Nürnberg - Fachwerkbauten

  • d) Die Konstruktion der Fensterstürze:

    Im 1. Beitrag zu Am Ölberg 1 versuchte ich eine Rekonstruktionszeichnung der Ostfassade anzufertigen, ohne aber sichere Befunde zur Ausbildung der Fensterformate zu kennen:

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    Mutmassliches ursprüngliches Aussehen.

    [...]
    Im 2. Obergeschoss war insbesondere die Höhenlage der Sturzriegel unbekannt. [...] Grundsätzlich ist es auch möglich, dass die Sturzriegel nicht von Pfosten zu Pfosten liefen, sondern zwischen zwei bis an den Rähm reichenden Fensterpföstchen lagen [Anm.: so wie bei den Einzelfenstern im Giebeldreieck].

    Die von Pfosten zu Pfosten durchlaufenden Brust- und Sturzriegel sind die klassische Form der Fensterausbildung beim alemannischen Fachwerkbau bis ins 16. Jahrhundert. Bei Am Ölberg 1 finden sich in den Ansichten keine Hinweise, wie die ursprünglichen Stürze tatsächlich ausgebildet waren. Da es sich bei Am Ölberg 1 um einen ersten weitgehenden Rekonstruktionsversuch innerhalb dieses Stranges handelte, nahm ich so die klassische Form an.

    Nun bin ich aber bei andern Bauten in Nürnberg sehr oft auf eine ursprüngliche Fensterkonstruktion mit zwischen die Fensterpfosten eingespannte Sturzriegel gestossen. Ein eigenes Kapitel zur "Fenstersturzfrage" würde den Rahmen innerhalb von Am Ölberg 1 sprengen, sollte aber bald einmal angegangen werden. Somit werden jetzt nur einige bisher behandelte Gebäude bezüglich der "Fensterfrage" nochmals betrachtet und hinterfragt.

    Weiter muss unterschieden werden in "Hauptstubenfenster", die oft als Fenstererker hervorgehoben, und zwei- bis dreigliedrig sind. Hier bildet ein durchgehender Sturzbalken die Regel, da die Fenster meisten nahe bis an die tragenden Pfosten reichen. Die restlichen Fenster sind zumeist Einzelfenster, und diesen gilt das Interesse hier.

    Bei niedrigen bis normalen Geschosshöhen bildet der Rähm zugleich auch die Fensterstürze, und bei normalen bis hohen Geschosshöhen sowie bei Fenstern im Estrichbereich werden separate Sturzbalken eingebaut. Bei weiteren Forschungen ist aber aufgefallen, dass die ältesten Fenster bei mit Fuss- und Kopfbändern versteiften Fachwerken mehrheitlich einen Sturzriegel zwischen den Fensterpfosten aufweisen, und nicht wie in der Rekonstruktion der Ostfassade gezeichnet von Pfosten bis Pfosten durchlaufende Sturzriegel! Bei jüngeren Bauten mit X- und K-Verstrebung treten jedoch mehrheitlich durchgehende Sturzriegel auf. Von der Fachwerkentwicklung her würde man es genau umgekehrt erwarten. Dazu einige Beispiele in chronologischer Reihenfolge:


    Bergstr. 10 (1407)

    bergstr10fassadenabwicklung12.jpg

    Die Fensteranordnung ist im 19. Jahrhundert vollständig verändert worden. Im 1. und 2. Obergeschoss der Seitenfassade um am 2. Obergeschoss der Giebelfassade sind Spuren von einst durchgehenden Sturzriegeln vorhanden. Die zwischen die Fensterpfosten eingelassenen Sturzriegel betreffen Fensteröffnungen des 19. Jahrhunderts. (> Beitrag)


    Albrecht-Dürer-Str. 39 "Albrecht-Dürer-Haus" (1418/19)

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    Freilich sind auch am Albrecht-Dürer-Haus Fensteröffnungen verändert worden, doch bei allen sind separate Sturzriegel vorhanden, und keine Reste einstiger durchgehender Sturzriegel erkennbar. Dies legt den Schluss nahe, dass schon die ursprünglichen Fenster mit einem separaten Sturzriegel abschlossen.


    Albrecht-Dürer-Str. 6 (1437)

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    Am 1. Obergeschoss existieren immer noch die ursprünglichen Sturzriegel der Hauptstubenfenster. Die Fenster des 2. Obergeschosses zeigen ein Format des 19. Jahrhunderts. Die Fenster des 3. Obergeschosses dürften sehr alt, aber in der Breite zugunsten regulärer Fensterachsen verschoben worden sein. Wie beim Albrecht-Dürer-Haus finden sich keine Anzeichen von einst durchgehenden Sturzriegeln, ebensowenig beim Fenster des Dachgeschosses und an der Trauffassade. (> Beitrag)


    Weinstadel (1446-48)

    weinstadel_3514x30_17.09.09.jpg

    Auch wenn beim Weinstadel die meisten Fenster nicht mehr ursprünglich sind, gleicht der Befund denjenigen an Albrecht-Dürer-Str. 6 und 39. Jedenfalls befinden sich nirgends Reste von einst durchgehenden Sturzriegeln, auch an beiden Traufseiten nicht.


    Untere Krämersgasse 18 (2. OG ca. 1450, 3. OG 1477)

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    Das 2. Obergeschoss ist relativ niedrig, sodass keine speziellen Fensterstürze erforderlich waren. Beim aufgestockten 3. Obergeschoss sind kleine Einzelfenster mit separaten Fensterstürzen vorhanden, die noch aus der Bauzeit stammen könnten. (> Beitrag)


    Prechtelsgasse 10 (15. Jh.)

    martin-treu-str-heug.nw.jpg martin-treu-str-heug.nw.rek.jpg

    Die zeichnerische Rekonstruktion des zerstörten Hauses mit durchgehenden Sturzriegeln erfolgte ohne Befunde, und dürfte im Vergleich zu den vorangehenden Beispielen eher falsch sein! (> Beitrag)


    Unschlittplatz 8 (1. H. 15. Jh.)

    unschlittplatz_3499_30_17.09.09.jpg

    Die Fensterformate sind bei der Fachwerkfreilegung in den 1970er Jahren wahrscheinlich verändert worden. Dieser Massnahme entstammen die rekonstruierten, durchgehenden Sturzriegel am 1. Obergeschoss. Für die Baugeschichtsforschung darf dieses Gebäude daher nicht herangezogen werden; es sei denn, dass eine baugeschichtliche Untersuchung samt Dokumentation vorgenommen worden war. (> Beitrag)


    Ludwigstr. 74 (2. H. 15. Jh.)

    ludwigstrasse74-OG2_rek2.jpg

    Das Beispiel ist eine Fotomontage mit dem rekonstruierten, mutmasslich ursprünglichen Zustand. Den Befund durchgehender Sturzriegel zeigt einzig ein kleines erhaltenes Stück rechts oben zwischen Kopfband und Eckpfosten. (> Beitrag 1. Teil, 2. Teil)

    Weitere Beispiele von Bauten mit X-Verstrebung und hohen Geschossen sind noch unerforscht oder unerkannt.


    Dötschmannsplatz 13 (16. Jh.)

    martintreustr.entz.jpg

    Bei Bauten mit K-Verstrebung ging man offenbar wieder zur altertümlicheren Fenstersturzlösung mit durchlaufenden Sturzbalken über, nur dass sie nicht mehr zwischen die Pfosten, sondern zwischen die Kopfstreben eingezapft wurden. Bei Dötschmannsplatz 13 war dies am 3. Obergeschoss und 1. Dachgeschoss gut sichtbar, wenn auch mit kleinen Änderungen. (> Beitrag)


    Fazit zu den Beispielen:
    Erstaunlicherweise zeigen gerade die ältesten Bauten aus dem 15. Jahrhundert mehrheitlich zwischen die Fensterpfosten eingespannte Sturzriegel, und die jüngeren Bauten aus dem 16. (und evtl. 17.) Jahrhundert durchgehende Fensterstürze. Entwicklungssgeschichtlich würde man es gerade umgekehrt erwarten, aber die geringe Anzahl der Beispiele lässt noch keinen definitiven Schluss zu, wie sich die Konstruktion der Fensteröffnungen in Nürnberg entwickelte.


    Fazit zum Rekonstruktionsversuch der Ostfassade:
    Die Fenster im 2. Obergeschoss dürften anders ausgesehen haben als im Rekonstruktionsversuch. Gemäss vielen Beispielen von Fachwerkbauten derselben Epoche und mit angeblatteten Bändern waren offenbar keine von Pfosten zu Pfosten durchgehenden Sturzriegel vorhanden, sondern zwischen die Fensterpfosten eingespannte Sturzriegel.


    Damit möchte ich die Betrachtungen zu Am Ölberg 1 vorläufig abschliessen.

  • Fachwerkbauten mit Rutenflechtwerkausfachungen


    Bei einigen Fachwerkbauten, insbesondere bei solchen auf Ruinenaufnahmen, sind mir Gefachsfüllungen aus Rutenflechtwerk aufgefallen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie grosse Gefache aufweisen, oft mit keinerlei Unterteilung der Fensterbrüstungen zwischen zwei tragenden Pfosten.


    neutormauer42.jpg
    Neutormauer 42, westliches Nachbarhaus des Albrecht-Dürer-Hauses, während des Abbruchs (1951?). Abbildung aus "Das Bürgerhaus in Nürnberg", T. 6b.


    Freilich ist die Grösse der Gefache kein Kriterium für die Ausfachungsart, beispielsweise mit Natur- oder Backsteinen, oder mit lehmverstrichenem Rutenflechtwerk. Im fränkischen Fachwerkbau hat sich die Ausfachung mit Flechtwerk sehr lange gehalten, auch bei Fachwerkbauten mit kleinen Gefachen. Wie lange sich in Nürnberg die Tradition mit Flechtwerkfüllungen halten konnte, weiss ich nicht.

    Einen Nachteil hat die Ausfachung mit Flechtwerk: sie ist statisch nicht belastbar.

    Gefachsfüllungen sollten auch keine statische Funktion übernehmen, dafür ist ja das Holzskelett da. Trotzdem können Füllungen mit der Zeit unweigerlich statisch belastet werden, wenn
    - einzelne Holzbalken abgefault sind
    - das Wandgefüge durch Tür- oder Fensterausbrüche geschädigt wird
    - einzelne Wände durch Aufstockungen zusätzlich belastet werden.

    Zudem gibt es bei der alemannischen Fachwerkbauweise einen Schwachpunkt, der ebenfalls Auswirkungen auf die Füllungen haben kann: die Bauweise ist geprägt von weiten bis sehr weiten Pfostenabständen (ausser im Badisch/Württembergischen Gebiet), sodass sich lange Rähme durchbiegen können, was dann Auswirkungen auf die darunter liegenden Gefachsfüllungen nach sich zieht. Vor allem bei Bohlenstuben kann diese Durchbiegung beobachtet werden, wenn in den ersten Jahren die horizontal liegenden Bohlen durch Austrocknung schwinden, was bei einem Geschoss schnell 4 bis 6 cm ausmachen kann.

    Wohl aus diesem Schwachpunkt heraus wurde beim alemannischen Fachwerkbau der Rähm doppelt ausgebildet. In Nürnberg konnte ich dieses Merkmal allerdings noch nie sehen; dafür fallen oft die mächtigen Dimensionen der einzeln geführten Rähme auf, im Gegensatz zu den sehr schlanken Schwellen. Die doppelte Ausführung der Rähme hört meist im Verlauf des 15. Jahrhunderts auf. Was den Ausschlag dazu gegeben hat, müsste noch untersucht werden.


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    "Zu den vier Winden", Webergasse 15, St. Gallen (CH). Das Haus dürfte im dritten Quartal des 15. Jahrhunderts als zweigeschossige Ständerkonstruktion über einem gemauerten Erdgeschoss entstanden sein. Im 16. Jahrhundert wurde es gegen Süden (rechts) verbreitert und im 19. Jahrhundert aufgestockt und stark verändert. Der Durchhang des wohl von Anfang an nur einfachen Rähmes oberhalb des Erkers ist unverkennbar.


    In St. Gallen bspw. wurden beim Wiederaufbau der Stadt nach dem Stadtbrand von 1418 Ständerbauten mit doppelten Rähme und relativ flach geneigten Dächern aufgeführt. Erst bei Bauten ab den 1450er Jahren kommen teilweise einfache Rähme vor, oft mit Steildächern, und ab ca. 1470 finden sich bei Neubauten und Aufstockungen keine doppelten Rähme mehr. Ob dies mit dem Dachneigungswinkel in Zusammenhang steht? Oder mit der Ausfachungsart der Füllungen? In diesem Zeitraum kommen bereits die ersten (Sicht-!)Backsteinfüllungen vor.

