Nürnberg - Fachwerkbauten

  • Zitat von Gast

    Vielen Dank für deine fundierten Beiträge zum Nürnberger Fachwerk. Eigenes beitragen kann ich leider nicht, dazu ist das Niveau deiner Ausführungen einfach zu hoch. Es ist hochinteressant, wie viel man, ausgehend von den nur sehr rudimentären Altstadtresten in Nürnberg, noch von der allgemeinen Entwicklungsgeschichte des Fachwerks in dieser Stadt vom Spätmittelalter bis ins 19. Jahrhundert rekonstruieren kann.


    Das ist etwas, was mich auch sehr überrascht hat. Vor allem, wenn man dedenkt, dass in Nürnberg in den letzten Jahrhunderten weit mehr als 1000 Fachwerkbauten standen, und durch die Erforschung nur sehr wenige Grundtypen herauskristallisiert werden können. Die kleine Zahl der bisher untersuchten Bauten ist zwar nicht zwingend repräsentativ, aber im Vergleich mit andern Städten ist diese Typisierung doch auffällig. Eine systematische Katalogisierung aller Fachwerkbauten, auch der zerstörten, würde viel hergeben.

  • 3. Bauten nur mit kurzen Fussstreben und ohne Fenstererker


    Das Fachwerk vom Pfeifergasse 8 fiel bei der Abhandlung durch die beliebige Verwendung von kurzen Fussstreben auf. Eine Unterscheidung in Bund- und Fensterpfosten ist dort unklar, und dementsprechend auch die Lage der Fussstreben. Weitere Bauten zeigen diese Eigentümlichkeit auch, während andere verwandte Bauten kurze Fussstreben nur an den Eck- und Bundpfosten aufweisen.

    3.a) Bauten mit unklarer Lage der kurzen Fussstreben:
    - Mostgasse 2, bez. 1566, Umbau um 1830
    - Pfeifergasse 8
    - Schlotfegergasse 7/9, bez. 1564

    3.b) Bauten mit kurzen Fussstreben an Eck- und Bundpfosten:
    - Obere Krämersgasse 16, Kernbau 1345, Umbau nach 1564, Fassadenänderung 17. Jh.
    - Schottengasse 1, 16./17. Jh.

    (Datumsangaben gemäss Bayerischer Denkmalliste)

    In dieser Gruppe sind Bauten aufgelistet, die alle keine Fenstererker aufweisen. Ob ursprünglich solche vorhanden waren, ist schwer abzuschätzen, und müsste weiter untersucht werden.


    Pfeifergasse 8


    pfeifergasse8_3136x30_15.09.09.jpg

    Bei der Vorderfassade ist unklar, ob sie in einem Guss entstanden ist. Jedenfalls sind beide Obergeschosse identisch und dürften gleich alt sein. Während die Eckständer mit konvex gebogenen, ¾-wandhohen Fussstreben und Kopfwinkelholz versehen sind, gibt es dazwischen nur Pfosten, die entweder ohne oder ein- und beidseitig mit kurzen Fussstreben verstrebt sind. Zudem ist die Lage eines Bundständers nur unsicher auszumachen, und zwar unterhalb des Wechsels von breiter und enggelegter Balkenlage. Dieser Pfosten hat als einziger beidseits Fussstreben. Die restlichen Fussstreben sind symmetrisch unter die Dreierfenstergruppen verteilt, sodass in einem Brüstungsfeld eine oder zwei Streben sitzen.

    Die Rückseite des Hauses zeigt ein ganz anderes Fachwerkbild, wiederum aber mit konvex gebogenen, ¾-wandhohen Fussstreben an den Eckpfosten und am mittig situierten Bundpfosten. Das ursprüngliche Fachwerkbild (Fensterteilung verändert) scheint hier einheitlicher und ruhiger als auf der Vorderseite, weshalb bei letzterer ein sehr früher Umbau stattgefunden haben kann. Bezeichnenderweise gibt es eine ununterbrochene Zick-zack-Linie für alle Streben.
    (aus dem ausführlicheren Beitrag und Folgebeitrag)


    Mostgasse 2


    mostgasse_schlotfegergasse_3368_30_16.09.09.jpg

    Das Fachwerk der beiden Obergeschosse ist durch eine massive Fensterveränderung (1830?) stark verändert worden. Auffallend ist, dass als einzige Streben oder Schmuckhölzer nur kurze Fussstreben vorhanden sind; wandhohe Streben oder Kopfstreben fehlen gänzlich.

    Die Giebelseite ist heute nur noch sehr spärlich verstrebt; eine der drei Fussstreben befindet sich zudem am (jüngeren?) Seitentrakt. Dafür haben einige Bundpfosten, erkennbar an den darüber auskragenden Köpfen von Unterzügen, den Umbau überdauert. An ihnen würde man eigentlich auch Fussstreben erwarten, aber offenbar war der Umbau so massiv, dass nicht mal solche übrig blieben, obwohl sie auf Brüstungshöhe nicht im Wege gewesen wären.

    An der Traufenseite sieht es besser aus, wo an den linken Eckpfosten und an einigen Bundpfosten Streben vorkommen. Bundständer stehen meist beim Zusammentreffen von Zwischenwänden auf die Fassaden, doch bei Mostgasse 2 scheint es auch Bundpfosten zu geben, wo keine Wände dahinter stehen. Auffallend sind die Fussstreben beidseits der Fensterpfosten des zweiten Fensters von links, wo sich ein ähnliches Balkenbild wie bei Pfeifergasse 8 ergibt.


    Schlotfegergasse 7/9


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    Bei Schlotfegergasse 7/9 sind die Befunde gleich wie bei Mostgasse 2 - veränderte Fensteranordnung, und damit wahrscheinlich nicht mehr der vollständige Bestand der ursprünglichen Fussstreben. Auch erweckt die Fassade den Eindruck, dass sie mehr als eine Veränderung erfahren hatte.

    Die Bund- und Fensterpfosten sind leichter unterscheidbar, nicht nur anhand der Fussstreben, sondern auch anhand der Dicke der Pfosten.

    Auch hier gilt wieder: eine Systematik über die Verteilung der Fussstreben ist nicht leicht auszumachen. Möglicherweise würden die historischen Grundrisse mehr hergeben.


    Obere Krämersgasse 16


    oberekraemersgasse16_3210_30_15.09.09.jpg

    Klarere Verhältnisse bestehen bei Obere Krämersgasse 16, auch wenn hier ebenfalls die Fenster verändert sind. In der rechten Hälfte rechnen die Fussstreben mit hochliegenden Brustriegeln, während sie links mit den tieferliegenden Brustriegeln ebenfalls übereinstimmen. Vermutlich liegt links eine Stube.

    Die Art und Weise, wie die linken beiden Fenster gezimmert sind, fällt auch bei andern Bauten auf (Pfeifergasse 7, Zirkelschmiedsgasse 26); ein Fensterpfosten hat Geschosshöhe, und der andere nur Fensterhöhe. Der Brustriegel läuft dann einseitig vom längeren Fensterpfosten bis zum Bundpfosten durch. Bei Pfeifergasse 7 handelt es sich dabei um eine Sichtfachwerkkonstruktion, aber bereits um eine Abänderung des ursprünglichen Balkenwerks. Ob die Balkenanordnung bei Obere Krämersgasse 16 ursprünglich ist oder auch eine Abänderung, kann von aussen nicht festgestellt werden.

    Bei der rechten Fassadenhälfte wäre von Interesse, zu wissen, ob hinter beiden Wandfeldern zwei Räume oder nur ein Raum vorhanden sind (oder waren). Wäre es nur ein Raum, dann bestünde hier ein funktionsloser Bundpfosten, welcher aber trotzdem mit Fussstreben versehen wäre (vermutlich ist die links liegende Stube später auf Kosten des rechten Raumes vergrössert worden, wenn man die drei gleichgrossen Fenster betrachtet).


    Schottengasse 1


    schottengasse_3143x30_15.09.09.jpg

    Über einem gemauerten Erdgeschoss besteht nur ein Fachwerkgeschoss. Die Giebellukarne entstammt einem Umbau im 19. Jahrhundert. Die Fensteranordnung scheint aufgrund der Formate und regelmässigen Verteilung nicht mehr die ursprüngliche zu sein, dafür laufen aber die Brustriegel nach alter Manier noch durch. Fussstreben bestehen an beiden Eckpfosten und an einem Bundpfosten, wo dahinter möglicherweise eine Trennwand folgt.


    Fazit:
    Bei dieser Gruppe von Bauten ist ein Fazit schwer zu formulieren. Einerseits haben alle Beispiele mehr oder weniger starke Veränderungen erfahren, was ihren Beispielswert stark einschränkt. Dennoch ist eine schleichende Abflachung in der Logik des Balkenbildes spürbar, was bei den Bauten mit angeblatteten Bändern nicht der Fall war. Das einstige Vorhandensein von Fenstererkern ist nicht erwiesen.

  • 4. Bauten nur mit kurzen Fussstreben und mit Fenstererkern


    Nun gibt es einige Bauten, welche sich durch Fenstererker über die ganze Fassadenbreite auszeichnen, und dies jeweils nicht nur an einem Geschoss, sondern gleich an mehreren. Da dann jeweils nur das Fachwerk der Brüstungen freiliegt, ist nicht die gesamte Verstrebungsart sichtbar. Während wie gewohnt kurze Fussstreben dominieren, sind ¾-wandhohe oder geschosshohe Streben nicht auszumachen. Kurze Kopfstreben könnten durch die Vormauerungen der Fenstererker verdeckt sein, aber wie man bereits beim ersten Beispiel sehen wird, müssen dort solche nicht zingend vorhanden sein.

    - Albrecht-Dürer-Str. 24, 1570
    - Burgamtmannshaus, 14. und 16. Jh.
    - Heilig-Geist-Spital (evtl. Rekonstruktion), 1438, 16. und 18. Jh.
    - Obere Schmiedgasse 10 / Am Ölberg 9, vor 1500 und 1600
    - Schildgasse ca. 27 (zerstört)

    (Datumsangaben gemäss Bayerischer Denkmalliste)


    Albrecht-Dürer-Str. 24


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    Links: Vorderfassade; rechts: Rückfassade.

    Albrecht-Dürer-Str. 24 wurde 1570 als Lagerhaus errichtet und erst 1928 zu einem Wohnhaus umgebaut. Trotz der ungewöhnlichen Nutzung an einer Hauptgasse erweckte die Hauptfront von Anfang an den Anschein eines Wohnhauses, was besonders die Fenstererker über die gesamte Fassadenbreite an allen Obergeschossen unterzeichnen.

    Die Brüstungen sind durch je vier Eck- und Bundpfosten mit allseits anliegenden Fussstreben sowie zwei Brüstungspföstchen gegliedert. Alle Pfosten sind zur optischen Abstützung der Fenstererker mit Pilastern versehen. Ein solcher Fassadenschmuck steht in Nürnberg (evtl. zusammen mit Schildgasse ca. 27, siehe letztes Beispiel dieses Beitrags) als Ausnahme allein da. Gemäss einer Aufnahme im Bildindex waren anlässlich des Weltkrieges einige Mauerfüllungen der Fenstererker herausgefallen, und dahinter waren nirgends Kopfstreben sichtbar.

    Das Fachwerk und die Fensteranordnung ergeben ein in sich sehr stimmig proportioniertes Bild.

    Die Rückseite beherrscht ein K-Sreben-Fachwerk, welches nachgewiesenermassen auch von 1570 stammt. Teilweise bestehen K-Verstrebungen mit Fuss- und Kopfstreben, teilweise auch solche einfacherer Art nur mit Fussstreben.


