Nürnberg - Fachwerkbauten

  • Zitat von "baukunst-nbg"

    Für mich ist das wieder einmal eine Lehre, besser hin zu sehen. Wie oft bin ich dort schon vorbeigekommen, und wie oft habe ich mir gedacht: Mann, diesen Fachwerkgiebel hat man ja brutal entstellt. Aber die Kreuzverstrebung ist mir noch nie aufgefallen! Unglaublich! Aber ich weiß jetzt auch warum: weil da dieses blöde Verkehrsschild genau davor steht. Auch auf meinen Fotos ist das meist so. Aber ich hab jetzt auch zwei gefunden, auf denen die Verstrebung zu sehen ist, die zeige ich jetzt gleich. Zuvor noch die Bemerkung, daß ich hier die Besonderheit finde, daß die Brustriegel wie beim Nürnberger K nicht durchgehen, sondern hier quasi ein "Nürnberger X" vorliegt, bei dem die Riegel an den Fußstreben enden. Die Nordseite ist mir auch noch ein Rätsel, das muß ich mir nochmal genauer ansehen, bevor ich dazu etwas sage.



    muehlgasse2.jpg

    muehlgasse2-strebendetail.jpg


    Gute Feststellung, das war mir gar nicht aufgefallen! Ich hatte schon beim Schreiben der letzten beiden Beiträge über Ludwigstr. 74 und Mühlgasse 2 eine Weiterbearbeitung über die Verstrebungsformen im Kopf. Und zwar interessierten mich die Zwischen- und Unterformen von "X-Verstrebung" und "K-Verstrebung". Doch dazu in Bälde, denn das Zeichnen und die Aufführung der Beispiele dazu braucht Zeit.

  • Der Wandel von der X-Verstrebung zur K-Verstrebung


    Anhand der letzten Beispiele verlockt es mich, den unterschiedlichen X-Verstrebungen nachzugehen. Insbesondere kann bei dieser Verstrebungsart der Wechsel von der Blatt- zur Zapfenverbindung festgestellt werden. Das letzte Beispiel, Mühlgasse 2, war ausschlaggebend, einen Bezug zur K-Verstrebung herzustellen.

    In erster Linie beschäftige ich mich in diesem Beitrag mit der Verstrebung an und für sich, und noch nicht mit den Fensteröffnungen, auch wenn solche schon in den Beispielen eingezeichnet sind. Aber ich vermute, dass die Art der Fensteröffnungen auch eine Rolle bei der Verstrebung gespielt hat, weshalb ich sie in diesem Beitrag am Rande mit einbeziehe (es handelt sich bei diesem Thread ja um eine "Arbeitsablage", und noch nicht um ein "fertiges Buch" :wink: ). Meine Aussage dazu im Beitrag Erste Auslegeordnung über die Verstrebungsformen hat also immer noch Gültigkeit:

    Zitat

    Fensteröffnungen sind bewusst noch nicht eingezeichnet, da ich noch keine Kenntnisse über die Fensterformate der ältesten Fachwerke besitze, und weil die Fenster je nach Raumwertigkeit und Geschosshöhen variieren konnten. Bei den älteren Fachwerken kann man meist von einem durchgehenden, zwischen die Pfosten eingesetzten Sturzriegel ausgehen; bei niedrigen Raumhöhen bildet der Rähm selbst den Sturz. Durch Fensterpfosten, welche zwischen den Brust- und Sturzriegel eingespannt sind, ergeben sich dann die Einer- bis Reihenfenster. Später laufen die Fensterpfosten bis zum Rähm durch, und zwischen ihnen sind dann die kürzeren Sturzriegel eingelassen. Wann dieser Wechsel stattgefunden hat, ist schwierig nachzuvollziehen, da die meisten sichtbaren Fensteröffnungen im Verlauf der Zeit immer wieder verändert worden sind.


    Ich gebe daher jeweils zwei gleichwertige Beispiele, eines mit eher hohem Geschoss, und eines mit eher niedrigem Geschoss.


    Die klassische Verstrebung mit angeblatteten, überkreuzten Fuss- und Kopfbändern (X-Streben):

    x-streben.jpg . x-strebenniedrig.jpg

    Als erstes wird der Rahmen (Schwelle, Pfosten, Rähm) mit eingezapftem Brustriegel, und je nach Bedarf auch mit einem eingezapften Sturzriegel, aufgerichtet. An diesen werden dann fast geschosshohe Fussbänder angeblattet, und anschliessend kürzere Kopfbänder. Die Bänder haben einen normalen Balkenquerschnitt, und sind mit kreuzenden Balken überblattet.

    Ein klassisches Beispiel konnte ich bisher noch nie einwandfrei feststellen, da die meisten Beispiele nicht mehr existieren, oder die Holzverbindungen nicht vollständig sichtbar sind. Folgende Bauten fallen darunter:

    - Bindergasse 1, "Zum Gläsernen Himmel" (abgebrochen)
    - Hintere Beckschlagergasse 22 (zerstört)
    - Irrerstr. 9
    - Prechtelsgasse 12 (zerstört)
    - Unschlittplatz 14 (zerstört)
    - Waaggasse 11 (zerstört)
    - Wunderburggasse 19 (Giebelwand, zerstört)


    Nun gibt es Abwandlungen innerhalb der X-Verstrebungen. Da ich nur zwei Beispiele kenne, würde ich diese nicht als Untertyp klassifizieren, sondern lediglich als Abwandlung.

    Verstrebung mit teils angeblatteten, teils eingezapften, überkreuzten Fuss- und Kopfbändern (X-Streben):


    x-streben1.jpg . x-streben2.jpg

    links: Ludwigstr. 74 (2. OG)
    Das Fussband ist an die Schwelle angeblattet, hingegen in den Pfosten eingezapft! Das Kopfband ist wie üblich nur angeblattet.
    rechts: Mühlgasse 2

    x-strebemuehlg3497.jpg

    Das Fussband, oder besser die Fussstrebe, ist in die Schwelle und in den Pfosten eingezapft, während das Kopfband wie üblich nur angeblattet ist! Der Sturzriegel ist wiederum in den Pfosten und in das Kopfband eingezapft. Dies macht aber bautechnisch und vom Aufrichtevorgang her keinen Sinn, da das Kopfband jeweils erst ganz am Schluss angeschlagen wird. Das Fenster bei Mühlgasse 2 scheint aber verändert und begradigt worden zu sein. Beim allgemeinen Beispiel fällt also der Sturzriegel weg!

    Bemerkenswert ist beim letzten Beispiel Mühlgasse folgendes: die Fussstrebe und das Kopfband sind genau gleich lang, wodurch der Kreuzungspunkt genau auf die halbe Geschosshöhe zu liegen kommt. Der Brustriegel kann, im Gegensatz zum Sturzriegel, in die Streben eingezapft sein, da letztere gleichzeitig mit dem Rahmen eingebaut werden müssen, und nicht erst am Schluss eingefügt werden können.
    Die optische Verwandtschaft zur klassischen K-Verstrebung wird deutlich!


    Die klassische Verstrebung mit eingezapften hohen Fuss- und kurzen Kopfstreben (K-Streben):


    k-streben.jpg . k-strebenniedrig.jpg

    Der Rahmen muss mit allen Streben, Riegeln etc. in einem Arbeitsgang aufgerichtet werden, da ein nachträgliches Einfügen weiterer Baken nicht mehr möglich ist. Alle Verbindungen sind verzapft. Der Vorteil von der Zapfenverbindung gegenüber der Blattverbindung wird oft in der einfacheren Herstellung gesehen, und auch im geringeren Holzverbrauch begründet. Tatsächlich können für die Streben jetzt kürzere Hölzer verwendet werden.
    (Bei beiden Beispielen ist rechts eine Fortsetzung mit kurzen Fussstreben eingezeichnet. Vorwiegend bei breiten Stubenfenstern wurde diese später zu beschreibende Technik gleichzeitig mit den K-Streben angewendet.)

    - Albrecht-Dürer-Str. 24 (Rückseite)
    - Dötschmannsplatz 13 (zerstört)
    - Obere Schmiedgasse 64/66 "Pilatushaus" (Giebelgeschosse)
    - Paniersplatz 20, "Grolandhaus" (4. OG, zerstört)
    - "Hexenhäusla" am Vestnertor


    Eine vereinfachte Form nur mit Fussstreben, aber ohne Kopfstreben, kann auch gleichzeitig mit der K-Verstrebung beobachtet werden. Es können verschiedene Gründe dafür sein, wie billigere Ausführung, Anlage für ein breiteres Fenster, oder auch nachträglich entfernte Kopfstreben:

    k-streben1.jpg

    - Augustinerstr. 7 (3. OG)
    - Weißgerbergasse 10 (1. OG)


    Nun gibt es spätestens im 18. Jahrhundert einen Wandel. Beim Fränkischen und Niedersächsischen Fachwerkbau waren seit mindestens dem 16. Jahrhundert die geschosshohen Fensterpfosten bestimmend. Im Alemannischen Fachwerkbau hielten sich die von Pfosten zu Pfosten durchgehenden Brustriegel viel länger. Bei der K-Verstrebung wurde dese Eigentümlichkeit beibehalten, indem die Brustriegel von Fussstrebe zu Fussstrebe immer noch durch liefen.