    In den nächsten Beiträgen sollen daher folgende Bauten, bei denen Rutenflechtwerkfüllungen bekannt sind, eine Betrachtung erfahren:
    - Obere Schmiedgasse 25
    - Schlotfegerstr. 8
    - Untere Krämersgasse 18, 2. OG
    - Albecht-Dürer-Str. 6
    - Neutormauer 42

    Das Haus Obere Schmiedgasse 25 zeigte eine eigentümliche Strebenanordnung, und hat bisher noch kein Vergleichsbeispiel gefunden. Sein Abriss ist umso bedauerlicher, weil es den Krieg relativ heil überstanden hatte und in den Jahren danach noch als beheizbares Wohnprovisorium benutzt werden konnte. Zudem dient heute seine Fläche lediglich als Parkplatz.


    Die nächsten drei Objekte werden nur wegen derselben Ausfachsungsart mit Rutenflechtwerk vorgestellt und verglichen.


    Spannend war die in den 1950er Jahren schliesslich abgerissene Ruine des südwestlichen Nachbarhauses des Albrecht-Dürer-Hauses an der Neutormauer, von dem einige Ruinenaufnahmen existieren (s. Bild am Anfang des Beitrags) und deshalb unweigerlich nach einer näheren Untersuchung rufen. Bauhistorisch ist sein Abriss ebenfalls sehr bedauerlich, doch war die Ruine bezüglich der Erhaltensfähigkeit ein Grenzfall.

  • Zitat von Brandmauer

    Städtebaulich ist sein Abriß erst recht eine Katastrophe, vor allem auch in anbetracht dessen, was nachkam. Selbst ein Parkplatz wäre besser gewesen. Es wird interessant zu sehen, ob das Haus des rekonstruieren würdig sein würde.


    Für diejenigen, die die Situation nicht kennen: heute steht hier der Saalanbau des Albrecht-Dürerhauses von etwa 1971, der von der Architektur her vielmehr ein Solitär darstellt als denn ein Reihenhaus wie das abgebrochene Haus.

    Da das Haus noch mindestens fünf Jahre nach dem Krieg stand, vermute ich, dass hier die Möglichkeit einer Wiederherstellung bewusst offengehalten worden war, während praktisch alle Ruinen des Umfeldes innert kurzer Zeit nach Kriegsende abgeräumt wurden. Immerhin handelte es sich um ein Nachbarhaus des Albrecht-Dürer-Hauses, das nach immensen Sprengbombenschäden bereits 1947 bis 1949 eine Instandstellung erfuhr.

    Betreffend "Grenzfall": Von der Ruine werde ich im Beitrag über das Haus drei Fotos zeigen. Zwei davon wurden vor den Abbrucharbeiten gemacht, und von daher kommt meine Beurteilung als "Grenzfall". Darauf werde ich dann zurückkommen. Die bereits gezeigte Abbildung im vorangehenden Beitrag zeigt die Abbrucharbeiten in der Anfangsphase, bei der erst die eingestürzten Teile des Daches entfernt sind.

  • Obere Schmiedgasse 25


    Im Buch "Das Bürgerhaus in Nürnberg" ist auf Tafel 13 die Fassade von Obere Schmiedgasse 25 abgebildet, einem dreigeschossigen Haus mit massivem Erdgeschoss und darüber Fachwerk. Auf das Haus wird im Textteil nicht näher eingegangen, ausser einem Hinweis auf die Rutenflechtwerkausfachungen.

    Der Verputz ist infolge Brandhitzeeinwirkung der gegenüberliegenden Häuser grösstenteils abgeplatzt, und ein Ofenrohr durch ein Fensteroberlicht im 1. Obergeschoss verrät, dass das Haus noch als Notunterkunft nach dem Krieg genutzt wurde.


    obschmiedg25foto_20.jpg
    Obere Schmiedgasse 25. Abbildung aus "Das Bürgerhaus in Nürnberg", T. 13b.


    Interessant sind die Rutenflechtwerkausfachungen am 2. Obergeschoss. Bemerkenswert ist dabei, dass die Brüstungen ausser durch die Fussbänder durch keine Pföstchen oder dergleichen unterteilt sind. Am 1. Obergeschoss sind die Befunde unklar. Links scheint noch der Gefachsputz des einstigen Sichtfachwerks zu existieren, rechts ein Rest des deckenden Verputzes, und in der Mitte sind nur Gipslättchen sichtbar. Darunter könnten sich Bohlen befunden haben, deren Vorderflächen gegenüber den Balken normalerweise zurückstanden.

    In diesem Beitrag ist bereits einmal folgende Ansicht aus dem Marburger Bildindex beschrieben worden:


    fm203001b.jpg
    Aussicht von der Burg aus südwärts.
    Quelle: bildindex.de


    Direkt unterhalb der Bildmitte verlaufen die Rückseiten der Häuserzeile Obere Krämersgasse / Bergstrasse. Das Haus davor, unter einem Notdach, konnte mit Obere Schmiedgasse 25 identifiziert werden. Die Chancen schienen nicht schlecht, auf dem vergleichsweise hoch aufgelösten Bild die im "Bürgerhaus-Bild" abgeschnittenen Partien zu erkennen.


    burgaussicht-aussfm203001a.jpg
    Ausschnitt aus der Aufnahme oben. Vordergrund Mitte: Obere Schmiedgasse 25; Hintergrund von links nach rechts: Bergstr. 10 (mit provisorisch verschalter Giebelwand), 12, 14 und 16 (letztere bestehend aus dem schmalen, hell eingedeckten Dach und dem mit sehr dunkeln und hellen Dachziegeln gemischt eingedeckten Dach).

    Der Bildausschnitt zeigt die Rückseiten der in diesem Beitrag eingehend beschriebenen Häuser Bergstr. 10 -16. Die an der Oberen Schmiedgasse gelegenen Hinterhäuser von Bergstr. 10, 12 und 14 sind durch Sprengbomben vollständig zerstört.

    Als einziges dieser Hinterhäuserzeile überlebte Obere Schmiedgasse 25 den Bombenhagel, auch wenn es sein Satteldach einbüsste und gegen die Strasse abgestützt werden musste. Es ist auffallend, dass seine Seitenwände mit jenen von Bergstr. 16 durch einen Seitenflügel und eine hohe Mauer verbunden waren, was es wahrscheinlich auch als Hinterhaus auszeichnete.


    Rekonstruktionsversuch der Fassade:

    Die Abbildung in "Das Bürgerhaus in Nürnberg" ist scharf genug, um die Balkendetails erkennen und nachzeichnen zu können. Nur ist rechts leider eine Partie abgeschnitten. Nach der Entzerrung der Fotografie und dem Nachzeichnen der Balkenkanten auf einer separaten Zeichnungsebene resultierte folgende Ansicht:


    obschmiedg25durchz_20.jpg
    Entzerrte Abbildung aus "Das Bürgerhaus in Nürnberg" mit nachgezeichnetem Fachwerk.


    Als nächster Schritt folgte die Entzerrung des sehr kleinen Ausschnittes aus der Ansicht aus dem Marburger Bildindex. Trotz der grösseren Unschärfe gelang es, den Ausschnitt so zu entzerren, dass er haargenau hinter die Zeichnungsebene mit dem nachgezeichneten Fachwerk passte, und somit die rechte fehlende Partie ergänzt werden konnte:

    obschmiedg25durchz2_20.jpg
    Entzerrter Ausschnitt aus der Bildindex-Ansicht mit darüber gelegter Nachzeichnung des Fachwerks und Ergänzung der rechts fehlenden Partie.


    Als letzter Schritt folgte die Separierung der Zeichnungsebene. Dabei wurden die sicher jüngeren Fensteröffnungen "ausradiert", und die fehlenden Partien des Traggerüsts ergänzt. Zudem wurden die durch die Fensterausbrüche entstandenen Einschnitte in den Brustriegel und Rähmen ergänzt.

    Von der Binnenteilung des Traggerüsts konnte im 2. Obergeschoss ein einziges Pföstchen ausgemacht werden, das sicher nicht mit der jüngeren Fensteranordnung in Zusammenhang stand, und deshalb wurde dieses in die Rekonstruktion übernommen. Ob er zu einem älteren oder gar ursprünglichen Fenster gehörte, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Es wurde lediglich de Versuch unternommen, sein linkes Gegenstück (gestrichelt) symmetrisch zu ergänzen, um so vielleicht auf ein ursprüngliches Fenstermass zu kommen. Dieses "Fenstermass" wurde dann ins mittlere und rechte Wandfeld kopiert.


    obschmiedg25rek_20.jpg
    Rekonstruktion des Traggerüsts von Obere Schmiedgasse 25.

  • Erdgeschoss:

    Das Erdgeschoss war aus Sandsteinblöcken gemauert, in dessen Verband wohl nur noch die Rundbogentüre bestand. Zu beiden Seiten hin waren grosse Fensteröffnungen ausgebrochen, wie solche erst ab etwa dem 19. Jahrhundert vorkamen.

    Ein Deckenbalken lag knapp über der Rundbogentüre. Immerhin gab es deshalb keine statischen Schäden, weshalb ich nicht unbedingt annehme, dass das Erdgeschoss nachträglich anstelle einer Fachwerkwand untermauert worden war. Einen Befund zu Neutormauer 42 als Vergleich möchte ich hier schon vorwegnehmen: das Fachwerk der beiden Obergeschosse war von ähnlichem Typ und Alter, und die Erdgeschossfront war sehr wahrscheinlich schon beim Bau des Hauses massiv errichtet worden. Allerdings lagen dort die Deckenbalken nicht direkt auf dem Mauerwerk auf, sondern auf einer separaten Schwelle. Eine sichere Aussage, wie das Erdgeschoss von Obere Schmiedgasse 25 ursprünglich gebaut war, kann mit dem jetzigen Kenntnisstand nicht gemacht werden.


    1. Obergeschoss:

    In der Breite war die Fassade in drei Räume gegliedert, von denen die beiden äusseren an allen vier Ecken mit kurzen, breiten Bändern ausgesteift waren, und der mittlere Raum eigenartigerweise ohne Bänder auskam. Die Bänder waren so nahe an die Ecken gerückt, dass zwischen ihnen und den Rahmenbalken (Schwellen, Pfosten und Rähme) keine Zwickel übrig blieben. Ihre breite und kurze Form deutet auf Bohlenausfachungen hin, worauf auch die Befunde an der linken und mittleren Brüstung hindeuten. Überspannt war die ganze Wand von einem sehr mächtigen Rähm. Die beschriebene Konstruktion deutet auf das 15. Jahrhundert.

    Die Fenster waren sicher nicht original, da sie die Kopfbänder teilweise einschnitten. Mit ihrem Ausbruch dürften auch der mittlere und rechte Brustriegel ausgewechselt worden sein. Hinweise auf ältere Fenster oder auf Fenstererker können keine ausgemacht werden.


    2. Obergeschoss:

    Die Pfosteneinteilung entsprach jener im 1. Obergeschoss, und die Verstrebung erfolgte nur durch lange Fussbänder. Das rechte Fussband war kürzer und stärker geneigt als die anderen, wohl aber auch original. Die Brüstungsfelder überdauerten alle Jahrhunderte ihres Bestehens, und waren nicht durch Pföstchen gegliedert, sondern vollflächig mit Rutenflechtwerk versehen. Die Dicke des Rähms kann nicht festgestellt werden.

    Auch hier waren die Fenster sicher nachträglich vergrössert und in die Brustriegel und den Rähm eingeschnitten worden. Im linken Wandfeld bestand ein Pföstchen, das nicht mit den Fenstern in Zusammenhang stand. Um herauszufinden, ob es sich um ein ursprünglichen Fensterpföstchen handelte, ist in der Rekonstruktion ein Gegenstück mit gleichem Abstand zum Eckpfosten gestrichelt eingezeichnet. Freilich wäre diese hypothetische Fensteröffnung für das 15. Jahrhundert zu gross, aber als Zwillingsfenster mit tiefer liegenden Sturzriegel nicht auszuschliessen. Dasselbe Fensterformat wurde versuchsweise ins mittlere und rechte Wandfeld übertragen.

    Ebensowenig kann eine Aussage gemacht werden, ob das 2. Obergeschoss nachträglich aufgestockt worden war. Der dicke Rähm über dem 1. Obergeschoss und seine beiden vorstehenden Enden (Vorhölzer) sagen zu dieser Frage noch nichts aus (s. weiter unten "Vergleich mit dem Vorderhaus Bergstr. 16").


