Arnold von Westfalen und der Meißner Stil

  • Zitat

    Arnold von Westfalen († 1480 oder 1481 in Meißen) war sächsischer Landesbaumeister und der Erbauer der Albrechtsburg in Meißen.

    Er war mit Margarethe Rülckin aus einer adligen Familie verheiratet und gilt auch als Erbauer der Schlösser Burg Kriebstein und Schloss Rochsburg und des Torhauses des Dresdner Schlosses. Zudem wurde durch ihn die St. Georgskapelle im Matthiasturm der Ortenburg in Bautzen ausgebaut. Unsicherer ist, ob er auch die Burg Tharandt erbaute. Als Baumaterial verwendete er wiederholt Tuffstein vom Rochlitzer Berg.

    Sein Steinmetzzeichen findet sich auf einer Gehaltsquittung von 1479.

    Jüngst hat Stefan Bürger aufgrund kunsthistorischer Formenanalyse die These aufgestellt, Arnold von Westfalen habe ab etwa 1461 den Chorneubau der Peterskirche in Görlitz geleitet. Er sieht weiterhin stilistische Parallelen zur dortigen Frauenkirche (Vollendung der Langhauswölbung um 1480) und der Rochlitzer Kunigundenkirche (Mittelschiffgewölbe 1476). Bürger vermutet eine vorausgegangene Ausbildung Arnolds an der Wiener Dombauhütte unter dem Dombaumeister Hans Puchspaum.

    Soweit Wikipedia.

    Über die Albrechtsburg heißt es dort:

    Zitat

    Die außerordentlich aufwändige Bauaufgabe der Albrechtsburg erforderte die Einrichtung und den konstanten Betrieb einer großen Bauhütte, die unter Meister Arnold und seinen engsten Schülern zu einem Zentrum der Architekturentwicklung und -ausbildung mit überregionaler Ausstrahlungskraft wurde, wie sie vorher nur für die großen Kirchenbauhütten typisch war. Das in der Albrechtsburg entwickelte Zellengewölbe und die vorhangartigen oberen Abschlüsse der Hauptfenster wurden in weitem Umkreis kopiert; teilweise wurden die zunächst für den Profanbereich geschaffenen Formen anschließend sogar im Sakralbau eingeführt.

    Hier ist endlich unser Stichwort gefallen.

    Zitat

    Zellengewölbe (auch Diamantgewölbe) sind eine Sonderform der Gewölbe der Spätgotik. Statt die zwischen den Rippen (oder Graten) eines Sterngewölbes entstehenden Dreiecke wie üblich als durchgehende, gebogene Kappen auszumauern, wurden diese aus drei geraden Flächen als pyramidale Hohlräume ausgebildet, so dass eine vielfach gefaltete Decke entsteht. Das Netz der tragenden Verstrebungen wurde dabei ohne Lehrgerüst durch kleine Gewölbe-„Zellen“ ausgefacht. Zellengewölbe sind (im Vergleich zu den anderen gotischen Gewölbeformen) relativ wenig verbreitet, Beispiele finden sich etwa in der Albrechtsburg in Meißen, in der Marienkirche in Danzig und in Schloss Greinburg in Grein an der Donau.

    (immer noch Wikipedia).

    Beginnen wir mit Wohlbekanntem.

    Bild und wohl auch folgender Kommentar von Frank Hoehler, Dresden:

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    Zitat

    Ein Höhepunkt spätgotischer Profanbaukunst: Der Große Saal auf der Albrechtsburg in Meißen mit den charakteristisch gedrehten und gekehlten Pfeilerbasen.

    Indes- ist dies das Wesentliche des Großen Saals? Wird hier nicht etwas viel Revolutionäreres als ein derartiger zugegebenermaßen Hübscher Manierismus in die Wege geleitet?

    Hier eine vergleichsweise harmlose Vorstufe:

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    (Photo: 2864.html

    Hier kann man noch nicht von einem Zellengewöbe sprechen, wenngleich die Kappen schon sehr in Richtung Verselbständigung drängen.

    Im Großen Saal ist es es so weit: den Rippen, so überhaupt noch vorhanden, kommt keine tragende Bedeutung mehr zu, die Kappenpaare ersetzen ihre Funktion.

