d) Die Konstruktion der Fensterstürze:
Im 1. Beitrag zu Am Ölberg 1 versuchte ich eine Rekonstruktionszeichnung der Ostfassade anzufertigen, ohne aber sichere Befunde zur Ausbildung der Fensterformate zu kennen:
Mutmassliches ursprüngliches Aussehen.[...]
Im 2. Obergeschoss war insbesondere die Höhenlage der Sturzriegel unbekannt. [...] Grundsätzlich ist es auch möglich, dass die Sturzriegel nicht von Pfosten zu Pfosten liefen, sondern zwischen zwei bis an den Rähm reichenden Fensterpföstchen lagen [Anm.: so wie bei den Einzelfenstern im Giebeldreieck].
Die von Pfosten zu Pfosten durchlaufenden Brust- und Sturzriegel sind die klassische Form der Fensterausbildung beim alemannischen Fachwerkbau bis ins 16. Jahrhundert. Bei Am Ölberg 1 finden sich in den Ansichten keine Hinweise, wie die ursprünglichen Stürze tatsächlich ausgebildet waren. Da es sich bei Am Ölberg 1 um einen ersten weitgehenden Rekonstruktionsversuch innerhalb dieses Stranges handelte, nahm ich so die klassische Form an.
Nun bin ich aber bei andern Bauten in Nürnberg sehr oft auf eine ursprüngliche Fensterkonstruktion mit zwischen die Fensterpfosten eingespannte Sturzriegel gestossen. Ein eigenes Kapitel zur "Fenstersturzfrage" würde den Rahmen innerhalb von Am Ölberg 1 sprengen, sollte aber bald einmal angegangen werden. Somit werden jetzt nur einige bisher behandelte Gebäude bezüglich der "Fensterfrage" nochmals betrachtet und hinterfragt.
Weiter muss unterschieden werden in "Hauptstubenfenster", die oft als Fenstererker hervorgehoben, und zwei- bis dreigliedrig sind. Hier bildet ein durchgehender Sturzbalken die Regel, da die Fenster meisten nahe bis an die tragenden Pfosten reichen. Die restlichen Fenster sind zumeist Einzelfenster, und diesen gilt das Interesse hier.
Bei niedrigen bis normalen Geschosshöhen bildet der Rähm zugleich auch die Fensterstürze, und bei normalen bis hohen Geschosshöhen sowie bei Fenstern im Estrichbereich werden separate Sturzbalken eingebaut. Bei weiteren Forschungen ist aber aufgefallen, dass die ältesten Fenster bei mit Fuss- und Kopfbändern versteiften Fachwerken mehrheitlich einen Sturzriegel zwischen den Fensterpfosten aufweisen, und nicht wie in der Rekonstruktion der Ostfassade gezeichnet von Pfosten bis Pfosten durchlaufende Sturzriegel! Bei jüngeren Bauten mit X- und K-Verstrebung treten jedoch mehrheitlich durchgehende Sturzriegel auf. Von der Fachwerkentwicklung her würde man es genau umgekehrt erwarten. Dazu einige Beispiele in chronologischer Reihenfolge:
Bergstr. 10 (1407)
Die Fensteranordnung ist im 19. Jahrhundert vollständig verändert worden. Im 1. und 2. Obergeschoss der Seitenfassade um am 2. Obergeschoss der Giebelfassade sind Spuren von einst durchgehenden Sturzriegeln vorhanden. Die zwischen die Fensterpfosten eingelassenen Sturzriegel betreffen Fensteröffnungen des 19. Jahrhunderts. (> Beitrag)
Albrecht-Dürer-Str. 39 "Albrecht-Dürer-Haus" (1418/19)
Freilich sind auch am Albrecht-Dürer-Haus Fensteröffnungen verändert worden, doch bei allen sind separate Sturzriegel vorhanden, und keine Reste einstiger durchgehender Sturzriegel erkennbar. Dies legt den Schluss nahe, dass schon die ursprünglichen Fenster mit einem separaten Sturzriegel abschlossen.