    Dach:

    Gemäss den in diesem Beitrag gezeigten Ausschnitten aus Flugaufnahmen war das Haus mit einem schmalen Satteldach bekrönt.


    akbergst10-18x.jpg
    Bergstr. 10-18 (von rechts nach links). Das Satteldach von Obere Schmiedgasse 25 ist hinter Bergstr. 18 am linken Bildrand angeschnitten. Ausschnitt aus einer Flugbildansichtskarte vor 1934 (Verlag Liebermann & Co., Nürnberg).


    Seitenwände:

    Rechts gegen Westen stiess das Haus an eine mehrere Geschosse hohe Brandmauer, die über den Hof bis zum Vorderhaus Bergstr. 16 durchlief (siehe 3. Bild im letzten Beitrag). Ihre Zugehörigkeit zur Nr. 25 oder zum Nachbarhaus, oder auch gemeinschaftlicher Besitz, kann nicht ausgemacht werden. Die linke, östliche Seitenwand ist nicht sichtbar. Jedenfalls musste hier das Haus mit einem Balken zur Strasse hin gegen Umkippen abgestützt werden.


    Bundebenen:

    Nebst den üblichen Bundebenen an den Fassaden können zwei weitere an beiden Innenwänden ausgemacht werden, und zwar jeweils an den der beiden "Stuben" im 1. Obergeschoss abgewandten Seiten. Die beiden Bundebenen laufen ins 2. Obergeschoss weiter, und stimmen auch mit den Deckenbalken über dem 1. Obergeschoss überein. Dass die Deckenbalken mit den Bundebenen übereinstimmen, ist in Nürnberg keine Selbstverständlichkeit! Ob auch die Erdgeschossbalken mit den Bundebenen übereinstimmten, ist ungewiss, da sie an den fraglichen Stellen auf den Fotos verdeckt sind, und in der Rekonstruktion lediglich ergänzt sind.


    Vergleich mit dem Vorderhaus Bergstr. 16:

    Unabhängig davon, ob Obere Schmiedgasse 25 das Hinterhaus von Bergstr. 16 oder immer ein eigenständiges Haus war, folgt nun ein Vergleich beider Fassaden. Zu beachten ist, dass Bergstr. 16 um 1679 aus der Vereinigung von zwei Bauten von 1436/38 und von ca. 1460 entstand. Die Breite der Nr. 25 fluchtete zwar auf beiden Seiten mit der bereits vereinigten Nr. 16, aber erstere entstand schon mindestens 200 Jahre vor dieser Vereinigung. Nur ein Studium des Parzellenplans vor 1944 könnte hier Klarheit schaffen.


    bergstr16fassade-entz-bauphasen30.jpg
    Bergstr. 16. Linker Hausteil: dunkelrot = Kernbau um 1460, gelb = Fassadenumbau 18. Jh.(?), blau = Ergänzungen, Reparaturen 1975. Rechter Hausteil: nicht analysiert; Kernbau 1436/38, Anpassung an linken Hausteil 1678/79, Fassadenumbau 18. Jh.(?).

    obschmiedg25rek_20.jpg
    Rekonstruktion des Traggerüsts von Obere Schmiedgasse 25.


    Bergstr. 16 wies ursprünglich wohl im 1. Obergeschoss auch eine Fassadenkonstruktion mit kurzen, breiten Fuss- und Kopfbändern auf, und im Gegensatz zu Obere Schmiedgasse 25 an allen drei Wandfeldern. Die Konstruktion lässt sich nur noch anhand der Blattsassen im Rähm rekonstruieren. Gemeinsam ist beiden der sehr stark dimensionierte Rähm mit den Vorhölzern (bei Nr. 16 nur links). Die Balkenlage darüber ist bei Nr. 16 enger gelegt als bei Nr. 25.

    Das 2. Obergeschoss von Nr. 16 ist mittels Fuss- und Kopfbändern ausgesteift, jenes von Nr. 25 nur mit Fussbändern. Über das ursprüngliche Aussehen der Brüstungsfelder von Nr. 16 ist nichts bekannt, sodass hier kein Vergleich angestellt werden kann.

    Eine gleichzeitige Errichtung von Bergstr. 16 und Obere Schmiedgasse 25 ist eher unwahrscheinlich, aber nicht ganz auszuschliessen. Bei gleichzeitiger Errichtung könnte man sich für ein Hinterhaus einige Vereinfachungen gegenüber dem Vorderhaus vorstellen. Wenn man aber bedenkt, dass die Variation von Fachwerk im 15. Jahrhundert in Nürnberg eher begrenzt war, verwundern Gemeinsamkeiten beider Bauten nicht.


    Fazit:

    Obere Schmiedgasse 25 reiht sich in die Bauten aus dem 15. Jahrhundert mit angeblatteten Fuss- Und Kopfbändern ein. Insbesondere die sehr kräftigen Pfosten und der Rähm des 1. Obergeschosses muteten sehr archaisch an, und es wäre mit Vergleichsobjekten zu prüfen, ob eine Entstehungszeit vor dem 15. Jahrhundert in Betracht käme.

    Speziell ist die Verteilung der Bänder am 1. Obergeschoss nur an den beiden aussen liegenden Räumen, nicht aber beim Mittelraum. Vielleicht bestand zu beiden Seiten der Erschliessungszone je eine Stube. Am 2. Obergeschoss überdauerten Rutenflechtwerkausfachungen. Im 18./19. Jahrhundert musste die Fassade eine Vergrösserung und Regularisierung der Fenster über sich ergehen lassen.

    Möglicherweise bildete es als Hinterhaus von Bergstrasse 16 zusammen mit dieser eine grosse Liegenschaft.

  • Nun folgen drei hier bereits vorgestellte Bauten mit Rutenflechtwerkausfachungen:


    Schlotfegerstr. 8 (1970/74 abgebrochen)


    schlotf8.jpg
    Schlotfegergasse 8. Ausschnitt aus einer Fotografie von Erich Mulzer, abgebildet in
    "Nürnberger Altstadtberichte Nr. 19, 1994".

    Das sehr altertümlich wirkende Haus besass an der Giebelseite zwei überkreuzte Strebenpaare, weshalb ich es vorerst in die Reihe mit Wunderburggasse 19 einordne (Umzeichnung der beiden abgebildeten Seiten mit dem Fachwerk auch in "Das Bürgerhaus in Nürnberg", S. 38). Das Fachwerk der Giebelwand wiederum stimmte sehr mit jenem am 2. Dachgeschoss von Untere Krämersgasse 18 überein. Die starke Auskragung der Walmflächentraufe war ebenfalls vorhanden, dafür aber kein Windloch.

    An der Traufseite bestanden nur lange Fussbänder, und die Brüstungen waren ununterteilt und ebenfalls mit Rutenflechtwerk ausgefacht. Interessant ist das Nebeneinander von "nur langen Fussbändern" und überkreuzten Bändern, denn bei letzteren bin ich bisher davon ausgegangen, dass sie tendenziell jünger sind.


    Untere Krämersgasse 18, 2. OG/3. OG (1454/1477)

    (zum Beitrag über das Haus)


    untkrae18nordwest1.jpg
    Fotomontage der Nord- und Westfassade von Untere Krämersgasse 18 ab dem 1. Obergeschoss.

    Das 2. Obergeschoss von 1454 ist ebenfalls nur mit langen Fussbändern ausgesteift (mit Ausnahme eines kleinen Kopfbandes an der rechten Ecke) und besitzt ununterteilte Brüstungen (irgendwo hatte ich mal gelesen, dass ein Grossteil der Gefache auch mit Rutenflechtwerk ausgefacht ist). Ursprünglich folgte darüber die Dachtraufe, sodass das Gewicht des Daches gleichmässig verteilt auf der Wand auflag, und die sehr breiten Brüstungen nicht ausbauchten.

    Das 1477 aufgestockte 3. Obergeschoss und 1. Dachgeschoss besitzen auch solche breiten Brüstungen, die aber wenigstens durch ein Brüstungspföstchen unterteilt sind. Ohne diese Pföstchen würden wohl die Brüstungsgefache ausbauchen, da sie von den jeweils versetzt angeordneten Pfosten im Geschoss darüber via die Fensterpfosten zu viel Gewicht aufnehmen müssten.

    >>> Diese Feststellung von vereinzelten Brüstungspföstchen und bis an den Rähm reichenden Fensterpfosten könnte eine Nürnberger Weiterentwicklung im Alemannischen Fachwerkbau sein, um den oft beobachteten Durchbiegungen der Rähme breiter Wandfelder bei alemannischem Fachwerk entgegen zu wirken, und so ein Ausbauchen der Brüstungsgefache zu verhindern.


    untkrae18nordwest-kraefte.jpg
    Kraftabtragung der versetzt angeordneten Pfosten.

    Rot: der linke Stuhlpfosten steht über einem Fensterpfosten, der einen allenfalls sehr breiten Brustriegel durchbiegen würde, der wiederum das Brüstungsgefach stauchen würde. Der geringen Abmessung wegen passiert hier nichts, und somit ist kein Brüstungspföstchen erforderlich
    Orange: der mittlere Stuhlpfosten steht auf einer Schwelle und Rähm, die durchbiegen könnten, wenn kein Fensterpfosten darunter wäre. Die Fensterpfosten ihrerseits würden den Brustriegel durchbiegen und damit das Brüstungsgefach stauchen, wäre darunter kein Brüstungspföstchen angeordnet.


    Albecht-Dürer-Str. 6 (1437)

    (zum Beitrag über das Haus)


    albrechtduererstr6_3443x30_17.09.09.jpg

    Gemäss der Aufnahme im Marburger Bildindex, welche die teils freiliegende Trennwand zum Nachbarhaus zeigt, dürfte Albecht-Dürer-Str. 6 an den Fassaden auch Rutenflechtwerkausfachungen besitzen. Allerdings sind die einzelnen Wandfelder durch die engere Pfostenstellung nicht übermässig breit, und an jedem Pfosten sind zudem Kopfbänder angeschlagen.

  • Zitat von Mündener

    "...der einen allenfalls sehr breiten Brustriegel durchbiegen
    würde, der wiederum das Brüstungsgefach stauchen würde." (Zitat von Riegel)

    Was wiederum durch die überblatteten Fußstreben einigermaßen verhindert wird.

    Eigentlich wäre es doch statisch geschickter gewesen, wenn man die Fenster konsequent zwischen Ständern eingebaut hätte, wie es zur selben Zeit in England gemacht wurde

    s0.geograph.org.uk/photos/94/34/943487_29788ccc.jpg

    Wobei die Durchbiegung in der Mitte am grössten ist, und die Kopfbänder nur an den Enden der horizontal liegenden Rähme und Brustriegel sitzen, wo die Durchbiegung noch nicht so gross ist. Zudem sind die Bänder schwächer dimensioniert, und ihre Verbindungen mit den Balken haben ein Spiel, was insbesondere durch das Schwinden des Holzes begünstigt wird. Bei Bohlenwänden haben die Bänder nur eine Dicke von 3 bis 5 cm. Somit haben die Bänder nur eine kleine Wirkung gegen die Durchbiegungen.

    Dass die Fenster zwischen geschosshohe Ständer eingebaut wurden, war dann die Weiterentwicklung im alemannischen Fachwerkbau, zu einer Zeit, als die alemannische und fränkische Bauweise im Verlauf des 16. Jahrhunderts miteinander verschmolzen.

  • Neutormauer 42


    Vorbemerkung: Ich werde in den Beiträgen zu diesem Haus mit vielen historischen Fotos arbeiten. Gerade die Fotos aus dem Marburger Bildindex sind leider oft falsch datiert, weshalb ich die Datierungen speziell hinterfragen werde.


    neutormauer42.jpg
    Neutormauer 42, westliches Nachbarhaus des Albrecht-Dürer-Hauses), während des Abbruchs (1951?). Dahinter das Dach des 1947 bis 1949 instand gesetzten Albrecht-Dürer-Hauses. Abbildung aus "Das Bürgerhaus in Nürnberg", T. 6b).

    Spannend war die in den 1950er Jahren schliesslich abgerissene Ruine des südwestlichen Nachbarhauses des Albrecht-Dürer-Hauses an der Neutormauer, von dem einige Ruinenaufnahmen existieren (s. Bild am Anfang des Beitrags), und deshalb unweigerlich nach einer näheren Untersuchung rufen. Bauhistorisch ist sein Abriss ebenfalls sehr bedauerlich, doch war die Ruine bezüglich der Erhaltensfähigkeit ein Grenzfall.