    Bei den nächsten Beispielen werden nun ebenfalls geschosshohe Fensterpfosten eingesetzt:

    k-streben2.jpg . k-streben3.jpg

    Die Wand- und Brustriegel müssen nicht mehr zwingend auf gleicher Höhe verlaufen.
    links: Augustinerstr. 5
    Bemerkenswert ist nun, dass zwischen den Bundpfosten und den Fussstreben ein kurzes Stück Riegel eingesetzt ist! Der Grund dafür ist mir noch unklar; unklar ist mir auch, ob es sich um ein einzelnes Bälkchen handelt, oder ob es mit dem bis an den Fensterpfosten laufenden Riegel aus einem Stück besteht, und mit der Fussstrebe überblattet ist. Jedenfalls handelt es sich beim Bespiel noch um Sichtfachwerk, was an den Andreaskreuzen ersichtlich ist.
    rechts: Obere Wörthstr. 18 (Rückseite)
    Im Gegensatz zu Augustinerstr. 5 fehlt hier wiederum der kurze Riegel zwischen Bundpfosten und Fussstrebe. Auch ist keinerlei Schmuck wie Andreaskreuze o.ä. mehr vorhanden. Bei diesen Rückfassaden vermute ich, dass sie im 19. Jahrhundert komplett neu erstellt, und von Anfang an verputzt worden sind.
    Ich vermute generell, dass die für das 19. Jahrhundert typischen, geschosshohen Wandstreben die K-Verstrebung nicht ganz zu verdrängen vermochten.


    Nun noch zu einem letzten hypothetischen Beispiel:


    Edit. 28.4.2011:
    Der folgende durchgestrichene Abschnitt mit dem "hypothetischen Beispiel" hat keine Gültigkeit mehr, da solche Beispiele effektiv auch in Nürnberg vorkommen. Siehe dazu den viertnächsten Beitrag:

    Noch ein Hinweis zu den Verstrebungen; bei den zahlreichen Bauernhäusern im Nürnberger Stadtgebiet haben sich übrigens K-Verstrebungen mit durchgehenden Brustriegeln gehalten. Ich sehe zu, daß ich einige Beispiele finden kann.

    Ebenso kommen durchgehende Riegelketten auch an der Giebelwand von Mostgasse 2 und bei den Innenwänden des Fembohauses (Burgstr. 15) vor. Das durchgestrichene Beispiel mit durchgehenden Riegelketten bei der K-Verstrebung kommt also tatsächlich vor, ist aber auf dem Gebiet der Altstadt die Ausnahme.


    k-streben0.jpg

    Eigentlich wäre dies die logische Zwischenform zwischen der klassischen K-Verstrebung und dem vorletzten Beispiel. Die Bezeichnung wäre folgende: "K-Verstrebung mit durchgehender Riegelkette". Beispiele hierzu fand ich bisher keine, und es ist auch fraglich, ob eine Entwicklung mit bis an die Pfosten reichenden Riegel beim klassischen Typ je stattgefunden hatte. Beim vorletzten Beispiel machte dies noch eher einen Sinn, um die Bund- und Fensterpfosten miteinander zu verbinden.

  • Es gibt nun drei Themen, welche mich als nächstes interessieren; einerseits wäre zuerst die Liste der allgemeinen Verstrebungsarten mit Beispielen zu vervollständigen, und andererseits wäre die Entwicklung weiterer Konstruktionsdetails der bisher untersuchten Beispiele untersuchenswert. Ich denke da vor allem an die parallel zur Verstrebung verlaufende Entwicklung der Wandabschnitte mit breiten Reihenfenstern, insbesondere bei den Stuben, und die Entwicklung der Dachstühle.

    Um ein bisschen den roten Faden im Thread wieder zu finden, fahre ich zunächst in der Liste der Verstrebungsarten fort, und füge einige Beispiele hinzu, allerdings ohne grossen Kommentar. Bisher wurden Bauten mit den folgenden Verstrebungsmerkmalen untersucht:
    - Verstrebung mit angeblatteten kurzen Fuss- und Kopfbändern
    - Verstrebung mit angeblatteten hohen Fussbändern und kurzen Kopfbändern
    - Verstrebung mit angeblatteten verdoppelten Fussbändern und kurzen Kopfbändern
    - Verstrebung mit angeblatteten, überkreuzten Fuss- und Kopfbändern (X-Streben)
    - Verstrebung mit eingezapften hohen Fuss- und kurzen Kopfstreben (K-Streben)

    Nun tritt eine radikale Neuerung ein; von einem radikalen Wechsel würde ich aber nicht sprechen, da sich die K-Verstrebung wohl bis ins 19. Jahrhundert hinein gehalten, und auch eine Weiterentwicklung zur wandhohen Verstrebung erfahren hatte.

    Die Neuerung kam vor allem Bauten zu Gute, welche eine durchgehende Befensterung in der Breite erforderten. Dies rief nach einer Wandverstrebung, welche also nur noch im Fensterbrüstungsbereich erfolgen konnte. Fassaden dieses Typs sind sehr selten, dafür findet man sie eher in Hofgalerien. Datierte Beispiele zu diesem Fachwerktyp kenne ich noch zu wenig, aber im Vergleich mit ähnlichen Bauten in anderen Städten vermute ich, dass solches Fachwerk im Verlauf des 16. Jahrhunderts aufkam.


    Verstrebung mit aneinandergereihten Schmuckgliedern in der ganzen Brüstung:

    renaissance.jpg


    - Untere Schmiedgasse Nr. 12 (zerstört)

    MI02569f14b.jpg 59
    (Quelle: bildindex.de)

    duererplatz-priv.jpg . duererplatz-priv.auss.jpg
    Untere Schmiedgasse bei der Einmündung in den Dürerplatz; rechts Ausschnitt. (Quelle: Sammlung Riegel)


    - Albrecht-Dürer-Str. 32 (Fensteranordnung verändert!)

    albrechtduererstr_3453x40_17.09.09.jpg

    albrechtduererstr32_3452x40_17.09.09.jpg

    Die Denkmälerliste gibt als Bauzeit des Hauses die 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts an. Die Fassade dürfte aber jünger sein.


    - div. Dacherker des Typs mit zwei nebeneinander liegenden Andreaskreuzen

    unterekraemersgasse16_18_3216xx_15.09.09.jpg
    Untere Krämersgasse 18.

    Die Denkmälerliste gibt als Erstellungszeit des Dacherkers die 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts an.


    - div. Hofgalerien

    MI02570c13b.jpg 69
    Winklerstr. Nr. ?, zerstört; (Quelle: bildindex.de)

  • Zitat von "baukunst-nbg"

    Ein besonders schönes Beispiel hierfür ist die bereits besprochene Obere Wörthstr. 21. Hätte ich Zeit, würde ich ein Foto hochladen, aber Zeno kann vielleicht so freundlich sein.


    Nein, die Obere Wörthstr. 21 eben gerade noch nicht! Dieses Haus gehört bereits zum späteren Typ, bei welchem sich statt der Reihenfenster die Einzelfenster in regelmässiger Anordnung durchsetzen. Schau den Unterschied (Auszug aus dem Beitrag "Erste Auslegeordnung über die Strebenformen") :

    Zur Oberen Wörthstr. 21 habe ich im Strang "Nachkriegsprovisorien" mal einen kurzen Beitrag geschrieben:

    Zitat

    Ein Beispiel (teilweise) ist das Haus links von Hutergasse 1 (Anm.: = Obere Wörthstr. 21):

    (Bild nicht mehr online)

    Beim 1. und 2. OG handelt es sich sicherlich um ursprüngliches Sichtfachwerk, beim 3. OG um eine Aufstockung in konstruktivem Fachwerk, welches von Anfang an mit einem Verputz rechnete. Das nachträgliche Aufstocken erkennt man auch an der weniger starken Durchbiegung der Böden, welche in den unteren beiden Stockwerken viel stärker ausgeprägt ist. Die Fensteröffnungen sind allerdings auch bei den beiden unteren Geschossen begradigt worden (die ursprüngliche Fensteranordnung hätte die Durchbiegung ja auch mitgemacht). Das Erdgeschoss hingegen ist in sich wieder "gerade". Somit kann man allein aus der Fassadenbetrachtung die mutmassliche Baugeschichte dieses Hauses ablesen:

    - dreigeschossiger Kernbau, Ergeschoss massiv oder Fachwerk, Obergeschosse in Sichtfachwerk, Alter unbestimmt
    - Veränderung und Egalisierung der Fensteranordnung, Schmuckhölzer in den Brüstungen, Neubau der Erdgeschossfront aus Stein, 18. Jh.?
    - Aufstockung des 3. OG in konstruktivem Fachwerk, Verputzen aller Obergeschosse, 19. Jh. (in diesem Zustand s. mi02568d13a.jpg, Haus rechts des Rundbogenpportals).