    Burgamtmannshaus


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    Das Burgamtmannshaus ist ein dreigeschossiges Wohnhaus aus dem 14. und 16. Jahrhundert. Im Vergleich mit Albrecht-Dürer-Str. 24 dürfte sich die Angabe "16. Jahrhundert" auf die oberen beiden Fachwerkgeschosse des Westtrakts beziehen. Wie beim ersten Beispiel bestehen auch hier fassadenbreite Fenstererker, und die Brüstungen werden ebenfalls nur durch Eck- und Bundpfosten mit anliegenden Fussstreben und wenige Brüstungspföstchen gegliedert. Hingegen fehlt der Fassadenschmuck mit Pilastern.


    Heilig-Geist-Spital


    spital_3074xx50_15.09.09.jpg

    Bei einem Trakt entlang der Pegnitz bestehen fünf Dachaufbauten unter Schleppdächern mit Fachwerk in der Art und Weise von Albrecht-Dürer-Str. 24 und dem Burgamtmannshaus. Das Fachwerk ist infolge kleiner Unregelmässigkeiten nicht so konsequent gegliedert wie bei letzteren beiden. Es ist mir aber unklar, ob es sich dabei um Rekonstruktionen anlässlich des Wiederaufbaus des Heilig-Geist-Spitals in den 1950er-Jahren handelt.


    Obere Schmiedgasse 10 / Am Ölberg 9


    obereschmiedgasse10_3185_30_15.09.09.jpg
    Rückfassade 2. und 3. Obergeschoss gegen Am Ölberg, 2. OG mit Fussbändern, 3. OG mit eingezapften Fussstreben.

    obereschmiedgasse10_3181_30_15.09.09.jpg
    Vorderfassade 1. und 2. Obergeschoss gegen die Obere Schmiedgasse, ausschliesslich mit Fuss- und Kopfbändern.

    Das oberste Geschoss der Rückseite (3. Obergeschoss) hat kein Gegenstück auf der Vorderseite. Während von der Vorderseite das 1. und 2. Obergeschoss Fachwerk zeigen, sind es infolge Hanglage auf der Rückseite das 2. und 3. Obergeschoss mit Fachwerk. Von der Verzimmerung her entsprechen die beiden Geschosse der Vorderseite und das 2. Obergeschoss der Rückseite einander, und dürften mit ihren Fuss- und Kopfbändern den Kernbau von um 1500 bilden.

    Das rückseitige 3. Obergeschoss hingegen gehört in die Gruppe von Fachwerk mit Fensterkern und kurzen Fussstreben, und dürfte später aufgestockt worden sein.


    Schildgasse ca. 27


    schildgasse-auss2MI07687c11a.jpg
    Entzerrter Ausschnitt aus mi07687c11a.jpg.

    Das 2. und 3. Obergeschoss waren identisch; fassadenbreite Fenstererker, allseits verstrebte Eck- und Bundpfosten, sowie einige Brüstungspföstchen. Auf dem vergrösserten Bildausschnitt sind evtl. sogar aufgesetzte Pilaster zu erkennen wie bei Albrecht-Dürer-Str. 24!

    Wen man das ganze Bild (s. Link im Bildtext) betrachtet, erkennt man auf der Haustrennwand eine fast geschosshohe Strebe, welche in dieser Form kaum eine Blattverbindung, sondern eher eine Zapfenverbindung besessen haben dürfte. Die Grösse der Strebe entspricht einer Fussstrebe bei einem K-Strebenpaar. Somit denke ich, dass auch die Fussstreben der Vorderfassade eingezapft gewesen waren. Dies könnte eine schärfere Aufnahme nachweisen.


    Fazit:
    Diese fünf Beispiele weisen eine besonders einheitliche und harmonische Struktur auf. Die einzelnen Wandfelder zwischen je zwei Hauptpfosten werden nicht mehr bezüglich der Grösse und Funktion des dahinterliegenden Raumes gestaltet, sondern einheitlich mit kurzen Fussstreben und Fenstererkern. Die Beispiele stammen hauptsächlich aus dem 16. Jahrhundert, gleich wie die beiden vorangegangen Gruppen "Fachwerk mit K-Streben" und "Fachwerk nur mit kurzen Fussstreben ohne Fenstererker".

    Ein Vergleich dieses Fachwerktyps mit dem 3. Obergeschoss des "Pilatushauses", Ob. Schmiedgasse 64/66, lohnt sich, denn vom Fachwerkbild entsprechen sich diese gänzlich. Der einzige Unterschied besteht nur in der Blatt- statt Zapfenverbindung der Verstrebungshölzer.

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    "Pilatushaus", Ob. Schmiedgasse 64/66.

  • 5. Bauten nur mit aneinandergereihten kurzen Fussstreben


    Ein besonderes Schmuckfachwerk ergibt sich durch die enge und regelmässige Aneinanderreihung aller Pfosten mit allseits anliegenden Fussstreben. Dadurch entsteht der Eindruck eines Niedersächsischen Fachwerks. Die beiden Beispiele sind allerdings Aufstockungen; komplette, mehrgeschossige Fachwerke dieser Art sind bisher nicht bekannt. Auch bei vieleckigen Türmchen kann solches Fachwerk beobachtet werden.

    - Maxplatz 29, nach 1594
    - Mühlgasse 2, Aufstockung, Kern 1. H. 16. Jh.
    - Obere Schmiedgassse 64/66 "Pilatushaus", Giebeltürmchen, nach 1596
    - Untere Kreuzgasse 5, Treppenturm

    (Datumsangaben gemäss Bayerischer Denkmalliste)


    Maxplatz 29


    (Ohne Bild)

    An der Vorderseite ist die Fassade ganz in Sandstein aufgeführt, und auf der Rückseite mit Ausnahme des obersten Geschosses ebenfalls. Pablo de la Riestra gibt 2005 in "Nürnberg - Die historische Altstadt" an, dass das Fachwerkgeschoss der Rückseite aus der Zeit kurz nach 1500 stamme. Wenn er schreibt "Die Fusswinkelhölzer sind zwar verzapft und nicht mehr angeblattet, aber immer noch gotisch", so wurde er vielleicht beeinflusst vom Niedersächsischen Fachwerk, welches in "gotischer" Zeit, also sicher vor den 16. Jahrhundert, solches Fachwerk hervorbrachte. In Nürnberg ist solches Fachwerk aber undenkbar, da für jene Zeit die Blattverbindung noch in ihrer Blüte stand. Erste Anzeichen für die Zapfenverbindung folgten erst im 16. Jahrhundert.

    Gemäss der Bayerischen Denkmalliste ist das Fachwerk auf "nach 1594" dendrodatiert worden. Auf dem einstigen Foto in der Liste kann man leider nicht recht erkennen, ob auf der ganzen Fassadenbreite ein Fenstererker besteht oder nicht.


    Mühlgasse 2


    muehlgasse2_3390x30_16.09.09.jpg

    Durch Anheben der nördlichen Dachfläche entstand das 2. Obergeschoss. Von links her gehören der Eckpfosten und die zwei nachfolgenden Bundpfosten, alle mit anliegenden Fussstreben, zum Kernbestand der Aufstockung. Die Fenster sind später in die Brustriegel eingeschnitten worden. Die rechte Hälfte besteht aus konstruktivem Fachwerk des 19. Jahrhunderts, und lässt dort keine Rückschlüsse auf das ursprüngliche Fachwerk mehr zu. Die Fussstrebe rechts scheint erst bei der Fachwerkfreilegung an dieser eigentümlichen Lage eingesetzt worden zu sein.
    (mehr über den Kernbau in diesem Beitrag)


    Obere Schmiedgassse 64/66 "Pilatushaus", Giebeltürmchen


    tiergaertnertorplatz_3283x30_16.09.09.jpg

    Gemäss der Literatur wurde das "Pilatushaus" 1489 erbaut, und 1596 erfolgte eine Abänderung am Dach. Von 1596 könnten die Partien mit K-Strebenpaaren im Giebeldreieck und das Giebeltürmchen stammen. Die Fensterbrüstungen des achteckigen Türmchens zeigen eine lückenlose Reihe von Fussstrebenpaaren.
    (mehr über den Dachumbau in diesem Beitrag)


    Untere Kreuzgasse 5, Treppenturm


    (ohne Bild)

    Das oberste Geschoss des achteckigen, hofseitigen Treppenturms zeigt wie beim Giebeltürmchen des "Pilatushauses" in allen Brüstungen Fussstrebenpaare, wodurch ein krönender Fries entsteht.


    Fazit:
    Bei den Beispielen handelt es sich durchwegs um Aufstockungen oder oberste Geschosse. Zuoberst an einem Haus ist die Lage prädestiniert, einen krönenden Abschluss in Form eines Frieses anzubringen. Das Fachwerk mit regelmässig angeordneten Pfosten und allseits anliegenden Fussstreben löst sich vom Abbilden der inneren Organisation eines Hauses gegen aussen, und hat somit eher eine schmückende Funktion. Die Frage nach Fenstererkern bei dieser Gruppe bleibt vorderhand noch offen.

  • 6. Vorläufige Zusammenfassung


    Für eine abschliessende Zusammenfassung müssten eigentlich noch mehr Beispiele betrachtet werden, und vor allem auch jeweils deren Hausinneres. Da bisher nur eine Betrachtung einzelner Fassaden erfolgte, bildet vorerst eine "vorläufige" Zuammenfassung den Abschluss des Themas.

    Es hat sich herauskristallisiert, dass Fachwerke mit kurzen Fussstreben nicht einfach nur einen "Fachwerktyp" darstellen, sondern aus dem gotischen Fachwerk mit angeblatteten Bändern herausgewachsen waren. Dort hatten sich vor allem bei den beheizbaren Stuben aufgrund breiterer Fenster und Bohlenausfachungen auffallend breite Fussbänder entwickelt, während für die restlichen, geschosshohen Wandpartien Fuss- und Kopfbänder in verschiedenen Variationen und Längen vorkommen. Wenn auch bei jüngeren Fachwerken die Bohlenausfachungen langsam verschwanden, so blieb der breiteren Fenster wegen bei den Stuben immer noch die Verstrebung mit ausschliesslich kurzen Fussstreben.

    Geblieben ist auch die Verwendung ausschliesslich einer zweiten Verstrebungsart am ganzen Haus für die restlichen Räume. Während bei den gotischen Fachwerkbauten entweder kurze, lange, doppelte oder überkreuzte Bänder vorkommen, ist es bei den Bauten ab dem 16. Jahrhundert die K-Verstrebung bei den restlichen Räumen.

    Jeweils zwei "Wandfeldtypen" an einem Haus

    Doch langsam verflachte die Unterscheidung in zwei Wandfeldtypen für Stuben und restliche Räume, sodass an den Fassaden nicht mehr auf die Funktion der dahinterliegenden Räume geschlossen werden konnte. Auch Gewerbebauten, wie beispielsweise Albrecht-Dürer-Str. 24 oder Pfeiffergasse 10, erhielten nun Fassaden, welche sich nicht mehr von solchen von Wohnbauten unterscheiden liessen.

    Doch konnten immer noch zwei Verstrebungsarten an ein und demselben Haus vorkommen, wenn auch nicht mehr in der Unterscheidung der Raumfunktionen, sondern zur Hervorhebung der Hauptfassade gegenüber den Seiten- und Rückfassaden. War es bei den gotischen Fachwerken ein funktioneller Grund, welcher zu jeweils zwei Verstrebungstypen an einem Haus führte, war es bei den späteren Bauten ein optischer, wertbestimmender Grund.