    Städtebaulich ist sein Abriß erst recht eine Katastrophe, vor allem auch in anbetracht dessen, was nachkam. Selbst ein Parkplatz wäre besser gewesen. Es wird interessant zu sehen, ob das Haus des rekonstruieren würdig sein würde.

    Für diejenigen, die die Situation nicht kennen: heute steht hier der Saalanbau des Albrecht-Dürerhauses von etwa 1971, der von der Architektur her vielmehr ein Solitär darstellt als denn ein Reihenhaus wie das abgebrochene Haus.

    Da das Haus noch mindestens 5 Jahre nach dem Krieg stand, vermute ich, dass hier die Möglichkeit einer Wiederherstellung bewusst offen gehalten worden war, während praktisch alle Ruinen des Umfeldes innert kurzer Zeit nach Kriegsende abgeräumt wurden. Immerhin handelte es sich um ein Nachbarhaus des Albrecht-Dürer-Hauses, das nach immensen Sprengbombenschäden bereits 1947 bis 1949 eine Instandstellung erfuhr.

    Betreffend "Grenzfall": von der Ruine werde ich im Beitrag über das Haus drei Fotos zeigen. Zwei davon wurden vor den Abbrucharbeiten gemacht, und von daher kommt meine Beurteilung als "Grenzfall". Darauf werde ich dann zurückkommen. Die bereits gezeigte Abbildung [...] zeigt die Abbrucharbeiten in der Anfangsphase, bei der erst die eingestürzten Teile des Daches entfernt sind.

    Dann lasse ich die Katze gleich aus dem Sack, und stelle die beiden anderen Ruinenfotos vor:

    mi02522b12b.jpg
    Blick von der Albrecht-Dürer-Strasse in Richtung Nordwesten an die Rückseite von Neutormauer 42
    und die Stadtmauer mit dem Turm "grünes M". Vergrösserung.
    (Quelle: bildindex.de)

    Die Trümmergrundstücke sind schon weitgehend abgeräumt, und am Stadtmauerturm "grünes M" finden erste Instandsetzungsarbeiten statt. Gerade dieses Bild zeigt, dass dem Haus Neutormauer 42 noch gewisse Erhaltungschancen zugestanden wurden, sonst wäre es doch gleich mit den Ruinen in der Nachbarschaft abgeräumt worden. Immerhin waren der Dachstuhl und die Erdgeschosswand der Rückseite akut einsturzgefährdet.

    Vergleich mit der heutigen Situation: Google Maps


    neutormauer-mi02522b12a_auss_entz.jpg
    Entzerrter Ausschnitt aus dem oberen Bild mit der Rückseite von Neutormauer 42.


    mi02522b14b.jpg
    Neutormauer in Richtung Nordostost. Von links nach rechts: Mauerturm (grünes M),
    Tiergärtnertorturm, Pilatushaus (mit Giebeltürmchen), Dach des Albrecht-Dürer-Hauses,
    davor die Ruine von Neutormauer 42. Vergrösserung
    (Quelle: bildindex.de)


    neutormauer-mi02522b14a_auss.jpg
    Ausschnitt aus dem oberen Bild mit Blick an die westliche Trennwand und Rückwand
    sowie in den offenen Dachstuhl.


    Vor der Zerstörung sah das Haus so aus:


    mi02560c13b.jpg
    Das Albrecht-Dürer-Haus von Nordosten, rechts davon Neutormauer 42.
    Vergrösserung
    (Quelle: bildindex.de)


    mi02567g06b.jpg
    Neutormauer, vorne links Nr. 42. Vergrösserung

    (Quelle: bildindex.de)


    Und die älteste auswertbare Ansicht des Hauses (vgl. mit der vorletzten Aufnahme):


    radierung_j.c.erhard1816.jpg
    Das Albrecht-Dürer-Haus von Nordosten in Richtung Neutormauer. Radierung von Johann Christoph Erhard, 1816.

  • Da das Albrecht-Dürer-Haus seit langer Zeit ein beliebtes Mal- oder Fotosujet war, kam auch Neutormauer 42 in den Genuss einer häufigen Dokumentation. Beim Sichten der auch im Internet zahlreich zugänglichen Abbildungen musste ich aber bald einmal feststellen, dass die angegebenen Aufnahmedaten oft falsch sein mussten.

    Um Ordnung in dieses "Daten-Chaos" zu erhalten, sind hier die wichtigsten (Bau-)Daten zum Albrecht-Dürer-Haus angegeben, die ihre Spuren an seinem Äusseren hinterliessen:

    1827/28 Einrichtung zum Museum unter "Heideloff"; neugotische Zwickel in den Fenstern des 2. Obergeschosses
    1882 Umgestaltung des Museums unter "Wanderer"; Entfernung der neugotischen Zwickel
    1899 Aufsetzung eines Dacherkers als Ersatz für den um 1790 abgebrochenen originalen Dacherker
    1947/49 Instandsetzung nach Bombenschäden
    1970/71 Saalanbau auf der Fläche des abgetragenen Hauses Neutormauer 42

    (Daten aus der Schrift "Das Albrecht-Dürer-Haus - Baugeschichte, Denkmalpflege, Künstlerhaus", Museen der Stadt Nürnberg, 2006)

    So entstand die folgende Reihe von Ausschnitten aus historischen Abbildungen:


    duererhaus1-4.jpg
    1816 / 1891 / zw. 1882 und 1899 (1893?) / zw. 1882 und 1899


    duererhaus5-8.jpg
    zw. 1882 und 1899 (1892?) / 1947/49 / 1951 / 1959


    In der Folge werde ich die einzelnen Bilder erläutern:


    radierung_j.c.erhard1816_auss.jpg . . radierung_j.c.erhard1816_auss_entz.jpg
    Links: Ausschnitt aus der Radierung von Johann Christoph Erhard, 1816; rechts: entzerrte Ansicht.

    Die älteste Abbildung von 1816 zeigt das Haus noch mit seinem Fachwerk (ganze Abbildung am Schluss des vorletzten Beitrages). Da das Fachwerk des Albrecht-Dürer-Hauses sehr detailgetreu wiedergegeben ist, sollte man dies auch von der Nr. 42 erwarten, doch steht das Haus nicht im Vordergrund der Radierung, und von der Blickrichtung her ist die Fassade sehr verkürzt gezeichnet. Eine Entzerrung des Bildausschnitts bringt kein sinnvolles Resultat:

    Das Erdgeschoss ist massiv, und zeigt eine Türen- und Fensteranordnung, wie sie bis zum Abbruch des Hauses bestand.
    Beim 1. Obergeschoss ist unklar, was Fenster und was Fensterläden sind. Fünf Pfosten teilen die Fassade in vier Wandfelder. Die paarweise angeordneten Fussbänder sind teils an Fensterpfosten und teils an Bundpfosten angeordnet, nicht aber an den Eckpfosten.
    Beim 2. Obergeschoss teilen sechs Pfosten die Fassade in fünf Wandfelder, und an den Bundpfosten sind paarweise Fussbänder angeordnet, wiederum aber keine an den Eckpfosten. Den fünf Wandfeldern entsprechen fünf Einzelfenster, die zwischen einem Brust- und Sturzriegel angeordnet sind.
    Das Dachgeschoss zeigt im linken Drittel eine halbe Giebelwand mit Aufzugsöffnung, und beim Rest eine Traufe.


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    Nicht in der Reihe enthalten ist das folgende Bild, welches das Albrecht-Dürer-Haus noch mit den neugotischen Zwickeln in den Fenstern des 2. Obergeschosses zeigt. Das Bild ist demnach spätestens 1882 aufgenommen worden. Neutormauer 42 ist darauf nur knapp sichtbar, aber offenbar im gleichen Zustand wie auf den nächsten beiden Bildern, weshalb das Haus hier noch keine Betrachtung erfährt.

    nürnberg_albrecht-dürer-haus_002.jpg


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    4duererhaus1891_wikimedia047_auss.jpg
    Ausschnitt aus einem Bild von Wikimedia (ganzes Bild).

    Als Aufnahmedatum ist 1891 angegeben. Sicher ist die Aufnahme nach 1882 entstanden, da die Fenster am 2. Obergeschoss des Albrecht-Dürer-Hauses die neugotischen Zwickel nicht mehr zeigen. Neutormauer 42 zeigt dieselbe Hausform mit dem halben Giebel zur Gasse, wie in der Radierung von J.C. Erhard, und ist nun verputzt. Ebenso zeigt das 2. Obergeschoss fünf kleine Fenster. Acht quadratische Fenster belichten das 1. Obergeschoss, von denen die mittleren beiden ein bisschen höher sind, so wie sie bis zum Abbruch des Hauses bestanden hatten. Die Sprosseneinteilung zeigt ein Kreuz mit vier gleich grossen Flügeln, wie sie im 18. und frühen 19. jahrhundert üblich war.


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    5duererhaus1893_mi02560e14a_auss.jpg
    Ausschnitt aus einem Bild von bildindex.de (ganzes Bild).

    Als Aufnahmedatum der Fotografie ist hier 1893 angegeben, und sie zeigt Neutormauer 42 in der gleichen Form wie im letzten Bild. Diese Jahrzahl ist unsicher, denn das übernächste Bild zeigt Neutormauer 42 mit einem traufständigen Dach auf der ganzen Hausbreite und Dacherker in der Mitte, und ist mit 1892 datiert.

    Wenn Neutormauer vor 1892 einen grossen Umbau erfahren haben sollte, so kann das Datum 1893 nicht stimmen. Ebenso ist natürlich auch die Jahrzahl 1892 fraglich.

    Als kleines Detail ist die Dacheindeckung des halben Giebels erwähnenswert, wo ungewohnt lange Dachziegel zu sehen sind. Dies ist mir unerklärlich; möglicherweise handelt es sich um eine provisorische Eindeckung im Vorfeld des Umbaus.


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    6duererhaus_vor_1899_mi02560e11a_auss.jpg
    Ausschnitt aus einem Bild von bildindex.de (ganzes Bild).

    Laut Beschriftung soll die Aufnahme im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts entstanden sein. Dies kann nicht stimmen, denn sie zeigt das Albrecht-Dürer-Haus noch ohne den Dacherker, der 1899 aufgesetzt worden war.

    Neutormauer 42 ist hier mit einem Baugerüst und bereits mit der neuen Dachform zu sehen. Der neu aufgesetzte Dacherker zeigt ein Spitzdächlein über der Abwalmung und ist damit eindeutig eine historistische Zutat.


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    7duererhaus1892_mi02560e12a_auss.jpg
    Ausschnitt aus einem Bild von bildindex.de (ganzes Bild).

    Neutormauer 42 ist hier nach dem Umbau mit der neuen Dachform und vergrösserten Fenstern im 2. Obergeschoss zu sehen. Das Aufnahmedatum 1892 ist fraglich, wenn man das vorletzte Bild von 1893 betrachtet (vgl. mit dem Text dort). Aufgrund des fehlenden Dacherkers auf dem Albrecht-Dürer-Haus ist die Fotografie sicher vor 1899 aufgenommen worden.


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    10duererhaus1947_49_fm203130a_auss.jpg
    Ausschnitt aus einem Bild von bildindex.de (ganzes Bild).

    Neutormauer 42 hatte bei der Bombardierung vor allem Sprengbodenschäden erlitten, aber keine Brandschäden davongetragen. Das Dach steht teilweise noch mitsamt der Ziegeleindeckung aufrecht, aber der Verputz ist grösstenteils abgeplatzt, sodass das Fachwerk sichtbar wurde. Das Albrecht-Dürer-Haus hatte gleiche Schäden erlitten und wurde von 1947 bis 1949 wieder instand gestellt.

    Die Aufnahme zeigt das Albrecht-Dürer-Haus bei der Instandsetzung des Rohbaus, und dürfte demnach 1947/48 entstanden sein


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    11duererhaus1951_mi07685g03a_auss.jpg
    Ausschnitt aus einem Bild von bildindex.de (ganzes Bild).

    Sofern das Aufnahmedatum 1951 stimmt, wurde in diesem Jahr Neutormauer 42 definitiv abgebrochen. Nur noch die massive Erdgeschossmauer steht aufrecht, aber in ziemlicher Schieflage.


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    12duererhaus1959_wikipedia_auss.jpg
    Ausschnitt aus einem Bild von wikipedia.org (index.php?title=datei:bundesarchiv_b_145_bild-f006558-0007,_nürnberg,_altstadt,_albrecht_dürer_haus.jpg&filetimestamp=20100707080440).

    1959 liegt das Grundstück brach und wurde erst 1970/71 mit dem Saalanbau des Albrecht-Dürer-Museums wieder überbaut.