    Das Bild ist nicht mehr online, deshalb ein aktuelles Bild:

    oberewoerthstr21_3389x40_16.09.09.jpg

    Auszug aus der Denkmalliste: Bürgerhaus, viergeschossiger Satteldachbau, Erdgeschoss Sandstein, Obergeschosse mit dekorativem und konstruktivem Fachwerk, Hofseite mit Laubengang und Balustergalerie, im Kern dendro.dat. 1431/1434, Umbau dendro.dat. 1560.

    Anmerkung zum Mauerwerk des Erdgeschosses: diese Mauerpartie ist ein wahres Tummelfeld für Archäologen, denn man erkennt zahlreiche Zäsuren in ihm! Es wäre wertvoll, auch mal einen Strang über die Sandsteinfassaden zu eröffnen. Hier könnten Fassaden mit baugeschichtlichen Zäsuren betrachtet, systematisch die Profilierungen der Fenstergewände gesammelt (Datierungshilfe!), und auch eine Sammlung über die Entwicklung der Ziergiebel angelegt werden... Gibt's keinen "Steinwurm" in Nürnberg?

  • - Untere Schmiedgasse Nr. ? (zerstörtes Haus aus Bildindex) = Untere Schmiedgasse 12, Dacherker 1577 datiert.

    Das Rückgebäude von Weißgerbergasse 23, es soll aus der Mitte des 16. Jh. stammen, das Fachwerk 1977 freigelegt, passt das noch dazu?

    img_7138s6o8.jpg

    @ Riegel: Vielen Dank auch von mir für die umfangreichen Ausführungen.
    Noch ein wie ich finde interessantes erhaltenes Fachwerkgebäude, darf ich fragen, wurde das hier bereits besprochen?

    img_7109_untere_woerth3oye.jpg
    Untere Wörthstr. 7 und 9 (rechts)

  • Vielen Dank für die Auflistung! In Nürnberg selbst kenne ich erst ein Beispiel von K-Verstrebungen mit durchgehenden Brustriegeln, und zwar die Innenwände im Fembohaus. Man müsste in diesem Fall aber von Wandriegeln sprechen.


    @ Markus

    - zu Weißgerbergasse 23, Rückgebäude:

    Das wäre jetzt auch ein typisches Beispiel mit aneinander gereihten Schmuckgliedern in der ganzen Brüstung, auch wenn es sich um Einzelfenster handelt, die aber kaum mehr den ursprünglichen Fenstern entsprechen. Zudem ist hier interessant, dass auf die gesamte Flügelbreite ein Fenstererker angebracht ist.

    Die Datierung in die 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts dürfte stimmen, auch wenn ich bisher noch kein datiertes Beispiel dieses Fachwerktyps kenne. Wenn Du aber zum Haus Untere Schmiedgasse Nr. 12 schreibst, dass der Dacherker 1577 datiert gewesen sein soll, dann passt dies auch zu dieser Vermutung. (Woher hast Du übrigens diese Angabe? Auf dem jetzigen Nachfolgebau sitzt auch wieder so ein Dacherker, aber ich denke, dass dieser neu ist.)

    Das Fachwerk mit Schmuckgliedern nur unter den Fenstern (Bsp. Obere Wörthstr. 21) dürfte dann so um 1700 mit dem Frühbarock aufgekommen sein.


    - zu Untere Wörthstr. 9:

    Dieses Haus ist mir auch aufgefallen. Überhaupt ist dies ein sehr sehenswertes und interessantes Quartier! Ich vermute zwar, dass die Fassade komplett neu errichtet, sprich rekonstruiert, worden ist (vor ca. 20/30 Jahren?). Dafür sprechen die fehlenden Durchbiegungen der Böden, die fehlenden Beilhiebe auf den Balkenoberflächen (Putzträger) und das absolut gerade Satteldach. Das Holz für die Balken wird wohl von Abbrüchen stammen. Da die Streben und Bänder (fast) alle vorhanden sind, vermute ich, dass auch diese rekonstruiert sind. Der Anordnung der Balken nach dürfte die Fassade im 15. Jahrhundert so geschaffen worden sein, wobei die aktuellen, quadratischen Einzelfenster nicht in diese Zeit passen, sondern eher ins 18./19. Jahrhundert. Im Giebelfeld ist das Fachwerk zu spärlich ausgefallen.

    Insgesamt wage ich keine baugeschichtlichen Rückschlüsse, da meiner Meinung nach an dieser Fassade überhaupt nichts mehr Historisches vorhanden ist. Ich hoffe nur, dass bei der letzten Renovation eine Dokumentation erstellt worden ist.

    Die Beschreibung in der Denkmalliste kann ich nicht ganz nachvollziehen ("Handwerkerhaus, dreigeschossiger giebelständiger Satteldachbau, im Kern 15. Jh., Umbau bez. 1621, Fachwerk der Obergeschosse 18./19. Jh."). Den Kern habe ich ja auch ins 15. jahrhundert datiert, aber die Bezeichnung "1621" konnte ich nirgends aussen am Haus finden. Dass das Fachwerk der Obergeschosse aus dem 18./19. Jahrhundert sein soll, ist unlogisch (wie alt ist das Baudenkmalinventar eigentlich? Kann es sein, dass die Beschreibung den Zustand vor der letzten Renovation wiedergibt?). Das Fachwerk würde ich so beschreiben:
    "Fachwerk mit Fuss-, Kopf- und Steigbändern, durchgehenden Brust- und Sturzriegeln, alles im Stil des 15. Jahrhunderts; Fensterteilung 18./19. Jahrhundert; insgesamt rekonstruiert/überrenoviert".

  • Die Datierung des Dacherkers von Unterer Schmiedgasse 12 hatte ich aus dem Buch Das Bürgerhaus in Nürnberg (W. Schwemmer), S.61 und Abb. T48b, auf S. 60 wird im Zusammenhang mit Oberer Wörthstr. 21 auch auf das 1970 abgebrochene Gebäude Lammsgasse 10 (Innenhof) hingewiesen.

    Das bezüglich Unterer Wörthstr. 9 ist ja interessant, mal sehen ob sich dazu noch nähere Informationen finden.

  • Im Zusammenhang mit Untere Wörthstr. 9 möchte ich nochmals auf ein Problem in der Forschung zurückkommen. Es gibt einige Häuser, welche bereits restauriert und deshalb für eine Untersuchung besonders interessant sind, da das Fachwerk freiliegt. Für den Laien ist es allerdings sehr schwierig, festzustellen, welches restauratorische Ergänzungen sind, und ob sie wirklich dem ursprünglichen Vorbild entsprechen. Ein Blick auf die Restaurierungsgeschichte ist als erstes also unerlässlich!

    Bei Untere Wörthstr. 9 hat man den Eindruck, vor einem Haus des 15. Jahrhunderts zu stehen. Als erstes muss nun abgeklärt werden, ob überhaupt noch historische Substanz sichtbar ist, oder ob sie von jüngeren Restaurationen stammt. Der Balkenoberflächen (keine Verwitterungsspuren, keine Aufrauhspuren) und nicht vorhandener Durchbiegungen der Böden wegen hatte ich bei dieser Fassade grosse Zweifel bezüglich der historischen Authentizität, sodass ich zum Schluss kam, dass die Fassade wahrscheinlich komplett rekonstruiert ist.

    Es folgen nun drei weitere Bauten, welche ich bezüglich ihrer jüngsten Restaurationsgeschichte untersuchen möchte, und zwar das ehemalige "Hans-Sachs-Haus" (Hans-Sachs-Gasse 17) sowie die in den 1970er Jahren restaurierten Häuser Bergstr. 10 und 16.


    "Hans-Sachs-Haus" (Hans-Sachs-Gasse 17)

    Dieses Haus wurde kurz nach 1900 restauriert, und im Erdgeschoss eine museale Schusterwerkstätte eingerichtet. Um die geschichtliche Bedeutung dieses Hauses, resp. seines ehemaligen Besitzers Hans Sachs, zu unterstreichen, wurde damals das Fachwerk freigelegt, und ein offenbar aus historischen Abbildungen bekannter Erker rekonstruiert. Das ganze Haus wurde regelrecht "historisiert".


    ak-hans-sachs-gasse2.jpg
    Hans-Sachs-Gasse Richtung Westen um 1900.
    (Ansichtskarte, ohne Angaben)

    Diese Ansicht zeigt das Hans Sachs-Haus noch vor der Renovation. Es ist das zweite Haus von rechts, mit der dunkeln Schaufensterfront und den Blumen in den Fenstern des 2. Obergeschosses. Die drei Obergeschosse sind noch verputzt, und weisen je drei regelmässig angeordnete Fenster auf. Ein Dacherker ist nicht vorhanden.


    ak-sachshausvorderseite.jpg
    Strassenseitige Fassade unmittelbar nach der Restaurierung um 1900.
    (Ansichtskarte, S. Soldan'sche Verlagsbuchhandlung, Nürnberg)


    ak-sachshauserker.jpg
    Rekonstruierter Erker (Ansichtskarte, Verlag Trinks & Co., Leipzig)

    Nach der Restaurierung sind jeweils die mittleren Fenster verschlossen, und anstelle von jenem im 1. Obergeschoss ein Erker angebaut worden. Zudem sitzt nun über der Traufe ein Dacherker, welchem offenbar das Fachwerk jenes des Dürerhauses Pate gestanden hatte.

