Kassel - Altstadt: Rundgang durch einen verlorenen Traum (Galerie)

  • Insgesamt muss man aber sagen, dass der Nutzen eines solchen Projektes marginal gewesen wäre.

    Es geht hier nicht so sehr um Touristen oder die Beurteilung anhand einer Fachwerk-Wertigkeitsskala, sondern um den Wert für die Bewohner der Stadt. Ihnen die Geschichte ihrer Stadt plastisch nahebringen, ihnen zeigen, dass das etwas war, das sehr weit zurückreicht. Und das nicht nur in einem Bildband, den einer zu Weihnachten geschenkt bekommt, und der dann im Bücherregal verstaubt.

  • Traditionsinseln wäre doch eine Lösung fur Kassel. Ich war zweimal im Braunschweig und fand dort trotz gewaltige Zerstörung ein Hauch von der alte Stadt. Und Braunschweig hat da ein Paar Inseln und ein Paar Inseln wäre doch auch in Kassel möglich. Aber UC hat recht - das aber war nicht gewollt sondern man wollte unbedingt Milton Keynes.

  • Das Argument, dass die Leute in den 1950er Jahren nicht anders konnten und dass man doch als "verwöhnter Wohlstandsmensch" ja nicht von "oben herab" über die damaligen Entscheidungen urteilen soll, teile ich überhaupt nicht mehr. Das was diese Stadtplaner damals gemacht haben war ein riesiges Verbrechen an die Seele ihrer eigenen Stadt und durch nichts zu entschuldigen. Sie haben die Identität Kassels geraubt und es zu einer x-beliebigen Stadt umgestaltet. Der Hass auf die Vergangenheit hat alles überschattet. Nein, auch wenn damals Wohnungsknappheit war hätte man das nie genehmigen dürfen. Man hätte diese 1950er-Jahre Blöcke meintwegen außerhalb der Innenstadt errichten sollen um gegen die Wohnungsnot zu kämpfen und dann die Innenstadt vorübergehend so gelassen um sie später, als mehr Geld da war richtig wiederaufzubauen. Aber der Wille war leider nicht da!

  • Ich fürchte, ihr übersehts da eine Kleinigkeit, was den Verweis auf die Braunschweiger Traditionsinseln betrifft: Diese blieben nämlich in Braunschweig ERHALTEN. In Braunschweig stehen ja noch über 100 FWH, die teilweise nicht zum Schlechtesten gehören. Unerklärlich, wenn man bedenkt, wie sehr die Zerstörung dieser Stadt Herzensangelegenheit der Briten war. Bei Kassel reichte offenbar ein - noch dazu früher - Angriff für die Totalauslöschung. Auch der Braunschweiger Altmarkt hat immerhin eine got. Kirche, ein got. Rathaus, ein Steinhaus aufzuweisen, daneben, ansich etwas versetzt, die Seitenfront des Gewandhauses, an dem man ein transloziiertes FWH anpicken konnte - eine der besten Lösungen des dt. Wiederaufbaus überhaupt. Der Burgplatz blieb überhaupt erhalten, das Magniviertel auch. In Kassel.Mitte steht hingegen kein einziges FWH mehr.

    Zitat

    Das was diese Stadtplaner damals gemacht haben war ein riesiges Verbrechen an die Seele ihrer eigenen Stadt und durch nichts zu entschuldigen. Sie haben die Identität Kassels geraubt und es zu einer x-beliebigen Stadt umgestaltet. Der Hass auf die Vergangenheit hat alles überschattet.

    Das ist doch wirklich übertrieben. Kassel wurde doch nicht von den Stadtplanern zerstört, was soll das? Bundesdt. reflexartige Projektion, weil man über die "Befreier" nix sagen darf? Das riesige Verbrechen bestand in der völlig sinnbefreiten, nur auf höllische Bosheit und wohl auch nationale Minderwertigkeit - haben die Briten denn eine mit Kassel vergleichbare Stadt zuwege gebracht? - zurückzuführenden Zerstörung, die ihnen sogar den Tod etlicher Piloten - nicht dass ich da Mitleid hätte - wert gewesen ist. Die "Identität" Kassels, FWLH, war eine Trümmerwüste. "Umgestaltet" ist ein bisschen untertrieben. Sie haben eine x-beliebige Stadt hingestellt, müsste es heißen. Umgestaltet haben die Briten, wenn man so will. Auch "Hass" haben nur die anderen verspürt, der tolle Winnie etwa, nicht die Stadtplaner. Die waren allenfalls bloß durchschnittlich begabt, weshalb man sie nicht so zu dämonisieren braucht. In Kassel war nichts mehr zu gestalten. Heimdall hat natürlich recht - um ihretselbstwillen hätten die Kasseler etwas rekonstruieren sollen. Für uns Nicht-Kasseler ist das ziemlich egal - für diesen Verlust können keine paar Rekos entschädigen, die Stadt ist marginalisiert. Kein Mensch würde Kassel wegen ein paar Rekos besuchen, wo doch in Hessen noch so viel steht.

    Danke Löbenichter für die Bilder von Herborn, die tatsächlich für Kassel etwas entschädigen. Der Name dieser Stadt sagt mir nur etwas wegen dieses fürchterlichen Tankwagenunglücks vor etlichen Jahren, bei dem wohl auch ein paar FWH draufgegangen sind, oder?

  • Ja Ursus vielleicht bin ich ein Träumer das stimmt. Die ersten Verbrecher die Kassel vernichtet haben, waren in der Tat die sogenannten "Befreier" da gibt es auch gar nichts zu diskutieren.