  • Zur weiteren Erforschung des Hauses muss zuerst seine Grundform erkannt werden. Nachdem es gemäss den ältesten Abbildungen eine unregelmässige Dachform besass, war es auf den Abbildungen ab etwa 1890 ein Traufenhaus mit Dacherker in der Mittelaxe.


    neutormauer42_skizzen.jpg
    Neutormauer 42. Darstellung der Grundform mit dem Dach vor etwa 1890.


    Die Vorder- und Rückfassade standen schräg zueinander, sodass der Grundriss ein Trapez oder ein unregelmässiges Viereck beschrieb. Den Baukörper bedeckten zwei rechtwinklig zueinander stehende Pultdächer - eine sehr merkwürdige Dachform.

    Beim Umbau um 1890 wurde ein Teil des quer zur Gasse stehenden Pultdaches gekappt, sodass das Dach nun einen zur nordöstlichen Ecke verlaufenden Grat erhielt und so vom Tiergärtnertorplatz her als Walmdach erschien (in Figur a) gestrichelt gezeichnet). Über die Mitte der Hauptfassade wurde damals auch ein Dacherker gesetzt.


    Querschnitt


    neutormauer-mi02522b14a_auss.jpg
    Ausschnitt aus mi02522b14a.jpg mit Blick an die westliche Seitenwand (links) und Rückwand (rechts) sowie in den offenen Dachstuhl.

    Auf diesem Bildausschnitt erkennt man den trapezoiden Grundriss des Hauses mit wenig tiefer, westlicher Seitenwand und grösserer Gebäudetiefe in der Mitte des Hauses mit dem offenen Dachstuhl. Der "Querschnitt" des Dachstuhls zeigt ein zweigeschossiges Pultdach auf stehendem Stuhl. So erklärt sich die fünfgeschossige(!) Fachwerkrückwand.


    Seitenwand west


    neutormauer42_auss2.jpg . neutormauer42_seitenwand_w_umz_erg.jpg
    Westliche Seitenwand. Links: Ausschnitt aus der Fotografie aus dem vorletzten Beitrag; rechts: Umzeichnung mit ergänzter Giebelwand.

    Anhand der intakten Balkenoberflächen und aus dem Fehlen von Verputzresten kann geschlossen werden, dass die Wand nie frei lag. Trotzdem muss sie älter sein als das (zerstörte) Nachbarhaus im Vordergrund, denn sonst hätte das Rutenflechtwerk nicht mit einem Grundputz aus Lehm und Stroh verputzt werden können. Vermutlich wurde aber das Nachbarhaus Neutormauer 40(?) sehr bald nach der Fertigstellung von Nr. 42 errichtet.

    Das Erdgeschoss besteht nur aus einem Mauerpfeiler der Vorderfassade, und einem rückwärtigen Eckpfosten, der mittels eines Kopfbandes mit dem Deckenbalken verbunden ist. Aus der Fotografie kann nicht ersehen werden, wie die Wand ursprünglich abgeschlossen war. Ein Blattsass eines vorderen Kopfbandes ist im Deckenbalken nicht vorhanden. Daraus kann man schliessen, dass die gemauerte Erdgeschosswand der Vorderfassade von Anfang bestanden hatte. Wäre diese zuerst aus Fachwerk errichtet, und später erst durch eine massive Wand ersetzt worden, so würde man ein Blattsass im Deckenbalken erwarten.

    Die beiden Obergeschosse zeigen einen genau gleichen Aufbau mit je einem an allen Ecken verstrebten Rahmen. Als einzige Unterteilung ist je ein Brustriegel eingelassen. Weiter fällt auf, dass die Fuss- und Kopfbänder bis an die Eckkanten der Pfosten reichen; normalerweise sind die Bänder nur bis maximal zwei Drittel der Pfostenbreite eingeschnitten. Bei Neutormauer 42 werden die Eckpfosten dadurch sehr geschwächt, da ja von zwei Seiten her Bänder eingeschnitten sind. Dies könnte ein Indiz auf ein sehr hohes Alter des Hauses sein, als die Bandverbindungen noch nicht völlig ausgereift waren.

    Von der Giebelwand hat sich links im Deckenbalken möglicherweise ein Blattsass eines Steigbandes erhalten. Zusammen mit der Querschnittsaufnahme weiter oben wurde die Giebelwand in der Umzeichnung gestrichelt ergänzt.

  • Rückfassade


    neutormauer42_rueckseite_umz.jpg
    Ausschnitt aus mi02522b12a.jpg mit nachgezeichnetem Balkenwerk.


    neutormauer42_rueckseite_umz_erg.jpg
    Nachgezeichnetes Balkenwerk mit Ergänzungen.

    Die Rückseite zeigte für eine Fachwerkwand imposante Ausmasse. Nebst den drei Vollgeschossen traten auch die beiden Dachgeschosse in ihrer vollen Höhe bis zum First in Erscheinung. Allerdings lag die Wand vermutlich nie ganz frei, sondern war möglicherweise mit Nachbarhäusern zusammengebaut. Dafür sprechen einerseits das Pultdach, und andererseits fehlende und auch nachträglich verschlossene Fensteröffnungen in der linken Fassadenhälfte.

    Am Erdgeschoss fallen die überlangen Kopfbänder auf, sodass keine Fussbänder mehr Platz fanden (die Sockelzone ist auf den Ruinenfotos nirgends sichtbar, doch war das Erdgeschoss etwa gleich hoch wie die beiden Obergeschosse). Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass die Pfosten direkt auf einem Steinfundament standen und nicht auf einer Schwelle. Ich kenne zwar keinen noch existierenden Befund in Nürnberg, doch es gibt eine Rekonstruktionszeichnung von Untere Krämersgasse 18 (Link zuunterst auf der Seite > Bild 33), die von Pfosten auf Steinfundamenten ausgeht. Auch auf ganz wenigen zeitgenössischen Bildern sind solche schwellenlosen Erdgeschosskonstruktionen noch abgebildet (s. in "Das Bürgerhaus in Nürnberg"). Bei zwei auf der Burg um etwa 1900 abgebrochenen Häuschen vermute ich ebenfalls eine solche altertümliche Konstruktion (s. Beitrag).

    Das 1. Obergeschoss war in fünf annähernd gleich breite Wandfelder unterteilt, die wie an der westlichen Seitenwand an allen Ecken mit Bändern ausgesteift waren. Die Pfostenstellung entsprach nicht genau jener am Erdgeschoss. Die Füllungen bestanden grösstenteils auch aus Rutenflechtwerk, hatten aber an der rechten Fassadenhälfte wohl durch Fensterausbrüche und Zumauerungen Veränderungen erfahren. Über mindestens zwei Wandfeldern lagen eng gelegte Balkendecken.

    Das 2. Obergeschoss unterschied sich vom ersten nur durch eine leicht verschobene Pfostenstellung, und vor allem durch zwei Steigbänder (das rechte Steigband mit zwei heraus gesägten Teilen). Steigbänder an Vollgeschossen kenn ich in Nürnberg bisher auch nicht; solche kommen aber oft an Giebelwänden aus dem 15. Jahrhundert vor.

    Die beiden Dachgeschosse sind in einer einheitlichen Konstruktion mit über beide Geschosse verlaufenden Pfosten zusammengefasst. Solche sind in Nürnberg nur selten zu finden, bspw. bei Albrecht-Dürer-Str. 6 am 2. und fast vollständig zerstörten 3. Dachgeschoss. Die Pfosten waren mit sehr langen Fussbändern versehen, mit dazwischen gespannten langen Riegeln, wobei deren mittlere als Auflageschwelle für die Kehlbalken dienten. Der unterste Riegel verlief aber ungewohnt nicht von Pfosten zu Pfosten, sondern war offenbar zwischen die Fussbänder eingezapft.

    Über die "halbe Giebelwand" kann leider keine Aussage gemacht werden. Es bleibt zu hoffen, dass noch weitere Aufnahmen dieser faszinierenden Rückseite existieren, um die Fehlstellen und Details ergänzen zu können.


    Vorderfassade


    neutormauer42.jpg
    Neutormauer 42, westliches Nachbarhaus des Albrecht-Dürer-Hauses, während des Abbruchs (1951?), dahinter das Dach des 1947 bis 1949 instand gesetzten Albrecht-Dürer-Hauses (Abbildung aus "Das Bürgerhaus in Nürnberg", T. 6b).


    Die Vorderfassade war schon vor 1900 stark verändert worden. Den wohl ursprünglichen Zustand mit dem noch sichtbaren Fachwerk zeigt die Radierung von J.C. Ehrhard von 1816, auch wenn nicht auszuschliessen ist, dass das Haus schon in den damaligen 400 Jahren seines Bestehens Umbauten oder gar eine Aufstockung erfahren haben könnte.


    neutormauer42_vorderseite_entz_60.jpg
    Vorderfassade; entzerrter Ausschnitt aus dem Bild oben.


    neutormauer42_vorderseite_umz_erg.jpg
    Nachgezeichnetes Balkenwerk mit ergänztem Dachfirst, dem um 1890 abgetragenem Giebel und neu aufgesetztem Dacherker.


    Wie schon im letzten Beitrag an der westlichen Seitenwand festgestellt werden konnte, bestand die Erdgeschossfront sehr wahrscheinlich von Anfang an aus Stein. Die Deckenbalken lagen nicht direkt auf dem Mauerwerk auf, sondern auf einer Schwelle, was auch für die Steinbauweise von Anfang an spricht. Wurden Fachwerkerdgeschosse nachträglich durch Mauerwerk ersetzt, fehlt diese Schwelle im Allgemeinen (bspw. bei Obere Schmiedgasse 25 und beim "Grolandhaus"). Bei beiden Beispielen ist nicht nachgewiesen, ob es sich tatsächlich um nachträgliche Veränderungen handelte, aber teilweise liegen die Deckenbalken direkt auf gemauerten Rundbögen auf, was wohl kaum von Anfang an so geplant war.

    Nach 1816 wurde die Wand des 1. Obergeschosses grösstenteils neu errichtet, sodass nur noch die Schwelle, beide Eckpfosten und der Rähm vom ursprünglichen Bestand übrig blieben. Dabei wurden die neuen Fensteröffnungen mehr oder weniger regelmässig angeordnet, wobei die mittleren beiden zusammengefasst worden waren und das westliche Fenster direkt an den Eckpfosten zu liegen kam. Möglicherweise mussten bei der Anordnung der Fenster bestehende Zwischenwände berücksichtigt werden. Das zugehörige Fachwerk war konstruktiver Natur und enthielt in den Fensterbrüstungen Einzelstreben. Solches Konstruktionsfachwerk ist typisch für das späte 18. und frühe 19. Jahrhundert.

    Im selben Bereich wie an der Rückseite lag eine eng gelegte Balkendecke.

    Auf der Originalfotografie, die der Umzeichnung als Grundlage diente, dürften noch einige Details wie Blattsassen von Bändern etc. zu erkennen sein, sodass eine zeichnerische Rekonstruktion möglich sein sollte. Die Radierung von J.C. Ehrhard ist hier zu ungenau, da nicht mal die Fussbänder den Bundpfosten oder Brüstungspföstchen klar zugeordnet werden können. Ehrhard zeichnete vier Wandfelder, während der Befund an der Rückseite fünf Wandfelder zeigt. Im Allgemeinen geht bei einem Fachwerkbau die unterteilende Konstruktion durch das ganze Haus hindurch, sodass es unwahrscheinlich ist, dass hier ein Wechsel in der Konstruktion erfolgte, insbesondere bei einem Haus mit einer so geringen Tiefe.


    radierung_j.c.erhard1816_auss.jpg . . radierung_j.c.erhard1816_auss_entz.jpg
    Links: Ausschnitt aus der Radierung von Johann Christoph Erhard, 1816; rechts: entzerrte Ansicht.


    Am 2. Obergeschoss überdauerte sehr viel von der ursprünglichen Bausubstanz, auch wenn dort beim Umbau um 1890 die Fenster vergrössert worden waren. Analog zur Rückseite war die Wand in fünf Felder geteilt, an deren Ecken Fuss- und Kopfbänder sassen. Aus der reproduzierten Fotografie ist leider nicht ersichtlich, ob an allen Ecken Bänder, und ob evtl. sogar wie an der Rückseite auch Steigbänder vorhanden waren. Als einzige Unterteilung waren von Pfosten zu Pfosten reichende Brustriegel eingespannt, und darüber zwei Fensterpfosten. Die Brüstungsfelder und die Felder seitlich der Fenster zeigten bis zum Abbruch des Hauses Rutenflechtwerk.

