier nicht mal als Verlust, sondern als eine Angleichung an den Nürnberger Stil. Rechts angeschnitten ist die Deutschhauskaserne, an deren Stelle heute das Polizeipräsidium steht.

    Link zu einem sehr lesenswerten Artikel über die drei 'Fremdkörper':

    Als „Alt-Nürnberg“ neuen Bauten weichen musste
    Nürnberg - Plätze, Straßen oder Häuser verändern im Lauf der Zeit ihr Gesicht. Oft zu ihrem Vorteil, manchmal auch zu ihrem Nachteil. Die NZ will solche…
    www.nordbayern.de

    (Alle Bilder aus meiner Sammlung.)

  • Eine 'Schönheit' waren auf dem First die beiden Eisengitter zur Aufnahme von Telefondrähten.

    Jetzt weiß ich das auch endlich mal, wofür diese Gestänge da waren...

    Vielen herzlichen Dank für all die tollen Aufnahmen und bauhistorischen Informationen!

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Das ist auch der Grund, weshalb die Hauptpostämter um 1900 meistens einen Turm oder einen hohen Risalit mit Kuppel besassen. In den Hauptpostämtern waren auch die Telefonzentralen untergebracht, und jeder Hausanschluss benötigte damals zwei eigene Telefondrähte, die in der Luft hingen und noch nicht unterirdisch verliefen. Daher mussten auch mal exponiert hohe Wohnbauten für so ein Gestänge als Zwischenhalterung herhalten, Altstadt hin oder her.

    Im APH sind wir schon ab und zu diesem Thema begegnet. Schön in Erinnerung ist mir eine etwa dreissig Beiträge umfassende Diskussion zur Eruierung eines unbekannten Turmes in Potsdam geblieben, der sich dann auch als so einen Gestängeturm entpuppte, der sogar in der Stadtsilhouette sichtbar war: https://www.stadtbild-deutschland.org/forum/index.ph…3599#post283599

    Hier habe ich ein anschauliches Beispiel eines solchen kleineren "Postturms" für Telefonfreileitungen in Biberach an der Riss gefunden:

    Biberach-riss-bahnhof-post-1904.jpgQuelle: commons.wikimedia.org (Urheberrecht abgelaufen)

  • An die Deutschhauskaserne drei Beiträge weiter oben möchte ich mit einer Aufnahme, die aus dem Spittlertorturm aufgenommen wurde, anknüpfen. Die Deutschhauskaserne wurde 1862-1865 als Reiterkaserne auf dem Areal der 1806 aufgehobenen Deutschordenskommende errichtet. Im Weltkrieg wurde die Kaserne grösstenteils zerstört und danach ganz abgebrochen. Heute stehen hier die ausgedehnten Gebäude des Polizeipräsidiums Mittelfranken. Aus der Ordenszeit überdauerten aber die Elisabethkirche, das angebaute Haus Jakobsplatz 7a sowie das Kornhaus an der Schlotfegergasse.


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    Blick vom Spittlertorturm auf die Ludwigstrasse und Schlehengasse. Im Vordergrund links der 'Bäckerhof' (mit kuppelbekröntem Ecktürmchen) und dahinter die Kaserne. Rechts mit Kuppel die Elisabethkirche und davor knapp sichtbar die Ecke des oben gezeigten Hauses Jakobsplatz 3. 1918 gelaufene Ansichtskarte, Hermann Martin, Kunstverlag, Nürnberg.

    Das riesige Gebäude der Kaserne sieht man hier in der Seitenansicht; von der Hauptfassade (rechts) ist nur die linke Hälfte und knapp noch der Mittelrisalit sichtbar. Für die kleinteilige Altstadt war der Bau ein grosser Eingriff, zumal die Kaserne absolut keine für Nürnberg typische Architekturelemente aufnahm. Dies war wohl einerseits dem Zeitgeist geschuldet (der Status als alte Reichsstadt hatte erst zwei Generationen vorher aufgehört zu existieren) und anderseits auch dem 'neuen Beruf' des akademisch ausgebildeten Architekten.

