Nordische Renaissance versus italienische Renaissance: einige Gedanken

  • Angeregt von folgender Bemerkung von Ursus in seinem Exkurs "Bauernrenaissance" im Faden "südböhm. Bauernbarock ua Volksarchitektur in Ostmitteleuropa"

    Hingegen gibt es in wirklichen Städten mit bis heute nennenswertem Renaissancebestand wie Krems und Stein kaum Beispiele.

    die Renaissance ist nicht giebellastig, sondern orientiert sich an ital. Formen, aus denen sich der sog Inn-Salzachstil ableitet.

    hab ich mal darüber nachgedacht, was die sogenannte nordische Renaissance eigentlich mit der eigentlichen italienischen Renaissance verbindet (in architektonischer Hinsicht). Auf den ersten Blick nämlich nicht viel; die an sich richtige Bemerkung von Ursus, dass die Renaissance nicht giebellastig sei, stimmt nämlich nur für Italien, für Mittel- und Nordeuropa hingegen ist der prächtige Giebel eines der Hauptmerkmale, siehe z.B. Häuser wie "Zum Ritter" in Heidelberg, das alte Pellerhaus in Nürnberg, viele Häuser in Landshut und anderen Teilen Niederbayerns, vieles in Böhmen und Mähren und natürlich die ganzen Bürgerhäuser in Nordeuropa wie in Flandern, Holland und Norddeutschland. Italienische Renaissance-Eigenschaften wurden bei all diesen Bauten häufig nur als Zierelemente und Zitate in die Fassaden eingebaut. Wikipedia schreibt diesbezüglich zur Nordischen Renaissance: "Die Baukunst der im 15. Jahrhundert in Italien entwickelten Renaissance gelangte erst verspätet in die Länder nördlich der Alpen, die neuen Impulse wurden mit zunehmender räumlicher Entfernung freier interpretiert. Kennzeichnend für die Entwicklung des nördlichen Renaissancestils ist zum einen das dort weitgehende Fehlen der antiken Vorbilder, auf die sich die italienische Renaissance (frz. Wiedergeburt) bezog, zum anderen die Fortführung der ursprünglich durch die Gotik bestimmten Bauformen Nordeuropas, die wiederum in Italien nur in einer weniger verbreiteten Form zu finden waren."

    Und weiter: "Sie übernahm althergebrachte, lokale Bauformen und übersetzte lediglich Baudetails in die neue Formensprache. Typisch sind kleine Ziersäulen, Fensterbekrönungen nach italienischen Vorbildern, z. B. die der Tempelarchitektur entlehnten Dreiecksgiebel, oder die Verwendung von Schmuckobelisken auf den Stirnseiten der gestaffelt und häufig geschweiften Gebäudegiebel. Auch offene Arkadengänge finden sich relativ häufig." Weiter: "Vollständige Neubauten dieses Stils waren anfangs selten und häufig wurden vorhandene Bauwerke lediglich ergänzt oder umgebaut, so dass sich sowohl in der profanen als auch vor allem in der Sakralarchitektur viele hybride Gebäude finden, an denen sich ältere Bauteile der Gotik mit den neuen Formen verbanden. Die für südliche Renaissancebauten typischen Proportionen anhand mathematischer Grundlagen, wie dem Goldenen Schnitt, fehlten meist völlig. Im Bürgerhaus blieb das nach mittelalterlichem Vorbild giebelständige Haus mit steilem Dach im Sakralbau die Hallenkirche vorherrschend."

    Soweit alles durchaus nachvollziehbar, die typischen italienischen Renaissance-Bauten sehen ganz anders aus als ihre mittel- und nordeuropäischen Pendants, vor allem die theoretischen und mathematischen Grundlagen der Proportionen der Bauten fehlen in Nordeuropa fast völlig, es bleibt weiterhin eine eher malerische Herangehensweise vorherrschend. Auch ein an sich noch ziemlich "italientreuer" Bau wie das Palais Schwarzenberg in Prag (errichtet 1545 bis 1567) setzt einem grundsätzlich recht florentinisch anmutenden Bau mehrere für Italien völlig atypische Giebel auf:

    Schwarzenberský_palác_1.JPG

    Auch bei der berühmten Häuserzeile in Zlabings beschränkt sich das italienische Renaissance-Vokabular im Grunde auf Sgraffito als Schmuck und Andeutung von Bossenwerk und Ecklisenen:

    24002_11_slavonice_dsc6800.jpg

    Nun habe ich allerdings in dem Buch "Das Bürgerhaus in Altbayern" folgenden seltsamen Satz gelesen: "Die für Landshuter Bürgerhäuser so typischen rundbogigen Zinnengiebel gehen wohl auf ähnliche Formen im venezianischen Gebiet zurück. Es hat den Anschein, dass sie zunächst nach Altbaiern und dann erst nach Böhmen gelangten. Für diese Annahme spricht der Bau der Teynschule am Altstädter Ring in Prag. Auch ein Bürgerhaus am Platz von Pardobitz in Ostböhmen zeigt einen Zinnengiebel mit rundbogigen Abschlüssen."

