Dankwart Guratzsch ist ein netter, wohlwollender Mensch, dem ich auch schon wiederholt begegnen durfte. Im unten verlinkten Artikel allerdings begeht er - womöglich aus Rücksichtnahme auf die Redaktion - ein paar Denkfehler.
Ich zitiere, da der Artikel hinter der Bezahlschranke steckt:
"Sowohl der Historismus als auch das Bauhaus werden heute von Extremisten beider Lager angefeindet. Dabei stehen die Stile nicht nur gegeneinander, sondern bedingen einander. Architektur lässt sich politisch nicht einengen.
ieles am Bauhaus-Bashing ist falsch und irreführend. Das Bauhaus war eine der größten kulturpolitischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. Es war ein Exportschlager Deutschlands mit weltweiter Wirkung bis heute. Es hat der Kunst, dem Denken, dem Fortschritt ganz neue Perspektiven eröffnet. Die vom Bauhaus entwickelte Ästhetik ist noch lange nicht am Ende, sie wird weiter wirken und weitere Diskussionen provozieren.
Gleichzeitig aber ist das historische Bauhaus (in Weimar, Dessau und Berlin) ein Ort der Mythen, der Irrungen und Wirrungen des 20. Jahrhunderts. Es hat auf Lügen und Fälschungen der Geschichte aufgebaut und ist mit Lügen untergegangen. Das hat die Erinnerung an diese Kunstschule verdüstert. (...)
Hübsch hielt damit die Entwicklung hin zu einem „Bauhaus-Stil“ allerdings ebenso wenig auf wie der Kunsthistoriker Georg Dehio ein halbes Jahrhundert später das Überleben des von ihm in Grund und Boden verdammten Historismus. Als der Deutsche Werkbund 1906 zur Attacke gegen die alte Zeit und ihre Hinterlassenschaften blies und Dehio fast gleichzeitig seine Brandrede gegen die „Masken und Gespenster“ des Historismus hielt, glaubten alle, dass fortan der Fortschritt regieren und kurzen Prozess mit dem historischen Krempel machen würde. (...)
Bauhaus-Bashing und Historismus-Schelte entstammen derselben Motivation: Konkurrenten und konkurrierende Bauauffassungen sollen aus dem Weg geräumt werden. Das gilt auch für die jüngste Initiative „Schlossaneignung“, die das kaum in Betrieb gegangene Humboldt-Forum in Berlin am liebsten wieder abreißen würde, den strahlend neuen Bau zumindest aber mit Eingriffen in die Fassade zur künstlichen Ruine herunterstufen möchte. (...)
Sowohl der Historismus (und in diese Traditionsreihe gehört die Rekonstruktion) als auch das Bauhaus haben geschichtlich Herausragendes für die Baukultur geleistet. Ihre Wirkung beruht auf ihrem Wechselbezug. Was einst unvereinbar erschien, das Gegenüber und Nebeneinander sich widersprechender stilistischer Haltungen, haben schon die Vordenker der Dialektik der Aufklärung als Signatur des Zeitalters charakterisiert. (...)
So alt und so tiefreichend nämlich ist die viel beklagte „Spaltung“ in Gesellschaft, Kunst und Architektur tatsächlich. Sie wird nicht aus der Welt geschafft, indem man die eine gegen die andere, die rechte gegen die linke, die obere gegen die untere Seite ausspielt, sondern nur, indem man sie in ihrem lebendigen Wechselverhältnis begreift. Das Wichtigste dazu hat der weder Rechts- noch Linkslastigkeit verdächtige Schinkel gesagt: Nur das ist Freiheit."
(Zitat Ende)
Guratzsch bedient hier ein typisches Element der Extremismus-Ideologie, die den offiziellen (wenn auch nicht den real praktizierten) Polit-Diskurs der BRD beherrscht. Links wird mit rechts gleichgesetzt, oben mit unten, und dem gegenüber stände so etwas wie eine "Mitte", die mehr oder minder von "Toleranz" und "Freiheit" geprägt sei.
So beginnt Guratzsch schon in der Einleitung damit, von "Extremisten beider Lager" zu schreiben. Wer ist damit gemeint? Es kann sich nur um die AfD auf der einen und die Oswalt-Truppe auf der anderen Seite handeln. Denn diese werden im Verlauf des Artikels ja auf eine Ebene gestellt. Mal abgesehen, dass ich weder für die AfD noch die Oswalt-Leute den Begriff "Extremismus" verwenden würde, weil dieser (laut offizieller Definition, an die sich die Sicherheitsbehörden aber offenbar immer weniger gebunden halten) eine kämpferische Haltung gegen die Ordnung des Grundgesetzes beinhaltet...
... ist die Motivationslage von AfD Sachsen-Anhalt und den "Schlossaneignern" eine gänzlich andere. Die AfD hat in ihrem entsprechenden Antrag eine distanzierende Position zum Bauhaus bezogen und nur angesichts der im nächsten Jahr zu erwartenden unkritischen Jubelorgien (die einzig gegenüber einigen NS-Verstrickungen von Bauhäuslern nicht so unkritisch sein dürften) hinsichtlich der ästhetischen Wirkungen dieser Schule einen kritischen Diskurs gefordert. Daran ist nichts "extremistisch" oder aktionistisch. Die "Schlossaneigner" hingegen fordern und fördern u.a. aktive Maßnahmen zur Störung und Zerstörung der Berliner Schlossfassaden. Sie gehen konkrete, lebende Personen öffentlich an, um diese als "rechtsradikal" zu brandmarken und in ihrem Ruf sozial zu schädigen. Das ist nicht gleichsetzbar, schon gar nicht von der dahinter liegenden Intention.
Zuletzt suggeriert der Artikel so etwas wie ein Gleichgewicht der Stile, die sich nun mal irgendwie vertragen sollen und die Gesellschaft nicht spalten sollen. Das übersieht, dass heute in Deutschland zu gefühlt 99 Prozent in einem irgendwie an das "Bauhaus" angelehnten Stil gebaut wird (auch wenn die Anhänger des "Bauhauses" sich von dieser Nachkommenschaft naserümpfend distanzieren mögen), dem Guratzsch sogar noch eine lange Zukunft prophezeit, während nicht mal 0,1 Prozent historistisch gebaut oder rekonstruiert wird. Es existiert also ein deutliches Ungleichgewicht, das mit ungleichen Machtverhältnissen (nicht zuletzt im Hochschul- und Medienapparat) zu tun hat. All das wird in der gefälligen und die gegenwärtigen Machtverhältnisse beschönigenden Rede von historischen "Wechselwirkungen" völlig unterschlagen.
Nein, die "Schlossaneigner" sind die radikalsten und ins Irrsinnige umgeschlagenen Vertreter eines derzeit herrschenden Zeitgeistes, während der AfD-Vorstoß ein kleiner Dorn ist, den eine machtlose Opposition ins Fleisch des Mainstreams gesteckt hat, der dort aber offenbar bereits zu Schmerz und Abwehrreaktionen geführt hat.
„Irrweg der Moderne“?
Das große Architektur-Bashing