    Der Bau der Elisabethkirche wurde noch unter der Kommende begonnen, dann aber unterbrochen. Der unfertige Kuppelbau diente nach der Säkularisation als staatliches Baumagazin und Militärdepot, später als Notkirche. Die Kirche wurde erst 1903 fertiggestellt und nach der Frauenkirche die zweite katholische Pfarrkirche Nürnbergs.

    (zum Wikipedia-Artikel über die Deutschordenskommende Nürnberg)


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    Blick in den Hof der Deutschhauskaserne und auf die Rückseite der Elisabethkirche. Links der Weisse Turm. Ansichtskarte um 1900, Verlag Hermann Martin, Nürnberg. Unbekannte Sammlung.


    Ein ähnlicher Grossbau folgte auch an der Augustinergasse mit dem Justizgebäude:


    Ak Flugaufnahme Altstadt vor 1945

    Flugaufnahme mit St. Sebald, Hauptmarkt und Justizgebäude. 1955 gelaufene Vorkriegsaufnahme, Stoja-Verlag, Nürnberg.

    Über das Justiz- oder Gerichtsgebäude konnte ich nur herausfinden, dass es 1877 anstelle des 1872 abgetragenen Augustinerklosters, das in der Reformation geschlossen wurde, errichtet worden war. Heute steht hier ein weiterer Grossbau, das Parkhaus Hauptmarkt...

    Ein dritter vergleichbarer Bau (ohne Bild), allerdings nicht mehr so gross, stand an der Hinteren Sterngasse unweit des Frauentors. Es war ein Gymnasium, das den Krieg auch nicht überlebte. Heute steht dort das neue Museum (Staatliches Museum für Kunst und Design).

    Erst bei öffentlichen Bauvorhaben ab 1900 fand der Nürnberger Stil wieder vermehrt Beachtung. An ihnen findet man oft Elemente von historischen Bürgerhäusern wie Chörlein, Masswerkbrüstungen, Dacherker etc. Auch Hotelneubauten, insbesondere an der Königstrasse, folgten diesem regionalen Stil.


    Zuguterletzt noch eine Aufnahme mit Bausünden, wie sie vor gut hundert Jahren in der Altstadt Gang und Gäbe waren:

    Ak Nassauerhaus

    Nassauer Haus und Karolinenstrasse. Ungelaufene Ansichtskarte um 1910, ohne Verlagsangabe.

    Grossflächige Schaufensterfronten waren eine neue Errungenschaft der Gründerzeit. Sie konnten sich teilweise bis in 2. Obergeschoss ausdehnen, wie beispielsweise beim Nachbarhaus des Nassauer Hauses. Auch mit Beschriftungen und Reklamen wurde nicht gespart und rücksichtslos auf das Altstadtbild 'eingeschlagen'. Noch in den 1930er-Jahren wurden die Schaufenster des Nachbarhauses wieder zurückgebaut und das übernächste Nachbarhaus im Heimatstil offenbar neu erstellt.

    (Alle Bilder mit Ausnahme jenes des Kasernenhofs aus meiner Sammlung.)

  • Carl Alexander Heideloff

    Manchmal lohnt es sich, auch Ansichtskarten und Fotos genauer zu betrachten, auch wenn nicht vordergründig Häuser darauf abgebildet sind. Oft sieht man Seiten- und Rückfassaden, die auf "schönen" Bildern sonst nicht drauf sind. Vom folgenden Bild machte ich mir deshalb mal einen Scan:


    Egidienplatz 1911 Sängergfest?

    Männerchor auf dem Egidienplatz mit Blick Richtung Theresienplatz. 1911 beschriftete Fotografie, unbekannte Sammlung.

    Das Bild muss aufgrund eines Festes aufgenommen worden sein. Ob die Männer wohl am Singen sind? Rückseitig ist lediglich die Jahrzahl '1911' geschrieben. Das Bild fand aber mein Interesse wegen der unregelmässig befensterten Fassade und vor allem wegen der Fassadendekoration rechts mit neugotischen, sakralen Formen. Schnell dachte ich an Carl Alexander Heideloff, der vor allem in der Mitte des 19. Jahrhunderts viele Kunstwerke schuf und auch historische Fassaden mit Neugotik "verschönerte". Sein Werk als Restaurator und Denkmalpfleger ist deshalb bis heute umstritten.