    Das Thema mit zwei "Wandfeldtypen" streiften wir innerhalb dieses Stranges bereits einmal ab diesem Beitrag:

    Zitat von "baukunst-nbg"

    [...] zur Hinteren Beckschlagergasse 22: Bist Du dir sicher, daß auch das linke Feld im 2. OG gekreuzte Streben hatte? Es könnten doch auch nur Fußstreben gewesen sein, oder Fußstreben mit kleinen Kopfbändern. Auch bei den bisherigen Fundstücken haben wir doch kaum zwei gleiche Felder nebeneinander gesehen, nicht wahr?

    Zitat von "Riegel"

    [...] Gleiche Felder kommen doch oft nebeneinander vor! Allein beim schon sehr unregelmässig wirkenden Haus Waaggasse 11 kann man dies feststellen. Und speziell bei der Hinteren Beckschlagergasse 22 erscheint die Reihung sogar sehr ausgeprägt, wenn man das 1. Obergeschoss beobachtet. Allein schon aus diesem Grund würde ich dieses Haus jünger als die mit ihm verwandte Waaggasse 11 einschätzen.

    Zitat von "baukunst-nbg"

    Also an der Waaggasse 7 [edit. 11] kann ich keine exakt zwei gleichen Felder nebeneinander entdecken, hilf mir doch mal. [...]

    Zitat von "Riegel"

    Also exakt gleiche Wandfelder gibt es dort auch nicht, abgesehen von den vier Feldern der Eckstube im 2. Obergeschoss (wo ich vermute, dass der Fenstererker nachträglich angefügt worden ist). Aber immerhin wird die Verstrebungsart bei jedem Feld im 2. und 3. Obergeschoss angewendet, wo kein Fenstererker sitzt. Und das ist doch das Wesentliche; nicht, ob es ein oder zwei Fenster sind, oder ob ein Wandfeld ein bisschen breiter als das andere ist. Die Wiederholung eines solchen Standardfeldes sehen wir im 3. Obergeschoss viermal, und im 2. Obergeschoss (wenn man sich den Fenstererker weg denkt) sogar fünfmal.

    Somit verbleiben nur zwei unterschiedliche Wandfeldtypen:
    - Typ 1 mit kurzen Fuss- und evtl. Kopfbändern infolge Fenstererker
    - Typ 2 mit Kreuzverstrebung
    (rechts gibt es noch zwei Wandfelder ohne Verstrebungen; spätere Abänderung?


    waagg11entz_klein.jpg
    Waaggasse 11.

    Man könnte nun diese Feststellung als weitere Arbeitshypothese an anderen Gebäuden nachprüfen, z.B. am Pilatushaus. Auch dort kommt man auf zwei Wandfeldtypen. Diese Feststellung habe ich gestern Abend auch bei ersten Zeichnungsarbeiten zu Wunderburggasse 19 gemacht.


    Gerade im letzten Zitat benutzte ich den Begriff "Standardfeld" und wies bereits auf die Möglichkeit von zwei "Wandfeldtypen" hin. Die damals formulierte Arbeitshypothese bestätigte sich also bei den jetzt untersuchten Bauten mit kurzen Fussstreben, sodass ich folgende Regel aufstelle:

    Fachwerkbauten mit angeblatteten Bändern und solche mit K-Streben und dominierenden Fussstreben haben normalerweise (mindestens bei Wohnbauten) zwei Wandfeldtypen:
    - ein Standardfeld (für die Hauptverstrebung)
    - ein Stubenfeld (für Reihenfenster, normalerweise bei beheizbaren Stuben)

    Der funktionelle Grund zur Ausbildung zweier Wandfeldtypen wandelt sich während der Weiterentwicklung des Fachwerks mit K-Verstrebungen und dominierenden Fussstreben (im Verlaufe des 16. Jahrhunderts?) zu einem optischen, wertbestimmenden Grund, sodass die Wandfelder anders definiert werden müssen, z.B. in:
    - ein Standardfeld (für die Rückfassade und Seitenwände)
    - ein Stubenfeld (für die Hauptfassade)

    Eigentlich sind die Anmerkungen zu zwei Wandfeldtypen nicht das Thema dieser Untersuchung, aber sie ergaben nebenher trotzdem eine neue Erkenntnis und bildeten die Grundlage zur Erstellung von Skizzen mit einem Idealfachwerk. Deshalb zeigen die Skizzen immer zwei Wandfelder. Die einzelnen Abschnitte werden durch diese "Skizzen mit einem Idealfachwerk" angeführt, wobei die Fensterausbildungen nicht als relevant betrachtet werden dürfen! Diese sind bisher noch nicht untersucht worden, und zeigen über alle Epochen hinweg mehrere Variationen, die vor allem von den Geschosshöhen abhängen. Der Text entspricht mehr oder weniger den "Faziten" der vorangegangenenen Beiträge, und sollte nach Kenntnis weiterer Bauten noch überarbeitet werden.


    1. Bauten mit angeblatteten Bändern


    fuss_kopf.jpg . fuss_x.jpg
    Links: Fachwerk mit kurzen und langen Fussbändern und kurzen Kopfbändern; rechts: Fachwerk mit überkreuzten Fuss- und Kopfbändern (X-Verstrebung).


    Bei den ältesten bekannten Fachwerkbauten Nürnbergs erfolgt die Verstrebung mit kurzen und langen Fuss- und Kopfbändern, teils einzeln, teils doppelt, teils überkreuzt, unabhängig vom Geschoss und den dahinterliegenden Räumen. Eine Ausnahme bilden die Bohlenstuben, die bis fast an die Bund- und Eckpfosten reichende Fenster aufweisen. Die Verstrebung kann hier nur mit breiten, brett-dicken Bändern erfolgen. Die datierbaren Beispiele liegen alle zwischen 1389 und 1489.


    2. Bauten mit eingezapften K-Streben


    fuss_k_normal.jpg
    Fachwerk mit K-Verstrebung und kurzen Fussstreben bei den Stuben.

    fuss_k_einfach.jpg
    Vereinfachte Variante von oben.

    Fenstererker kommen praktisch nicht mehr vor. Auch die Bauweise mit Bohlenausfachungen konnte nirgends mehr beobachtet werden, denn bei Streben mit voller Wandstärke können unmöglich Bohlenausfachungen bestehen. Da Streben eingezapft, und nicht angeblattet sind, müssen sie zwingend den vollen Wandquerschnitt aufweisen. Das heisst, dass aus Gründen der nicht mehr angewendeten Bohlenausfachungsart auch keine kurzen, breiten Fuss- und Kopfbänder mehr nötig sind.

    Trotzdem haben kurze Fussstreben ihre Nachfolge angetreten, und sich neben den "moderneren" K-Streben behauptet. Der Grund liegt nun viel mehr bei der Fensterbreite, wenn zwischen Fenster und Pfosten kein Platz mehr für ein K-Strebenpaar vorhanden war. So entwickelten sich die kurzen Fussstreben vor allem im Bereich von (Stuben-)Reihenfenster.


    fuss_k_spezial.jpg
    Spezielle Wandfelder bei Fachwerk mit K-Verstrebung.

    Daneben können kurze Fussstrebenpaare auch bei schmaleren und untergeordneten Fenstern beobachtet werden. Dies ist besonders dann der Fall, wenn K-Streben nicht nur an den Eck- und Bundpfosten angeschlagen werden, sondern auch an den Fensterpfosten (obere Skizze). Bei ziemlich breiten Wandfeldern kann in der Mitte ein weiterer Bundpfosten stehen, der dann als Fenstermittelpfosten fungiert, an den beidseits kurze Fussstreben angeschlagen werden (untere Skizze).

    Es könnten sich somit drei K-Fachwerktypen herauskristallisieren:
    - K-Streben nur an Eck- und Bundpfosten, kurze Fussstreben nur unter breiteren (Stuben-)Reihenfenstern (bspw. Prechtelsgasse 10, Augustinerstr. 7)
    - K-Streben nebst Eck- und Bundpfosten auch an Fensterpfosten, kurze Fussstreben unterhalb aller Fensterformate (bspw. Dötschmannsplatz 13, Zirkelschmiedsgasse 30)
    - K-Streben nur an Eck- und Bundpfosten, bei breiten Wandfeldern zusätzlicher Bundpfosten als Fenstermittelpfosten, an welchem kurze Fussstreben angeschlagen sind (bspw. Dötschmannsplatz 13, Sebaldusklause am Schulgässchen)

    Die Strebenabfolge, egal ob lang, kurz oder in K-Form, zeichnet meistens eine "Zick-zack-Linie" nach.


    3. Bauten nur mit kurzen Fussstreben und ohne Fenstererker


    fuss_ohne_erker1.jpg . fuss_ohne_erker2.jpg
    Fachwerk mit kurzen Fussstreben an Eck-, Bund- und Fensterpfosten, links mit teilweise langen Brustriegel, rechts ausschliesslich mit kurzen Brustriegel.

    Bei dieser Gruppe von Bauten ist ein Fazit schwer zu formulieren. Einerseits haben alle Beispiele mehr oder weniger starke Veränderungen erfahren, was ihren Beispielswert stark einschränkt. Dennoch ist eine schleichende Abflachung in der Logik des Balkenbildes spürbar, was bei den Bauten mit angeblatteten Bändern nicht der Fall war. Das einstige Vorhandensein von Fenstererkern ist nicht erwiesen.


    4. Bauten nur mit kurzen Fussstreben und mit Fenstererker


    fuss_erker.jpg

    Fachwerkfassaden dieser Art weisen eine besonders einheitliche und harmonische Struktur auf. Die einzelnen Wandfelder zwischen je zwei Hauptpfosten werden nicht mehr bezüglich der Grösse und Funktion des dahinterliegenden Raumes gestaltet, sondern einheitlich mit kurzen Fussstreben und Fenstererkern. Die Beispiele stammen hauptsächlich aus dem 16. Jahrhundert, gleich wie die beiden vorangegangen Gruppen "Fachwerk mit K-Streben" und "Fachwerk nur mit kurzen Fussstreben ohne Fenstererker".


    5. Bauten nur mit aneinandergereihten kurzen Fussstreben


    fuss_reihe.jpg

    Bei den Beispielen handelt es sich durchwegs um Aufstockungen oder oberste Geschosse. Zuoberst an einem Haus ist die Lage prädestiniert, einen krönenden Abschluss in Form eines Frieses anzubringen. Das Fachwerk mit regelmässig angeordneten Pfosten und allseits anliegenden Fussstreben löst sich vom Abbilden der inneren Organisation eines Hauses gegen aussen, und hat somit eher eine schmückende Funktion. Die Frage nach Fenstererkern bei dieser Gruppe bleibt vorderhand noch offen.

    Einmal editiert, zuletzt von Riegel (17. September 2012 um 23:21)

  • Speziell die Gruppe "3. Bauten nur mit kurzen Fussstreben und ohne Fenstererker" konnte noch nicht ausreichend beschrieben werden, da die wenigen zugehörigen Beispiele stark verändert sind, und zugleich eine scheinbar schleichende Abflachung in der Logik des Balkenbildes spürbar ist. Daher könnte sich ein Blick auf die Häuser Mostgasse 2 und Schlotfegergasse 7/9 lohnen.

