Ulm, die alte Reichsstadt an der jungen Donau (Galerie)

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    Es sind die scheinbar zu vernachlässigenden Kleinigkeiten, die häufig übersehen werden, welche sich aber in der Summe durch eine schleichende Veränderung zum Nachteil für die Stadtansicht auswirken. Hier beispielhaft das Entfernen der Fensterläden und eine Farbwahl, die das Erscheinungsbild des Hauses abwertet sowie für das Ensemble einen Dämpfer darstellt. Vergleiche hierzu diese vormalige Ansicht:

    https://upload.wikimedia.org/wikipedia/comm…m_Donauufer.jpg

  • Türkis, türkis - war vor ca. 10 Jahren eine Fassadenmodefarbe. Da konnte sich Ulm natürlich auch nicht zurückhalten.

    Aber daß die Fensterläden fehlen, sehe ich auch als Verlust an.

    Der Glaspyramidenbau stört mich mehr. Sieht aus wie ein permanentes Gerüst.

  • Die Summe an Nachlässigkeiten macht es, nicht der einmalige Ausrutscher! Das war eigentlich die Aussage meines Beitrags...

    Bei einer weiteren Analyse der Donaufront fällt selbstredend und unübersehbar die Pyramide als Bausünde ins Auge, aber auch in der Nachbarschaft des besagten Häuschen ohne Läden sind die bemühten, jedoch seelenlosen modernistischen Giebelhäuser zur Linken oder das auffällige Fehlen der Fensterversprossung rechts im Gebäude mit dem Staffelgiebel Aspekte, die in der Summe schleichend zur Verschlechterung des Gesamtbildes beitragen. Thommystyle hat diesen Punkt auch sehr gut beschrieben im APH anhand der Gestaltung des öffentlichen Raums. Es fehlt offenbar nicht nur am konkreten Blick für diese Details, sondern bedauerlicherweise auch am Bewusstsein für die Gesamtproblematik, die sich daraus ergibt. Erst wenn das Erscheinungsbild dermaßen verlottert ist, fragt sich der ein oder andere wie es soweit kommen konnte. Viel schlimmer aber noch sind die Konsequenzen. Zahlreiche Abbrüche durch radikale Stadtsanierungen sind auch das Ergebnis solcher modischen Vernachlässigungen und unsensibler Altbaumodernisierungen in der Summe wie ich sie beschreibe. Und nein, eine solche Katastrophe sehe ich aktuell natürlich nicht entlang der Ulmer Donaufront. Dennoch denke ich, ist es wichtig, zu einem frühen Zeitpunkt auf solche gefährlichen Veränderungen aufmerksam zu machen. Insbesondere da, wo das Gesamtbild auf die Ferne noch etwas hermacht und weitgehend intakt erscheint.

    Zur Veranschaulichung:

    https://www.bilder-upload.eu/upload/7ed635-1602338341.jpg

  • Sehr interessante Analyse Zeitlos! Ja diesen Trend zur Entfernung von Klappläden gibt es leider sehr häufig leider allzu oft schon früher in der West-BRD. Im Saarland und in der Pfalz zt ist es gravierend. Dort hatte man wegen der Bequemlichkeit und dem Säuberungswahn der in den 1960er-70er durch die Wäschewerbung damals losgelöst wurde gerade bei den Hausfrauen dieses Bedürfnis geweckt, es muss bloß "pflegeleicht" sein...

    Wenn man dann nach Lothringen oder ins Elsass geht, die das nicht mitgemacht hatten, sieht es dort ganz anders aus: die Häuser sind vom Stil her und der gemeinsamen Abstammung, der Kultur (fränkisch/alemannisch) mit unseren zu vergleichen , besitzten jedenfalls alle noch ihre Klappläden und sonstiges Zubehör und sind zt seit 10-20 Jahren sogar gepflegter als bei uns. Aber durch den Kulturwandel dort mit dem Aufkommen einer neuen Generation, die in der Schule nur französisch gelernt hat, wird sich das auch wieder zum Nachteil (Verfall: erstes Anzeichen das Fachwerkhaus gegenüber vom Dolder in Reichenweier wird seit über 5 jahren immer noch nicht nach einem Brand wiederaufgebaut, und das an so einer prominenten, touristischen Stelle...) ändern, da die romanische Lebenseinstellung eine andere ist (man muss nur ein paar Kilometer ins Landesinnere fahren und dann weiß man was ich meine...)

  • Wir erreichen die Kronengasse. An der Ecke zur Gasse "Beim Engländer":

    Daneben, Nr, 4, das Gasthaus zur Krone nach dem die Gasse benannt wurde. Sehr prominente Leute sind in dem Hotel aus dem 15-16. Jh.abgestiegen wie zb Kaiser Sigmund. Das eben gezeigte Fachwerkhaus mit dem rot/weißen verputzen Gefache gehört auch zu dem Komplex dazu:

    Ein seltenes Symbol im Fachwerk: Ein Kreis im Andreaskreuz:


    Gegenüber mehrere prächtige Bürgerhäuser:

    Sehr störend wirkt hier diese pyramidenförmige Stadtbib...