    Hier bereits klassische Beispiele aus dem ersten:

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    und zweiten Obergeschoss:

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    beziehungsweise vom Großen Wendelstein:

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    oder vom Domkreuzgang:

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    Diese Kombination: Laubengang- Zellengewölbe wurde in den böhm. Ländern aufgegriffen (bzw wiederholt, wie man eher sagen müsste, wie noch zu zeigen seine wird) - der Kenner denkt hier an Komotau und Neuhaus, aber seinen Ursprung hat auch sie hier, auf dem Meißner Burgberg!

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    Und noch ein Beispiel (nachdem die herrlichen Gewölbe des als Amtsgebäude entweihten Bischofsschlosses mir nicht zugänglich waren) vom Burgberg:

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    ...nämlich die Einfahrtshalle der Probstei.

    (Bilder von mir, soweit nicht anders angegeben).

  • Im DKV-Handbuch Sachsen finden sich gerade mal zwei Abbildungen von Zellengewölben, und zwar nicht einmal Meißen, sondern so Periphäres wie Veste Stoplen und Strehla, ebensoviele wie im Band Böhmen und Mähren: Klosterkirche Bechin und Bürgerhaus in Zlabings. Keine große Ausbeute.

    Aus westlicher Sicht ist das Phänomen der Zellengewölbe niemals besonders bekannt geworden, eine überzeugende Antwort findet sich im Buch von M. u O. Rada:

    Zitat

    Es ist naheliegend, dass die Zellengewölbe dort dem Interesse entgingen, wo sie nicht auftraten.

    Mit Ausnahme der wahrscheinlich nicht einmal zwei Hand voll österreichischen Beispielen lagen alle ZG hinter dem Eisernen Vorhang! Und wer hat schon die Ziele aufgesucht: Schloss Breiteneich bei Horn (nicht zugänglich), Schloss Greinburg bei Grein (schön, aber nicht besonders bekannt), Ackerbürgerhaus in Wullersdorf -das einzige Beispiel, das ich aus eigener Anschauung kenne:

    Bürgerhaus in Waidhofen/Thaya Hauptplatz 11, Allerheiligen im Mühlkreis, Kirche, Erdgeschoss des Kirchturmes... Bleibt noch das Chorherrnstift in Klosterneuburg... gut, das ist prominent, wenngleich es kaum einen Besucher in den Binderstadel verschlägt...

    Angeblich ist da noch was in Sitzendorf in der Schmieda: BERGFEX: Sehenswürdigkeiten - Geschichte und Kunst reich aufgetischt - Sitzendorf an der Schmida - Ausflugsziel - Sightseeing

    Das Mittelschiff der dortigen Pfarrkirche ist zwar originell, weist steile, unberechnbar anmutende Kappen auf auf, hat aber mit ZG nix zu tun:

    Von den österreichischen Beispielen sind jene der erwähnten beiden Schlössern am bedeutendsten.

    Greinburg:

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  • Was nun die bürgerliche Stadtbaukunst betrifft, so ist die Ausbeute in Sachsen erstaunlich gering.

    Man nehme bloß die Vaterstadt der ZG. Wieviele der Meißner Bürgerhäuser sind mit ZG ausgestattet? Hundert, fünfzig, zwanzig oder wenigstens zehn?

    Weit gefehlt. Gerade mal drei. Rathaus, Bennohaus (Marktplatz 9), Görnische Gasse 4.

    Wie sieht es mit dem altehrwürdigen Pirna aus?

    Zwei Stück, Marktplatz 11 und Schlossstraße 13!

    Freiberg?

    Ein einziges Bürgerhaus, nämlich Nonnengasse 15, dazu zwei Klerikerhäuser um dem Dom, Dommherrenhof mit einigen großartigen Beispielen und das anschließene Rektorratshaus.

    Da diese drei Städte niemals substanzielle Einbussen erleiden mussten, ist anzunehmen, dass es niemals besonders viele Häuser mit ZG gab.

    Nehmen wir zum Vergleich zwei südmährische Städte:

    Znaim: immerhin 6 Bürgerhäuser!