    Anders sieht es bei der Gruppe "5. Bauten nur mit aneinandergereihten kurzen Fussstreben" aus. Eventuell müsste man diese Gruppe "Bauten nur mit regelmässig oder friesartig aneinander gereihten Fussstreben" benennen. Beispiele dazu sind bisher auch erst wenige bekannt. Hierzu gehört das Haus Mühlgasse 2, welches bereits eine Würdigung erfahren hat. Die nordseitige Aufstockung zeigt Ansätze eines solchen Fachwerks, aber auch andere Details weckten mein Interesse, dieses Haus nochmals unter die Lupe zu nehmen.


    Mühlgasse 2 (2. Teil)


    (Zusammenfassung aus dem 1. Teil)

    Das zweigeschossige Haus besitzt ein massives Erdgeschoss, ein Fachwerkobergeschoss und zwei Dachgeschosse. Die nördliche Hälfte wurde nachträglich um ein 2. Obergeschoss erhöht, und das ursprüngliche Dach lediglich angehoben. Die Verstrebung mit einzelnen Fussstreben ist minimal ausgeführt, aber infolge Störung des ursprünglichen Fachwerks kann man davon ausgehen, dass einst noch mehr Streben bestanden haben. An der Südostecke sitzt ein ungewöhnliches, überkreuztes Strebenpaar, von dem die Fussstrebe eingezapft, und das Kopfband angeblattet ist. Die nördliche Traufseite gibt keine weiteren Erkenntnisse mehr zur Baugeschichte des Kernbaus, da hier die Fassade grösstenteils ersetzt worden ist.

    Nach dem Durchzeichnen des Fachwerks und der Erstellung eines Bauphasenplans stellte sich heraus, dass einzelne Feststellungen aus dem 1. Teil ungenau sind. Im Zusammenhang mit dem überkreuzten Strebenpaar schrieb ich "Nirgendwo an der Fassade lassen sich weitere Blattsassen feststellen, die auf weitere Kopfbänder hingewiesen hätten... sowie zur Nordfassade "... da hier die Fassade mit Ausnahme eines Eckpfostens und Teile von Schwelle und Rähm komplett ersetzt worden ist."

    Die Untersuchung basierte auf zwei Fotos, die jeweils die ganzen Fassaden zeigen, und Details auf den Balkenoberflächen nicht in voller Schärfe. Blattsassen von Kopfbändern glaube ich nämlich auch an der Giebelseite im Rähm des 1. Obergeschosses rechts, und an der nördlichen Traufseite ebenfalls rechts, erkannt zu haben. Demnach wird auch der genannte Eckpfosten (Nordost) nicht mehr original sein, da in diesem kein Blattsass des unteren Endes des vermeintlichen Kopfbandes vorhanden ist. Dieser steht zudem nicht in der Giebelfassadenebene, sondern leicht vor. In ihm sind beidseits die "Brustriegel" angeblattet, was wiederum ein altertümliches Konstruktionsdetail darstellt, das zu den angeblatteten Kopfbändern passen würde. Irgendwie geht die Geschichte hier also nicht auf. Die beiden zugehörigen Wandfelder wiederum sind durch jüngere Fenstervergrösserungen gestört. Weitere Spekulationen sind in diesem Bereich daher nicht zulässig, und deshalb ist diese Partie im Bauphasenplan als nicht zuordenbar dargestellt.


    muehlgasse2fassaden_30.jpg
    Links: östliche Giebelfassade; rechts: nördliche Traufseite.
    rotbraun = Kernbau, gelb = Aufstockung, blau = Veränderungen 18./19. Jh., weiss = nicht zurordenbar.
    Vergrösserung

    Beim Kernbau fällt auf, dass über dem Kehlbalken zwischen beiden Dachgeschossen der Bretterboden hinausläuft. Dies ist ein Merkmal des frühen alemannischen Fachwerks, das aber in Nürnberg nicht oft anzutreffen ist.

    Rätselhaft ist zudem, dass bei der Aufstockung die Deckenbalkenköpfe (im Plan gelb und weiss) auf zwei verschieden hohen Ebenen liegen. Überhaupt ist es schleierhaft, weshalb die Aufstockung gegen Westen (rechts) gänzlich fehlt. Ein Kriegsschaden wird nicht die Ursache sein, auch wenn das Haus im Schadensplan von 1945 als leicht bis mittel beschädigt bezeichnet ist, denn das Konstruktionsfachwerk scheint dort bereits vor 1900 entstanden zu sein. Jedenfalls steht der rechte Bundpfosten genau in der Mitte der Aufstockung, sodass der Fussstreben-Fries einst die ganze Aufstockung geziert haben könnte.

    Den Kernbau datiere ich immer noch in die Übergangszeit von der X- zur K-Verstrebung, also etwa in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts (wie auch in der Bayerischen Denkmalliste). Für die Aufstockung gibt es am Bau selbst keine Anhaltspunke für eine Datierung, sondern lediglich die Vergleichsobjekte Maxplatz 29 (nach 1594), das Giebeltürmchen am Pilatushaus (1596?) und der Treppenturm von Untere Kreuzgasse 5 (17. Jahrhundert?)

  • Mostgasse 2 und Schlotfegergasse 7/9


    Wie am Anfang des letzten Beitrages geschrieben, ist die Gruppe "3. Bauten nur mit kurzen Fussstreben und ohne Fenstererker" noch nicht ausreichend dokumentiert, weshalb sich ein genauerer Blick auf die beiden Bauten Mostgasse 2 und Schlotfegergasse 7/9 lohnen könnte. Zufällig befinden sich beide Bauten im selben Häusergeviert, und offenbar war ihre Geschichte besitzesmässig bis ins 19. Jahrhundert auch verwoben.

    Bing Maps - Anfahrtsbeschreibungen, Verkehrsinfos und Straßenbedingungen
    (Schlotfegergasse 7/9 ist der langestreckte Fachwerkbau. Mostgasse 2 ist das Eckhaus südöstlich davon.)

    Natürlich "pröble" ich an Bauten zuerst herum, bevor ich mich für eine Untersuchung entscheide und Grafiken dazu erstelle, doch bei diesen beiden Bauten musste ich bezüglich der "Fussstreben-Problematik" schliesslich passen. Trotzdem gab es aber Entdeckungen und Feststellungen, die sich für allfällige weitere Nachforschungen und Vergleiche festzuhalten lohnten. Bei beiden Bauten bin ich an die Grenzen gestossen, Untersuchungen nur aufgrund von Aussenaufnahmen zu tätigen. Die Kenntnis des Innern von Gebäuden, vor allem der Grundrisse, würde viele bisherige Mutmassungen weiter erhärten oder korrigieren. Mit Ausnahme von Weissgerbergasse 10 habe ich mich bisher noch nie damit beschäftigen können.


    Mostgasse 2


    mostgasse_schlotfegergasse_3368_30_16.09.09.jpg

    Laut der Bayerischen Dankmalliste wurde das ehemalige Gasthaus 1566 errichtet und 1830 umgebaut.

    Die regelmässig angeordneten, hochrechteckigen Fenster stehen nur scheinbar im Einklang mit dem Fachwerk, aber wenn man sie mit der Senkung der Böden vergleicht, stellt man fest, dass sie jünger, oder zumindest in der Höhe korrigiert worden sind. Einzelne Fenster der Seitenfassade sind zugemauert. Nun ist aber das Fensterformat atypisch für die Bauzeit um 1566, und auch die Balkenstärken variieren stark, insbesondere jene der beiden Riegelketten auf Brüstungshöhe und darüber. Daraus kann geschlossen werden, dass bei einem Umbau (1830?) die Wände grösstenteils ersetzt worden sind, und vom Originalbestand nur die Schwellen, Rähme und Pfosten mit einigen anliegenden Fussstreben überdauerten.

    Fussstreben sitzen offenbar nicht nur an Eck- und Bundpfosten, sondern auch an zwei Fensterpfosten in der Mitte der Seitenwand. Dieses Motiv erinnert an die Fassade von Pfeifergasse 8, wo auch in einer Fensterbrüstung zwei Fussstreben vorkommen.

    Bei der Deckenbalkenlage über dem 1. Obergeschoss kann man unterschiedliche Sprungmasse erkennen. Die enggelegten Deckenbalken bezeugen eine Stube an der Ecke, und einen weiteren speziell ausgezeichneten Raum gegen das Haus Schlotfegergasse 1. Bei Pfeifergasse 8 bestehen ebenfalls zwei verschiedene Sprungmasse.

    Im Giebelfeld werden die beiden Stuhlpfosten durch K-Strebenpaare gesichert. Für Nürnberg atypisch sind die kurzen Riegel zwischen den Pfosten und den langen Fussstreben. Sehr wahrscheinlich ist das Dach zusammen mit den drei Vollgeschossen entstanden (Setzungsmasse, Balkenstärken!), was wiederum heissen würde, dass dominierende Fussstreben und K-Strebenpaare gleichzeitig im Nürnberger Fachwerkbau Anwendung fanden. Ganz offensichtlich sieht man dies beim Haus Albrecht-Dürer-Str. 24 von 1570.


    Fazit:
    Eine zeichnerische Rekonstruktion ist aufgrund der bisherigen Erkenntnisse nicht möglich. Unter der Annahme, dass die Obergeschosse und das Dach gleichzeitig entstanden sind, fanden im Nürnberger Fachwerkbau dominierende Fussstreben und K-Verstrebungen gleichzeitig Anwendung. Die Fussstreben sitzen nicht nur an den Eck- und Bundpfosten, sondern teilweise auch an Fensterpfosten.


    Das nördlich anstossende Haus Schlotfegergasse 1 (siehe verlinktes bing.com-Bild) wäre ein sehr dankbarer Kandidat für eine Aussenrenovation. Unter dem Verputz (Aussenisolation?) schlummert sicher auch Fachwerk. Das 2. Obergeschoss scheint der höheren Fenster wegen nachträglich aufgestockt worden zu sein.

  • Schlotfegergasse 7/9


    (Vorstellung einer Herangehensweise an eine baugeschichtliche Untersuchung)


    Auch bei diesem Gebäude bin ich zu keinen nennenswerten neuen Erkenntnissen gekommen. Dafür eignet es sich aber gut dazu, eine baugeschichtliche Untersuchung mal schrittweise zu erläutern. Leider hatte ich nur zwei Aufnahmen vom Gebäude gemacht; einen Ausschnitt aus der Fassade, und eine Schrägansicht des gesamten, sehr langen Gebäudes (fast so lang wie der Weinstadel!). So steht nur wenig Material für die Untersuchung zur Verfügung. Die Schrägansicht eignet sich für eine Entzerrung, wenn auch die weit entfernten Partien nur noch unscharf erscheinen. Der Fassadenausschnitt eignet sich für eine erste Betrachtung.

    Eine wissenschaftlich fundierte Untersuchung setzt natürlich einen längeren Augenschein am und im Gebäude voraus. Hier hatte ich aber lediglich beim Vorbeigehen zwei Aufnahmen gemacht, aus welchen ich versuchte, das Maximum herauszuholen. Deshalb möchte ich meine Bemerkung aus dem letzten Beitrag hier wiederholen:

    Zitat

    Natürlich "pröble" ich an Bauten zuerst herum, bevor ich mich für eine Untersuchung entscheide und Grafiken dazu erstelle...
    Bei beiden Bauten bin ich an die Grenzen gestossen, Untersuchungen nur aufgrund von Aussenaufnahmen zu tätigen. Die Kenntnis des Innern von Gebäuden, vor allem der Grundrisse, würde viele bisherige Mutmassungen weiter erhärten oder korrigieren.


    Diese "Pröbelmethode", welche ich normalerweise nie zu Papier bringe, beschreibt, welche Gedanken so im Kopf so ablaufen, bevor ich mich an eine fundierte bauhistorische Untersuchung heransetze.


    schlotfegergasse7_9_3381x30_16.09.09.jpg
    Schlotfegergasse 7/9 mit nach Norden gerichteter Hauptfassade.


