Stuttgart (Allgemeines)

  • Nix neues im Ländle: Der Erweiterungsbau des fürchterlichen Gebäudes der Württembergischen Landesbibliothek von 1970 steht unmittelbar vor der Eröffnung. Im Inneren erwartet den Besucher eine Orgie in Sichtbeton. Wenigstens ist der Bau von aussen weit ansehnlicher als sein Nachbar.

    Zitat

    Statt der 2010 vorgeschlagenen Sandsteinfassade zeigt sich der Anbau nun in hellem Sichtbeton – überhaupt hat sich viel getan seit dem ersten Wettbewerbsentwurf: Die stoische Schießschartenfassade ist einem spielerischen etagenweisen Wechsel der Fensterformate gewichen, das zunächst noch wie aufgesetzt wirkende Sheddach entwickelte sich zum prägenden Charakteristikum des Neubaus. Beide Elemente greifen die kupferne Materialisierung des alten Lesesaals auf. Mit der Fertigstellung der Erweiterung, die schon im Mai mit einem Betonpreis ausgezeichnet wurde, soll nun auch die Sanierung des Bestands folgen.

    Rückbesinnung in Ortbeton - Erweiterung der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart von Lederer Ragnarsdóttir Oei

  • Aber das ist doch preisgekrönte Architektur - sogar mit einem Gewinner aus Südkorea. Zwar besteht der Würfel nur aus 400 Exemplaren desselben Plattenbauelements, dafür überzeugt er innen mit Sinnlosigkeit bzw. Zweckfreiheit:

    im Inneren aber wartet Eun Young Yi mit einer bemerkenswerten Geste auf: Das Herzstück der Bibliothek bildet eine Art Kathedrale, ein kontemplativer und – natürlich – quadratischer Saal mit Lichtauge an der Decke. Kein Stuhl, nichts stört dieses gigantische Bekenntnis zur Leere und völligen Zweckfreiheit.

    Innen ist also nochmals ein völlig leerer Würfel mit Betonwänden integriert: klick

    sou perfeito porque / igualzinho a você / eu não presto

  • Die Beschreibung des Art-Magazins sind schon eine Klasse für sich. Fast könnte man meinen, der Kunstkritiker verhöhnt den Künstler ... Ich konnte mir einen Lacher nicht verkneifen :)

    Im Inneren überzeugt Eun Young Yi durch atmosphärische Qualität, klare Ordnung und ein Minimum an Materialien. Alles ist in zartes Grau getaucht, nur die Buchrücken setzen Farbakzente.

    "Stammheim II" trifft es schon gut ...

  • Die ganze Gegend um den Mailänder Platz ist architektonisch gründlich missraten. Normalerweise verschlägt es einen auch nicht in dieses zum Glück etwas abgelegene Retortenquartier, wenn man in Stuttgart ist. Die Hoffnung der Stadtplaner, hier würde die Innenstadt durch ein urbanes Areal erweitert, hat sich erwartungsgemäß nicht erfüllt.

  • Was ich ganz gelungen finde, ist dieser Eckbau:

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    Wobei die völlig leere Fläche davor natürlich keinerlei Aufenthaltsqualität hat und die nackte Glasfassade des angrenzenden Gebäudes unwirtlich wirkt. Wer also 100 Euro pro Quadratmeter (eher zurückhaltend geschätzte Warmmiete anhand der auf Immoscout angegebenen Kaltmiete) übrig hat, kann sich dort einmieten ...

    Zweckfreiheit scheint heute aber schwer in Mode zu sein, z. B. beim Erweiterungsbau für die Akademie der Bildenden Künste München, wo im Eingangsbereich auch jede Menge Platz verschwendet wird (dafür gibt es laut Süddeutscher "Räume" mit 1 Meter Breite und 5 Meter Länge :smile:) oder beim Dresdner Kristallkino, wo im Kristall nur der Empfangsbereich untergebracht ist (wobei das Kino immerhin noch gut aussieht).

    sou perfeito porque / igualzinho a você / eu não presto

  • Nächste "tolle" Meldung aus Stuttgart: Die dortigen Hänge sind nun mit einem neuen Schmuckstück gesegnet. Für über 60 Mio. € wurde die John Cranko Ballettschule errichtet, ein Alptraum in Beton. Meine Güte liegt die deutsche Architektenschaft am Boden, wie lange hält sich dieser Wahnsinn noch?

    Zitat

    Die unterschiedlichen Funktionsbereiche wurden von uns als ein zusammenhängender Organismus interpretiert“, schreiben Burger Rudacs dazu. „Jeder, der in diesem Haus lebt und arbeitet, will letztlich tanzen. Der Tanz ist also der Leim, der alles zusammenhält. In Analogie zum Tanz ordnen und fügen sich die Räume im Grund- wie im Aufriss in Sequenzen, in rhythmischen Wiederholungen aneinander und in das Ganze ein.“

    Rhythmus und Struktur - Ballettschule von Burger Rudacs Architekten in Stuttgart

  • Die Einbettung ist aber bestens gelungen, es paßt sich nahtlos in die Betonklötze daneben ein :unsure:

    Das beste ist aber immer die wortreiche Erläuterung, weshalb völlig einfallslose Betonklötze jetzt so besonders sind - man beachte auch die diskriminierungsfreie Schreibung "Jede*n" als besonderes Highlight:

    "(...) Jede*n in dieser Stadt jederzeit an der spektakulären Raumfolge, an Struktur und Rhythmus dieses Neubaus teilhaben lassen würde" :augenrollengruen:

    sou perfeito porque / igualzinho a você / eu não presto

  • Ich habe an sich nichts gegen das Baumaterial Beton, im Gegenteil ich finde man könnte bei entsprechendem Talent sehr interessante Gebäude mit künstlerischem Anspruch erschaffen, auch im historischen Stil. Deswegen finde ich es fast schon tragisch, dass mit Beton so banale Dinge gebaut werden.

  • Bauhaus meets Brutalismus.

    Ich bin mir aber sicher, dass das viele Leute geil finden. Gerade aus der Architekten-, aber auch weiteren Kulturszene. Ich habe selbst einen Freund, der immer für "klare Formen" schwärmt und auch schon extra Ausflüge gemacht hat, um ganz bestimmte Mies van der Rohe-Bauten zu besuchen. Dem könnte auch dieser Neubau gefallen. Letztlich ist sogar das Haus nicht mal das Schlimmste, sondern das damit der idyllische Blick auf die Berghänge zerstört wird.

  • Stuttgart wird leider immer "wüschter". Ich ziehe mittlerweile auch Esslingen zum Ausgehen vor, wenn ich die Wahl habe. Wesentlich erfreulicher. Die Ereignisse vom letzten Wochenende in Stuttgart tragen auch dazu bei. Das ist nicht mehr meine vertraute Stadt von früher, die hier noch liebevoll besungen wird:

    Oscar Müller - 'S goht nix über Stuegert

  • Bauhaus meets Brutalismus.

    ....Letztlich ist sogar das Haus nicht mal das Schlimmste, sondern das damit der idyllische Blick auf die Berghänge zerstört wird.

    Ich kann damit nichts anfangen. Vor alen Dingen altern diese grössflächig-monotonen Fassaden nicht mit Würde, siehe z.B. das Berliner Kanzleramt.

    Wir wird sich obiger Anblick wohl in 5 Jahren darstellen oder in 10, 20 Jahren?