    Hier die Teynschule:

    Prague_16.07.2017_Týnská_škola_%2835983183184%29.jpg

    Hier das im Zitat genannte Bürgerhaus in Pardobitz:

    Pardubice%2C_městský_dům_čp._47%2C_Pernštýnské_náměst%C3%AD_47.JPG

    Hier ein rundbogiger Zinnengiebel aus Niederbayern, das Loichingerhaus in Geiselhöring aus dem 16. Jhdt:

    Loichingerhaus%2C_Geiselhöring.JPG

    Das wären ein paar Renaissance-Beispiele mit rundbogigen Giebeln in Mitteleuropa. Sollte dies tatsächlich auf Venedig zurückzuführen sein? Ein eigenartiger Gedanke...

    Nun hab ich mal ein bisserl nachgeforscht, ob ich diesbezüglich in Venedig was finde, und habe tatsächlich ein sehr interessantes Gebäude gefunden: die Scuola Grande di San Marco, erbaut ab 1485:

    Venezia_-_Ospedale_-_Foto_G._Dall%27Orto%2C_2_lug_2006_-_03.jpg

    Und dann natürlich noch den Markusdom:

    Venice_-_St._Marc%27s_Basilica_01.jpg

    Man beachte die rundbogigen Zinnen! Beide Bauwerke sind klar byzantinisch geprägt (die Fassade des Domes beinhaltet sogar viele originale Spolien aus byzantinischen Bauwerken, die nach der Eroberung Byzanzs 1204 nach Venedig gebracht worden waren), man findet solche Architektur in Italien sonst nicht, nur in byzantinisch geprägten Gegenden.

    In der byzantinischen Architektur sind Rundformen hingegen allgemein sehr verbreitet, siehe z.B. die Kreuzkuppelkirche des Klosters Gračanica im Kosovo:

    Manastir_ne_Graçanicë.jpg

    Sollten die mitteleuropäischen rundbogigen Zinnengiebel der Renaissance also tatsächlich auf eine byzantinische Tradition zurückgehen, die über Venedig nach Mitteleuropa kam? Ich bin nicht ganz überzeugt, allerdings ist die Ähnlichkeit zwischen den Rundzinnen der Scuola Grande di San Marco und denen der Teynschule und des Bürgerhauses in Pardobitz nicht ganz von der Hand zu weisen. Auf jeden Fall ein interessantes Gedankenspiel!

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Sollten die mitteleuropäischen rundbogigen Zinnengiebel der Renaissance also tatsächlich auf eine byzantinische Tradition zurückgehen, die über Venedig nach Mitteleuropa kam?

    Also ich finde das recht plausibel, denn Venedig war als Handelszentrum und Hafen gerade auch für Bayern und Böhmen damals nach wie vor bedeutend, so daß dort gewiß auch mal ein paar Architekturstudenten o.ä. vorbeikamen.

    Und der venezianische Hybridstil ist ausgesprochen einzigartig und hat definitiv byzantinische Vorbilder.

    Allerdings finde ich es ohne die venezianische scuola nicht so ganz ableitbar, die braucht es schon als Zwischenglied - denn die rundbogigen, achteckigen Kirchen sind in der Orthodoxie allgemein sehr verbreitet, aber eben keine hallenförmigen Profangebäude. Halle mit Rundbogenbekrönung scheint eine venezianische Erfindung zu sein.

  • Das Ende von Byzanz (1204 bis endgültig 1453) ist ohnehin so ein "schwarzes Loch" im westlichen Gedächtnis. Es flohen damals so einige Byzantinerfamilien nach Italien, Spanien, und brachten u.a. Bücher mit. Dieser "byzantinische Strang" an der Renaissance wird immer gern unterschlagen.

  • Ich würde dieser Byzanz-These massiv widersprechen.