    Auf der Radierung von Ehrhard sind auch durchgehende Sturzriegel gezeichnet, was allerdings nicht der Realität entsprochen haben dürfte. Da die Fenster um 1890 nach oben bis zum Rähm erweitert worden waren, müssten entweder die Sturzriegel durchgesägt und seitlich der Fenster belassen worden sein oder die Sturzriegel gänzlich entfernt worden sein. Beides war aber nicht der Fall, denn beim Abbruch existierten keine Reste solcher Sturzriegel, und die Gefache seitlich der Fenster bestanden bis zum Rähm hinauf aus Rutenflechtwerk (Rutenflechtwerk hätte man beim Umbau um 1890 ganz sicher nicht mehr eingesetzt, nachdem die Sturzriegel entfernt worden waren). Somit postuliere ich als ursprüngliche Fensterform die Konstruktion mittels zwei Fensterpfosten und einem Sturzriegel dazwischen. Beim Umbau um 1890 wurden dann die Sturzriegel entfernt und die Fensterpfosten seitlich ein bisschen abgeschrotet.

    Die Dachgeschosse traten bis um 1890 nur im Bereich der "halben" Giebelwand in Erscheinung und danach nur noch in Form des historistischen Dacherkers nach Vorbildern des 16./17. Jahrhunderts. Gemäss den ältesten Fotografien und der Radierung Ehrhards bestand in der Giebelwand nur eine Aufzugsöffnung mit einem Kragbalken darüber.

  • Östliche Seitenwand


    Mit dem Albrecht-Dürer-Haus war Neutormauer 42 nicht zusammengebaut, sondern es lag noch ein schmaler, eingeschossiger Schopf dazwischen. So stand diese Seitenwand frei, aber sie wurde meist nur an der Ecke abgebildet.

    10duererhaus1947_49_fm203130a_auss.jpg . . radierung_j.c.erhard1816_auss.jpg
    Links: Ausschnitt aus einem Bild von bildindex.de (ganzes Bild) zwischen 1947/49;
    rechts: Ausschnitt aus der Radierung von Johann Christoph Erhard, 1816.


    Über die Bauweise des Erdgeschosses gibt keine Abbildung Auskunft. Es wäre unzulässig, in Analogie zur unteren Seitenfassade automatisch auf eine Pfostenbauweise abzustellen, denn dort war ein Haus angebaut, und hier stand sie frei. Mauerwerk ist nicht auszuschliessen.

    Am 1. Obergeschoss ist ein gleichartiges Fenster mit einer Brüstungsstrebe darunter wie an der Vorderfassade auszumachen. Demnach fanden hier nach 1816 also auch Umbauarbeiten statt. Eigenartigerweise ist aber auf der Radierung von Erhard ein gleich grosses Fenster gezeichnet. Vielleicht wurde hier das Holz- und Mauerwerk infolge schlechten Zustandes und starker Setzungen nur erneuert, das Fenster aber in seiner Grösse belassen.

    Das 2. Obergeschoss entsprach mit einem Fuss- und Kopfband sowie ununterteilter Brüstung ganz dem Bestand an der Vorderfassade. Im Vergleich mit dem 1. Obergeschoss erkennt man, dass das Haus auch hier starke Setzungen aufwies.


    Rekonstruktion


    Es wäre jetzt zu früh, bereits eine Rekonstruktion des Urzustands des Hauses zu zeichnen, insbesondere weil die bisherigen Resultate erst auf unscharfen Fotoabbildungen beruhen. Die Originale dürften da noch weit mehr hergeben, vor allem auch für die wichtigste Partie des Hauses, der 'Stubenfront' am 1. Obergeschoss der Vorderfassade.

    neutormauer42_vorderseite_rek_75.jpg
    Teilrekonstruktion der Vorderfassade.


    So habe ich wenigstens mal eine Teilrekonstruktion der Vorderfassade versucht. Diese galt vor allem dem 2. Obergeschoss, das bis auf die Fenstererhöhung beim Umbau von etwa 1890 nahezu unverändert schien. Wenn man mit der Umzeichnung weiter oben vergleicht, sind nicht alle Bänder gesichert. Es könnte durchaus gewesen sein, dass mal eines weggelassen worden war. Interessanter wäre das allfällige Auffinden von Steigbändern wie an der Rückseite gewesen, doch diese Suche blieb bisher ergebnislos. Beim 1. Obergeschoss sind die mutmassliche Pfostenstellung von der Rückseite her hinüberkopiert und kurze Fussbänder eingezeichnet worden, da sich hier wohl die Hauptstube (Bohlenwände!) befunden haben dürfte (am ehesten hinter dem zweiten und dritten Wandfeld von links). Für das Giebelfeld gibt es bisher ebenfalls noch keine Anhaltspunkte.

    So spektakulär ist die Teilrekonstruktion nicht ausgefallen, was aber nicht darüber hinweg täuschen darf, dass das Haus viele Details preisgab, die bisher an fast keinen anderen Gebäuden in Nürnberg beobachtet werden konnten. Die Auflistung dieser bemerkenswerten Details wird das nun folgende Fazit prägen:


    Fazit

    - Erdgeschoss der Vorderfassade gemauert
    - Pfosten EG auf Steinfundamenten?
    - Rutenflechtwerk
    - Pultdächer

    Neutormauer 42 wurde wahrscheinlich in einem Zug als fünfgeschossige Fachwerkkonstruktion mit drei Voll- und zwei Dachgeschossen errichtet, deren Austeifung fast ausschliesslich über Fuss- und Kopfbänder erfolgte. Nur das Erdgeschoss der Vorderfassade (evtl. auch der östlichen Seitenfassade) bestand von Anfang an aus Sandsteinmauerwerk. Die Rückfassade fusste auf einem Erdgeschoss, dessen Pfosten möglicherweise auf Steinfundamenten anstatt auf einer Schwelle standen. Die Gefache waren an allen Geschossen mit Rutenflechtwerk ausgefüllt. Zwei rechtwinklig zueinander stehende Pultdächer bekrönten das Haus.


    - Pfosten stehen meist leicht verschoben übereinander
    - Ständer über zwei Geschosse im Dachstuhl
    - eng gelegte Balkendecke

    Für eine so grosse und einheitliche Fachwerkkonstruktion ist bemerkenswert, dass die Pfosten meistens leicht bis stark verschoben übereinander angeordnet waren. Trotzdem waren alle Vollgeschosse in fünf Felder in der Hausbreite unterteilt. Im stehenden Dachstuhl liefen die Pfosten in den Firstwänden über beide Dachgeschosse hindurch. Mindestens über einem Teil des 1. Obergeschosses lag eine eng gelegte Balkendecke.


    - Bänder bis an Aussenecken
    - Steigbänder
    - Steigband im Dachstuhl

    Bei der Aussteifung des Fachwerks ist bemerkenswert, dass die Fuss- und Kopfbänder jeweils bis an die Aussenkanten der Pfosten, Schwellen und Rähme reichten, und nicht wie üblich ein paar Zentimeter davor endeten. Am 2. Obergeschoss der Rückwand bestanden zudem zwei Steigbänder. Beide Details sind bisher noch nirgendwo anders in Nürnberg dokumentiert.

    Die konstruktiven Details finden sich vor allem an Bauten aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Einige sehr altertümliche Details wie Erdgeschosspfosten auf Steinfundamenten, Pultdächer, Rutenflechtwerk, Bänder bis an die Aussenecken der Eckpfosten lassen möglicherweise ein höheres Alter des Hauses bis ins 14. Jahrhundert zu. Auch die Ausrichtung des Hauses - ausschliesslich gegen Norden und direkt gegenüber der Stadtmauer - sprechen für keine bevorzugte Wohnlage, weswegen es über Jahrhunderte hinweg wohl nie stark umgebaut oder ersetzt wurde.

    Das Haus blieb bis 1951 in stark einsturzgefährdetem Zustand stehen, während alle Nachbargrundstücke bereits abgeräumt worden waren. Vielleicht bestanden bis damals Hoffnungen und Bemühungen, die Hausruine in unmittelbarer Nachbarschaft zum Albrecht-Dürer-Haus doch noch retten zu können.

  • Zitat von Gast

    Meinen herzlichsten Dank, Riegel, für deinen wie immer meisterhaften Beitrag. Mich würde interessieren, wie es in Nürnberg um den Überlieferungszustand der Häuserakten bestellt ist und ob sich hieraus ein eventueller Grad an Rekonstruktionsmöglichkeiten ergeben würde. Vielleicht weiß jemand um dieses Detail Bescheid.

    Soviel ich weiss, wurden in Nürnberg die Archivalien rechtzeitig ausgelagert und in Sicherheit gebracht, sodass auf dieses Material zurückgegriffen werden könnte. Es hat wohl damit zu tun, dass das Geschichtsbewusstsein in Nürnberg recht hoch war, galt doch die Stadt im Dritten Reich als die "Mittelalter-Stadt" schlechthin. Erstaunlich ist zudem das umfangreiche Planmaterial ab dem 17.(!) Jahrhundert, das viele Fassaden (Aufstockungen, Erkeranbringungen, Ersatz Fachwerk durch Mauerwerk etc.) zeigt, die meist in Parallelperspektive gezeichnet sind. Viele davon sind in "Das Bürgerhaus in Nürnberg" publiziert. Oft ist nebst dem pojektierten Zustand auch der bisherige Bestand dargestellt!

    Eigentliche Fassadenmassaufnahmen (wie in Frankfurt) sind meines Wissens im 20. Jahrhundert nicht gemacht worden. Ich bezweifle allerdings, wie weit Archivmaterial für Rekonstruktionsplanungen herangezogen werden könnte (und das betrifft viele andere Städte auch). Wenn man bedenkt, dass die Häuser in Nürnberg durchschnittlich sechs- bis siebenhundert Jahre alt waren, so hatten diese schon etliche Umbauten mit Grundrissänderungen über sich ergehen lassen müssen. Hervorragende Häuser wie das Pellerhaus oder das Toplerhaus sind da natürlich ausgenommen. Ich denke da eher an das Gross der durchschnittlichen Häuser. Ich habe schon einige Grundriss- und Schnittpläne von Altstadtgebäuden in Frankfurt gesehen, und da waren die Veränderungen meistens derart gross gewesen, dass nur noch mit Mühe der Urzustand erahnt werden kann. Diesbezüglich denke ich, dass dem Archivmaterial zu grosse Bedeutung beigemessen wird, wenn es sich um die Rekonstruktion durchschnittlicher Gebäude handelt. Vielmehr müsste da in die Erforschung der Haustypologie gesteckt werden.


    Kurzer Nachtrag zu Neutormauer 42:


    Im Erdgeschoss sind nun auch die Tür- und Fensteröffnungen eingetragen, so wie sie ab der Erhard-Radierung 1816 bis zum Abbruch bestanden. Dieser Zustand dürfte weitgehend, wenn nicht sogar komplett, dem Urzustand entsprochen haben. Bemerkenswert ist, dass keiner der mutmasslichen Pfosten des 1. Obergeschosses auf einen gemauerten Bogen zu stehen kam. Dies ist ein weiterer Hinweis, dass das Erdgeschoss im Zusammenhang mit der Fachwerkkonstruktion geplant worden war. Bei den herangezogenen Vergleichsbeispielen Obere Schmiedgasse 25 und Paniersplatz 10 ("Grolandhaus") lagen Deckenbalken (oder standen Pfosten) teilweise direkt auf einem gemauerten Bogen.


    neutormauer42_vorderseite_rek2_75.jpg
    Teilrekonstruktion der Vorderfassade. Beachtenswert das Zusammenspiel von Mauerwerkpfeilern im Erdgeschoss und darüber stehenden Pfosten im 1. Obergeschoss.

  • ist sein Abriss ebenfalls sehr bedauerlich, doch war die Ruine bezüglich der Erhaltensfähigkeit ein Grenzfall.

    Städtebaulich ist sein Abriß erst recht eine Katastrophe, vor allem auch in anbetracht dessen, was nachkam. Selbst ein Parkplatz wäre besser gewesen. Es wird interessant zu sehen, ob das Haus des rekonstruieren würdig sein würde.

    Für diejenigen, die die Situation nicht kennen: heute steht hier der Saalanbau des Albrecht-Dürerhauses von ca. 1971, der von der Architektur her vielmehr ein Solitär darstellt als denn ein Reihenhaus wie das abgebrochene Haus.

    Da das Haus noch mindestens 5 Jahre nach dem Krieg stand, vermute ich, dass hier die Möglichkeit einer Wiederherstellung bewusst offengehalten worden war, während praktisch alle Ruinen des Umfeldes innert kurzer Zeit nach Kriegsende abgeräumt wurden. Immerhin handelte es sich um ein Nachbarhaus des Albrecht-Dürer-Hauses, das nach immensen Sprengbombenschäden bereits 1947 bis 49 eine Instandstellung erfuhr.