    Wie man an den Schwindrissen in den Balken ersehen kann, wurden nicht wie damals üblich einfach Brettchen über die alten Balken genagelt, sondern ein richtiges Fachwerk eingesetzt. Auffallend sind die langen Fussbänder, welche allerdings teils eingezapft, teils angeblattet sind. Auch die Kreuzungspunkte mit den Brustriegeln sind uneinheitlich ausgeführt. Die kurzen Fussstreben am 2. Obergeschoss sind eingezapft anstatt angeblattet, was bei einer Verstrebung mit doppelten Fussbändern so unbekannt ist.

    Vor allem der Erker lässt viele Zweifel offen über ein echtes historisches Vorbild. Alte Abbildungen (von denen ich allerdings bezweifle, ob sie zeitgenössisch sind) zeigen einen Fenstererker in der Art jener am Haus "zum gläsernen Himmel. Die Balkenanordnung am Erker und der Wandpartie rechts davon entspringt völliger Phantasie; vor allem ist es unlogisch, dass in die angeblattteten Fussbänder noch Gegenstreben eingezapft sind!

    Für die Fachwerkforschung sollte dieses Haus nicht herangezogen werden, da ich denke, dass die Fassade um 1900 vollständig neu erstellt worden war; es sei denn, dass die damaligen Arbeiten wenigstens dokumentiert wurden. Immerhin ist es aber das erste Fachwerk in Nürnberg, welches unter seinem Verputzt wieder hervorgeholt worden war.


    ak-sachshausrueckseite.jpg
    Hoffassade. (Ansichtskarte, Hermann Martin, Kunstverlag, Nürnberg)

    Die Rückseite erhielt keine so radikale Behandlung wie die Vorderseite. Anstelle einer Verstrebung mit doppelten Fussbändern wies sie K-Streben auf. Ob es sich um ein eingenständiges Hintergebäude handelte (Dach giebelständig!), kann ich aus dem Stadtplan nicht recht ersehen (edit. 16.7.2013: das Hintergebäude gehörte zu Hans-Sachs-Gasse 15!).


    Weitere Beiträge zum Hans-Sachs-Haus siehe ab diesem Beitrag.

  • Untere Wörthstr. 9


    Das Haus Untere Wörthstr. 9 hat doch bei einigen das Interesse geweckt, und keine Kritik ausgelöst - eine positive Ausstrahlung hat es also, und was will man noch mehr?

    Zitat von "Riegel"

    Dieses Haus ist mir auch aufgefallen. Überhaupt ist dies ein sehr sehenswertes und interessantes Quartier! Ich vermute zwar, dass die Fassade komplett neu errichtet, sprich rekonstruiert, worden ist (vor ca. 20/30 Jahren?). Dafür sprechen die fehlenden Durchbiegungen der Böden, die fehlenden Beilhiebe auf den Balkenoberflächen (Putzträger) und das absolut gerade Satteldach. Das Holz für die Balken wird wohl von Abbrüchen stammen. Da die Streben und Bänder (fast) alle vorhanden sind, vermute ich, dass auch diese rekonstruiert sind. Der Anordnung der Balken nach dürfte die Fassade im 15. Jahrhundert so geschaffen worden sein, wobei die aktuellen, quadratischen Einzelfenster nicht in diese Zeit passen, sondern eher ins 18./19. Jahrhundert. Im Giebelfeld ist das Fachwerk zu spärlich ausgefallen.

    Insgesamt wage ich keine baugeschichtlichen Rückschlüsse, da meiner Meinung nach an dieser Fassade überhaupt nichts mehr Historisches vorhanden ist. Ich hoffe nur, dass bei der letzten Renovation eine Dokumentation erstellt worden ist.

    Die Beschreibung in der Denkmalliste kann ich nicht ganz nachvollziehen ("Handwerkerhaus, dreigeschossiger giebelständiger Satteldachbau, im Kern 15. Jh., Umbau bez. 1621, Fachwerk der Obergeschosse 18./19. Jh."). Den Kern habe ich ja auch ins 15. Jahrhundert datiert, aber die Bezeichnung "1621" konnte ich nirgends aussen am Haus finden. Dass das Fachwerk der Obergeschosse aus dem 18./19. Jahrhundert sein soll, ist unlogisch (wie alt ist das Baudenkmalinventar eigentlich? Kann es sein, dass die Beschreibung den Zustand vor der letzten Renovation wieder gibt?). Das Fachwerk würde ich so beschreiben:
    "Fachwerk mit Fuss-, Kopf- und Steigbändern, durchgehenden Brust- und Sturzriegeln, alles im Stil des 15. Jahrhunderts; Fensterteilung 18./19. Jahrhundert; insgesamt rekonstruiert/überrenoviert".

    Zitat von Georg Friedrich

    Laut Bedal, Konrad: Fachwerk vor 1600 in Franken. Eine Bestandsaufnahme, Bad Windsheim 2006 wurden die beiden Obergeschosse der Unteren Wörthstraße 9 im 18./19. Jahrhundert vereinfachend verändert, in der Tat aber erst "um 1975" freigelegt. Eine Inschrift "1621" wird nicht erwähnt. Allerdings befinden sich auch im Inneren des Hauses Fachwerkwände. Möglicherweise ist die Inschrift dort angebracht.


    Man muss sich mal in die Lage hineinversetzen, als man in den 1970er Jahren vor der Frage stand, hier neu- oder umzubauen. Die Gasse ist sehr sauber und ruhig, eigentlich gut zum Wohnen. Aber sie ist auch sehr eng und verläuft nicht geradlinig, schwierig also für die Feuerwehrzufahrt. Die einzige Fassade schaut nur gegen Norden, also sehr schlechte Besonnung. Mit diesen Prämissen kann ich mir vorstellen, dass man damals mit der Forderung nach Erhaltung der originalen Bausubstanz eher zurückhaltend war.

    Nun werfe ich aber doch noch ein Blick auf einzelne sichtbare "Befunde", um festzustellen, ob historische Substanz vorhanden ist oder nicht, und was es mit diesen Blattsassen auf sich hat.

    unterewoerthstr9_3476entz25.jpg zoom.gif

    Diese Ansicht entstand durch die Entzerrung einer Ansicht vom September 2009 (deshalb ist rechts oben das auskragende Geschoss des Nachbarhauses extrem dargestellt).

    Das Erdgeschoss sieht sehr nach neu aus, mit Ausnahme des Sockels beim Kellerfenster (s. Bild weiter oben auf dieser Seite).

    Die Wand des 1. Obergeschosses besitzt nebst einem Steigband noch alle Fuss- und Kopfbänder, und keine Spuren nachträglicher Veränderungen. Nur im Steigband prangt eine Einkerbung (beim Kreuzungspunkt mit dem Bundpfosten), welche im baulichen Zusammenhang keinen Sinn ergibt, und eher auf einen wiederverwendeten Balken weist. Die Balkenoberflächen zeigen, dass es sich um alte Balken handelt.

    Auffallend ist die Verteilung der Balkenlagen darüber und darunter, von welchen man nur die Köpfe sieht. Die äussersten Deckenbalken erwartete man eigentlich unter den Eckpfosten; hier sind sie aber ca. 30 cm nach innen versetzt. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Seitenwände dahinter gemauert sind, und die Deckenbalkenlagen wegen des Sichtbarbelassens erst weiter innen beginnen. Die Balken köpfe haben fast alle links unten und rechts oben einen Einschnitt. Dieses Bild ergibt sich bei einer Verkämmung der Balkenlage mit dem Rähm und der Schwelle, allerdings ist die Form einer einseitigen Verkämmung wie hier im historischen Fachwerkbau unbekannt.

    Die Wand des 2. Obergeschosses besitzt ebenfalls ein Steig-, Fuss- und Kopfbänder, aber auch mehrere Blattsassen. Die Blattsassen in beiden Ecken oben fluchten mit den Steigbändern des Giebeldreiecks, und lassen somit an eine einstige Verlängerung der letzten denken. Bisher kenne ich in Nürnberg aber keine Steigbänder oder Schwerter, welche über mehr als ein Geschoss hinweg verlaufen *). Die beiden Blattsassen in der Mitte verlaufen in der Verlängerung eines Fussbandes, welches bei einer Verlängerung zum Steigband würde. Dieses überschnitt sich aber mit dem andern Steigband im selben Kreuzungspunkt mit dem Bundpfosten, was ich ebenfalls noch nie gesehen habe. Alle drei Balken würden dort nur noch einen Drittel ihrer Stärke aufweisen. Der Einbau von aussen wäre auch unlogisch. Der Rähm, welcher gleichzeitig die Schwelle des Dachgeschosses bildet, zeigt ebenfalls einen undefinierbaren Einschnitt wie beim Steigband im 1. Obergeschoss.