    Nun fand ich eine weitere Ansicht des Theresienplatzes, diesmal aber vom südlichen Ende des Egidienplatzes aufgenommen (beide Plätze stehen ja übereck zueinander), sodass man links einen Blick auf Theresienplatz 8 hat. Nun war also klar, wo das erste Bild aufgenommen wurde: vor dem ehemaligen Melanchthon-Gymnasium am Egidienplatz, mit Blick auf die Seitenwand des 'Hohen Hauses' (oder anderer Name?), einem mittelalterlichen Wohnturm.


    Theresienplatz gegen SW (1934)

    Theresienplatz gegen Südwesten. 1934 gelaufene Ansichtskarte, unbekannte Sammlung.

    Heideloff stülpte einigen Fassaden ein solches neugotisches Kleid über, wobei man den Eindruck erhält, dass er nicht zwischen sakraler und profaner Gotik unterschied. Am 1. Obergeschoss werden die Fenster von einer Art von Baldachinen bekrönt... was bedecken sie? Oder ist gar eine Hauskapelle dahinter? Das gleiche Motiv verwendete er auch beim Imhoff-Bau. Am 2. Obergeschoss zwei Fenster mit Vorhangbogen, wie man sie eher von Nord- und Ostdeutschland kennt, in Nürnberg aber überhaupt nicht! Daneben irgend ein Altarretabel? Und noch nicht genug - zwei Medailloins mit Köpfen mussten auch noch angebracht werden! Der Historismus als internationaler Stil mit seiner teilweisen Überladenheit ist bereits eingeläutet!

    Noch eine kurze Bemerkung zum Männerchor:

    Just 1911 zügelte das Melanchthon-Gymnasium vom Egidienplatz an seinen heutigen Standort in Nürnberg-Wöhrd. Ob die Fotografie wohl von den Einweihungsfeierlichkeiten des neuen Gymnasiums herrührt? Und die Ehemaligen noch ein Ständchen zum Abschied vom alten Ort gaben? Jedenfalls besitze ich einen weiteren Scan einer mit "Jubiläum Melanchthon-Gymnasium" beschrifteten Fotografie. Die Machart der Fotografie mit weissem Rand ist typisch für die 1920er/1930er-Jahre; wohl ist sie also 1926 anlässlich des 400-Jahr-Jubiläums des Gymnasiums aufgenommen worden. Jedenfalls sind auf beiden Fotos die Personen ähnlich gekleidet.

    Und wenn wir schon wieder zum Theresienplatz zurückgekehrt sind, folgt eine weitere Ansicht des Platzes:


    Theresienplatz gegen SO

    Theresienplatz gegen Südosten. Ansichtskarte aus den 1930er-Jahren, unbekannte Sammlung.

    Bemerkenswert ist das Eckhaus Judengasse 2 links mit den zwei Dacherkern. Eine solche Konstellation - zwei anstatt einem Dacherker, und dazu noch an den Aussenkanten der Fassade - kenne ich sonst nur aus München, sieht man von den eigentlichen Wohndacherkern in Nürnberg ab. Letztere haben immer einen Spitzhelm, und kein Giebeldächlein wie bei einem Warenaufzug.

    Nun zurück zu C. A. Heideloff:

    Ein weiteres Werk schuf er am Hauptmarkt 26 (zweites Haus nördlich des eigentlichen Platzes), dem sogenannten Wisschen Haus. Hiervon existiert ein Fassadenentwurf, der offenbar nur in leicht vereinfachter Form realisiert wurde: https://www.nuernberg.museum/projects/show/…ik-mittelalters.


    Hauptmarkt-26-Wissches-Haus.jpg

    Hauptmarkt 26. Carte de visite um 1860/1870, unbekannte Sammlung.

    Ob Heideloff auch der Urheber des später beseitigten Treppengiebels der Wirtschaft Leistlein war, die wir ab diesem Beitrag diskutierten?