    Nebst der Frage nach dem statischen Zustand der Ruine sind auch Fragen zur damaligen (1945) Definition eines Baudenkmals zu erörtern. Vor und nach dem Krieg war der Denkmalschutz vor allem auf Einzelobjekte beschränkt. Der Ensembleschutz kam erst in den 70er Jahren (1975 = Jahr der Denkmalpflege!) zum tragen. Von daher muss man sich fragen, ob Neutormauer 42 überhaupt als Baudenkmal betrachtet worden war. Wenn ich vermute, dass man sich Gedanken zur Erhaltung der Hausruine gemacht hatte, denke ich vielmehr, weil es ein Nachbarhaus des Albrecht-Dürer-Hauses war und weniger an Kriterien eines Einzelbaudenkmals.

    Der statische Zustand war denkbar schlecht, wie man auf einigen Abbildungen sehen kann. Insbesondere neigte sich das schmalere, westliche Ende des Erdgeschosses gegen die Gasse. Auch das 1. Obergeschoss war leicht schief (was für einen Fachwerkbau noch nicht tragisch wäre). Zudem bauchte die Vorderfassade, wahrscheinlich als Folge von Sprengbomben, teilweise stark aus. Der Dachstuhl stand auch nur noch gut zur Hälfte aufrecht, und war ebenfalls deformiert.

    Vom bautechnischen her hätte man die Konstruktion inklusive Erdgeschossmauer sicher ausrichten und reaktivieren können. Die geringe Gebäudetiefe und Ausrichtung gegen Norden hätten aber keine idealen Wohnungen zugelassen, und der Wunsch nach neuzeitlichen Wohnungen war damals sicher grösser als jener der Wiederherstellung eines 'sehr alten' Hauses.

    Der schliessliche Abbruch um 1951 ist insofern bedauerlich, dass das Grundstück dann zwei Jahrzehnte unbebaut blieb. Durch den Bau des Saalgebäudes des Albrecht-Dürer-Museums entstand ein Solitärbau, wo vorher während Jahrhunderten eine geschlossenen Häuserzeile bestanden hatte.

  • Irrerstr. 9


    Das Haus Irrerstr. 9 zeigt ein sehr skurriles Fachwerk, ähnlich jenem von Mühlgasse 2. Im linken Bereich sind Verstrebungen des 15. Jahrhunderts vorhanden, und an der restlichen Fassade zahlreiche Blattsassen erkennbar, die Hinweise auf die ursprüngliche Baustruktur geben. Die starke Setzung in der Mitte und auch Fensterumdisponierungen haben zu weitgehenden Veränderungen am Fachwerk geführt.

    Beschreibung in der Bayerischen Denkmalliste:
    - im Kern 2. Hälfte 15. Jh.
    - Aufstockung des 2. Obergeschosses wohl um 1500
    - Umbau um 1672 (bez.)

    Heute ist darin ein kleines Hotel untergebracht, und weil mir die Besitzer die Erlaubnis gaben, vom Restaurant Fotos zu machen, gibt's gleich ein bisschen Werbung:
    Welcome to HOTEL ELCH Nuremberg | BOUTIQUE HISTORY & LIVING


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    Irrerstr. 1 - 11. Das zweigeschossige, helle Haus ganz links ist das vor ein paar Jahren von den Altstadtfreunden Nürnbergs restaurierte Haus Irrerstr. 1.


    irrer9entz.jpg
    Entzerrte Fassadenansicht aus vier zusammenmontierten Teilaufnahmen. Vergrösserung


    Das Erdgeschoss steht gegenüber der Fassadenflucht vor, und die Fensteröffnungen machen die Setzungen der beiden Obergeschosse nicht mit. Wahrscheinlich ersetzte die Front eine Vorgängerin aus Fachwerk oder ebenfalls Mauerwerk. Ob dies 1672 erfolgte, weiss ich nicht, weil ich auf den Fotos die Datumszahl nirgends an der Fassade finden konnte. Die Profilierung der Fenstergewände weist aber in diese Zeit.

    Das 1. Obergeschoss wird links durch ein kurzes und langes Fussband sowie einem Kopfband verstrebt. Auch die Blattsassen am restlichen Geschoss zeigen diesen Befund einstiger Bänder. Diese Verstrebungsform kommt schon mindestens seit Beginn des 15. Jahrhunderts vor; weshalb in der Bayerischen Denkmalliste der Kern in die 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts datiert wird, ist mir unklar.

    Das 2. Obergeschoss wird links durch ein X-Strebenpaar verstrebt, dessen Gegenstück rechts vom Fenster leicht anhand eines Blattsasses ausgemacht werden kann. Das restliche Fachwerk entstammt dem 19., evtl. 18. Jahrhundert, und weist nicht einmal mehr die ursprünglichen Schwelle und Pfosten auf, sodass keine Befunde mehr vorhanden sind. Die Angabe in der Denkmalliste, dass das 2. Obergeschoss wohl um 1500 aufgestockt worden war, dürfte stimmen.

    Dass das Haus einmal aufgestockt worden war, sieht man nicht nur an den unterschiedlichen Verstrebungen, sondern auch an den Balkenköpfen zwischen diesen beiden Geschossen. In der Mitte der Oberkante der Balkenköpfe erkennt man kleine "Klötzchen". Hierbei handelt es sich um Flicke in Zapfenlöchern, in denen einst die Dachsparren sassen. Die Balkenköpfe standen ursprünglich etwa 15 cm gegenüber der Fassade vor (Vorholz), und wurden entweder bei der Aufstockung, oder als das Haus verputzt worden war, abgeschrotet, sodass die Zapfenlöcher angeschnitten worden waren.

    Denselben Befund gibt es auch bei Augustinerstr. 7, wo der Befund anhand eines Hauses aus St. Gallen (Turmgasse 8 ) zeichnerisch erläutert wird (nach dem dritten Zitat in diesem Beitrag; Stichwort "Balken in den Balken").

    Das heutige Dach stammt wohl von nach dem Krieg (dort stehen die Balkenköpfe effektiv auch vor!). Die ganze Häuserzeile Irrerstr. 1 - 9 ging ihrer Dächer im Krieg offenbar verlustig; nur die Nr. 7 ist ein kompletter Neubau.


    In der folgenden Ansicht sind die jüngeren Veränderungen am Fachwerk weggelassen und die Bänder, die durch die Blattsassen als sicher gelten, eingezeichnet (nur die beiden Bänder am rechten Eckpfosten des 1. Obergeschosses sind eine Annahme). Anhand der Bänder können auch die fehlenden Bundpfosten ergänzt werden. Eigenartig sind die unregelmässige Verteilung von kurzen und langen Fussbändern sowie das Fehlen einzelner Kopfbänder.

    Gemäss den Befunden ist es nicht sicher, dass das 2. Obergeschoss die gesamte Hausbreite einnahm. Die links erhaltene Partie könnte auch der Rest nur eines Quergiebels (Dacherker) sein, und der rechte Teil erst im 18./19. Jahrhundert vervollständigt worden sein.


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    Entzerrte Fassadenansicht mit Weglassung der jüngeren Veränderungen am Balkengefüge und Einzeichnung des ursprünglichen Fachwerks.


    Für ein Fazit ist über das Haus noch zu wenig bekannt.


    Es folgen noch zwei Innenansichten des Restaurants im Erdgeschoss. Ob die Bohlen-/Balkendecke zum Kernbestand des Hauses gehört, bezweifle ich, da sie den ganzen Durchhang der Fassade nicht mitmacht. Sie könnte gleichzeitig mit der Erneuerung der Erdgeschossfassade eingebaut worden sein, oder sogar eine "moderne" Zutat des letzten Umbaus. Hingegen dürfte der freistehende, achteckige Pfeiler in Gebäudemitte noch original sein (zweite Innenansicht). Der Rest sind alles jüngere Einbauten aus altem Holz. Unschwer ist das auf der ersten Innenansicht zu erkennen, wo die Stütze mit ihren zwei Kopfstreben nicht einmal die Decke berührt... :smile:

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  • Um den Gedankengang zwischen der entzerrten Fassadenansicht und der Rekonstruktionsansicht im letzten Beitrag zu verdeutlichen, folgt nun nachträglich doch noch ein Bauphasenplan:



    Bauphasenplan
    braun: Kernbau 15. Jh.
    rot: Aufstockung ca. 1500
    blau: spätere Veränderungen 18./19. Jh., am 1. OG teilweise evtl. schon früher
    grün: Reparaturen (Aufdoppelungen) und Dach 20. Jh.
    schwarz: Balken unklarer Bauphasenzugehörigkeit (Schwellbalken über EG, Rähm 2. OG)
    schwarz gestrichelt: ergänzte Bänder aufgrund der Blattsassen

  • Untere Wörthstr. 8


    Nun interessiert mich noch ein letztes Haus aus der Epoche der Gotik, als die Fachwerke durch Fuss- und Kopfbänder ausgesteift worden waren. Solche sind hier jetzt genug vorgestellt worden, sodass bald einmal nichts Neues mehr entdeckt werden kann. Dafür steht irgendwann ein Vergleich aller Bauten dieses Fachwerktyps an, um beispielsweise Bauten gleicher Zimmermeister zu finden, oder auch eine chronologische Reihenfolge innerhalb dieser Epoche erstellen zu können.


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    Links Südfassade; rechts östliche Giebelwand.


    In der Bayerischen Denkmalliste stehen zur Baugeschichte nur die Angaben
    - im Kern 15. Jh.
    - Fachwerk der Obergeschosse wohl 19. Jh.

    Das schmucklose und regelmässige Fachwerk lässt auf den ersten Blick auf einen Neubau aus dem 19. Jahrhundert schliessen, dessen konstruktives Fachwerk anfänglich wohl verputzt gewesen war. Auf das 15. Jahrhundert kommt man, sobald man die zahlreichen Blattsassen in den Haupttraghölzern entdeckt hat, und auch ein Blick auf die östliche Giebelwand offenbart einen gotischen Kern. Ebenso bekrönt ein Aufzugschörlein aus dem 16./17. Jahrhundert die Fassade (wobei man aber aufpassen und abklären muss, ob das Chörlein allenfalls erst in den letzten Jahrzehnten zwecks Wiederverwendung nachträglich aufgesetzt worden ist, was in Nürnberg oft geschieht).

    Das Fachwerk dürfte gemäss der eigenwilligen Putzstruktur mit horizontalen Einritzungen (wie auch beim Weinstadel und bei Weissgerbergasse 26) in den 1950er/70er Jahren freigelegt worden sein, als noch kein grosser Unterschied zwischen Sicht- und konstruktivem Fachwerk gemacht worden war. Heute würde man solches Fachwerk wohl kaum mehr hervorholen.


    Um möglichst viele Beispiele zu "Fachwerken mit angeblatteten Bändern" zu erhalten, habe ich mich dennoch entschlossen, von diesem vielversprechenden Haus das ursprüngliche Aussehen zu ermitteln.

    Wie immer der gewohnte Weg:
    - Planansicht der Fassade mittels Fotomontage aus entzerrten Teilaufnahmen
    - Einzeichnung der entfernten Bänder
    - Einzeichnung der Verlaufsrichtung der nur an einem Ende fassbaren Bänder
    - Ermitteln der fehlenden Bundpfosten.


    untwoe8sued_entz.jpg
    Entzerrte Südfassade aus drei Teilaufnahmen. In der Vergrösserung sind die zahlreichen Blattsassen zu erkennen.


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    Eintragung der durch Befunde gesicherten Fuss- und Kopfbänder sowie der daraus resultierenden Bundpfosten (satt-orange), Ergänzung der mutmasslichen Fuss- und Kopfbänder ohne Befunde sowie der Brustriegel (transparent-orange).

    Am 1. Obergeschoss ist nur das linke, relativ lange Fussband am Eckpfosten belegt. Da die Spuren im Rähm kleinere Kopfbänder als am 2. Obergeschoss nachweisen, gehe ich hier von Reihenfenstern einer mit Bohlen ausgewandeten Stube und Nebenstube aus, und demnach auch kleineren Fussbändern als das links gesicherte Fussband (beim rechten Eckraum sind an der Giebelfassade tatsächlich kurze Fussbänder vorhanden!).

    Am 2. Obergeschoss ist von den Kopfbändern ebenfalls nur das linke belegt. Bei Vergleichsbeispielen variieren die Kopfbänder ab dem 2. Obergeschoss im Allgemeinen wenig, und demnach sind die restlichen mutmasslichen Kopfbänder in ihrer Grösse allein nach diesem linken Kopfband angenommenen.