    *) Edit. 23.10.2009: keine Regel ohne Ausnahme; siehe nächsten Beitrag

    Das Giebeldreieck zeigt mit den beiden Pfosten, welche durch Steigbänder verstrebt sind, einen stehenden Dachstuhl an. Nur sind keine Köpfe von Mittelpfetten vorhanden, welche die Kehlbalken und Sparren mittragen würden. Bei den kleinen Ausmassen kann allerdings auf einen stehenden Stuhl verzichtet werden, und ein reines Sparrendach aufgesetzt werden. Nur machten dann die beiden Pfosten und Steigbänder keinen Sinn, ausser dass sie das Grundgerüst für die Giebelwand bilden, und nicht im Zusammenhang mit einem Dachstuhl stehen. Einen solchen Befund kenne ich in Nürnberg auch noch nicht. Ein letztes Detail betrifft die "fehlenden Riegel" auf Brüstungshöhe je zwischen Pfosten und Sparren. Optisch ergibt das eine Fehlstelle, was man aber auch bei den Häusern Am Ölberg 41/ Ob. Schmiedgasse 54 und Bergstr. 10 feststellen kann.


    Die Balkenoberflächen, die Anordnung der Balken, diverse konstruktive Details und nicht vorhandene Durchbiegungen bestärken mich in der Annahme, dass das Haus ein weitgehender Neubau/Rekonstruktion von "um 1975" ist. Für die Fachwerkforschung würde ich dieses Haus nur mit grosser Vorsicht heranziehen, es sei denn, dass bei der letzten Restaurierung eine sorgfältige Dokumentation erfolgte.

  • Im letzten Beitrag unter "2. Obergeschoss" habe ich eine Behauptung aufgestellt, von der ich nun einige Ausnahmen gefunden habe.

    Zitat von "Riegel"

    Bisher kenne ich in Nürnberg aber keine Steigbänder oder Schwerter, welche über mehr als ein Geschoss hinweg verlaufen


    Bei Giebelwänden kann es über mehr als ein Geschoss hinweg verlaufende Steigbänder/Schwerter geben, aber nur bei den Dachgeschossen untereinander. Bisher ist mir noch kein Gebäude bekannt, bei welchem Bänder auch das oberste Vollgeschoss einbeziehen.


    weinstadel_3514x40_17.09.09.jpg
    Weinstadel, erbaut 1446/48: im 1. und 2. Dachgeschoss verlaufen parallel zu den Sparren geschossübergreifende Steigbänder.


    zirkelschmiedsgasse30_3130x40_15.09.09.jpg
    Scheune Zirkelschmiedsgasse 30, erbaut 1422.

    Beschreibung in der Denkmalliste: "Ehem. Getreidespeicher, dann Mälzerei, Sandsteinquaderbau mit Fachwerkgiebel, Steildach mit weit vorkragendem Schopf, dendro.dat. 1422, Umbau dendro.dat. 1557 und 1629. Irgendwo las ich mal, dass der Dachstuhl jünger als das Gebäude ist oder mindestens starke Veränderungen erfahren hat (Partien mit Aufzugsöffnungen und K-Streben!).


    MI07687d04b.jpg  tetzel_bildindex.ausschnitt.jpg
    Tetzelgasse Nr. ?: im Giebel verlaufen zwei Schwerter von der Schwelle des 1. Dachhgeschosses sich überkreuzend bis zu den Sparren durch! (Quelle: bildindex.de)


    martin-treu-str-heug.nw.jpg martin-treu-str-heug.nw.rek.jpg
    Prechtelsgasse 10: zwei kurze Bänder verbinden die ersten beiden Dachgeschosse; links: entzerrter Ausschnitt aus einem Bild von bildindex.de; rechts: mutmassliche Ansicht der Giebelfassade im Urzustand.

  • Zitat von RMA

    Muss man sich derartige geschossübergreifende Schwertungen, ja ganz offenbar eine Nachwirkung der Ständerbauweise, an jedem Gebinde, oder nur an den Giebelseiten vorstellen? Ich würde gerne mal eine isometrische Darstellung eines solchen Dachstuhls sehen! Ein solches Denkmal der Zimmermannskunst wie der Weinstadel erinnert mich mal wieder daran, dass ich mir die Stadt dringend mal ansehen muss...

    Die Verstrebung der Giebelwand hat im allgemeinen ihre Wiederholung auch im Hausinnern. Man muss zuerst aber klarstellen, was man unter "Gebinde" versteht. Im Prinzip ist jedes Sparrenpaar (samt Kehlbalken) ein Gebinde. Alle paar Sparren gibt es aber "Hauptbinder" oder "Hauptgebinde", und diese sind jeweils auch mit solchen Steigbändern/Schwertern wie in der Giebelwand verstrebt. Häufig sind Hauptbinder auch in der Ebene der Seitenwände von grossen Dachlukarnen angordnet.

    Leider kenne ich von Nürnberg keine veröffentlichten isometrischen Darstellungen von Fachwerkbauten oder Dachstühlen. Im Bildindex gibt es aber eine Seitenansicht des Weinstadels, wo man infolge Sprengeinwirkung das Innenleben des Dachstuhls sehen kann. Man kann zwar die Hauptbinderebenen nicht erkennen, aber ich schätze, dass über jedem zweiten Bundpfosten des 2. Obergeschosses Hauptbinder sitzen. Wie man sieht, hat der Weinstadel diese unheilvolle Zeit relativ glimpflich überstanden:

    mi02556d13b.jpg zoom.gif
    Quelle: bildindex.de

  • Oder machen wir doch die Probe auf's Exempel am Beispiel Weissgerbergasse 10:

    An der Giebelwand kann man als Verstrebung im 1. Dachgeschoss zwei Steigbänder erkennen. Wo befinden sich nun weitere gleichartige Steigbänder im Innern des Dachstuhls?

    An der Seitenfassade sieht man bei der Dachuntersicht die Balkenköpfe der Deckenbalkenlage. Nach zwei Balkenfeldern, gezählt von der Giebelfassade her, folgt ein erster Bundpfosten. Nach drei weiteren Balkenfeldern folgt der zweite Bundpfosten.


    Die Innenansicht ist in Richtung gassenseitige Giebelwand aufgenommen. Die Deckenbalkenlage ist hier durch den Bretterboden natürlich verdeckt, aber die sichtbaren Sparren und Kehlbalken entsprechen ihr in Anzahl und Lage. Nach zwei Balkenfeldern (oder Sparrenfeldern), wiederum gezählt von der Giebelfassade her, besteht ein Hauptgebinde mit zwei Steigbändern. Nach drei weiteren Balkenfeldern ebenso! Die Hauptgebinde im Innern des Dachstuhls entsprechen in ihrer Verstrebungsweise also dem Giebeldreieck, und sind jeweils über den Bundpfosten der Traufseite angeordnet.

  • Ich versuche es noch mit einer schnellen Handskizze auf Grund weiterer Photos darzustellen:

    Dargestellt ist das 2. Obergeschoss sowie die beiden Dachgeschosse von Südwesten her. Die vordere Ecke wird von der Bohlenstube eingenommen (horizontale Schraffur); deshalb sind dort auch kürzere Fussbänder angeordnet als sonst an den Fassaden. Die Deckenbalkenlagen des 1. und 2. Obergeschosses bestehen aus 10 Feldern. Die Deckenbalken nummeriere ich von vorne beginnend mit 1 bis 11. Die traufseitigen Bundpfosten stehen also auf dem Deckenbalken 3, 6 und 9.

    Für den Dachstuhl wurde zuerst ein zweifach stehender Stuhl aufgerichtet. Dieses Grundgerüst entspricht der Konstruktion eines Vollgeschosses, also mit quer zur Balkenlage aufgelegten Schwellen, Eck- und Bundpfosten sowie Rähme. Die Verteilung der Bundpfosten entspricht jener im 2. Obergeschoss, wodurch die Lasten optimal auf die unteren Querwände abgetragen werden können. Im Allgemeinen bestehen hinter den Bundpfosten der Fassaden Trennwände; ausser hinter dem 1. Bundpfosten auf dem Deckenbalken 3 bestand nie eine Wand, da hier die Bohlenstube liegt.

    In Längsrichtung ist der Dachstuhl mit Kopfbändern ausgesteift, und in Querrichtung mit Steigbändern wie in den Giebeldreiecken. Hauptbinder bestehen also über den Deckenbalken 1, 3, 6, 9 und 11.

  • Zitat von RMA

    Danke für diese Erläuterung und deine Mühe, das anhand der Zeichnung auch anschaulich darzustellen. Wenn die Fachwerkbauten mal abgearbeitet sind, würde ich mich freuen, wenn man auch mal einen eigenen Faden über historische Dachstühle machen könnte, die ja noch weit älter erhalten sind aufrecht stehende Holzbauten. Vor allem die hochmittelalterlichen Dachstühle lassen recht schnell den Irrglauben an ein angeblich "finsteres" und "primitives" Mittelalter schnell verblassen. Diese Bezeichnung würde ich eher für die heutige Zeit anwenden, wo man Dächer komplett aus Beton hochzieht...