    Das Rundbogenmotiv der ital. Renaissance ist mE nichts anderes als die Wiederbesinnung auf die eigene romanische Wesensart nach der gotischen Verirrung, mit der man in Italien nie so etwas Rechtes anzufangen wusste.
    Kein Wunder, dass man heute in gewissen Fällen (etwa San Miniato al Monte) von Protorenaissance spricht. Italien hat seit der Römerzeit nie anders gebaut. Über den Manierismus gelangte man sodann zum Barock. Ohne das gotische Intermezzo täte man sich sehr, sehr schwer mit stilistischer Einordnung.

    San_miniato.jpg

    CC BY-SA 3.0, File:San miniato.jpg - Wikimedia Commons

    Im Norden verhält es sich natürlich anders.

    Die gezeigten Beispiele sind nicht über einen Kamm zu scheren.

    1) Gotische Bürgerhäuser waren nicht immer besonders aufwendig bzw als "klassisch gotisch" erkennbar.

    800px-N%C3%BCrnberg_Pilatushaus_2010.jpg

    Von Photo: Andreas Praefcke - Selbst fotografiert, CC BY 3.0, File:Nürnberg Pilatushaus 2010.jpg - Wikimedia Commons

    Was ist da bitte so spezifisch "gotisch" daran?

    Der schmale hochgeschossene Bau mit dem steilen Giebel, kann man sagen. Bei den Erdgeschossfenstern tut man sich schon schwerer.

    Und was ist mit dem behäbigeren Vis-à-vis`?

    ADH_Tierg%C3%A4rtnertorpl.jpg

    GFDL, File:ADH Tiergärtnertorpl.jpg - Wikimedia Commons

    Oder das Brucker Kornmesserhaus:

    Bildergebnis für kornmesserhaus bruck

    Was ist an den drei Fensterachsen im ersten Stock bzw darüber "gotisch"?

    Es ist ein italienisierender Bau nördlich der Alpen.

    2) was die Renaissance betrifft, so lassen sich 2 unterschiedliche Zugänge dingfest machen:

    a) einen italienisierenden Eindruck erwecken, vor allem im deutschen Süden -

    Bildergebnis für gmünd nö


    Ähnliches Foto

    dazu gehört natürlich der ganze Inn-Slzach- Schmonzes samt bizzarren osteuropäischen Spezifiken:

    Bildergebnis für Zamosc

    oder b)

    Italien Italien sein zu lassen und sich selbstbewusst den klimatischen Gegebenheiten des Nordens zu fügen und zu bauen wie bisher:


    Ähnliches Foto

    Ähnliches Foto


    800px-Knochenhaueramtshaus_1900.jpg

  • Die Byzanz-These finde ich nicht abwegig. Denn wo sonst in Italien haben sich solche Architekturelemente in diesem Mass durchgesetzt? Mir ist keine andere Stadt bekannt; nicht mal in Florenz oder Bologna, welches ja auch sehr tonangebende und grosse Städte in Norditalien waren, sehe ich diesen Formenschatz.

    Ob jetzt gewöhnliche Bürgerhäuser, zudem noch solche, die aus Holz errichtet sind, für einen Vergleich herangezogen werden können, bezweifle ich. Zudem zeigen die wenigsten davon noch ihr ursprüngliches "gotisches" Bild. Dein Bild mit "dem ganzen Inn-Salzach- Schmonzes" zeigt zwar auch eine ganze Reihe von Bürgerhäusern, die aussergewöhnlichen Zierrat aufweisen. Könnte dies aber nicht eine Folge des Rathauses daneben gewesen sein?

    Was ist an den drei Fensterachsen im ersten Stock bzw darüber "gotisch"?


    Es ist ein italienisierender Bau nördlich der Alpen.

    Die drei Fensterachsen sehen für mich nach einer klassizistischen Veränderung aus.

  • Das Brucker Kornmesserhaus, von wannimmer das ist, wirkt auf mich in erster Linie (provinziell-)venezianisch.

    Es ist schon klar, daß die "nordische Renaissance" sehr anders ausfällt als die eigentliche italienische (San Miniato ist mMn eine klassische christliche Basilika à la 4. Jhdt mit der damals offenbar verbreiteten schwarz-weiß-Verzierung - auch die Sgraffitti in Böhmen und Österreich sind ja vorwiegend schwarz-weiß), und mit dieser eigentlich nichts oder allenfalls sehr, sehr wenig zu tun hat.

    Aber die Mischformen im deutschen Südosten und Böhmen scheinen mir doch gewisse venezianische, vielleicht auch ein bißchen florentinische Anklänge zu haben.