    Zlabings musste im Historismus ein paar wenige, indes herbe Verluste hinnehmen, so das Herrenhaus vor der Kirche mit sehr interessanten, mit Rippen ausgestatteten Formen . Übrig blieben immerhin fünf Häuser, deren bedeutendsten am Unteren Platz stehen. Es handelt sich hiebei um die Nummern 46 und 25.

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  • Unterbrechen wir das gelehrige Gelabere mit ein paar Bildlein.

    Die schlechten Beziehungen der Wettiner zu den Hohenzollern waren wohl der Grund für das weniger als sporadische Auftreten der ZG im brandenburgischen Kernland. Insgesamt gibt es nur drei Orte mit ZG: Brandenburg/H, Belzig und Jüterbog.

    Brandenburg/H hat gleich zwei Bauten aufzuwarten, deren gewichtigtsten die im Schatten des Doms stehende Petrikapelle ist:

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    Ein größeres Kirchengebäude befindet sich im niederlausitzischen Senftenberg- die dreischiffige HallenkircheST. Peter und Paul.

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    Eine derartige Kirche ist auch in Sachsen nicht zu finden!

    Die Gewölbe der Marienkirche zu Dohna bei Pirna sind bis dato nur selten als ZG erkannt worden, indes handelt es sich unzweifelhaft als solche:

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    Vernünftige Bilder im Web sind selten. Auf diesem Bild ist es zu sehen, vor allem hinten rechts im Seitenschiff:

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    Das Wurzener Schloss hat einigermaßen bekannte ZG aufzuweisen. Die ZG in den beiden Chören des Domes hingegen sind unauffälliger, weil flacher und mit Rippen versehen. Bilder sind selten im Web, hier eines im Westchor:

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  • Hinterfragen wir den erstaunlich geringen Anteil der ZG in Sachsens Bürgerhäusern, so gelangen wir eventuell zu einer Antwort, die uns im wahrsten Sinne des Wortes Wesentliches über die ZG und ihre Geschichte mitteilt. Eng damit dürfte wahrscheinlich auch die Frage verbunden sein, warum die sächsichen ZG nicht den Wandel zur Renaissance mitmachten, warum es also zB das in Zlabings beobachtete Motiv des hängenden Schlusssteines in Sachsen nicht gibt.

    Holen wir etwas aus:

    Es existieren drei Kerne von Großlandschaften oder -gebieten, in denen ZG anzutreffen sind. Diese Kerne weisen eine sehr hohe Häufung oder Dichte von von ZG auf. Von diesen Kernen geht eine Ausstrahlung in weite, umliegende Gebiete aus.

    Der größte Häufungspunkt oder Kern ist natürlich Obersachsen mit der weltweiten ZG-Hauptstadt Meißen. Von hier sind Ausstrahlungen in alle Himmelsrichtungen zu beobachten, nach Thüringen (mit Eisenach als wahrscheinlich westlichsten Punkt, an welchem ZG auftreten), nach Norden bis zur mecklenburgischen Ostsee (Schwerin) mit besonders vielen Vorkommen in beiden Lausitzen, sehr sporadisch in Brandenburg, nach Osten bis Schlesien, und nach Süden bis Nordböhmen und Prag.

    Die Größe dieses betroffenen Gebietes entspricht der Dichte und Bedeutung des obersächsischen Bestandes.

    Der zweite große Kern ist um die Danziger Marienkirche anzusiedeln und umfasst West- und Ostpreußen. Von hier wird in den baltischen Raum bzw nach Masowien und Großpolen ausgestrahlt.

    Der dritte Kern ist der kleinste. Die Rede ist von Südböhmen. Initialbau dürfte die Klosterkirche zu Bechin = Bechyně gewesen sein:

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    Allerdings gibt es hier gewisse Besonderheiten und Selbstständigkeiten in der Entwicklung. Die Ausstrahlung geht ins nördliche Österreich und überschreitet in Klosterneuburg als südlichsten Punkt sogar die Donau. Daneben ging es weiter nach Oberungarn. Im heutigen Ungarn und im heutigen Siebenbürgen gibt es jeweils ein Beispiel.

    Sonst gibt es nirgendwo auf der Welt "klassische" ZG.