    Die Feststellung, dass gerade bei Steinbauten noch ältere Dachstühle zu finden sind als bei Holzbauten, habe ich in der Schweiz auch schon gemacht. Das hängt natürlich damit zusammen, dass Fachwerkstädte eher von Stadtbränden betroffen waren als Städte mit vorwiegend Steinbauten.

    Man darf aber nicht in Dachstühle von Massiv- und Fachwerkbauten unterteilen, denn diese machten dieselbe Entwicklung durch. Massivbauten sind im Innern überwiegend auch Fachwerkbauten. Auch innerhalb des Fachwerkbaus sollte nicht die Vollgeschosse und die Dachstühle je für sich allein betrachtet werden; gerade beim Beispiel Weissgerbergasse 10 haben wir gesehen, dass das oberste Geschoss und das 1. Dachgeschoss eine identische Bauweise haben.

  • Bergstr. 10 und 16


    Die beiden Häuser sind Teile einer Gebäudezeile, die mehrheitlich aus Neubauten besteht. Eher zufällig haben in diesem Gebiet einzelne Häuser die Zerstörung überdauert, so auch die Bergstr. 10 und 16. Die Fassaden beider Gebäude sind stark verändert, aber trotzdem kann man von der Strassenansicht her einiges über ihre Entstehungsgeschichte in Erfahrung bringen.


    bergstr_3280x30_16.09.09.jpg bergstr10_3278x30_16.09.09.jpg
    Links: Bergstr. 16; rechts: Bergstr. 10.

    Bergstr. 16 entstand 1678 durch den Zusammenzug von zwei Einzelbauten aus dem 15. Jahrhundert. Der Strassenraum davor ist mit Stützmauern und Treppen terrassiert. Zwischen ihm und Haus Nr. 10 besteht heute nur ein Neubau Nr. 12 aus den 1960er Jahren. Bei Nr. 10 mündet die Obere Krämersgasse in die Bergstrasse, und von hier führt auch ein Verbindungsweg zur Oberen Schmiedgasse, an welche die Rückfronten und Höfe der Bergstrasse-Häuser grenzen. Die Seitenfassade zeigt Bauteile unterschiedlichen Alters und Materialisierung.


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    Bergstr. 10-16 (von rechts nach links) im Oktober 1946. (Quelle: bildindex.de)

    Anstelle der Nr. 12 standen noch bis in die 1960er Jahre zwei schmale Häuser; die Nr. 12 ausgebombt und unbewohnbar, und die Nr. 14 offenbar praktisch unversehrt wie die Nrn. 10 und 16. Beide Fassaden waren massiv gebaut. Vor allem sieht man hier noch die unterrassierte Strasse.


    mi02565c03b.jpg Vergrösserung
    Bergstr. 10 und 12 von Nordwesten im August 1946,
    im Hintergrund Schürstabhaus und Chor von St. Sebald.
    (Quelle: bildindex.de)

    Anhand des Vergleichs der provisorischen Ziegeleindeckung mit dem vorhergehenden Bild kann diese Ansicht eindeutig den hinteren (nördlichen) Teilen von Bergstr. 10 zugeordnet werden. Die linke Abbruchkante entspricht dem heutigen leichten Knick in der Seitenfassade. Von der Rückfront der Nr. 12 ist überhaupt nichts mehr vorhanden, sodass der Dachstuhl in der Luft schwebt. Offenbar haben hier nur Spreng-, und keine Brandbomben eingeschlagen, was wenigstens den Nachbarhäusern "zu Gute" kam.


    akbergst10-18x.jpg
    Ausschnitt einer Luftbildansichtskarte vor 1934. (Verlag Liebermann & Co., Nürnberg)

    Auf dieser Luftaufnahme erkennt man an der Dachform, dass die Nr. 16 einst aus zwei Häusern zusammengewachsen war (über "mit Hei..."). Der östliche Hausteil entsprach in Breite und Grösse den beiden schmalbrüstigen Häusern 12 und 14. Die Nr. 10 hatte rückwärtige Bauteile im Umfang der Heutigen, aber möglicherweise mit einem traufständigen Abschluss zur Oberen Schmiedgasse. Überhaupt scheinen die Nrn. 10 bis 16 alle ein traufständiges Hinterhaus zur Oberen Schmiedgasse besessen zu haben; heute sind hier nur noch Höfe und Anbauten.
    (Weiss jemand etwas über das rechts angeschnittene Haus? Es zeigte einen Giebel mit feinen Voluten zur Oberen Krämersgasse hin.)


    akbergst10-16x.jpg
    Ausschnitt aus einer Luftbildansichtskarte vor 1967. (Stoja-Verlag Paul Janke, Nürnberg)

    In den Sechziger Jahren war die Räumung der Grundstücke offenbar noch nicht überall abgeschlossen. Die Fassade von Nr. 10 trägt einen neuen Verputz, aber die hinteren Bauteile sind noch nicht wiedererrichtet. Die Nr. 12 ist bis auf das Erdgeschoss abgetragen, und auch die Nr. 14 ist bis oberhalb des 1. Obergeschosses abgetragen worden, obwohl dieses Haus, mindestens von der Vorderseite her gesehen, am wenigsten Kratzer abbekommen hatte! Die Nr. 16 zeigt sich immer noch provisorisch hergerichtet.


    akbergst10x.jpg
    Ausschnitt aus einer Luftbildansichtskarte, Datum unbekannt. Links die Bergstrasse, rechts die Obere Schmiedgasse. (Aero Expreß, Leipzig)

    Diese Luftaufnahme erfolgte von Osten, und zeigt in der Mitte die Dachflächen aller Bauteile von Nr. 10, und auch die Form der anschliessenden Höfe und rückwärtigen Bebauung zur Oberen Schmiedgasse hin.


    Soviel mal zur jüngsten Geschichte dieser Baugruppe.

  • Bergstrasse 10


    bergstr10_3278x30_16.09.09.jpg

    Zur Erforschung der Baugeschichte des Hauses erfolgt eine Beschreibung in Stichworten. Es soll anschliessend versucht werden, anhand gesicherter Befunde die originale Struktur des Hauses aufzuzeigen.


    Beschreibung des Baukörpers:

    - dreigeschossig, giebelständig, auffallend hohe Geschosse
    - gemauertes Erdgeschoss mit Zwischengeschoss, zwei Geschosse in Fachwerk
    - rückwärtiger Hausteil 1. Obergeschoss ebenfalls gemauert, dafür ein 3. Obergeschoss in Fachwerk, Obergeschosse in den 1960er/70er Jahren teils in Fachwerk, teils in Massivbauweise neu gebaut


    Beschreibung in der Bayerischen Denkmalliste:

    - 1407 Dendrochronologische Datierung des Fachwerks
    - 1834 Fassadenänderungen
    - 1910 Fassadenänderungen
    - 1974 Freilegung des Fachwerks


    bergstr10fassadenabwicklung12.jpg
    Links: Giebelfassade gegen Süden; rechts: Seitenfassade gegen Osten entlang dem Verbindungsweg von der Bergstrasse zur Oberen Schmiedgasse hinauf. Vergrösserung.


    Beschreibung der einzelnen Geschosse:


    Erdgeschoss

    - vorgeblendete Sandsteinverkleidung (von 1974?), dahinter wohl älteres Mauerwerk


    1. Obergeschoss

    Giebelfassade:
    - keine Verstrebung
    - Schwelle aufgedoppelt, darunter knapp sichtbar ältere Schwelle mit Blattsassen ehemaliger Fussbänder
    - ganze Wand schiefe Pfosten, gerade Fenster, beide Eckpfosten teilweise keilförmig aufgedoppelt und schräger als die drei Bundpfosten, im rechten Eckständer Blattsass eines ehemaligen Fussbandes
    - eigenartiger "Zwischenrähm" über die ganze Fassadenbreite unterhalb des Haupträhms, an Eckpfosten angeblattet
    - im Rähm Blattsassen ehemaliger doppelter Kopfbänder, welche auch in die Schwelle des 2. Obergeschosses hineingreifen

    Fazit:
    - ursprüngliche Verstrebung mit breiten Fussbändern und doppelten Kopfbändern, konstruktiv mit dem 2. Obergeschoss verbunden, ursprünglich nur ein Bundpfosten
    - nach starker Neigung gegen Osten Ersatz des Wandfeldes mit Ausnahme des Hauptrahmens: Schwellenaufdoppelung, drei Bundpfosten, tieferliegender Rähm, keine (!) Verstrebung, vier Einzelfenster. Die Anordnung eines zweiten Rähms ist eigenartig; ob diese Lösung im Zusammenhang mit dem Umbauvorgang oder einer herabgehängten Zwischendecke steht, ist unerklärlich
    - nach abermaliger Neigung seitliche Korrektur an den Fensteröffnungen
    - Blattsassen der Kopfbänder links 1974 eingesetzt (fehlende Holznägel)
    Der Hauptgrund an den Veränderungen an dieser Wandpartie dürfte die fortwährende Neigungsbewegung gegen Osten gewesen sein.
    (Ein ähnlicher Vorgang kann an der Unteren Krämersgasse 18 beobachtet werden, wo sich das Haus auf der Höhe des 1. Obergeschosses ebenfalls gegen Norden neigte und die Westfassade deshalb später erneuert werden musste; dort kamen allerdings Brüstungsstreben als Gegendruckglieder zur Anwendung. Am erhaltenen ursprünglichen rechten Eckpfosten kann man sich immer noch ein Bild dieser starken Neigung machen.)