    Bei der Rekonstruktion der Bänder lohnt sich immer ein Kontrollblick auf die östliche Giebelwand, wo wesentlich mehr Originalsubstanz überdauert hat. Dieser Seite widmet sich dann der nächste Beitrag.

    Einmal mehr kann man nach dem Rekonstruktionsversuch feststellen, dass die Bundpfosten beider Geschosse leicht zueinander verschoben sind. Die zunehmende Verschiebung von rechts nach links erinnert an Neutormauer 42. Ebenso sind die Bundpfosten und Deckenbalken nicht in Bundebenen angeordnet, sondern stehen "nürnbergtypisch" bezugslos zueinander. Dass praktisch kein einziges Wandfeld gleich breit wie das andere ist, konnte schon sehr oft auch an anderen Bauten festgestellt werden. Dies erschwert es zusätzlich, die innere Raumorganisation zu ermitteln. Vermutlich lag hinter den mittleren beiden Wandfeldern die Stube, und rechts (östlich) davon die Nebenstube im Eckraum. Der linke Raum mit den langen Fussbändern könnte eine zusätzliche Kammer beherbergt haben.


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    Rekonstruktion der Primärstruktur.

    Um eine bessere Vorstellung des ursprünglichen Aussehens zu erhalten, sind nun die Fassadenpartien aus dem 19. Jahrhundert weggelassen, und die rekonstruierten Balken im Ton der erhaltenen originalen Balken eingefärbt. Anhaltspunkte über die ursprünglichen Fenstergrössen gibt es nicht einmal mehr an der Giebelwand, sodass auf eine weitergehende Rekonstruktion verzichtet wird. Am ehesten muss man sich am 1. Obergeschoss Reihenfenster, allenfalls mit Fenstererkern, und am 2. Obergeschoss kleinere Einzelfenster vorstellen.

  • Östliche Giebelwand


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    Entzerrte Ansicht der östlichen Giebelwand aufgrund der sehr steil aufgenommenen Fotografie am vorangehenden Beitragsbeginn.

    Mit der Entzerrung einer Fotografie aus einem so steil aufgenommenen Winkel gelangt man an die Grenzen der Auswertbarkeit. Nur schon die leicht hervortretenden Putzfelder verdecken einen Teil der Balkenquerschnitte, weshalb das Fachwerk in der Planansicht so unruhig erscheint. Auch die dritte Dimension (quer zur Fassadenebene) wird durch die Entzerrung sehr verstärkt, und so erscheinen leichte Ausbuchtungen oder Einknickungen innerhalb der Fassade als scheinbar starke Verformungen des Balkenwerks. Bei dieser Fassade ist dies in der rechten Fassadenhälfte sehr stark der Fall. Verbindungsdetails sowie durchgehende oder unterbrochene Balken können teilweise nur noch schwer erkannt werden, sodass ein Augenschein beim Objekt selbst und Handskizzen oder Detailaufnahmen unausweichlich sind, um die Baugeschichte zweifelsfrei zu erforschen.

    Die beiden Obergeschosse sind durch Bundpfosten in zwei gleich grosse Wandfelder unterteilt. Hinter diesen Bundpfosten würde man zwei Mittellängswände erwarten, aber einen Balkenkopf der zugehörigen Rähme dieser Wände kann man nur am oberen Geschoss erkennen. Am 1. Obergeschoss ist auch kein allenfalls entfernter Balkenkopf zu sehen. Dafür unterteilt das rechte Feld im 1. Obergeschoss ein weiterer, mit Bändern versehener Bundpfosten, der zudem oben einen Balkenkopf einer Längswand trägt. Die Längswand des 1. Obergeschosses ist also weit nach hinten (Norden) gesetzt. Um weitere Schlüsse daraus ziehen zu können, müsste ein Blick auf die Grundrisse geworfen werden.

    Der Dachstuhl besteht aus einem klassischen, zweifach stehenden Stuhl, der mit Steig- und Fussbändern verstrebt ist. Die "Mittelpfettenwände" haben keine Schwellen.


    untwoe8ost_entz_rek1.jpg
    Eintragung der durch Befunde gesicherten Fuss- und Kopfbänder sowie der nichtergänzbaren Blattsassen.

    Die Ergänzung der fehlenden Fuss- und Kopfbänder bereitet keine Mühe. Bemerkenswert ist aber der Bundpfosten im linken Wandfeld des 1. Obergeschosses, in dem zwei Blattsassen vorhanden sind, die aber in der Schwelle und im Rähm keine Gegenstücke finden. Demnach handelt es sich um einen zweitverwendeten Balken. Nun fällt auf, dass diese Blattsassen mit jenen in der Schwelle und Rähm an der linken Gebäudeecke fluchten würden, verschöbe man den Pfosten an die Ecke. Der heutige Eckpfosten gehört ja der Bauphase des 19. Jahrhunderts an, wie wir bei der Vorderfassade gesehen haben. Mit grosser Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei diesem Bundpfosten um den einstigen Eckpfosten, der, aus welchen Gründen auch immer, bei der Umgestaltung im 19. Jahrhundert verschoben worden war. Diese Annahme geht auch damit auf, dass der Eckraum nur kurze Fussbänder aufwies, und demnach mit Bohlen ausgefacht gewesen sein könnte. Somit wäre hier die Stube oder Nebenstube zu erwarten.


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    Rekonstruktion der Primärstruktur, unter Weglassung des konstruktiven Fachwerks aus dem 19. Jh.

    Am 2. Obergeschoss ist nicht klar ersichtlich, ob das Binnenfachwerk (Brustriegel, Fensterpfosten, Wandriegel) noch aus der Bauzeit des Hauses stammen könnte. Nur das linke Fenster ist eindeutig ein Produkt der Umbauphase im 19. Jahrhundert.

    Beide Wandfelder haben in der Mitte weitere, aber schwächere Bundpfosten, die das Gewicht der beiden Stuhlpfosten des Dachgeschosses aufnehmen, und so ein Durchbiegen des Wandrähms, der gleichzeitig auch den äussersten Deckenbalken bildet, verhindern. Zwischen die Eck- und Bundpfosten und diesen beiden schwächeren Bundpfosten sind die Brustriegel eingespannt, und schliesslich in letzter Funktion Brüstungs- und Fensterpföstchen.

    Am 2. Dachgeschoss fällt auf, dass die Brüstungsriegelkette fehlt, und so scheinbar grössere Fehlstellen im Fachwerk bestehen. Der Hahnenbalken ist aber an die Sparren angeblattet, wie auch der Kehlbalken und die Brüstungsriegelkette des 1. Dachgeschosses. Wäre also am 2. Dachgeschoss ursprünglich eine Brüstungsriegelkette vorhanden gewesen, so müssten in den Sparren zwei Sasse der Riegel darauf hinweisen, was effektiv nicht der Fall ist. Die geschosshohen Wandfelder, die als "Fehlstellen" scheinen, bestanden demnach schon von Anfang an. Vorstellbar ist ursprünglich eine Bretterverschalung, die später durch eine Ausmauerung ersetzt worden war (in der Ansicht leicht getönt).

    Ein ursprünglicher Krüppelwalm kann ausgeschlossen werden, da die Sparren ununterbrochen bis zum First durchlaufen. Die Sparren gehören bestimmt dem Ursprungsbau an, denn bei deren allfälligem Ersatz beim Wechsel vom Krüppelwalm zum vollständigen Giebel hätte man den Kehl- und Hahnenbalken sowie die Riegel kaum mehr angeblattet.


    Fazit:

    Untere Wörthstrasse 8 ist heute ein unscheinbarer Fachwerkbau mit grossen Partien aus konstruktivem Fachwerk des 19. Jahrhunderts und regelmässiger Fensterteilung. Das Erdgeschoss ist aus Sandstein grösstenteils modern gemauert. Darüber folgen zwei Fachwerkgeschosse mit einem zweigeschossigen Satteldach.

    Die Errichtung der Fachwerkgeschosse erfolgte im 15. Jahrhundert mit allseits angeblatteten Fuss- und Kopfbändern an den Pfosten. Die Pfostenstellung an beiden Geschossen ist zueinander leicht verschoben. Am 2. Obergeschoss der östlichen Giebelwand könnte sich noch Binnenfachwerk aus der Bauzeit erhalten haben. Der Grundriss des 1. Obergeschosses ist atypisch, und sollte noch genauer untersucht werden.

    Aus dem 16./17. Jahrhundert stammt der Aufzugserker.

    Im 19. Jahrhundert wurde die Hauptfassade und ein Teil der Giebelfassade mit einer regelmässigen Fensteranordnung klassizistisch umgestaltet und das Fachwerk verputzt.

    Um 1950/1970 wurde das Fachwerk wieder freigelegt, obwohl es sich beim grössten Teil der Bausubstanz um konstruktives, nicht auf Sicht konzipiertes Fachwerk handelte.

    3 Mal editiert, zuletzt von Riegel (14. September 2012 um 10:54)

  • Bevor ich zu einem (halbwegs) neuen Thema wechsle, soll mein Lieblingskandidat unter den Nürnberger Fachwerkbauten eine kleine Vorstellung erfahren. Es ist nämlich eine hässliche, ungepflegte Kiste!


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    Irrerstr. 5, Nordfassade.


    Irrerstr. 5


    Bei genauem Hinsehen, speziell auf die Fenstersimse, merkt man, dass es sich nicht um einen Nachkriegswiederaufbau handelt. Man erkennt feine unregelmässige Holzprofile, und auch sonst variieren die Fenstergrössen fast unmerklich. Die Fassade wird also schon mehr als bloss sechs Jahrzehnte auf dem Buckel haben! Als Vergleich dazu lohnt sich ein Blick auf die exakt ausgeschnittenen Fenster des benachbarten Neubaus Irrerstr. 7. Die unterschiedlichen Fensterformate im 2. Obergeschoss irritieren, und lassen im aktuellen Zustand der Fassade keine Aussage zu.

    Das Haus wird heute von einem Flachdach bedeckt. Die "Dachuntersicht" mit den schlanken Balkenköpfchen (wie beim Hotel Elch, Irrerstr. 9) verrät eine Entstehungszeit kurz nach dem Krieg.


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    Irrerstr. 1 - 11. Das zweigeschossige, helle Haus ganz links ist das vor ein paar Jahren von den Altstadtfreunden Nürnbergs restaurierte Haus Irrerstr. 1.


    Tatsächlich ist das Haus in der Bayerischen Denkmalliste als Schutzobjekt aufgeführt:
    - dreigeschossiger Traufseitbau mit Satteldach
    - Erdgeschoss Sandstein verputzt
    - Obergeschosse Fachwerk verputzt, 16./ 17. Jh.

    Anstelle von "Satteldach" müsste es allerdings "Notflachdach" heissen, und wo am Erdgeschoss verputzter Sandstein sein soll, ist mir bei den vielen Tür- und Fensteröffnungen auch unerklärlich - vielleicht im Gastgewerbelokal drin?

    Das Fachwerk unter dem Verputz verrät sich durch die hölzernen Fenstersimse und allenfalls auch durch die Leibungen aus Holz(?). Die dünnen Fensterpfeiler sprechen ebenfalls für einen Fachwerkbau, denn bei einem Massivbau müssten diese breiter sein. Leider sind am Verputz keine Verfärbungen sichtbar, die den Balkenverlauf verraten würden und somit Hinweise auf das Alter des Hauses geben könnten.

    Die Bestimmung des Fachwerks ins 16./17. Jahrhundert dürfte auf einer Schätzung beruhen und nicht auf Fakten. Einen Altershinweis könnte das hohe Erdgeschoss geben, das höher als bei den Nummern 1 (1509) und 3 ist, und demnach jünger sein dürfte.

    Die heutige regelmässige Fensteranordnung mit quadratischen Öffnungen trat wohl im 18./19. Jahrhundert an die Stelle einer unregelmässigen Anordnung mit kleineren Fenstern. Das Zwillingsfenster im 2. Obergeschoss rechts könnte noch aus der Bauzeit des Hauses stammen, aber es ist auch möglich, dass es sich um "modern" verkleinerte Badezimmerfenster handelt. Man müsste dazu die Fenstersimsen aus der Nähe betrachten.

    Mehr gibt es zu diesem Haus nicht zu berichten, ausser dem Ausdruck der Hoffnung einer baldigen Restaurierung und Rekonstruktion des Satteldaches!


    Edit.:
    Eine historische Fotografie des Hauses, die ich später gefunden habe, ist in diesem Beitrag zu sehen.