    1. Literatur (gedruckt und Internet)


    - Gemäss der Bayerischen Denkmalliste handelt es sich bei Schlotfegergasse 7/9 um ein ehemaliges Wirtschaftsgebäude eines Gasthausanwesens. Der Dacherker ist mit 1564 bezeichnet.

    - Pablo de la Riestra (in : "Nürnberg. Die historische Altstadt", S. 111) gibt ein paar Angaben mehr preis:

    Zitat

    ... In der Achse des Torbogens steht ein Dachaufzugserker mit dekorativ geschnitzten Andreaskreuzen, von der Haushofseite 1956 an die heutige Stelle übertragen.
    ...
    Das Haus war bis ins 19. Jahrhundert ein "Rückgebäude" des ebenfalls erhaltenen Gasthauses Mostgasse 2...


    Wenn man nun die Vogelschauansicht betrachtet, stellt man fest, dass auf der Hofseite in derselben Achse immer noch ein Dacherker besteht. Wurde 1956 einfach der Dacherker des Hofes an der Vorderseite kopiert? Und wurde im selben Jahr auch das Fachwerk der gesamten Fassade freigelegt? Die Ausführung der Putzfelder könnte dafür sprechen. Am Brüstungspföstchen des Dacherkers ist auch die Jahrzahl "1564" geschnitzt (siehe übernächstes Bild), was aber noch lange kein eindeutiger Beweis sein muss, dass dies das Baudatum des ganzen Hauses bezeichnet. Oftmals sind auch nur Renovationsdaten angebracht worden.

    Die Vogelschauansicht zeigt auch, dass das Gebäude nur eine sehr geringe Tiefe besitzt, wahrscheinlich nur eine Raumflucht und einen Erschliessungsgang. Die Rückseite ist verputzt und weist in der Mitte einen Versatz auf.


    2. Nun folgt ein erster Blick auf einen Ausschnitt der oberen Fotografie:


    Das Fachwerk ist im Gegensatz zur regelmässigen Anordnung der leicht hochformatigen Fenster sehr unregelmässig. Allein dies ist schon ein Hinweis, dass die Fassade nicht mehr das ursprüngliche Bild zeigt. Die meisten Balken sind zudem mit dem Beil aufgerauht worden, damit der deckende Verputz darüber besser haftete. Bei der Freilegung sind einige Balken ausgewechselt oder mit Bohlen aufgedoppelt worden, was man an den glatten Oberflächen erkennen kann. Insbesondere die Schwellen und Rähme erfuhren eine solche Massnahme, und zwar nur Abschnittweise, da die Durchbiegungen keine langen Flicke in der ursprünglichen Länge der Balken zuliessen. Dadurch kann ein allfällig etappenweises Entstehen des Hauses durch Verlängerung nicht mehr nachgewiesen werden. Die Schwellen und Rähme mit ursprünglich verbliebenen Oberflächen sind stellenweise in einem sehr schlechten Zustand.

    schlotfegergasse7_9_3381xx142_16.09.09.jpg
    Ausschnitt aus der ersten Aufnahme; im Streiflicht erkennt man leicht die abschnittsweise aufgedoppelten Schwellen und Rähme sowie diejenigen mit ursprünglich gebliebenen, mit Beilhieben aufgerauhten Oberflächen.


    3. Zur ersten Eruierung von Änderungen am Fachwerkgefüge eignet sich ein Fassadenausschnitt mit möglichst frontaler Ansicht:


    schlotfegergasse7_9_3382xx54_16.09.09.jpg
    Mittelpartie der Hauptfassade mit dem (nach Riestra erst 1956 aufgesetzten) Dachaufzugserker,.


    Obwohl alle Fenster regelmässig angeordnet sind, sind sie uneinheitlich gezimmert. So beschreibe ich jede Fensterpartie kurz einzeln:

    1. Fenster von links, 1. OG: der linke Fensterpfosten verläuft über die ganze Geschosshöhe (und schneidet unten ein bisschen von der Fussstrebe ab). Der rechte Fensterpfosten beginnt erst auf Brüstungshöhe, während der Brustriegel nach rechts bis zum nächsten geschosshohen Pfosten weiterläuft (welcher ebenfalls unten die Fussstrebe ein bisschen beschneidet).
    >> es scheint, dass hier ein breiteres Fenster später verschmälert worden ist. Dieses hypothetische breitere Fenster dürfte aber auch nicht mehr original sein, da seine Fensterpfosten die Fussstreben beschneiden

    1. Fenster von links, 2. OG: der Befund entspricht ziemlich genau dem im 1.OG, nur dass hier überhaupt kein Brustriegel vorhanden ist (ganz ungewohnt!), und vom hypothetisch breiteren Fenster ein kleines Stück eines Sturzriegels vorhanden ist.

    2. Fenster im 1. und 2. OG: gleicher Befund wie beim 1. Fenster von links im 1. OG, nur dass hier keine Fussstreben vorhanden sind

    3. Fenster im 1. OG: beide Fensterpfosten laufen über die ganze Geschosshöhe >> keine Spuren eines älteren, hypothetisch breiteren Fensters, keine Fussstreben

    3. Fester im 2. OG: gleicher Befund wie beim 1. Fenster von links im 1. OG, nur dass hier auch keine Fussstreben vorhanden sind

    4. Fenster im 1. OG: das Fenster sitzt auf einem Brustriegel, welcher zwischen zwei unterschiedlich dicken, geschosshohen Pfosten eingespannt ist. Rechts vom Fenster könnte sich ein Stück eines Sturzriegels eines älteren Fensters erhalten haben. Keine Fussstreben

    4. Fenster im 2. OG: gleicher Befund wie beim 1. Fenster von links im 1. OG, aber seitenverkehrt und ohne Fussstreben


    Aus den Beobachtungen von acht der insgesamt 28 Fenster geht hervor, dass vor den jetzigen Fenstern breitere Fenster bestanden haben könnten. Aber auch diese hypothetisch breiteren Fenster waren möglicherweise nicht die originalen, was aus dem Beschneiden der Fussstreben hervorgeht.

    Als nächsten Schritt werden dann in einer entzerrten Fassadenansicht die Balken nach vermuteten baugeschichtlichen Zusammenhängen für jede Bauphase separat eingefärbt.

  • 4. Darstellung der Beobachtungen in einem Fassadenplan:


    Ideal wäre es, wenn ein Fassadenplan zur Verfügung stünde. In Ermangelung eines solchen behelfe ich mich mit einer Entzerrung einer Fotografie. Bei einem solch grossen Gebäude sollten besser mehrere Fotografien zusammengesetzt werden können, aber da ich nur die beiden gezeigten Aufnahmen habe, entzerrte ich die Schrägansicht am Anfang des letzten Beitrages. Damit die Ansichten die Breite des Bildschirms nicht sprengen, habe ich die Fassade in der Breite etwas gestaucht:

    schlotf_foto.jpg
    Entzerrte und in der Breite gestauchte Fotografie.


    Als nächster Schritt erfolgt die Einzeichnung der Primärstruktur (Schwellen, Rähme, Deckenbalkenköpfe, Bund- und Eckpfosten, Fussstreben), von denen ich vermute, dass sie zum Ursprungsbestand gehören, sowie weiterer Balken dieser Bauphase (Brustriegel, Brüstungspföstchen). Bei den Brustriegeln schaute ich darauf, ob sie im Einklang mit den Fussstreben stehen und diese nicht beschneiden:

    schlotf_foto_phase1.jpg
    Eintragung des noch erhaltenen ursprünglichen Fachwerks.


    Bei den Beobachtungen zu acht Fenstern im letzten Beitrag kristallisierten sich möglicherweise zwei weitere Bauphasen heraus:
    - 1. Fensterumdisponierung mit breiten Fenstern
    - 2. Fensterumdisponierung mit Verschmälerung der Fenster
    Diese Beobachtungen können grösstenteils auch bei den restlichen zwanzig Fenstern gemacht werden:

    schlotf_foto_phase12.jpg
    Eintragung der 1. Veränderung.


    schlotf_foto_phase123.jpg
    Eintragung der 2. Veränderung.


    Ich versuche mal eine Textspielerei, in welcher ich diese drei Schritte erläutere, und einzelne Passagen entsprechend den Bauphasen einfärbe (je nach Hintergrund und Textfarbe werden einzelne Passagen unlesbar, weshalb ich denselben Text in normaler Schriftfarbe anfüge):

    Zitat

    (edit.: in dieser Ansicht handelt es sich um das 6. Fenster von links, und nicht um das 1., denn die Textpassage bezog sich auf die Fotografie mit einem Ausschnitt aus der Fassade)

    1. Fenster von links, 1. OG: der linke Fensterpfosten verläuft über die ganze Geschosshöhe (und schneidet unten ein bisschen von der Fussstrebe ab). Der rechte Fensterpfosten beginnt erst auf Brüstungshöhe, während der Brustriegel nach rechts bis zum nächsten geschosshohen Pfosten weiterläuft (welcher ebenfalls unten die Fussstrebe ein bisschen beschneidet).
    >> es scheint, dass hier ein breiteres Fenster später verschmälert worden ist. Dieses hypothetische breitere Fenster dürfte aber auch nicht mehr original sein, da seine Fensterpfosten die Fussstreben beschneiden


    1. Fenster von links, 1. OG: der linke Fensterpfosten verläuft über die ganze Geschosshöhe (und schneidet unten ein bisschen von der Fussstrebe ab). Der rechte Fensterpfosten beginnt erst auf Brüstungshöhe, während der Brustriegel nach rechts bis zum nächsten geschosshohen Pfosten weiterläuft (welcher ebenfalls unten die Fussstrebe ein bisschen beschneidet).
    >> es scheint, dass hier ein breiteres Fenster später verschmälert worden ist. Dieses hypothetische breitere Fenster dürfte aber auch nicht mehr original sein, da seine Fensterpfosten die Fussstreben beschneiden

    (Zitat aus dem vorangehenden Beitrag)


    Einen Bauphasenplan erhalte ich, indem ich die Fotoebene lösche:

    schlotf_bauphasenplan.jpg
    Bauphasenplan.


    Nun folgt ein Fassadenplan mit der noch erhaltenen ursprünglichen Bausubstanz, indem die beiden Bauphasen mit den Fensterumdisponierungen auch wieder gelöscht werden:

    schlotf_phase1.jpg
    Alleinige Darstellung des noch erhaltenen ursprünglichen Fachwerks.


    In dieser Ansicht fallen einzelne Lücken in den Deckenbalkenlagen auf. Da die Lücken jeweils übereinander in allen Geschossen vorhanden sind, handelt es sich nicht um zufällige Fehlstellen abgefaulter Balkenköpfe. Der erste Gedanke war, ob dort später Brandmauern eingebaut, und dazu die im Wege stehenden Deckenbalken entfernt worden waren. Doch diese wären dann im Bereich von Fenstern zu stehen gekommen. Also musste ein anderer Grund die Ursache sein.

    Möglich wären auch Treppenausschnitte, doch hierfür wären die Ausschnitte sehr schmal, und auch die Anzahl Treppen wäre übertrieben.

