Modefarben im Laufe der Zeit / Farbgebung an Häusern und auf Gegenständen

  • So, hier fange ich nun endlich mal den Farben-Thread an, der mir seit Jahren vorschwebt.

    Das Thema "Fassadenfarben" beschäftigt mich schon lange, und ich wollte endlich mal einen Ort im Web haben, wo man Beobachtungen dazu sammeln kann.

    Fangen wir mal mit den gegenwärtigen (2020, ein schlechtes Jahr) Modefarben an:

    Das scheint vor allem Weiß zu sein, die letzten Jahre gab es auch verhältnismäßig viel Grau.

    Davor gab es mal so einen Hang, in jeder Straße ein rotes (meist rostrotes) Haus oder eine rote Wand zu haben, noch davor strich man manche Häuser gern in Zart-Türkis (etwa 2010).

    Ich möchte alle gern einladen, Beobachtungen (möglichst mit Jahr) und Fotos beizutragen. Ich werde versuchen, mir auffallende Beispiele aus anderen Threads hier zu zitieren, und will dann noch eine Farbtheorie vorstellen, von der ich über Umwege mal gehört habe (die Originalarbeiten dazu sind mir leider unzugänglich).

  • Neubau (2020 fertiggestellt) anstelle des ehemaligen Gasthauses zur Sonne, Marktplatz/Altstadt Schömberg (Zollernalbkreis, Baden-Würtemberg):

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    Seit einigen Jahren auch sehr beliebt ist dieses blasse, kühle Gelb bei Neubauten wie im Bildbeispiel oder auch sehr gerne in Verwendung im Zuge einer Radikalkur historischer, ungeschützter Gebäude im Bestand nach dem Auftrag von Wärmeverbundsystemen, dem Einbau von einflügeligen Kunststofffenstern etc. So wie es das kulturell entgleiste württembergischen Herz begehrt.

  • Dieses Gelb schaut ja noch richtig schön aus.

    Irgendwie habe ich den Eindruck, dass es vor allem in Ulm, um Ulm und um Ulm herum nur noch eine Farbe gibt: Weiß. Diese soeben geäußerte Behauptung hat mich aber vor dem Abschicken dieses Beitrags noch geschwind die Frage stellen lassen, wie Vaterunsergasse 2 geworden ist. Dreimal dürft Ihr raten. Natürlich weiß. Jedenfalls an der Schauseite: Ulm, Donau, Neubau - Bauforum Ulm. Übrigens eine gewaltige Verschlechterung gegenüber dem Altbau. War ja nicht anders zu erwarten.

  • Schön? Ja, dem Gros der Schömberger/innen scheint dieser Farbton auch zu gefallen, inklusive der bescheidenen Neubauarchitektur für‘s „Städtle mit Herz“...

    Weiß wäre an sich nicht verkehrt, solange es nicht im Sinne des modernistischen Diktats Verwendung fände. Wobei abgetönte, warme Weißtöne entsprechend dem traditionellen Sumpfkalk generell gegenüber einem künstlichen, modernen und sehr sterilen Weiß zu bevorzugen sind. In Kombination mit traditionellen Bauelementen wie Gewänden, Überdachungen, Faschen, Fensterläden, Gesimsen, Ornamenten, - im Grunde eben das, was der geistig verarmten, modernistischen Vorstellungswelt abhanden gekommen ist - können diese in stimmigen Farbtönen auch weiße/ helle Fassaden im Ensemble abwechslungsreich und harmonisch erscheinen lassen. Besonders reizvoll finde ich in diesem Zusammenhang die Fassaden am Basler Münsterplatz oder den Gemsberg vor Ort.

  • Die 2020er-Gelbs aus Schrömberg und Ulm würde ich unter "Ocker abgetönt" einordnen wollen, denn mE ist es der Versuch, mit modernen Farben eine Mischung aus Weiß und etwas gelbem Ocker nachzumachen. Ocker ist "dunkelgelb", gibt es in rot-(meistens), aber auch in grünstichig, und gebrannter Ocker ist rötlich.

  • Zitat von Fachwerkliebhaber IMG_6298.jpg

    Es sind die scheinbar zu vernachlässigenden Kleinigkeiten, die häufig übersehen werden, welche sich aber in der Summe durch eine schleichende Veränderung zum Nachteil für die Stadtansicht auswirken. Hier beispielhaft das Entfernen der Fensterläden und eine Farbwahl, die das Erscheinungsbild des Hauses abwertet sowie für das Ensemble einen Dämpfer darstellt. Vergleiche hierzu diese vormalige Ansicht:

    https://upload.wikimedia.org/w…ns/1/19/Ulm_Donauufer.jpg

    Hier sehen wir nun einen solchermaßen um 2010 HELLTÜRKIS gestrichenen Altbau an der Ulmer Donauseite.