  • Es war ja auch nur eine Idee, die ich zweifelnd zur Diskussion gestellt habe, keineswegs eine Überzeugung...

    Ich war durch die Bemerkung in dem Buch "Das Bürgerhaus in Altbayern" von Volker Liedke aus der Reihe "Das deutsche Bürgerhaus" stutzig geworden und wollte dem Gedanken nachgehen; die Buchreihe "Das deutsche Bürgerhaus" dürfte hier sicherlich einigen bekannt sein, sie stellt meines Erachtens eine der besten, wenn nicht die beste, Publikation über die Geschichte der bürgerlichen Architektur in Deutschland dar und ist durchaus eine seriöse Quelle, die man ernst nehmen darf. Leider wird diese Bemerkung vom Autor nicht weiter belegt und somit konnte ich nur versuchen, selbst zu recherchieren.

    Dein Hinweis, Ursus, auf die Romanik ist sicher nicht falsch, das Rundbogenmotiv ist ja eines der hervorstechenden Elemente der Romanik; doch erstens sind mir keine Beispiele bekannt, bei denen die italienische Romanik Rundbögen als Zinnen oder Giebel verwendet hätte, sie tauchen nur als Fenster, Arkaden und Blendbögen auf, zweitens sind rundbogige Fenster, Arkaden und Blendbögen auch schon Teil der antiken römischen Architektur und somit keine Neuerfindung der Romanik und drittens baut die romanische Architektur sehr wahrscheinlich auf der byzantinischen auf, weil die byzantinische Architektur die letzte antike Baukunst war und die romanische ihr nachfolgte, ich würde also behaupten, dass die beiden relativ verwandt sind. Der Hinweis auf San Miniato al Monte ist meines Erachtens nicht zielführend, da die Kirche bereits ab 1013 erbaut wurde, somit weit vor der "gotischen Verirrung" entstand und somit keine Reaktion auf dieselbe sein kann. Sie ist halt ein romanischer Bau, der sich in seinen Formen und Symmetrien auf eine damals noch nicht verloren gegangene antik-römische Tradition stützt und mit der Renaissance nur insofern etwas zu tun hat, als er später wieder aufgegriffenen Zielen und Ästhetiken entspricht.

    Im Falle Venedigs werden üblicherweise viele etwas fremdländisch anmutende architektonische Stilelemente mit byzantinischen und maurischen Einflüssen erklärt, im Falle der Basilika San Marco waren es anscheinend sogar byzantinische Baumeister, die am Bau selbst beteiligt waren. Schon in der venezianischen Gotik wie z.B. am Ca' d'oro sind orientalische Einflüsse schwer zu leugnen:

    1167px-Ca%27_d%27Oro_facciata.jpg

    Venedig hatte viele Handelsbeziehungen zum östlichen Mittelmeer und war dem Orient wahrscheinlich mehr zugewandt als Europa. In zeitgenössischen Berichten steht geschrieben, dass ein Sarazene oder Türke in Venedig wesentlich weniger Ausländer war als ein Franzose, Deutscher oder Lombarde. Architektur wie die obige in Venedig gibt es jedenfalls im Rest Italiens nicht.

    Hier noch ein paar Beispiele venezianischer Architektur, die vielleicht von Byzanz und vom Orient beeinflußt war:

    Chiesa di San Zaccaria, erbaut ab 1458:

    645px-Chiesa_di_San_Zaccaria_Venezia.jpg

    Chiesa di San Michele in Isola, erbaut ab 1468:

    1280px-Venezia_-_Chiesa_di_San_Michele_in_Isola.JPG?uselang=it

    Scuola Grande di San Giovanni Evangelista von 1481:

    644px-Scuola_grande_di_San_Giovanni_Evangelista_-_Venezia.jpg

    Ein interessanter Fall ist der Palazzo Fondaco dei Turchi: der Palast stammt aus dem 13. Jhdt und stürzte 1732 zum Teil ein, das Dach wurde daraufhin zunächst in einfacher Form wiederaufgebaut und ab 1860 in anscheinend originaler Form rekonstruiert. Die Dachzinnen sind für unser Thema höchst interessant, ich habe allerdings nicht mit hundertprozentiger Sicherheit herausfinden können, ob diese Zinnen zur Erbauungszeit auch wirklich so ausgesehen haben wie heute. Jedenfalls ist das ein Bau, der mit dieser speziellen zweireihigen Arkadenreihe byzantinischen Traditionen wesentlich näher ist als italienischen.