Albrecht-Dürer-Str. 6 (1437)
Am 1. Obergeschoss existieren immer noch die ursprünglichen Sturzriegel der Hauptstubenfenster. Die Fenster des 2. Obergeschosses zeigen ein Format des 19. Jahrhunderts. Die Fenster des 3. Obergeschosses dürften sehr alt, aber in der Breite zugunsten regulärer Fensterachsen verschoben worden sein. Wie beim Albrecht-Dürer-Haus finden sich keine Anzeichen von einst durchgehenden Sturzriegeln, ebensowenig beim Fenster des Dachgeschosses und an der Trauffassade. (> Beitrag)
Weinstadel (1446-48)
Auch wenn beim Weinstadel die meisten Fenster nicht mehr ursprünglich sind, gleicht der Befund denjenigen an Albrecht-Dürer-Str. 6 und 39. Jedenfalls befinden sich nirgends Reste von einst durchgehenden Sturzriegeln, auch an beiden Traufseiten nicht.
Untere Krämersgasse 18 (2. OG ca. 1450, 3. OG 1477)
Das 2. Obergeschoss ist relativ niedrig, sodass keine speziellen Fensterstürze erforderlich waren. Beim aufgestockten 3. Obergeschoss sind kleine Einzelfenster mit separaten Fensterstürzen vorhanden, die noch aus der Bauzeit stammen könnten. (> Beitrag)
Prechtelsgasse 10 (15. Jh.)
Die zeichnerische Rekonstruktion des zerstörten Hauses mit durchgehenden Sturzriegeln erfolgte ohne Befunde, und dürfte im Vergleich zu den vorangehenden Beispielen eher falsch sein! (> Beitrag)
Unschlittplatz 8 (1. H. 15. Jh.)
Die Fensterformate sind bei der Fachwerkfreilegung in den 1970er Jahren wahrscheinlich verändert worden. Dieser Massnahme entstammen die rekonstruierten, durchgehenden Sturzriegel am 1. Obergeschoss. Für die Baugeschichtsforschung darf dieses Gebäude daher nicht herangezogen werden; es sei denn, dass eine baugeschichtliche Untersuchung samt Dokumentation vorgenommen worden war. (> Beitrag)
Ludwigstr. 74 (2. H. 15. Jh.)
Das Beispiel ist eine Fotomontage mit dem rekonstruierten, mutmasslich ursprünglichen Zustand. Den Befund durchgehender Sturzriegel zeigt einzig ein kleines erhaltenes Stück rechts oben zwischen Kopfband und Eckpfosten. (> Beitrag 1. Teil, 2. Teil)
Weitere Beispiele von Bauten mit X-Verstrebung und hohen Geschossen sind noch unerforscht oder unerkannt.
Dötschmannsplatz 13 (16. Jh.)
Bei Bauten mit K-Verstrebung ging man offenbar wieder zur altertümlicheren Fenstersturzlösung mit durchlaufenden Sturzbalken über, nur dass sie nicht mehr zwischen die Pfosten, sondern zwischen die Kopfstreben eingezapft wurden. Bei Dötschmannsplatz 13 war dies am 3. Obergeschoss und 1. Dachgeschoss gut sichtbar, wenn auch mit kleinen Änderungen. (> Beitrag)
Fazit zu den Beispielen:
Erstaunlicherweise zeigen gerade die ältesten Bauten aus dem 15. Jahrhundert mehrheitlich zwischen die Fensterpfosten eingespannte Sturzriegel, und die jüngeren Bauten aus dem 16. (und evtl. 17.) Jahrhundert durchgehende Fensterstürze. Entwicklungssgeschichtlich würde man es gerade umgekehrt erwarten, aber die geringe Anzahl der Beispiele lässt noch keinen definitiven Schluss zu, wie sich die Konstruktion der Fensteröffnungen in Nürnberg entwickelte.
Fazit zum Rekonstruktionsversuch der Ostfassade:
Die Fenster im 2. Obergeschoss dürften anders ausgesehen haben als im Rekonstruktionsversuch. Gemäss vielen Beispielen von Fachwerkbauten derselben Epoche und mit angeblatteten Bändern waren offenbar keine von Pfosten zu Pfosten durchgehenden Sturzriegel vorhanden, sondern zwischen die Fensterpfosten eingespannte Sturzriegel.
Damit möchte ich die Betrachtungen zu Am Ölberg 1 vorläufig abschliessen.