    Wie man dem dankenswerterweise verlinkten Bild des älteren Zustands entnehmen kann, war die Farbe davor Altrosa mit braunen Fensterläden, braunem Holzbalkon und braunem Giebelrand - eine Farbkombination, die ich in den 1970er als Modifizierung einer 1950er Farbgebung annehmen würde.

    Das Haus nebenan scheint in den 1990ern/2000ern einen neuen Metallbalkon mit gewölbtem Dach erhalten zu haben. Diese Art Dachwölbung (Tonnendach) - mit wenig praktischem Nutzen, man findet sowas auch am Bahnhof Freiburg i.Br. - war eine ganz typische Modeerscheinung dieser Zeit, gab es auch viel an Buswartehäuschen.

  • Es hat jemand berichtet, dass man im Osten Deutschlands nach der Wende die Häuser sehr gern mit krachigen Farben gestrichen hat, weil man das allgegenwärtige Grau satt gehabt hat. So eine Art Kompensationsverhalten wie der Chantalismus.

  • Ja, nach dem jahrzehntelangen Braunkohlestaub-Graubraun-Einheitslook an den Häusern kam die große Renovierungs- und Sanierungswelle. Als ich in den 1980ern mal mit dem Interzonenzug ein Stück durch die DDR fuhr, hatte ich den Eindruck, daß dort keine Fassadenfarbe hergestellt wurde, denn nirgends sah man gestrichenen Putz. Daß in den 90ern bis in die 2010er auf jeden Fall kräftige Farben und Farbkontraste angesagt waren, ist vielerorts zu sehen. Im APH gibt es einen Strang zu Pirna, das viele starke Gelbtöne hat, hier im BKF sieht man es im Brandenburg-Strang, und als ich vor in paar Jahren in Stralsund war, begeisterte ich mich für die mehrfarbigen Türen.

    Bei Gera scheint es sich aber wohl so zu verhalten, wie ich den Bildern in der Galerie entnehme:

    dort waren in der Innenstadt die Neubauten auch schon in den 1970ern/80ern in recht kräftigen Tönen gestrichen worden, es gibt da nämlich 1, 2 Bilder mit abblätterndem Putz in Eisenoxidrot und anderen Farbtönen; Putz blättert nicht so schnell, und Farbe verblasst auch erst nach einigen Jahren. D.h. Gera muß teilweise schon vor der Wende verhältnismäßig starkfarbig gewesen sein. Und die Villenbilder zeigen viel derzeit modisches Weiß und Hellgrau, ich nehme an, die sind erst in den letzten 5 Jahren bis heute fertiggestellt worden.

  • Es hat jemand berichtet, dass man im Osten Deutschlands nach der Wende die Häuser sehr gern mit krachigen Farben gestrichen hat,

    Ja, jeder Immobilienunternehmer hatte so seine Lieblingsfarben bei der Häusersanierung. Ein mir befreundeter (+1998) bevorzugte für seine Häuser "Mais 16" , siehe https://www.ralfarbpalette.de/ral-classic/ral-1006-maisgelb .

    Ehemals graue und triste Gegenden Ostdeutschlands, verwandelten sich in den 90iger Jahren farblich eher in eine Art Legoland.

    In früheren Zeiten, wie zum Beispiel in der Gründerzeit, wurde die Farbe der Bauwerke sanft abgetönt, so daß sie auf dem ersten Blick den Anschein hatte, sie wären weiß. Die Gühlervillen beispielsweise, in der Ostberliner Elsenstraße, waren sanft mit Gelb abgetönt. Dieses hatte den Vorteil, daß die Häuser zwar wie weiß aussahen jedoch bei jeder Wetterlage einen freundlichen Eindruck hinterließen. Andere Gründerzeitvillen wurden mit blau abgetönt, welches bei sonnigen Wetter ein extrem leuchtendes "weiß" abgibt, jedoch bei bedeckter Witterung kalt und ausladend wirkt.

  • Gera muß teilweise schon vor der Wende verhältnismäßig starkfarbig gewesen sein.

    Das ist mir auch schon aufgefallen, lag vielleicht auch am Status von Gera als Bezirksstadt. Hier ein paar Beispiele, nach den Postkarten zu urteilen war Gera in den 80ern um einiges bunter als heute:

    http://www.gera-chronik.de/pic/116B41955D6.jpg

    http://www.gera-chronik.de/pic/116B4195A60.jpg

    http://www.gera-chronik.de/pic/116B419823E.jpg

    http://www.gera-chronik.de/pic/12165642051.jpg

    Die Seite http://www.gera-chronik.de/www/gerahistorie/ bietet einen riesigen Fundus an Infos und Fotos von Gera.