  • Wieder zurück. Ein von der Kubatur dazwischen angepasster Neubau, aber ansonsten von der Fassade eher weniger schön.

    Ecke Weinhof ein hübsches Fachwerkhaus, eventuell sogar aus den 1950er Jahren (Erker sehr gerade Streben weisen auf einen Neubau hin bzw sehr stark restauriert):

    Blick ins Fischerviertel:

    Nun kommen wir am Schwörhaus vorbei, ein Renaissanceprachtbau von 1612, nach dem Krieg rekonstruiert:

  • Ja, in der Gasse “Unter der Metzig” kann man immer noch erahnen, wie schön diese Stadt bis 1944 gewesen sein muss... Wahrscheinlich der wohl größte Verlust Südwestdeutschlands (und das, obwohl vieles stehengeblieben ist)!

    Ich meine auch, dass Ulm der schlimmste Verlust im heutigen Baden-Württemberg ist, noch vor Stuttgart, das ebenfalls eine beachtliche Altstadt besaß.

  • Angesichts dieser Bilder kann man das nicht so unbedingt nachvollziehen. Man müsste auch mehr zB über Heilbronn wissen, ebenfalls eine alte Reichsstadt, von der nun wirklich fast nichts übrig geblieben ist. Und auch um Stuttgart scheint es nicht gut bestellt zu sein. Wie schon dargelegt, hab ich Ulm - jenseits der NM-Diskussion als äußerst positiv empfunden, gerade die hier zuletzt gezeigten Passagen. Und das Beste kommt ja erst noch- die erhaltenen Vierteln im Norden. Davon können doch alle anderen so schwer heimgesuchten Städte nur Träumen. Was in Ulm verloren gegangen ist, scheint doch "nur" "mehr vom ohnehin Erhaltenen."

  • Vom alten Heilbronn habe ich kaum eine Vorstellung, die Stadt ist so radikal untergegangen, dass mich dort nichts hinzieht. Dass sie mit Ulm gleichrangig war, glaube ich eher nicht (mit Bestimmtheit will ich das allerdings nicht behaupten). Das Luftbild ist jedenfalls eindrucksvoll: https://eichgasse1.files.wordpress.com/2020/03/heilbr…n-1930klein.jpg

    Was in Ulm verloren gegangen ist, scheint doch "nur" "mehr vom ohnehin Erhaltenen."

    Ist das so? Steht in Ulm noch ein Ensemble wie dieses? https://i.pinimg.com/originals/39/a…095aee4568d.jpg

    Was ersetzt uns die Walfischgasse? https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/images/9/97/Ar…e_8_rs_ulm9.jpg

    Generell finde ich Dein Argument gefährlich: Warum soll man sich für den Erhalt von alten Bauten einsetzen, solange von denen noch viele erhalten sind? Könnte man nicht in Tübingen locker 200 Fachwerkhäuser abreißen? Danach wären ja immer noch 600 Stück übrig, die sich sowieso alle ziemlich ähnlich sehen.

  • Nein, versteh mich nicht falsch, das fällt alles unter Selbstanästhesierung… Natürlich ist der Verlust unersetzlich. Deine Links kann ich nicht öffnen aus irgendeinem Grund. Die Walfischgasse war architektonisch nix besonderes, sondern lebte von der gigantischen Szenerie. Hier wäre in der Tat leicht etwas von der Wirkung wiederherzustellen.

  • Die Walfischgasse war architektonisch nix besonderes, sondern lebte von der gigantischen Szenerie.

    Ja, und das ist auch ein Grund, warum ich die teilweise Zerstörung von Ulm als besonders bitter empfinde, selbst im Vergleich mit der mehr oder minder vollständigen Zerstörung von Heilbronn und Stuttgart: Dort fehlte die "gigantische Szenerie", die selbst so kleinstädtische Gäßchen wie die Walfischgasse über sich selbst hinaus erhoben hat.

  • scheint doch "nur" "mehr vom ohnehin Erhaltenen."

    Ich merke nun, dass mir dieses Argument nicht fremd ist. Den Untergang von Stuttgart empfinde ich vielleicht auch deswegen nicht so schwerzlich, weil ich mir sage: Das alte Stuttgart ist futsch, aber Esslingen gleich nebenan ist grad so gut.

    Ulm dagegen war doch einmalig (zumindest in Ba-Wü) mit seiner riesigen Fachwerkaltstadt und dem gigantischem Turm im Hintergrund vieler Gassen.