Die heutige 'Neue Altstadt' ist nicht der erste Nachbau der Frankfurter Altstadt, denn bereits 1912 gab es zwei solche Nachbauten. Anlässlich des Deutschen Bundesschiessens 1912 (ganz genau '17. Deutsches Bundes- und Goldenes Jubiläumsschiessen Frankfurt a. M. 1912') wurden auf einem Festgelände (wahrscheinlich auf dem heutigen Messegelände bei der Festhalle) und im Saal des Kristall-Palastes (ein ehemaliges Varietétheater an der Grossen Gallusstr. 12) als Dekoration mehrere Gebäude der Altstadt in kleinerem Massstab als Kulissen nachgebaut. Während auf dem Festgelände gegen den Himmel hin keine Grenzen gesetzt waren, war die Höhe im Kristallpalast natürlich begrenzt. Aber auch auf dem Festgelände wurden die Bauten nicht 1 : 1 übernommen, sondern meistens um ein Geschoss reduziert. (Edit.: Die Dekoration im Kristallpalast erfolgte wohl unabhängig vom Bundesschiessen und war als dauerhafte Saaldekoration geschaffen worden.)
Für die Kulissen auf dem Festgelände wurde die Firma Hugo Haase AG aus Hannover beauftragt. Das Resultat war sehr überzeugend, ist doch der Wiedererkennungswert der meisten Bauten sehr hoch, auch bei den Gebäuden, von denen ein Geschoss weggelassen wurde. Anders sah dies bei der Kulissendekoration im Kristall-Palast aus: Dort war wahrscheinlich eine andere Firma verantwortlich. Nicht nur in der Grösse, sondern auch in der Art der Ausführung der Proportionen und Details erschien diese Dekoration viel niedlicher, 'lebkuchenhäuschenartiger', disneylandhafter...
Disneylandhaft - ein Wort, das im APH und BKF ungern gehört wird, weil es eben all zu schnell ausgesprochen und missbräuchlich verwendet wird. Aber genau der Gegensatz der beiden dekorativen Nachbauten der Altstadt reizten mich, diese einander gegenüber zu stellen. Anhand der unterschiedlichen Ausführungen kann man diskutieren, was nun gelungen war und was weniger, und ob man die weniger gelungene Kulisse im Kristallpalast als disney-mässig bezeichnen darf.
Zuerst gleich mal drei Ansichten vom Festgelände:
(die Abbildungsnummern der ersten drei Ansichten beziehen sich auf den Situationsplan fünf Beiträge weiter unten)
2) Deutsches Bundesschiessen in Frankfurt a. M. 1912. Festgelände mit Nachbau des Römers, rechts davon das Haus Frauenstein und das Salzhaus. 'Offizielle Festpostkarte', Verlag Dr. Trenkler & Co., Leipzig.
8) Deutsches Bundesschiessen in Frankfurt a. M. 1912. Festgelände mit (von links) Nachbau der Goldenen Waage, des Rosenecks und des Hinterhauses des Hauses 'Limpurg' im Römerhöfchen. 'Offizielle Festpostkarte', Verlag Dr. Trenkler & Co., Leipzig.
Zum Vergleich: Goldene Waage (aus diesem Beitrag)
Hinterhaus 'Limpurg' im Römerhöfchen (aus diesem Beitrag).
7) Deutsches Bundesschiessen in Frankfurt a. M. 1912. Festgelände mit dem Mittelteil der Hauptwache (skulptierter Dreieckgiebel) und dem Lutherhaus an der Kannengiessergasse. 'Offizielle Festpostkarte', Verlag Dr. Trenkler & Co., Leipzig.
Zum Vergleich: Hauptwache
Lutherhaus an der Kannengiessergasse (aus diesem Beitrag).
Und jetzt drei Ansichten aus dem Kristallpalast:
Vorbemerkung: Die Dekoration im 'Kristallpalast' bestand schon vor dem Bundesschiessen und wurde wohl nicht extra dafür erstellt. In diesem Artikel wird der Geschichte der Frankfurter Varietés nachgegangen. Der Autor beschreibt die Dekoration allerdings als 'altdeutsches Dorf':
Saal im Kristallpalast, Grosse Gallusstr. 12. in der rechten Häuserzeile erkennt man hinten den 'Engel' am Samstagsberg mit nur zwei statt vier Geschossen, daneben das Gasthaus 'Rosenbusch' am Roseneckplätzchen und rechts angeschnitten wieder das Salzhaus. Verlag Albert Struch, Frankfurt a. M.
Vor allem die Häuserzeile rechts könnte einem alten Walt Disney-Trickfilm entstammen. Man beachte das übergrosse Dach des 'Engels'... wie eine Zwergenkappe. Auch die beiden rechts nachfolgenden Bauten sehen viel niedlicher aus als die Bauten auf dem Festgelände. 'Niedlich' - genau das möchte man ja bei einer authentischen Rekonstruktion nicht!
Saal im Kristallpalast, Grosse Gallusstr. 12. Verlag Albert Struch, Frankfurt a. M.
Dieselbe Karte wie vorhin, aber unkoloriert und mit gemaltem Himmel anstelle des Deckengewölbes.
Saal im Kristallpalast, Grosse Gallusstr. 12, entgegengesetzte Blickrichtung wieder mit dem Salzhaus, dem Roten Haus und dem Rebstock. Verlag unbekannt.
Zum Vergleich: Rotes Haus
Rebstock (aus diesem Beitrag).
Es folgen noch weitere Ansichten vom Festgelände.