  • Michael: (1980er) zumindest sieht man vereinzelte bunte Häuser, mal ein kräftig hellblaues, mal ein stumpfgrünes, aber auch viel weiß, und das Ziegelrot bleibt natürlich immer. Die Neubauten waren scheints z.T. mit gelblichen Platten verkleidet. Ich weiß nicht, ob es an der Farbreproduktion der Postkarten liegt, aber gerade die Neubauten scheinen alle so einen Stich ins "Nikotingelb" zu haben - möglicherweise war das damals aber auch die vorherrschende Farbgebung.

    (Habe gerade ein paar alte Farbpostkarten von 1880-1907 auf dieser Seite angeschaut): Auch zu dieser Zeit gab es offenbar ziegelrote (auch gestrichene)/rötliche, grüne, gelbliche und weiße Häuser, möglicherweise auch ein wenig Blau an einem Erker an der Sorge, aber da ist nicht so klar, ob das nicht vielleicht zeichnerische Vereinfachung ist.

    Farbmoden scheinen in Gera nicht so auffällig zu sein, anscheinend beließ man weitgehend die Farbe, die das Haus von Anfang an hatte.

  • Was ich aber unbedingt festhalten möchte, weil ichs sonst vergesse:

    Für das deprimierende Mittelgrau kann nun das Datum 2018 festgehalten werden. Ich war neulich in einem Restaurant, dessen Gastraum (Innenraum) komplett mittelgrau gestrichen war, dazu ein quasi-industrieller roher glatter Betonestrich als Boden, und das ist dort wohl so seit 2018.

  • Danke für die Broschüre, da sind ein paar Aspekte drin, die sehr wertvoll sind.

    Daß sie sich allerdings mehrere Seiten über die Farbe Blau auslassen, verwundert mich etwas, denn blaue Häuser sind recht selten, auch wenn es sie immer mal gab (z.B. das Blaue Haus in Großbasel, das seit mindestens 150 Jahren mittelblau ist).

    Ich werde später mal, wenn ich es komplett gelesen habe, versuchen, zusammenzufassen, was dort drinsteht.

  • Blau war vielerorts die Liturgiefarbe Jungfrau Marias (Gebietsweise heute noch), von daher ist es nicht verwunderlich daß das eine oder andere Gotteshaus mit einem blauen Anstrich versehen ist - beste Beispiel ist die Barockkirche in Dürnstein: https://www.bing.com/images/search?…PRST&ajaxhist=0search?view=detailV2&thid=AMMS_dab4af0de0f52ba201b969a9b4cedbd8&mediaurl=http%3a%2f%2fupload.wikimedia.org%2fwikipedia%2fcommons%2fd%2fd5%2fD%25C3%25BCrnstein_2004.jpg&exph=693&expw=1050&q=d%c3%bcrnstein+in+der+wachau&selectedIndex=0&stid=bcceec37-0b79-6962-6e09-cdb45cdde501&cbn=EntityAnswer&FORM=IRPRST&ajaxhist=0

    Auch Bauernhäuser waren häufiger in Blau gehalten, allerdings wohl weniger aus religiösen Aspekten, sondern wohl eher weil die Farbe Insektenvertreibende Wirkung besaß.

  • In der Broschüre steht, Blau wurde jahrhundertelang für Fassaden nur an Kirchen und Repräsentationshäusern und sonst von sehr wohlhabenden Bauherren verwendet, weil die Blaupigmente teuer waren. Die Barockkirche in Dürnstein ist dafür ein sehr gutes Beispiel. Als man im 19. Jhdt dann Blaupigmente synthetisch herstellen konnte, habe es eine wahre Blau-Welle gegeben, gerade auch auf dem Land, an Bauernhäusern. Und das mit der Insektenabschreckung durch Hellblau gehe auf eine Studie aus Frankfurt zurück, sei aber nicht erwiesen (die Veranden von US-Südstaatenhäusern hatten wohl "früher" - zwischen 1900 und 1920 wohl hauptsächlich - hellblau gestrichene Decken, im Glauben, Fliegen abzuschrecken, erzählte mir mal ein Amerikaner. In Deutschland hat sich diese Vorstellung durch die blaue "Frankfurter Küche" gehalten, die in den 1920ern gestalterisch Furore machte.)

    Mit der Vorstellung unterschiedlicher Liturgiefarben machst Du mich etwas ratlos, ich dachte immer, die seien seit Jahrhunderten festgelegt?