    1280px-Fondaco_dei_Turchi.jpg


    Ursus, ich verstehe nicht ganz die Relevanz deiner Beispiele gotischer Häuser in Deutschland... vielleicht beziehst du dich auf meine Wikipedia-Zitate, in denen auf gotische Traditionen hingewiesen wurde; wenn das so ist, dann ist doch die grundsätzliche Form der nordeuropäischen Häuser ausschlaggebend, nämlich meistens schmal und mit spitzem, steilem Giebel. Dass es auch behäbigere, breitere Häuser gibt, ändert meines Erachtens nichts daran, dass der hohe, spitze Typus im Mittelalter weit mehr verbreitet war und somit in der Renaissance auch beibehalten wurde. Die von dir gezeigten Beispiele unter Punkt b) bestätigen dies ja auch. Und es ist ja schließlich nichts Verwerfliches dran, an den althergebrachten Formen festzuhalten und diese nach der Mode der Zeit zu modifizieren und zu verzieren! Das macht ja gerade den Reiz der nordischen Renaissance aus, dass sie nicht nur blind kopiert hat, sondern mit den neuen Einflüssen etwas Eigenes angestellt hat. Ich habe mir ja bloß eingangs die Frage gestellt, welche Zusammenhänge die nordische und die italienische Renaissance dann überhaupt haben, wenn sie auf den ersten Blick doch so verschieden aussehen.

    Zu deinen Beispielen unter Punkt a) für italianisierende Renaissance im deutschen Süden: die Gebäude kann man als solche eigentlich nicht wirklich als italienische Renaissancekopien anerkennen, das sind eher Imitationen mittelalterlicher Paläste oder Burgen, wenn man es genau nimmt: Zinnen und italienische Renaissance schließen sich total aus, mir ist kein Renaissance-Palast in Italien mit Zinnen bekannt (außer den obigen Beispielen aus Venedig, die allerdings ganz anders aussehen). Diese waren Symbole mittelalterlicher Wehrhaftigkeit, manche behaupten auch, dass durch die Form der Zinnen die Zugehörigkeit zu Ghibellinen oder Guelfen ausgedrückt wurde. Hier ein mittelalterliches Beispiel aus Italien, das von der Form her deinen ersten Beispielen recht nahe kommt, der Palazzo del Podestà in Fabriano (Marche) von 1255:

    1280px-Fabriano%2C_Piazza_del_Comune%2C_Palazzo_del_Podestà%2C_1255_%282%29.jpg

    Aber wahrscheinlich hat man es in Deutschland mit den Details nicht so genau genommen ;)

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    Karl Kraus

  • Ich kenn schon mehrere Palazzi mit zinnengekrönter Attika.

    800px-Palazzo_vecchio_gnu1742.jpg

    Zitat

    die Gebäude kann man als solche eigentlich nicht wirklich als italienische Renaissancekopien anerkennen, das sind eher Imitationen mittelalterlicher Paläste oder Burgen, wenn man es genau nimmt:

    Gottswillen, von Kopie kann da gar keine Rede sein, da fehlte alles, materielle und künstlerische Mittel. man wollte sich in dieser entlegenen Provinz nur wichtig machen und auf weltmännisch tun. Daneben war die südliche Renaissance eine protestantische Art "Protoaufklärung" gegen den finsteren katholisch-gotischen Mystizismus. Eine Modeerscheinung, weiter nichts. Ob Schwalbenschwanzzinnen nun mittelalterlich oder neuzeitlich sind, spielte keine Rolle. Hauptsache italienisch halt.

    Das türkische Palais in Venedig will sich ja geradezu exotisch geben. Dementsprechend gibt es auch nördlich der Alpen bizarre Taditionslinien:

    Retz, Hl. Geistwirtshaus, leider abgerissen:


    4043067648_7e7455c416.jpg


    4034758905_55d8c38eca.jpg

    Bösing, sog. Türkisches Haus:

    Bildergebnis für pezinok

    vgl auch diese Großstadt:

    5361702962_881e0d465c_b.jpg


    Hier von irgendwelchen veritablen (außervenezianischen) Einflüssen zu sprechen, erscheint wohl verfehlt- es handelt sich um reine Phantasiegebilde.