    Eine mögliche Ursache könnten Kamine sein; doch für solche müsste nur ein Teil eines Deckenbalkens herausgesägt, und mittels Wechselbalken die verbliebenen Enden der abgesägten Deckenbalken aufgefangen worden sein. Es lohnt sich aber trotzdem, eine solche Vermutung in den Fassadenplan einzutragen, denn der Gedanke mit den Kaminen erscheint dann nicht mehr abwegig, wenn man die beheizten Räume den einzelnen Kaminen zuordnet (die Zugehörigkeit der Räume zu den Kaminen ist mit einem dünneren grünen Strich gekennzeichnet):

    schlotf_kamine.jpg
    Eintragung der vermuteten Kaminstandorte und die von ihnen aus beheizten Partien.

    Es scheint dann, dass ein beheizter Raum jeweils zwei Wandfelder umfasste, und die Kamine von schmalen Räumen aus, welche je ein Fenster zur Hauptfassade besassen, bedient wurden.


    Weitere Mutmassungen zu diesem Gebäude wage ich nun nicht mehr anzustellen, da das bisher gezeigte ebenfalls nur auf Mutmassungen fusst. Nur ein Augenschein am und im Gebäude lässt weitere Forschungsarbeiten zu, weshalb ich mit einem Fazit noch zuwarte.

  • Ich konnte es doch nicht lassen, mal einen Rekonstruktionsversuch zu "Papier" zu bringen. Ich muss aber betonen, dass ein solcher aufgrund der bisherigen Ergebnisse der Untersuchung, welche vorwiegend auf Mutmassungen beruhen, noch nicht zulässig wäre!

    Der noch erhaltene Bestand vom ursprünglichen Bau (Phase 1) besteht vorwiegend aus Eck- und Bundpfosten mit teilweise anliegenden Fussstreben. Dort, wo die Pfosten relativ nah beieinander stehen, sind durchgehende Brustriegel eingespannt. Nun ist es so, dass bei allen Nürnberger Fachwerkbauten bis mindestens 1600 die Brustriegel durchgehen, und nicht durch geschosshohe Fensterpfosten (wie bei Phase 2 und 3) unterbrochen werden. Kopfstreben gibt es im aktuellen Bestand keine, und ich gehe deshalb davon aus, dass solche auch nie bestanden haben.

    So ist es nahe liegend, zuerst durchgehende Brustriegel auf der Höhe der noch bestehenden einzuzeichnen, ebenso an allen Pfosten die Fussstreben lückenlos zu ergänzen. So erhält man ein Fachwerkbild, welches jenen von Albrecht-Dürer-Str. 24 (1570) und dem Burgamtmannshaus gleicht. Dort bestehen nur wenige Brüstungspföstchen, weshalb ich pro Wandfeld jeweils auch nur eines eintrug.

    albrechtduererstr24_3446_20_17.09.09.jpg burg_3170_20_15.09.09.jpg

    Albrecht-Dürer-Str. 24, Burgamtmannshaus.


    Andere Vergleichsbauten, welche dem Rekonstruktionsversuch Pate stehen könnten, kommen mir nicht in den Sinn. Übereinstimmend sind auch die enggelegten Deckenbalkenlagen.

    Als letzter Schritt erfolgte die Einzeichnung von Fenstererkern bei allen breiten Wandfeldern. Bei den schmalen Feldern vermute ich Quergänge mit den Kaminen, weshalb dort Fenstererker weniger wahrscheinlich sind. Übrigens befinden sich just unter zwei der drei "Quergängen" die Haustüren zu beiden Hausteilen Nr. 7 und 9.

    schlotf_phase1.jpg
    Erhaltenes ursprüngliches Fachwerk.

    schlotf_rek.jpg
    Rekonstruktionsversuch der ursprünglichen Fassade.


    Die Grundlage aller Fassadenpläne entstand durch die Entzerrung der ersten Fotografie. Wenn man nun den rekonstruierten Fassadenplan wieder verzerrt, lässt er sich in die Fotografie zurück einsetzen, sodass folgende Gegenüberstellung des rekonstruierten und aktuellen Zustandes entsteht. Einzelne perspektivische Details (Fenstererker), Schatten sowie die Ergänzung der Schleppgauben erfolgen manuell als letzter Schritt.

    schlotf3381rek_30.jpg
    Rekonstruktionsversuch.

    schlotfegergasse7_9_3381x30_16.09.09.jpg
    Aktueller Zustand (September 2009).

  • Haus an der Pegnitz


    Am nördlichen Pegnitzufer, zwischen dem Pegnitzeinfluss in die Altstadt und der Spitalbrücke, befand sich eine pittoreske Häusergruppe, die bis zu ihrem restlosen Untergang 1945 eines der beliebtesten Postkartenmotive war. Auf einigen Ansichten steht die Bezeichnung "Goldenes Haus"; welches Haus genau so hiess, konnte ich nicht herausfinden. Ich vermute, dass es sich dabei um das massiv gebaute Gebäude nahe bei der Spitalbrücke mit zwei Dachtürmchen und Holzgalerien zur Pegnitz handelte.

    Anstelle der Bebauung an und über der Ufermauer stehen heute einfache Wohnblocks mit dem davor angelegten Leo-Katzenberger-Weg. Die Häusergruppe dürfte etwa anstelle des dritten Wohnblocks rechts von der Spitalbrücke gestanden haben:
    Bing Maps - Anfahrtsbeschreibungen, Verkehrsinfos und Straßenbedingungen

    Ein Gebäude dieser Häusergruppe stach besonders hervor. seine starke flussseitige Auskragung, fehlende Holzgalerien, drei statt wie hier meist nur zwei Obergeschosse sowie das Dach mit Krüppelwalm und Dacherker verhalfen ihm zu seinem turmartigen Aussehen. Die Auskragung und die Fenstererker verraten eine verputzte Fachwerkkonstruktion.


    ak-pegnitz1.jpg
    Die Häusergruppe an der Pegnitz, spätestens 1898 flussabwärts aufgenommen. Die Kuppel gehörte zur Synagoge am Spitalplatz, rechts davon das beschriebene Haus, links unterhalb der Kuppel die Giebelwand des (von mir zuerst fälschlicherweise vermuteten) "Goldenen Hauses" mit seinen dunkeln Galerien und den beiden Dachtürmchen). Sammelbild, Hermann Hillger Verlag, Berlin.


    ak-pegnitz2.jpg
    Die Häusergruppe an der Pegnitz um 1930 flussaufwärts aufgenommen.
    (Fotograf K. Ellinger, Nürnberg)


    Ausschnitte aus den beiden Ansichten (in umgekehrter Reihenfolge) zeigen das Haus detaillierter:

    ak-pegnitz2-auss.jpg . . ak-pegnitz1-auss.jpg
    Links: Ansicht von Südwesten; rechts: Ansicht von Südosten.


    Wenn ich jetzt in Nürnberg ein Haus rekonstruieren könnte, wäre das mein Kandidat! Also reizte mich der Versuch einer Rekonstruktion seines Fachwerks. Da das Haus in unzähligen Fotos festgehalten worden war - und das in seinen guten und schlechten Zeiten (schadhafter Verputz!) - schien die Chance zu einem erfolgreichen Resultat dazu relativ gross:


    ak-pegnitz3-5-auss.jpg
    Ausschnitte aus Ansichtskarten: links: ohne Verlagsangabe, gelaufen 1925; mitte: Ansichtskarte Andro-Verlag, Nürnberg, gelaufen 1931; rechts: Photograph K. Ellinger, Nürnberg, um 1930.


    Durch eine Verstärkung des Bildkontrasts kann oft Fachwerk teilweise sichtbar gemacht werden. Hier allerdings war mir kein Erfolg beschieden; zu unregelmässig waren die Flecken im Verputz, was teils auf Flicke im Verputz zurückzuführen ist oder auf teilweise Retouchen auf den Ansichtskarten.

    Auf einer weiteren Ansichtskarte war der Verputzschaden an der Giebelseite unmittelbar über der Auskragung in einem fortgeschritteneren Stadium, aber auch hier konnten nur eine Schwelle, ein Pfosten und Balkenköpfe ausgemacht werden, nicht aber für eine Rekonstruktion unerlässliche Streben oder Schmuckglieder:


    ak-pegnitz6-auss.jpg
    Ausschnitt aus der mittleren Ansichtskarte oben.


    Ein Stich aus dem 17./18. Jahrhundert zeigt am linken Bildrand vermutlich dasselbe Haus. Dargestellt ist eine Pegnitzpartie, und als einzige Ortsangabe links oben "gulden haus". Die Situation entspricht genau den gezeigten Ansichtskarten: drei Fachwerk-Obergeschosse, Aufzugserker, gegen Norden ein um ein Geschoss niedrigeres Haus, Rampe zur Pegnitz hin. Das Haus im Mittelgrund existiert auf den Fotos nicht mehr, stattdessen war dort eine Gartenanlage vor einem grossen klassizistischen Haus unter Walmdach angelegt.


    pegnitz-stich.jpg
    (Quelle: unbekannt)

    Selten ist auf historischen Zeichnungen, Stichen etc. das Fachwerk wahrheitsgetreu wiedergegeben, doch hier sticht die trapezförmige Giebelwand des mittleren Hauses ins Auge. Die Anlage von zwei Stuhlpfosten, verstrebt mit je zwei Fussbändern und einem Steigband entspricht einem häufig anzutreffenden Befund. Das Seitengebäude rechts zeigt im obersten Stockwerk einfaches K-Fachwerk (links hohe Fussstreben ohne Kopfstreben, rechts nur kurze Fussstreben (vgl. Beitrag, Zeichnung "vereinfachte Variante" unter Punkt 2.). Das Haus oberhalb der Rampe zum Wasser erinnert mit seiner Aneinanderreihung von Fusssbändern oder Fussstreben im 1. Obergeschoss an Hintere Beckschlagergasse 22.

    Die Aussagekraft des dargestellten Fachwerks in diesem Stich ist also begrenzt gegeben, und ich werde im nächsten Beitrag "unser" Haus am Bildrand diesbezüglich genauer betrachten.

  • Bevor ich die Darstellung des Fachwerks im Stich analysiere, suche ich zuerst nach baugeschichtlichen Details am Haus aufgrund der Fotografien.

    ak-pegnitz1-auss.jpg
    Ansicht von Südosten.


    Augenfällig ist das Satteldach mit einem einseitigen Krüppelwalm gegen Süden. Datierte Krüppelwalmdächer sind bei folgenden Bauten bekannt:
    - Albrecht-Dürer-Str. 6, 1437
    - Albrecht-Dürer-Str. 39 "Dürerhaus", 1419
    - Obere Schmiedgasse 54/56, Kernbau nach 1337, Dachstuhl von ?
    - Untere Krämersgasse 18 Kernbau, 1454
    - Untere Krämersgasse 18 Aufstockung, 1477
    - Zirkelschmiedsgasse 30, 1422

    albrechtduererstr6_3443x20_17.09.09.jpg albrechtduererstr39_3455_20_17.09.09.jpg
    Albrecht-Dürer-Str. 6, Albrecht-Dürer-Str. 39.

    oberekraemersgasse_3208_20_15.09.09.jpg obereschmiedgasse54-58_3466_20_17.09.09.jpg
    Untere Krämersgasse 18, Obere Schmiedgasse 54/56.


    Alle Beispiele stammen also aus dem 15. Jahrhundert, mit Ausnahme von einem, dessen Errichtungszeit des Dachstuhls mir nicht bekannt ist. Solange aber die Zeitperiode, während der Krüppelwalmdächer errichtet wurden, noch nicht erforscht ist, darf man nicht daraus schliessen, dass das Haus an der Pegnitz ebenfalls aus dem 15. Jahrhundert stammen musste.