    Seitenfassade:
    - Pfosten nehmen Rücksicht auf Balkenlage (nicht oft beobachtet in Nürnberg!)
    - Verstrebung durch Fuss- und Kopfbänder, teilweise wohl 1974 falsch ergänzt
    - linke Hälfte (Stube) konstruktives Fachwerk mit zwei zugemauerten Fenstern, im Rähm Blattsassen von zwei Kopfbändern
    - rechte Hälfte aus zwei Wandfeldern (Küche/Flur? ein oder zwei Räume?), Brust- und Sturzriegel mit Fuss- und Kopfbändern verblattet, mehrfach verändert

    Fazit:
    - ursprünglich vierfeldrige Wandpartie mit drei statt zwei Bundpfosten, einfache Fuss- und Kopfbänder
    - später Ersatz der linken Wandhälfte durch konstruktives Fachwerk auf neuer Schwelle
    - ursprüngliche Fenstereinteilung wohl zwischen durchgehenden Brust- und Sturzriegeln


    2. Obergeschoss

    Giebelfassade:
    - Rahmen mit einem Bundpfosten
    - Verstrebung durch Fuss- und Kopfbänder, Fussbänder an Eckpfosten doppelt, teils 1974 ergänzt
    - über Bundpfosten sehr hohe Pfette; Unterzug eines hausbreiten Saales?
    - über linkem Eckpfosten kein Rähm, da Brandmauer (?)
    - Fachwerk infolge vier Einzelfenster stark zerschnitten, Reste von durchgehenden Brust- und Sturzriegeln, rechts wohl originaler Fensterpfosten, Brüstungspfosten im rechten Wandfeld wohl nicht ursprünglich, da zu lang

    Fazit:
    - ursprüngliche, zweifeldrige Wandpartie, Fuss- und Kopfbänder, teils doppelt
    - ursprüngliche Fenstereinteilung wohl zwischen durchgehenden Brust- und Sturzriegeln
    - späterer Ausbruch von vier Einzelfenster

    Seitenfassade:
    - fünffeldrige Wandpartie, Fuss- und Kopfbänder, linkes Fussband doppelt
    - Pfostenverteilung mit Rücksicht auf Balkenlage
    - Pfosten im mittleren Wandfeld wohl nachträglich bei Treppenhaus(?)-einbau
    - rechtes Wandfeld Wiederaufbau in den 1960er/70er Jahren, Fuss- und Kopfband links eingezapft oder stumpf anstatt angeblattet, Verwendung von Altholz
    - meist durchgehende Brustriegel, Reste von durchgehenden Sturzriegel (?)
    - bis mindestens 1930er Jahre zwei zusätzliche Fenster in den beiden linken Wandfeldern, später vermauert (s. letzte Abb. im obigen Beitrag)
    - in linkem Wandfeld Fussband durch Brustriegel unterbrochen

    Fazit:
    - ursprüngliche, mindestens vierfeldrige Wandpartie, Fuss- und Kopfbänder, ursprünglicher Abschluss gegen Norden (rechts) unbekannt
    - ursprüngliche Fenstereinteilung wohl zwischen durchgehenden Brust- und Sturzriegeln
    - fortwährende Veränderung der Fenstereinteilung
    - bei Wiederaufbau in den 1960er/70er Jahren rechts historisierendes Wandfeld hinzugefügt


    Giebeldreieck/Dachstuhl

    - separate Schwelle zwischen Sparren
    - zweifach stehender Dachstuhl, Fuss- und Steigbänder, mit bis in den Rähm des 2. Obergeschosses reichenden Blättern
    - Bundpfosten ohne Mittelpfette, Fuss- und Kopfbänder
    - durchgehende Brustriegel, ohne Fortsetzung bis zu den Sparren (!)
    - Fenster wohl nachträglich verändert
    - Firststud über Kehlbalken, ohne Firstpfette
    - Brust- und Sturzriegel der oberen Fenster an Sparren angeblattet, in Firststud eingezapft

    Fazit:
    - bis auf die Fenster des 1. Dachgeschosses ursprüngliches Wandfeld, konstruktiv mit dem 2. Obergeschoss verbunden


    3. Obergeschoss des rückwärtigen Gebäudeteils

    - linkes Wandfeld mit geschosshohen, eingezapften Streben, Andreaskreuz in Brüstung
    - rechtes Wandfeld Wiederaufbau in den 1960er/70er Jahren, Verwendung von Altholz

    Fazit:
    - gemäss Ruinenphoto nachträgliche Aufstockung unter einseitiger Anhebung des ursprünglichen Daches, 18. Jh. (?)
    - bei Wiederaufbau in den 1960er/70er Jahren rechts historisierendes Wandfeld hinzugefügt

    mi02565c03a-ausschnitt.jpg
    Das Sockelgeschoss des Hinterhauses (Keller, im Vordergrund) ist mit einem Notdach abgedeckt. Die Trennwand im 1. Obergeschoss ist gemauert, was auf eine ehemalige Aussenwand hinweisen könnte. Das 2. Obergeschoss ist mit Bretter notdürftig verschlossen, die wohl eine Fachwerkwand ersetzen. Im 3. Obergeschoss erkennt man Reste des ursprünglichen Dachstuhls (Kopfband ursprünglich Steigband? kein Firststud?), und darüber die einseitige Anhebung des Daches für die Aufstockung. (Quelle: bildindex.de, Ausschnitt aus mi02565c03a aus dem letzten Beitrag)


    Ein erster Rekonstruktionsversuch:

    Die Grundstruktur des ursprünglichen Fachwerks kann ziemlich klar rekonstruiert werden. Ungewöhnlich sind die doppelten Kopfbänder am 1. Obergeschoss. Verlässliche Hinweise auf die Verteilung und Grösse der Fenster fehlen allerdings, wobei davon ausgegangen werden darf, dass die Brüstungs- und Sturzgefache ununterteilt waren. Das dendrochronologisch ermittelte Datum "1407" dürfte zutreffen. Damit ist das Haus nur unwesentlich jünger als die 1390 errichtete Weissgerbergasse 10.

    bergstr10fassade-entz-rek20.jpg bergstr10fassade-entz20.jpg
    Links: rekonstruierte Giebelfassade; rechts: aktueller Zustand.

  • Ein Vergleich von Bergstr. 10 (1407) mit der nur unwesentlich älteren Weissgerbergasse 10 (1390) ist nun angezeigt. Kleine Unterschiede bestehen vor allem in der Verstrebung; bei Weissgerbergasse 10 kommen nirgends doppelte Fuss- oder Kopfbänder vor, bei Bergstr. 10 hingegen schon. Die Balkenlagen sind bei Bergstr. 10 enger gelegt als bei Weissgerbergasse 10, aber bei beiden nehmen die Bundpfostenstellungen Rücksicht auf sie (was in Nürnberg eher selten der Fall ist).

    Gemäss dem Giebelfeld kann man auch bei Bergstr. 10 auf einen doppelt stehenden Dachstuhl schliessen. Seine Stuhlwände stehen allerdings nicht auf längs verlaufenden Schwellen, sondern direkt auf der Balkenlage. Andernfalls müssten im Giebeldreieck die Balkenköpfe der Stuhlschwellen wie bei Weissgerbergasse 10 sichtbar sein. In Querrichtung werden die Stuhlsäulen mit Steigbändern verstrebt.

    Wohl wird der originale Dachstuhl noch vorhanden sein, aber die meiste Substanz verdeckt, da das 1. Dachgeschoss ausgebaut ist. Hauptbinder dürften überall über den Bundständern des 2. Obergeschosses bestehen.


    bergstr10isometrie.jpg
    Isometrische Darstellung der Fachwerkgeschosse und des mutmasslichen Dachstuhls von Bergstr. 10 im ursprünglichen Zustand.


    Der hauptsächlichste Unterschied in der bildlichen Gegenüberstellung sind die fehlenden Schwellen des Dachstuhls von Bergstr. 10:

    weissgerbergasse10isometrie50.jpg . . bergstr10isometrie50.jpg
    Links: Weissgerbergasse 10; rechts: Bergstr. 10.


    bergstr10_3198_40_15.09.09.jpg
    Giebelfeld von Bergstr. 10; die äusseren Stuhlpfosten sitzen direkt auf der Fassadenschwelle, und nicht auf längs verlaufenden Schwellen des Dachstuhls. Die Balkenköpfe der Mittelpfetten des Dachstuhls sind fassadenbündig abgeschnitten. Beim Bundpfosten in der Mitte existieren überhaupt keine Balkenköpfe, und demnach auch kein mittlerer Unterzug unter der Kehlbalkenlage.

  • Bergstr. 16


    bergstr_3280x30_16.09.09.jpg

    Die Erforschung der Baugeschichte von Bergstrasse 16 ist nicht so spektakulär, solange nicht auch das Innere betrachtet werden kann. Die wissenswerten Daten erfährt man bereits aus der Bayerischen Denkmalliste. So möchte ich mich hier im Wesentlichen auf die Fassade beschränken.