  • Tatsächlich war meine Fahrt nach Zlabings im Ganzen ursächlicher für diesen Beitrag, was vielleicht ein Zufall ist, vielleicht aber auch nicht.

    In der Albrechtsburg gibt es eine umfassende Darstellung über obersächsische Gewölbeformen, in der auch der Begriff ZG erwähnt wird. Allerdings umfasst dieser nur eine sehr frühe Sonderform, die der flächig aneinander gereihten Zellen. Der Rest wird unter gängige gotische Formen wie Netz-, Strahlen- oder Sterngewölbe subsumiert. Generell scheint mir in Sachsen das Bewusstsein für diesen Sonderstil zu fehlen. Nehmen wir das Haus Pirna, Schlossstraße 13. Es ist aufgrund seines durch Abbruch des Nachbarhauses freigelegten Giebel wohl jedem Pirnakenner von außen ein Begriff. Die daran affichierte Tafel teilt uns etwas über seinen Giebel mit dazu etwas über seinen (höchst mickrigen und vernachlässbaren) Renaissance-Arkadenhof, aber über die Halle mit hübschem ZG wird kein Wort verloren. Heute ist übrigens eine tschechisch-deutsche Schule drin, und eine der Lehrerinnen, mit der ich ins Gespräch kam, stammt wie es der Zufall will, aus der Zlabinger Gegend.

    Insgesamt kann gesagt werden, dass man auf der Albrechtsburg vor lauter architektonischem Reichtum auf das für mich allerwesentlichste Element, die ZG, zu wenig eingeht. Fast wird den historisierenden Monumentalmalereien mehr aufmerksamkeit geschenkt.

  • Kommen wir auf die im Beitrag 4 diskutierten Punkte zurück.

    Die ZG sind in Ostmitteleuropa höchst unregelmäßig verteilt, insgesamt gibt es drei Häufungsgebiete. Allerdings sind sie auch in diesen Gebieten nicht der Regelfall, sondern stets eine aparte Ausnahme geblieben. Vom Meissener Burgberg abgesehen gibt es keinen Ort, an welchem die ZG die überwiegende Wölbungsart geworden sind.

    Vor allem bei Bürgerbauten ist das Auftreten der ZG höchst sporadisch.

    Hier einige Beispiele zur Untermauerung des Gesagten: Schon für Meißen-Stadt fällt die Bilanz sehr enttäuschend aus: Küche des Afra-Klosters, ein paar Details in Vorstadtkirchen, ein Raum im Rathaus, dazu jeweils ein Raum in zwei Bürgerhäusern.

    Süd- und Westböhmen sind mit großartigen ZG durchaus gesegnet, allerdings nur was Kirchen und Schlösser betrifft. Es gibt in dieser Großregion nämlich nur zwei Bürgerhäuser, in denn ZG auftreten, und zu diesen wird auch noch etwas zu bemerken sein.

    Die Stadt Teltsch ist berühmt für ihr Renaissance-Stadtbild und für ihre ZG. Die vielen (über 50) Bürgerhäuser mit ihrem reichen Schmuck, mit ihren Lauben, Giebeln, Fresken, Sgrafitti haben indes kein einziges ZG aufzuweisen.

    Ein ähnliches Phänomen ist für das östlichste Verbreitungsgebiet, den Danziger Raum und seine Ableger, zu vermelden.

    In West- und Süddeutschland sowie in Österreich südlich des Donautales fehlen ZG völlig.

    Nur im äußersten Südmähren gibt es zwei Städte, in denen ZG vermehrt in Bürgerhäusern auftreten, dies allerdings auch nur etwa im Ausmaß jeweils einer Handvoll.

    Warum ist das so?

    Die Antwort ist relativ schlicht: Die Herstellung der ZG erforderte erhöhte technische Fertigkeiten, die nur eine kleine Gruppe von Bauleuten beherrschte. Es war eben ein Meißnerischer Stil, der von Angehörigen der Meißner Bauhütte getragen wurde. Davon aber später.