    Das 3. Obergeschoss scheint der grösseren Geschosshöhe nach nachträglich aufgestockt worden zu sein. Bei solchen Baumassnahmen wurde der ursprüngliche Dachstuhl oftmals demontiert, und auf dem neuen Geschoss wieder aufgesetzt. Dies geschah vor allem dann, wenn das Haus bereits nach wenigen Jahrzehnten aufgestockt wurde, und der Dachstuhl daher noch brauchbar war. Das 3. Obergeschoss könnte also bereits aus einer Zeit stammen, in der keine Krüppelwalmdächer mehr errichtet wurden.

    Die Fenstererker nehmen im 1. und 2. Obergeschoss die ganze Breite der Ostfassade ein, und laufen über das Eck auf die Südfassade, wo sie abrupt am Fensterpfosten enden, und nicht wie üblich mit einer Mauerfläche. Am 3. Obergeschoss sieht die Situation ähnlich aus, nur dass der Fenstererker an der Ostfassade nicht bis ganz nach rechts läuft, sondern unter einer Seitenwand des Aufzugserkers abbricht.

    Von Interesse wäre nun die Profilierung der Fensterbänke, welche über ihre Entstehungszeit Auskunft geben könnte. Hierzu wären Nahaufnahmen vonnöten. Bei
    - Waaggasse 11, 15. Jh. ?
    - Paniersplatz 20 "Grolandhaus", 1489
    - Untere Krämersgasse 18, 1454,
    drei eher gotisch anmutenden Fachwerkbauten, bestanden umlaufende Fenstererker vor allem am 1. Obergeschoss, und am 2. und 3. Obergeschoss nur vereinzelt. Zudem sind mindestens bei Waaggasse 11 und Untere Krämersgasse 18 einzelne Fenstererker nachträglich angebracht worden.

    MI02570b09b.jpg MI02561f03b.jpg
    Waaggasse 11, Paniersplatz 20 "Grolandhaus". (Quelle: bildindex.de)


    Diese Feststellungen treffen beim Haus an der Pegnitz eher nicht zu. Vielmehr erinnern die Fassadenbreiten Fenstererker am 1. und 2. Obergeschoss an
    - Albrecht-Dürer-Str. 24, nach 1570
    - Burgamtmannshaus, 16. Jh.?
    - Obere Schmiedgasse 10 / Am Ölberg 9, Aufstockung.

    albrechtduererstr24_3446_20_17.09.09.jpg burg_3170_20_15.09.09.jpg
    Albrecht-Dürer-Str. 24, Burgamtmannshaus.


    Die Form des Nürnberg-typischen Aufzugserkers mit seinem dreiseitig abgewalmten Dächlein hatte ihre Blüte während des ganzen 16. Jahrhunderts, evtl. bis ins 17. Jahrhundert hinein.

    Als Kuriosität erscheint an der Südwestecke am obersten Geschoss ein Fenster mit Stichbogen. Dies könnte ursprünglich eine offene Loggia gewesen sein, als Ersatz für die fehlenden Galerien. Ein Vergleichsbeispiel kenne ich nicht.


    Aus all diesen Beobachtungen schliesse ich, dass das Haus an der Pegnitz wahrscheinlich im 15./16. Jahrhundert errichtet worden war, und im 16./17. Jahrhunderts eine Aufstockung erfahren hatte.

  • Leider habe ich den im vorletzten Beitrag gezeigten Stich nicht in höherer Auflösung, sodass ich mich mit einem vergrösserten Ausschnitt zufrieden geben musste. Ich schicke aber nochmals voraus, dass ich nicht zu 100 % sicher bin, dass der Stich dieselbe Häusergruppe zeigt. Ebenso bin ich immer sehr zurückhaltend mit der Interpretation von gezeichnetem Fachwerk. Aber immerhin zeigt dieser Stich teilweise Fachwerke in erstaunlich reeller Detailtreue, wie ich es oben bereits beschrieben habe:

    Zitat

    Ein Stich aus dem 17./18. Jahrhundert zeigt am linken Bildrand vermutlich dasselbe Haus. Dargestellt ist eine Pegnitzpartie, und als einzige Ortsangabe links oben "gulden haus". Die Situation entspricht genau den gezeigten Ansichtskarten: drei Fachwerk-Obergeschosse, Aufzugserker, gegen Norden ein um ein Geschoss niedrigeres Haus, Rampe zur Pegnitz hin. Das Haus im Mittelgrund existiert auf den Fotos nicht mehr, stattdessen war dort eine Gartenanlage vor einem grossen klassizistischen Haus unter Walmdach angelegt.


    pegnitz-stich.jpg
    (Quelle: unbekannt)

    Selten ist auf historischen Zeichnungen, Stichen etc. das Fachwerk wahrheitsgetreu wiedergegeben, doch hier sticht die trapezförmige Giebelwand des mittleren Hauses ins Auge. Die Anlage von zwei Stuhlpfosten, verstrebt mit je zwei Fussbändern und einem Steigband entspricht einem häufig anzutreffenden Befund. Das Seitengebäude rechts zeigt im obersten Stockwerk einfaches K-Fachwerk (links hohe Fussstreben ohne Kopfstreben, rechts nur kurze Fussstreben (vgl. Beitrag, Zeichnung "vereinfachte Variante" unter Punkt 2.). Das Haus oberhalb der Rampe zum Wasser erinnert mit seiner Aneinanderreihung von Fusssbändern oder Fussstreben im 1. Obergeschoss an Hintere Beckschlagergasse 22.

    Die Aussagekraft des dargestellten Fachwerks in diesem Stich ist also begrenzt gegeben [...]


    pegnitz-stich-auss.jpg pegnitz-stich-auss-entz.jpg
    Links: Ausschnitt aus dem Stich oben; rechts: entzerrter Ausschnitt mit eingetragenem Fachwerk.

    Am 1. Obergeschoss erkennt man den um die Ecke laufenden Fenstererker. Darunter sind nur spärlich Pfosten gezeichnet, und auch nur zwei Fussstreben.
    Am 2. Obergeschoss ist der Fenstererker nicht mehr hervorgehoben, dafür aber das Eckfeld auf Festerhöhe mit einer dekorativen Bemalung (Rahmen?). Wieder sind nur spärlich Pfosten gezeichnet, und nur mit grosser Fantasie Fussstreben erkennbar. Dafür besteht eine Fussstrebe an der Südfassade.
    Das 3. Obergeschoss sieht diffuser aus; wieder ist kein Fenstererker hervorgehoben, dafür aber das Eckfeld auf Fensterhöhe mit einer dekorativen Rahmung. Die erkennbaren Fussstreben sind weniger steil als an den unteren Geschossen. Rechts ist sogar eine Kopfstrebe vorhanden.
    Die Verlaufsrichtung der Deckenbalkenlagen ist ebenfalls unklar, da die Bodenaufbauten auf beiden Seiten gleich dargestellt sind (was in der Realität wohl anders aussah).

  • 1x mehr sehr interessante Ausführungen. Es gibt zu dem als Goldenes Haus bezeichneten Gebäude im Buch "Das Bürgerhaus in Nürnberg" einen Kupferstich von Johann Alexander Boener, um 1700 (T19). Auf diesem ist das Fachwerk und auch die Traufseite besser erkennbar als in dem obigen Stich. Im Text zum Bild steht: "Spätes 15. Jahrhundert; Endgestalt um 1600 (Dacherker, Haustüre!)."

  • @ Markus:
    Jetzt muss ich mir das Buch "Das Bürgerhaus in Nürnberg" endlich mal zu tun. Leider ist es in den hiesigen Ausleihbibliotheken nirgends vorhanden. Falls Du es selber besitzt, wäre es möglich, den Stich einzuscannen und hier einzustellen?


    Die erste Überlegung zu einem Rekonstruktionsversuch des Fachwerks galt der Frage, welcher "Fachwerkstil" (zeitliche Epoche, Verstrebungsart) in Frage kommt.

    Des markanten Halbwalmdaches wegen ist der Beizug entsprechender Vergleichsbeispiele naheliegend:

    - Albrecht-Dürer-Str. 6, 1437
    - Albrecht-Dürer-Str. 39 "Dürerhaus", 1419
    - Obere Schmiedgasse 54/56, Kernbau nach 1337, Dachstuhl von ?
    - Untere Krämersgasse 18 Kernbau, 1454
    - Untere Krämersgasse 18 Aufstockung, 1477
    - Zirkelschmiedsgasse 30, 1422

    also alles Gebäude aus dem 15. Jahrhundert (Obere Schmiedgasse 54/56 ?). Ihnen ist gemeinsam, dass das Fachwerk vorwiegend mittels langen Fuss- und kurzen Kopfbändern ausgesteift wird.

    Zwei weitere Beispiele, die 1945 leider abgegangen sind:

    - am Ölberg 3 (nordwestlich von Am Ölberg 1) Bild, Haus ganz rechts
    [edit.: es handelte sich nicht um einen Halblwalm, sondern um einen Schopfwalm, womit Am Ölberg 3 als Vergleichsbeispiel ausscheidet]
    - Wunderburggasse 19

    Am Ölberg 3 besitzt auch lange Fuss- und kurze Kopfbänder. Wahrscheinlich ist das Haus einmal aufgestockt worden, doch auch hier muss man in Betracht ziehen, dass der ursprüngliche Dachstuhl eine Wiederverwendung gefunden haben könnte.

    Wunderburggasse 19 ist ein Sonderfall; sein Fachwerk wird mittels doppelten Fuss- und doppelten Kopfbändern ausgesteift und hat bisher in Nürnberg noch kein einziges Seinesgleichen gefunden. Das Trapezgiebelfeld zeigt - ebenfalls abweichend von den oben erwähnten Beispielen - einen liegenden Dachstuhl.

    Doch was spricht nun gegen ein Fachwerk mit langen Fuss- und kurzen Kopfbändern?

    Auch wenn im Stich die Hauptfassade zur Quergasse hin nur sehr verkürzt wiedergegeben ist, hätte der Zeichner ein engmaschigeres Fachwerk mit dominierenden Bändern wohl auch in etwa so übernommen und nicht ein so einfaches Fachwerk fantasiert.

    Wie weit die fassadenbreiten Fenstererker zum Kernbau gehören, kann aufgrund der hier gezeigten Fotografien nicht beurteilt werden. Meistens bestehen an den mit Bändern verblatteten Fachwerken des 15. Jahrhunderts nur am 1. Obergeschoss fassadenbreite Fenstererker, während sie an den andern Geschossen nur vereinzelt, meistens an einem Eckraum, vorkommen (z.B. "Grolandhaus"). Beim Haus an der Pegnitz aber besteht auch am 2. Obergeschoss ein fassadenbreiter Fenstererker, wie sie erst bei Bauten des 16. Jahrhunderts fassbar sind (also mit eingezapften Fussstreben oder mit K-Streben ausgesteifte Fachwerke, z.B. Albrecht-Dürerstr. Str. 24).

    Der Fenstererker könnte aber auch nachträglich angebracht worden sein, was die Möglichkeit von Fachwerk mit angeblatteten Bändern wiederum zulassen würde (z.B. Untere Krämersgasse 18).

    An der Schadstelle im Fassadenverputz zur Pegnitz hin sind keinerlei Blattsassen erkennbar. Bei kleinen Fussbändern müssten solche vorhanden gewesen sein; grosse Fussbänder hingegen wären ausserhalb der Schadstelle gelegen.

    ak-pegnitz6-auss.jpg
    Ausschnitt aus einer Ansichtskarte. J. Velten Verlag, Karlsruhe, um 1930.