    Natürlich kommen die exotischen Zinnenkränze letztlich vom (vor allem aus der Ferne) fürchterlichen Dogenpalast:

    1280px-Dogenpalast_Venedig_2014.JPG

    wie die ganze böhm.- österr. Renaissance eine Kunst der Nachäffung ist:

    San_Marco_backside_Venice.jpg

    Ähnliches Foto

    natürlich mit läppischsten Mitteln.

    die städtebaulichen Beispiele aus Retz und Böösing sind natürlich nichts anders als verbrämtes Inn-Salzach-Schema ein wenig à la Palazzoo ducale aufgepäppelt. Da braucht es kein mystisches "Byzanz " als Vorbild.

    Nächstens kommt einer gleich mit dem da daher:

    Annasirmosque.jpg

    Noch ein glück, dass es unseren Gutmenschen zumeist an Bildung fehlt. Zumindest über das Massentourismuswissen à la Al Andalus hinaus.

    Was "Byzanz" betrifft, so stellt sich die Frage, wie diese Stadt überhaupt ausgesehen hat. Wir wissen imgrunde nur von Kirchenbauten, die letztlich der Orthodoxie geschuldet sind.

    Völlig zurecht trifft dies auf den Markusdom zu - eine vom Raumgefühl durch und durch orthodoxe Kirche.

    was die Scuola Grande di San Marco betrifft, so würde ich wohl ohne Verweis auf das Byzantinische auskommen - die Renaissance brauchte runde Grundformen als Antithese. Und irgendwie muss man die Attiken auch bekrönen.

    Man kann allenfalls darüber diskutieren, inwieweit dieses nörldiche Bogenmotiv auf den Giebeln - im böhm Raum häufig anzutreffen:

    (haus ganz links):

    Bildergebnis für waidhofen thaya stadtbrand

    Quellbild anzeigen

    Bildergebnis für Tabor namesti

    Bildergebnis für Tabor Prazska

    massiv gehäuft:

    Bildergebnis für Tabor Prazska

    man könnte von einer Taboritischen Ausprägung sprechen.

    Einfachere Variante Weiden/OPf:

    Bildergebnis für weiden oberpfalz

    Wittingau:


    8105260517_0d70e99a7c_b.jpg


    eine Wachauer Variante:

    Bildergebnis für margaretenstraße krems

    Haus rechts:

    Bildergebnis für Tulln

    Bildergebnis für st. Michael wachau

    ortsspezifische Variante (Mautern/Donau):

    Bildergebnis für Mautern donau kirchengasse

    Bildergebnis für Mautern donau kirchengasse


    Kurzum: irgendwie MUSSTE man die Häuser ja verzieren. Zweifelsohne hat ein Rekurs auf so grundlegende Formen mit Byzanz nicht das Geringste zu tun.

    Viel interessanter ist natürlich das Zlabingser Beispiel.

    Kein Wunder, dass die Häuserreihe des Oberen Platzes so oft abgebildet ist - sie findet kaum Entsprechungen:


    24002_11_slavonice_dsc6800.jpg


    Das Haus links macht keine Mühe: Inn-Salzach mit kunstvoller Attika.

    In den Giebelanordnungen der drei Häusern daneben schlägt mE das gotische Höhenstreben noch durch, mE mehr als in den anderen böhm Beispielen, und das macht diese Häuser so wertvoll.

  • Der Palazzo Vecchio in Florenz ist, ähnlich wie der Palazzo Pubblico in Siena, ein Werk des Trecento, welches noch absolut mittelalterlich geprägt war. Die italienische mittelalterliche Architektur hat - mit wenigen Ausnahmen - halt wenig mit der nordischen Gotik gemein, es wurde oft ein romanisch-gotisches Gemisch mit traditionell-antiken Einflüssen gebaut. Du hast ja selbst oben geschrieben, dass man in Italien eigentlich immer ähnlich gebaut hat, die antiken Traditionen haben sich lange gehalten. Was ist am Palazzo Vecchio gotisch im Sinne der italienischen Gotik? Natürlich die Grundform mit Turm, die seitlich überstehende Attika mit Zinnenbekrönung und Blendbögen drunter sowie die zweibogigen Fenster. Dass die Fassade weiterhin geschlossen gemauert ist und nicht die Auflösung der Wand erstrebt wird wie im Norden, hat halt sehr wahrscheinlich klimatische Gründe, weil es dort im Sommer viel zu heiß ist, als dass man die Mauern durch große Glasfenster öffnen könnte. Es gibt in Italien noch einige andere Beispiele von ähnlich aussehenden mittelalterlichen Palazzi, d.h. das ist durchaus typisch.