    Beschreibung des Baukörpers:

    - viergeschossig, traufständig
    - gemauertes Erdgeschoss, drei Geschosse in Fachwerk, Knick in der rechten Fassadenhälfte
    - Rückfassaden gestaffelt, unterschiedliche Firsthöhen


    Beschreibung in der Bayerischen Denkmalliste:

    - 1436/38 rechter, östlicher Hausteil
    - um 1460 linker, westlicher Hausteil
    - 1678/79 Vereinigung zu einem Anwesen
    - 2. H. 19. Jh. Fassadenänderungen
    - 1975 Freilegung des Fachwerks


    Ich gehe davon aus, dass der rechte Gebäudeteil bei der Vereinigung 1678/79 umfassend umgebaut und dem linken Gebäudeteil angeglichen worden ist, da die Böden auf gleicher Höhe liegen. Es wäre ein grosser Zufall, wenn schon vorher die Böden auf gleicher Höhe gelegen hätten. Überhaupt nehmen die Eckpfosten des 2. und 3. Obergeschosses keine Rücksicht auf die Schwellen und Rähme, was ebenfalls auf Veränderungen und keinen einheitlichen Neubau hinweist.

    Die starke Durchbiegung der Böden ist bei beiden Hausteilen in allen drei Obergeschossen gleich. Somit fanden die Setzungen hauptsächlich nach 1679 statt. Die Fenster und das Fachwerk innerhalb der Rahmen liegen in etwa waagrecht, und sind das Resultat einer Fassadenreparatur auf Grund der wahrscheinlich starken Setzungsschäden. Dieses Fachwerk rechnet nicht mehr mit den Fuss- und Kopfbändern, deren Sassen man überall noch sehen kann. In der Denkmalliste werden Fassadenänderungen in der 2. Hälfte 19. Jh. vermerkt.

    Ich bezweifle allerdings, ob so spät noch liegende Fenster erstellt wurden, denn schon im frühen 18. Jahrhundert tendierte das Fensterformat vom Reihenfenster bereits zum Quadrat, und im 19. Jahrhundert zum stehenden Format. So datiere ich diesen Fassadenumbau eher ins 18. Jahrhundert, und es wäre möglich, dass es sich sogar noch um spätes Sichtfachwerk handeln könnte.

    Die Bundpfostenstellung ist in allen drei Geschossen identisch. Gemäss den Blattsassen wurde diese aber im 1. und 3. Obergeschoss verändert, und jener im 2. Obergeschoss angeglichen.

    Die Betrachtung der Balkenoberflächen lässt die bei der Freilegung 1975 reparierten und ergänzten Balken erkennen. Insbesondere wurden damals am 2. Obergeschoss alle Bänder rekonstruiert, teils vor den Brustriegeln durchlaufend, und teils hinter diesen oder unterbrochen. Am 3. Obergeschoss wurden sogar zwei Fussbänder an die Schwelle angeblattet, aber unlogischerweise in den Brustriegel eingezapft, obwohl in den Eckpfosten die Blattsassen noch vorhanden gewesen wären. Die originalen Bänder sind anlässlich des Fassadenumbaus im 18. Jahrhundert entfernt worden.

    Es ist also sehr wichtig, bei der Erforschung einer Baugeschichte auch die jüngsten restauratorischen Massnahmen zu erkennen und zu hinterfragen!


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    bergstr16fassade-entz-bauphasen30.jpg

    Linker Hausteil: dunkelrot = Kernbau um 1460, gelb = Fassadenumbau 18. Jh.(?), blau = Ergänzungen, Reparaturen 1975;

    rechter Hausteil: nicht analysiert; Kernbau 1436/38, Anpassung an linken Hausteil 1678/79, Fassadenumbau 18. Jh.(?).

  • Zitat

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    Ausschnitt einer Luftbildansichtskarte vor 1934. (Verlag Liebermann & Co., Nürnberg)

    (Weiss jemand etwas über das rechts angeschnittene Haus? Es zeigte einen Giebel mit feinen Voluten zur Oberen Krämersgasse hin.)

    Gemäß 'Das Bürgerhaus in Nürnberg' (Abb. T63b) ist das rechts angeschnittene Haus Bergstraße 8, "Sandstein, mit Renaissancegiebeln, um 1600; das 3. Obergeschoß kragt leicht vor (vormals Fachwerk)". Da das Buch ohne Inhaltsverzeichnis ist, ziemlich mühsam, ob zu diesem Haus oder auch zur Nr. 10 und 16 noch im Text irgendwo etwas stünde.

  • Zitat von MunichFrank

    Ich möchte dir für deine wie immer äußerst spannende Darstellung deiner Bauerforschungen danken. Leider fehlen mir als Laie die Kenntnisse, um deine Ausführungen konstruktiv und kritisch kommentieren zu können. Wahrscheinlich geht das hier vielen Anderen ebenso und deshalb ist die Resonanz auf deine Beiträge wohl eher bescheiden. Ich hoffe, dass du dich davon nicht abhalten und weiterhin Spaß an deinen Analysen hast und uns daran teilhaben läßt.

    Die Resonanz mag nur auf den ersten Blick bescheiden sein, aber wenn man die Anzahl Aufrufe durch die Anzahl Beiträge dividiert, ergibt sich mit ca. 75 Lesern pro Beitrag ein ganz ansehnliches Resultat (egal, ob es ein Einzeiler oder ein aufwändig recherchierter Beitrag ist), was mich zu weiteren Beiträgen anspornt. Ursprünglich hatte ich diesen Strang ja als "Arbeitsablage" tituliert, an welcher ich aber auch andere teilhaben lassen möchte. Fragen sind natürlich jederzeit willkommen, und nur durch ein Feedback erfährt man als Autor, ob die eigenen "Fachsimpeleien" auch für Laien verständlich formuliert sind. Mir geht es nämlich manchmal auch so, dass, wenn ich einen älteren Hausbeitrag hervorkrame, ich diesen nicht fliessend durchlesen kann, sondern immer wieder mit einer Fotografie oder Plan vergleichen muss.

    Zitat von Brandmauer

    Ja, mir geht das auch so. Riegel, vielen Dank für diese äußerst qualitätvollen Forschungen zu den Nürnberger Fachwerkbauten. Darin muß wirklich sehr viel Zeit und Mühe stecken. Hast Du ein besonderes Interesse an Nürnberg? Ich persönlich finde die Stadt auch sehr faszinierend.

    Ein besonderes Interesse an Nürnberg? Ich würde sagen, mehr oder weniger Zufällig. Ursprünglich bin ich wegen Forschungen zu Frankfurter Fachwerkbauten auf das APH-Forum gestossen (auch wenn im Thread dort jetzt eine momentane Sendepause besteht, aber im Hintergrund läuft es weiter... :zwinkern: ). Ein positiver Nebeneffekt an jenen Beiträgen war der, dass ich mit Photoshop und andern Programmen dadurch viel Übung bekam; auch reizte es mich, die Bilder und Skizzen graphisch und technisch zu optimieren, sodass sich die Ladezeiten minimieren.

    Nürnberg war im süddeutschen Raum und in der Schweiz schon seit je her ein Begriff, auch wenn man es heute in erster Linie mit dem Christkindmarkt in Verbindung bringt. Meine Grosseltern hatten das Vorkriegs-Nürnberg noch erlebt und oft davon geschwärmt. Kunst- und bauhistorisch interessiert mich Nürnberg besonders auch, weil es im selben Fachwerkgebiet (alemannischer Fachwerkbau) liegt wie St. Gallen, wo ich herkomme. Auch wenn ich über St. Gallen noch nicht allzuviel hier veröffentlicht habe, so erstaunen mich immer wieder Gemeinsamkeiten! Auch ist mir als Schweizer die Nürnberger Mentalität näher als jene vom Norden oder Osten... irgendwie gemächlicher...


    @ Markus

    Jetzt muss ich mir das "Bürgerhaus in Nürnberg" endlich auch mal ansehen! Dass ein fehlendes Inhaltsverzeichnis (oder Hausverzeichnis) mühsam ist, kenne ich vom Frankfurter Band der Reihe, und so habe ich mir eben ein eigenes Hausverzeichnis speziell für diesen Band angelegt. Manchmal steht dort auch zu unbedeutenden Bauten ein Satz, wenn diese in der Entwicklungsgeschichte ein wichtiges Glied füllen. Ich glaube aber kaum, dass man im Nürnberger Band zu Bergstr. 10 und 16 etwas findet, da die Bauten beim Erscheinen des Bandes noch verputzt waren und von aussen in ihrer Schlichtheit keinerlei kunst- oder baugeschichtlichen Details zeigten.

    Bei Bergstrasse 8 erstaunte mich, dass der Giebel gegen eine schmale Gasse und gegen Norden gerichtet war, obwohl das Haus auch gegen Westen eine Fassade hatte, und sogar einen grösseren Freiraum davor. Auch hatte ich noch nie eine Nahaufnahme davon gesehen.