    Alle diese Argumente bewogen mich, einen Rekonstruktionsvorschlag mit Fachwerk des 16. Jahrhunderts statt mit solchem des 15. Jahrhunderts zu versuchen, trotz des eher ins 15. Jahrhundert weisenden Krüppelwalmdaches. Die fassadenbreiten Fenstererker sind an folgenden Beispielen ganz markant:

    albrechtduererstr24_3446_20_17.09.09.jpg burg_3170_20_15.09.09.jpg
    Albrecht-Dürer-Str. 24, Burgamtmannshaus.

    Dieser Fachwerktyp ist in diesem Beitrag genauer beschrieben.


    Für das als nachträglich aufgestockt angenommen 3. Obergeschoss entschloss ich mich für zeitgleiches oder nur unwesentlich jüngeres Fachwerk. Jedenfalls musste es ein Fachwerktyp sein, bei dem Fenstererker noch verwendet wurden. Zum Fachwerk wie am 1. und 2. Obergeschoss käme auch Fachwerk mit K-Streben in Frage, wie es in diesem Beitrag beschrieben ist. Jüngeres Fachwerk mit Schmuckgliedern, bspw. mit friesartig aneinander gereihten, geschwungenen Andreaskreuzen, kennt nur noch selten Fenstererker und kommt daher eher nicht in Frage.

    Natürlich prüfte ich auch die ausgeschlossenen Fachwerktypen anhand der historischen Fotografien nach allenfalls vorhandenen sichtbaren Spuren in den Verputzverfärbungen, aber auch in diesem Schritt kam ich eher auf die oben angenommenen Fachwerktypen.

    So entstand der Rekonstruktionsvorschlag im letzten Beitrag. Als Diskussionsgrundlage ist es aber vonnöten, das Fachwerk von ausgeschiednen Typen trotzdem in gleicher Qualität aufzuzeichnen.


    ak-pegnitz3-auss-rek.jpg . . ak-pegnitz3-auss-rek2.jpg
    Links: Rekonstruktionsvorschlag mit Fachwerk des 15. Jh's. mit angeblatteten Fussbändern, 3. Obergeschoss mit K-Streben-Fachwerk des 16./17. Jh's.; rechts: Rekonstruktionsvorschlag mit Fachwerk des 15. Jh's. mit angeblatteten Fuss- und Kopfbändern, 3. Obergeschoss mit K-Streben-Fachwerk des 16./17. Jh's.

    (Grundlage: 1925 gelaufene Ansichtskarte aus dem fünftletzten Beitrag)

    ak-pegnitz1rek.jpg
    Fotomontage des 1. Rekonstruktionsvorschlags. (Grundlage: Sammelbild, Hermann Hilger Verlag, Berlin)

    ak-pegnitz1.jpg
    Originalbild.

  • @ Markus:
    Vielen Dank für das bereitstellen des erwähnten Stiches! Die frühe Darstellung eines einzelnen Hauses um 1700 in einem Stich zeigt, dass es schon damals ein auffallendes Haus gewesen ist.
    (Ich habe das Buch "Das Bürgerhaus in Nürnberg" gerade gestern zu einem günstigen Preis gefunden und bestellt).


    Mehrere Details sind mir beim Vergleich mit meiner Rekonstruktion sofort ins Auge gesprungen - zuerst die K-Strebenanordnung in der Mitte der Giebelfassade am 3. Obergeschoss, die offene Loggia links davon, die Steigbänder im Giebeltrapez, dann die K-Streben am 3. Obergeschoss ganz rechts, sowie die generelle Verwendung von kurzen Fussstreben.

    Ganz bemerkenswert - übrigens schon auf dem ersten Stich vermutbar - ist die Lage der Fussstreben an der Ostfassade (im Schatten) an der Ecke zur Pegnitz hin. Diese verstreben nicht den Eckständer, sondern den ersten Bundständer gleich daneben. Wenn dies der Realität effektiv entsprach, vermute ich eine spezielle Konstruktion infolge der weiten Auskragung zur Pegnitz hin. Normalerweise erwartete man an der Pegnitz auskragende Holzgalerien, und dann machte diese spezielle Konstruktion einen Sinn. Wurden hier eventuell Holzgalerien zu einem späteren Zeitpunkt durch ausgemauertes Fachwerk ersetzt? Die geringe Tiefe der Loggia sowie die kleinen Einzelfenster nahe der Südostecke (von denen das oberste auf den Fotos noch sichtbar ist, und die unteren beiden offenbar zugemauert sind) könnten dafür sprechen, zumindest an den ersten beiden Obergeschossen.

    Nebst dem bis 1945 vorhandenen Aborterker direkt unterhalb der Loggia bestanden offenbar noch zwei weitere in der Fassadenmitte. Ihre Funktion ist mir nicht klar.

    Links vom untern Erker ist eine kleine Öffnung sichtbar; es dürfte sich um einen Ausguss vom Schüttstein in der Küche gehandelt haben (bis 1945 bestanden hier zwei Rohre, welche auf der Fotografie weiter oben mit dem Verputzschaden sichtbar sind). Meistens war die Küche direkt hinter der Hauptstube angeordnet, da von ihrer Herdstelle aus auch der Stubenofen beheizt wurde. Die Hauptstube vermute ich, wie weiter oben erwähnt, an der Südostecke. Der sichtbare Kaminhut spricht ebenfalls dafür.

    Die Brüstung des Dacherkers zeigt ebenfalls zwei Andreaskreuze. Auf dem Stich ist der Grund allerdings dunkel dargestellt, also keine weiss gestrichene Ausmauerung. Wahrscheinlich handelte es sich um eine geschnitzte Brüstungsplatte, wie sie in Nürnberg an den Dacherkern vor allem im 16. Jahrhundert Mode waren, oder um unausgemauertes Fachwerk.

    Als letztes Detail fallen - wie ebenfalls schon im ersten Stich - die Rahmenlinien auf den Mauerflächen der Fenstererker auf. Sie zeichnen ein schlüssellochartiges Motiv nach, welches auch die Fensterläden an der Südfassade ziert. Handelte es sich hierbei auch um Fensterläden an den Fenstererkern? Dieser Frage möchte ich speziell mal nachgehen, wenn ich die Fenstererker genauer betrachte (beim Grolandhaus waren Fensterläden bis 1945 auch an den Fenstererkern vorhanden!). Dies könnte ein Grund sein, weshalb die Fenstererker nicht wie gewöhnlich beim alemannischen und fränkischen Fachwerkbau beim Fensterpfosten aufhören, sondern noch weiter über die Wand hinaus laufen.

    Abschliessend möchte ich noch auf die Dachrinnen hinweisen, welche in barocker Manier spiralförmig in zweifarbig gestrichen sind.

    Das Haus birgt immer noch einige Rätsel, doch ist der Zeitpunkt gekommen, eine weitere, genauere Rekonstruktion der Fassaden zu zeichnen.

  • Zitat von Mündener

    Die Streben im Giebel"dreieck" sprechen für ein frühes Haus, bzw. für einen wiederverwendeten Dachstuhl. Zudem vermute ich, dass der Zeichner nicht unbedingt großen Wert auf die Details der Holzverbindungen gelegt hat (anders als Künstler der Spätgotik, wie etwa bei frühen Werken von Dürer). Dies zeigt sich u. A. am Dacherker, wo eine Kopfstrebe am unteren Ende eine Verzapfung an einer Position haben müsste, an der sie technisch nicht realisierbar ist.

    So auf den Millimeter genau darfst Du aber einen solchen Stich nicht "wörtlich" nehmen. Es ist überhaupt schon eine Ausnahme, dass ein Stich ein Fachwerk so realistisch wiedergibt. Dürer ist da ein Spezialfall.

    Es ist ja gerade der Dachstuhl, welcher mich auch glauben lässt, dass das Haus im 15. Jahrhundert entstanden ist, aber der ganze Rest weist trotzdem eher ins 16. Jahrhundert. Ich hatte anfänglich geschrieben, dass das Haus im 15. Jahrhundert um ein Geschoss niedriger entstanden sein könnte, und bei einer Aufstockung im 16. Jahrhundert der alte Dachstuhl wieder aufgesetz worden sein könnte.

    Was die Holzverbindungen im Stich angeht... genau gleich wie bei der Kopfstrebe im Dacherker hat der Zeichner auch die meisten Fussstreben so gezeichnet. Die Fussstreben müssten ebenfalls nur an den Pfosten anliegen und dürften keinesfalls die Brüstungsriegel berühren, genau wegen der Zapfenverbindung. Bisher habe ich es aber offen gelassen, ob an den ersten beiden Obergeschossen eingezapfte Fussstreben oder angeblattete Fussbänder sitzen. Beim 3. Obergeschoss waren es sicher eingezapfte Fussstreben, da angeblattete Fussbänder niemals gleichzeitig mit K-Streben am selben Geschoss vorkommen können.

    Ein weiteres Detail zu den Verbindungen sind die falsch gezeichneten Steigbänder im Giebeltrapez. Diese sind mit den Stuhlpfosten verblattet, und demnach müssten die unteren und oberen Enden ebenfalls verblattet sein, und nicht wie gezeichnet eingezapft. Genau das sind aber Details, welche zeigen, wo die Grenzen der Interpretation von gezeichnetem Fachwerk sind.

    Sobald ich eine letzte Rekonstruktion des Hauses an der Pegnitz gezeichnet habe, werde ich mich den Halbwalmdächern zuwenden. Insbesondere interessiert mich, wie lange solche gebaut wurden. Hierzu gibt es bereits eine Abhandlung in "Nürnberger Altstadtberichte Nr. 19, 1994" von M. Taschner "Wie alt sind die Nürnberger Halbwalmdächer?".

  • Zitat von Mündener

    Kurze Zwischenfrage: Wie bezeichnet man beim Fachwerk den waagrechten Balken, der auf Höhe des unteren Abschlusses des Giebeldreiecks zu finden ist (dass kommt davon wenn man zum Thema Fachwerk nur englischsprachige Literatur liest smile:) )

    Das ist in erster Linie ein "Deckenbalken". Der Balken hat hier aber verschiedene Funktionen: einerseits ist er der "Rähmbalken" (oder einfach nur das "Rähm") des 3. Obergeschosses, gleichzeitig ist er der "Schwellbalken" (oder einfach nur die "Schwelle") der Giebelwand. Ich nenne ihm "Randdeckenbalken" oder "äusserster Deckenbalken", da er auf der Höhe der Deckenbalkenlage des 3. Obergeschosses liegt. Der Balken hat also drei Funktionen, und deshalb wird man im Internet oder in der Literatur nicht leicht fündig betreffend seiner genauen Bezeichnung.

    Oft wird aber für die Giebelwand auf den Deckenbalken eine separate Schwelle gelegt, sodass zwei Balken aufeinander zu liegen kommen. Dies hat seinen Grund darin, dass ein einzelner Balken durch Zapfenlöcher von unten und oben zu stark geschwächt wird. Und wenn man bedenkt, dass er auch noch angeblattete Bänder aufnehmen muss (in unserem Beispiel also noch zwei Steigbänder), wird er zusätzlich noch von vorne geschwächt. Irgendwann bliebe also nicht mehr viel Holz übrig. Wenn man in meiner Rekonstruktion genau schaut, habe ich den Balken aus dem genannten Grund doppelt gezeichnet, im Gegensatz zum Stich.

    Um deine Frage exakt zu beantworten, heisst der Balken "Schwelle", "Schwellbalken" oder "Wandschwelle", da Du ja nach dem unteren Abschluss der Giebelwand fragst.

    ak-pegnitz3-auss-rek.jpg