    Das Gebäude auf dem letzten Bild kenne ich nicht, das ist anscheinend irgendwo im deutschen Sprachraum wie man an den Schildern erkennen kann. Bei diesem Gebäude wäre stilistisch gesehen z.B. das zinnenlose Dachgesims mit Konsolen darunter atypisch für einen italienischen mittelalterlichen Bau, nur der Turm ist recht gut kopiert. Wo ist das?

    Ansonsten vielen Dank für deine zahlreichen und schönen Beispiele mit Rundzinnen, sehr interessant!

    Nur, wenn du schon zugibst, dass die gezeigten mitteleuropäischen Zinnenbekrönungen sich an venezianischen Vorbildern wie dem Palazzo Ducale u.a. orientieren und diese Formen nachgeäfft haben und wenn diese fantasiereichen Formen aber sonst in Italien nicht zu finden sind, sondern nur in Venedig, dann stellt sich doch als nächstes die Frage, woher sie dann Venedig hat? Es handelt sich hier eben nicht um eine typisch italienische Tradition, sondern um etwas für Italien Fremdes! In der einschlägigen italienischen Literatur werden diese venezianischen Sonderformen eben mit byzantinischen und orientalischen Einflüssen erklärt, auch gerade am Beispiel des Palazzo Ducale. Wo findest du denn sonst im Italien des Mittelalters und der Renaissance ähnlich fantasiereiche Beispiele, wie Riegel richtig angemerkt hat?

    die Renaissance brauchte runde Grundformen als Antithese. Und irgendwie muss man die Attiken auch bekrönen

    Es ging in der italienischen Renaissance eher um das Wiederaufgreifen einer geometrischen und harmonischen Proportionierung sowohl der einzelnen Bauformen als auch der Grundrisse und den Ausdruck von Ausgewogenheit und Klarheit durch symmetrische Reihung von klassischen Bauelementen wie der antiken Säulenordnung, Arkaden und generell geometrischen und eher rechtwinkligen Formen. Die Palastarchitektur der italienischen Früh-Renaissance bekrönt die Attiken gerade nicht mehr, sondern schließt sie mit geraden Konsolgesimsen ab, die ganzen florentinischen und römischen Renaissancepaläste haben allesamt keine Attikabekrönung! Palazzo Rucellai, Palazzo Medici Riccardi, Palazzo Strozzi, Palazzo Farnese, Palazzo della Cancelleria und wie sie alle heißen haben alle keine Attikabekrönung oder Zinnen! Das ist eines ihrer Hauptmerkmale! Erst bei Palladio u.a. in der Mitte des 16. Jhdt's tauchen Attikafiguren auf, ich würde ihn allerdings auch schon als eher dem Manierismus zugehörig beschreiben, nicht mehr der Hoch-Renaissance.

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    Karl Kraus

  • Fürth, Rathaus.

    man hätte auch das heranziehen können:

    Bildergebnis für habelschwerdt rathaus


    oder auch das:

    Bildergebnis für oppeln rathaus

    (Habelschwerdt, Oppeln)

    Ich würde den außereuropäischen Einfluss bzw Beitrag zu gering schätzen, um einen Durchgriff auf derartige allenfalls verifizierbare Vorbilder zuzulassen. Sicher bin ich sehr eurozentristisch und hochmütig. Mir geht das Gelaber um außereuropäische Kulturen und deren Bedeutung auf die Nerven, ich gebe es zu. Ich möchte wissen, wie viele weiße Sklaven und Dhimmis da als Architekten und Maurermeister beteiligt waren.

    "Venedig" ist stark genug, um als Referenz völlig auszureichen.

    Zum Palazzo Vecchio ist schon schon klar, dass man es nicht unproblematisch als "Renaissance" übersetzen kann. Sicher entspricht es einer Epoche, die bei uns keine Entsprechung findet. Indes ist unser Thema "unsere" Renaissance, und da ist dieser Einfluss nicht wegzudenken.

    Letztlich vertrete ich die Meinung, dass sich das "architektonische Grundgefühl" von klimatischen Grundbedingungen herleitet. Daher bauen wir steil und die Katzelmacher flach. Nur als wir Letztere nachahmen wollten, bauten wir ebenfalls flach. Das Ergebnis waren verborgene Grabendächer. Auch ganz hübsch natürlich, aber unsere wahre Bestimmung lag auch zur Zeit der Renaissance eben darin:

    Bildergebnis für erfurt rote Lilie

    mein persönlicher Liebling, vor Verschandelung des EG:

    Bildergebnis für erfurt roten Herd

    Ähnliches Foto

    Bildergebnis für nürnberg pellerhaus

    Bildergebnis für nürnberg bürgerhäuser

    Bildergebnis für nürnberg Toplerhaus

    oder eben auch im eher kleinstädtischen bzw dörflichen Rahmen:

    Bildergebnis für Zlabings oberer Platz

    oder eben:

    Bildergebnis für neupölla

  • Wie gesagt, es war ja auch nur ein interessantes Gedankenspiel.