  • Die Neugotik hat ihre Wurzeln bereits im 18. Jahrhundert in England. Aber dass sie in Nürnberg bereits schon um 1823 eingesetzt hatte, hätte ich auch nicht gedacht. Sie existierte in Nürnberg also parallel zum Klassizismus. Vielleicht wurde die Neugotik als willkommene Auflockerung inmitten der eher nüchternen Nürnberger Fassaden angesehen. Anders kann ich mir nicht erklären, weshalb Heideloff mit seinem Stil so Erfolg hatte.

  • Ob dieses Haus seine früheste Umgestaltung in Nürnberg war, kann ich ad hoc leider nicht sagen. Aber bereits wenig später, nämlich 1828, hat er - wie bereits von Riegel erwähnt - das Imhoff'sche Haus (Egidienplatz 25/27) umgestaltet, welches übrigens 1938 wieder rückgebaut wurde.

  • Damit es auch hier mal wieder weiter geht, eine der selten veröffentlichten Aufnahmen aus dem Viertel nördlich der kleinen Insel Schütt:

    Schmausengasse-23-Rosental-36-34-30-35-Spitzenberg-1-nach-1920.jpg (Quelle: ZI)

    Die zentralen Gebäude vorne sind Schmausengasse 23 und Rosental 36. Faszinierend finde ich das dahinter hoch aufragende Rosental 34, weil dort Balken (oder Steine?) aus der Wand ragen. So etwas habe ich ich Nürnberg bislang nicht gesehen. Gibt es hierfür einen bautechnischen Grund?

  • Faszinierend finde ich das dahinter hoch aufragende Rosental 34, weil dort Balken (oder Steine?) aus der Wand ragen. So etwas habe ich ich Nürnberg bislang nicht gesehen. Gibt es hierfür einen bautechnischen Grund?

    Ja, das sind ganz übliche, über die Fassadenflucht hinaus vorstehende Balkenköpfe (oder Balkenvorstoss oder Balkenvorholz genannt). Diese stammen meistens von Unterzügen und Dachpfetten, manchmal sogar auch vom Schwellenkranz. Ein Vorholz ist nötig, damit der tragende Pfosten darunter nicht gegen aussen ausweichen kann. Ohne Vorholz wäre ja der Zapfen des Pfostens sichtbar und hätte dadurch keinen seitlichen Halt mehr. Ein Vorholz sollte mindestens 8 cm tief sein. Auch Balkenlagen, in welche die Dachsparren eingezapft sind, benötigen ein Vorholz, da die Sparren einen horizontalen Druck gegen aussen ausüben. Dieser Druck besteht in Holzfaserrichtung, weshalb ein Abscheren unausweichlich wäre. Um dies zu verhindern, ist ein Vorholz von etwa 15 cm notwendig.

    Beim Verputzen von Fachwerkbauten wurden diese Vorstösse meistens abgesägt, um eine ebene Fassade zu erhalten. Deshalb sind Dir bei den Nürnberger Fachwerkbauten diese Vorstösse nie aufgefallen, weil sie nur noch selten anzutrefffen sind, beispielsweise bei Untere Krämersgasse 18 und Zirkelschmiedsgasse 30.

    Bei diesem Haus in Limburg an der Lahn (Bild 79) sieht man zahlreiche solcher Balkenköpfe bei einem verputzten Fachwerkhaus.


    Gibt es eigentlich einen Namen für den Stil der "Zinnen" auf der Hofmauer? In welche Zeit kann man ihn einordnen?

    Ich denke, dass diese Zinnen eine neugotische Zutat sind. Einen speziellen Namen haben sie nicht; man könnte sie etwa so umschreiben: Zinnen in Form von .....' (auf der Fotografie erkennt man die Form eben nicht).

    Oder dann eben wie üblich hier nachschauen.

  • Danke für die aufschlußreichen Erläuterungen und die Beispiele. Bei offenem Fachwerk habe ich die Vorstösse schon öfters bemerkt. Ich war aber nicht auf die Schlußfolgerung gekommen, daß die bei verputztem Fachwerk so rausstehen würden.