    Trotzdem kann ich mich nicht damit abfinden: Kassel hatte laut Fuldatalers Bildern eine hohe Qualität bei seinen Fachwerkhäusern, und auch die Geschlossenheit hat man schon vor dem Krieg nicht überall in D in einer Großstadt gefunden. Deshalb finde ich ist es das zweite große Verbrechen, was man nach dem WK getan hatte, nämlich eine praktisch völlig neue Stadt aus dem Schachbrett geformt, wo praktisch nichts mehr von vorher erinnert bei den bürgerlichen Bauten zumindest. Naja und Herborn kann mich nicht hinweg trösten von dem immensen Verlust Kassel, da letztere eine viel größere Altstadt hatte...

    Ja und die Stadtplaner haben ja auch Verkehrschneisen durch die Stadt gezogen ohne Rücksicht auf den Vorzustand und haben die ganze Vergangenheit abgelehnt und wollten "was Neues erschaffen". Doch darunter leiden wir heute...

    Und ja du hast recht, bei den meisten Städten in der BRD hat man nach Totalverlust meist in völlig entstellender Weise "wiederaugebaut" nur in Würzburg und wenigen anderen Ausnahmen war man ein bisschen freundlicher zu seiner eigenen Stadt. Dennoch das mit Kassel schockt mich bis heute besonders...

  • Lieber FWLH, ich mag dich ja wirklich und hab es keineswegs drauf angelegt, dir zu widersprechen, aber der letzte Vergleich bringt die Sache eben genau auf den Punkt, nämlich mE in strikter Umkehrung des von dir gemeinten.

    Es ist primär den Stadtplanern von Würzburg zum Vorwurf zu machen, den Wiederaufbau versaut zu haben. In Kassel war nichts zu machen. Eine Hauptkirche als nicht besonders prägende Dominante, sonst nichts, etwas, dast man in jeder Kleinstadt hat. Das wäre, wie Heimdall geschrieben hat, ein angenehmeres Umfeld für die Bewohner geworden, aber für Außenstehende ziemlich uninteressant.

    Aus Würzburg dagegen hätte man soviel machen können, da soviel Großbauten einfach nicht abgerissen werden KONNTEN. So etwas wie ein schönes Stadtbild hätte sich gleichsam von selbst ergeben, und es bedurfte einer geschichtsvergessenen Verleugnung alle Schönen, diesen (Zwischen)-Raum mit jenem Wirtschaftswunderschrott zu füllen, der uns solche Städte so gründlich verleidet. In Würzburg wurden sehr wohl etliche wiederaufbaufähige Barockfassaden planiert, etwa am Markt, hier hätten einzelne Rekos sehr wohl stadtbildgestalterischen Sinn gehabt, hier hätte man auch mit schlichter und geschmackvoller Anpassungsarchitektur viel Gutes bewirken können. Vieles hätte kaum einen Mehraufwand bedeutet. Gleiches gilt für Nürnberg, ja für viele andere Städte. Gerade in diesem Zusammenhang sind die Kasseler Planer nicht zu schelten. Sie haben nichts besonderes geleistet, aber auch nichts kaputtgemacht.

  • Man muss auch sagen dass es gab Alternativen zu diese Modernismus - diese Bruche mit Tradition ist ja komplett durchgefuhrt. Man hätte ja die Stadt Kassel auch eine neue Name geben können. Das wäre Ehrlicher!

    Im Gegensatz zu Ursus sehe ich Städten mehr als Idéen und man hat diese Idetradition von der Stadt einfach komplett aufgegeben. Noch drastischer als in Nurnberg oder Wurzburg ist nicht nur die Gebäuden weg sondern auch die Gemeinschaft und Tradition.

    Mann hatte die Freiheit eine neue Stadt zu bauen und die Ergebis ist eine Beleidigung.

  • Klar doch! Dh natürlich: bitte schön!

    Interessant wären natürlich auch Zerstörungsbilder. Aber die waren wohl eher drastisch. Was soll man aus FW-Ruinen denn machen? Auch in Hildesheim stand eigentlich recht viel, den ausgekohlten Häuser merkte man auf ersten Blick gar nichts an. aber sie waren eben ruiniert...

    Dass eine Stadt eine Idee ist, der man treu zu bleiben hat, ist ein sehr schöner Gedanke. Die Folge wäre, dass man das Trümmerfeld belässt, um einen Hauch dieser Idee zu erhalten. Aber Kassel war eben kein Einzelfall.

  • Zu erstmal ein Ruinenbild aus meiner AK Sammlung.

    Nun der Plan des Hessischen Denkmalkonservator von zirka 1944-46.

    Altmarkt und Marställer Platz.

    Brink.

    Martinsplatz.

    Graben.

    Ausserhalb der Altstadt:

    Unterneustadt.

    Königsplatz.

    Opernplatz.

    Oberneustadt.

  • Zu erstmal ein Ruinenbild aus meiner AK Sammlung.

    Nun der Plan des Hessischen Denkmalkonservator von zirka 1944-46.

    Altmarkt und Marställer Platz.

    Brink.

    Martinsplatz.

    Graben.

    Ausserhalb der Altstadt:

    Unterneustadt.

    Königsplatz.

    Opernplatz.

    Oberneustadt.

  • Ich denke sogar sehr.

    Es gab ja viele der Gebäude entlang der Königsstraße noch.

    Auch in der Altstadt waren noch manche Mauern erhalten (bsp. Drei Erker Gruppe).

    Man hatte den Plan nur von der Stadtseite her nicht betrachten wollen und 1955 nicht in das Verfahren Aufgenommen.