    Zitat

    Letztlich vertrete ich die Meinung, dass sich das "architektonische Grundgefühl" von klimatischen Grundbedingungen herleitet. Daher bauen wir steil und die Katzelmacher flach.

    Lustig, dass du auch den Ausdruck "Katzlmacher" kennst! Meine Großeltern haben das noch gesagt :)

    Deine Aussage ist auf jeden Fall richtig und sehr wichtig, das Klima legt die Grundlagen. Allerdings sind die Dinge meistens nicht schwarz-weiß, sondern es gibt Übergänge. Der alpine und voralpine Bereich ist zumindest im bajuwarischen Siedlungsgebiet nicht von Steildächern geprägt, sondern im ländlichen Bereich vom alpinen Flachdach, einem nur leicht geneigten Legschindel-Satteldach, und in den Städten von Traufenhäusern und Grabendächern mit horizontalen Vorschussmauern. Letztere, städtische Formen waren sicher dem geographisch naheliegenden italienischen Einfluß geschuldet, wie überhaupt unsere bairisch-österreichische Kultur ein bisserl italienisch geprägt ist (in Ostösterreich mag das teilweise anders sein). Somit gibt es in meiner näheren Heimat typischerweise keine von vielen Steilgiebeln geprägten Altstädte. Ich habe es schon einmal an anderer Stelle geschrieben: für mich sind Steilgiebelhäuser und die dadurch entstandenen Zickzack-Straßenbilder eher fremd, obwohl ich sie natürlich trotzdem sehr zu schätzen weiß. Aber ich bin halt das Kind einer kulturellen Übergangszone, was soll ich machen :)

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    Karl Kraus

  • Zitat

    überhaupt unsere bairisch-österreichische Kultur ein bisserl italienisch geprägt ist (in Ostösterreich mag das teilweise anders sein).

    schwer zu sagen...

    Ganz im Osten kommt Inn-Salzach zum erliegen.

    man müsste auch zwischen Inn -

    Bildergebnis für hall tirol

    und Salzach- Stil

    Bildergebnis für pribor freiberg


    unterscheiden

    Der Salzach-Stil geht sehr weit nach Osten, über Österreich hinaus wenngleich er in Wien nicht mehr praktiziert worden zu scheint.

    Bildergebnis für wien schönlaterngasse

    ditto Graz und der folgende Südosten.

    Krems, vor allen Stein, hingegen hat noch Salzach-Einschlag:

    oBildergebnis für Stein donau

    Bildergebnis für Stein donau

  • Jetzt habe ich ein Bild gefunden, das mutmaßlich den venezianischen Markusdom vor der "Gotisierung" mit geschweiften Wimpergen zeigt, und das von zwischen 1250 und 1300 stammen soll:

    Datei:San_Alipio_facade_door_of_Saint_Mark%27s_Basilica_of_Venice.jpg800px-San_Alipio_facade_door_of_Saint_Mark%27s_Basilica_of_Venice.jpg

    ohne die Kuppeln im Hintergrund wäre das dann so ein Dachabschluß à la Pardubitz oder Theinschule.

    Zur Zeit suche ich gerade den geschweiften Spitzbogen hinterher, wo und wann die auftreten.

    Hier sieht man einen über "orientalischen" (byzantinischen?) Fenstergittern, und in dieser Variante gibt es ihn wohl nirgendwo sonst. Aber an der Metzer Kathedrale, von der ja jetzt auch viele Bilder da sind, gibt es über dem südlichen Querhausfenster und am nördlichen Turm oben geschweifte Wimperge. Diese "zwieblige" Bogenform kommt nicht so oft vor, aber es würde mich auch mal interessieren, wo und wann überall. An manchen gotischen Kirchen auf alle Fälle (Metz zwischen 1220 und 1532, oder erst 1839-1886?) , am Dogenpalast (1340-1404, etwa), an der Ca' d'Oro (1428-1430?) - außereuropäisch verbinde ich diese Bogenform eher mit Indien. Europäisch habe ich bis jetzt Gotik, und zwar speziell venezianische Gotik, und Metz in einer sehr europäisch-spezifischen Form, wo es aber Neogotik sein kann.