    In diese Bauhütte trat Arnold im Jahre 1471 ein. Er revolutionierte sie und führte sie zu ihrer Größe. Sein Sterbejahr war wahrscheinlich 1482 ("vor Pfingsten"), mitunter wird auch 80 oder 81 angegeben. Dies war indes keineswegs das Ende der Bauhütte oder des Meißner Stils. Für die Bauhütte war die Aufteilung des Wettinischen Familienbesitzes im Jahre 1485 maßgeblicher, nach welcher die Albrechtsburg nicht mehr der eigentliche Herrschaftssitz war. man kann vielleicht auch sagen, dass die Bauhütte ihre Schuldigkeit getan hatte - schließlich darf man die Albrechtsburg ja als vollendetes Kunstwerk ansehen. Nach dem November 1485 zerfiel sie förmlich und löste sich in alle Richtungen auf. Einige gingen in die neuen wettinischen Residenzen, nach Dresden, wo nichts erhalten ist (dazu später), und nach Wittenberg, sodann auch an Herrschaftssitze wie Wurzen, Torgau etc oder an andere Orte, wo sie gebraucht wurden, etwa nach Dohna, wo die Kirche neu gewölbt werden musste. Das ZG im erwähnten Pirnaischen Haus Schlossstraße 13 ist ein Ableger des Meisters der Dohnaer Pfarrkirche (1490er Jahre). Was Marktplatz 11 betrifft, kann man dies vermuten oder auch nicht, das Portal jedenfalls weist eine spätere Jahreszahl auf (1527). Viel mehr ZG wird es im bürgerlichen Pirna wohl nicht gegeben haben. Gebaut wurde auch in und um den Freiberger Dom, wie die erhaltenen Beispiele eindrucksvoll bestätigen. Nur: das waren Einzelfälle, Großbaustellen für kirchliche Auftraggeber, nach deren Abwicklung die Bauleute weiterzogen. Für das bürgerliche Freiberg etwa fiel da kaum was ab.

    Die Wanderbewegung der Bauleute umfasste indes nicht nur Sachsen (und das zur Herrschaft der Wettiner gehörige Thüringen), sondern auch befreundete umliegende Länder, dh zunächst die Länder der böhm. Krone außer Böhmen selbst. Die Beziehungen mit Prag hatten sich nämlich durch die Parteinahme der Wettiner für Matthias Corvinus getrübt, weshalb sie nur in den böhmisch-erzgebirgischen Raum und höchstens in die angrenzenden Niederungen vorstoßen konnten (zB Teplitz, Komotau). Prag, wo der Jagiellone Wladislaw herrschte, und Mittelböhmen blieben vom Meißner Stil weitestgehend unberührt, wodurch sich das "böhmische Loch" zwischen dem an Sachsen angrenzenden Norden und dem dichten Süden erklärt.

    Die meißnerische Bautätigkeit im Süden hingegen erklärt sich über die guten Beziehungen über den franziskanischen Observantenorden, der auch in Sachsen bestand und rege Bautätigkeit in Anspruch nahm. Der erste Bau war die Klosterkirche zu Bechin, der weitere anspruchsvolle Kirchenbauten folgten, nämlich Sobieslau, Horaschdowitz, Nezamyslitz und nicht zuletzt der Chor der Táborer Stadtkirche.

    Entgegen der früher von nationalistischen tschechischen Forschern vertrenen Meinung handelte es sich hiebei keineswegs um einen parallel zu Meißen entstandenen regionalen Sonderstil, der genuin südböhmische Züge trug, sondern um einen reinen meißnerischen Import. Freilich mussten lokale Bauleute kräftig mitwirken, damit eine so große Zahl an Bauten ermöglicht wurde. O. und M. Rada führen in ihrem "Buch von den ZG" als Beispiel die Sobieslauer Peter und Pauls- Kirche an (ein brauchbares Bild ist im Internet nicht zu finden, vielleicht scanne ich mal was aus diesem Buch, was mit korrekter Zitierung bzw Quellenangabe ausdrücklich erlaubt wird). Eine wichtige Tätigkeit wie die Gerüstaufstellung wurde von den lokalen Kräften übernommen, die Meißner nahmen nur die eigentliche Wölbung vor!

    Zweifellos nahmen die Meißner auch lokale Bauleute zu Hilfe und lernten sie an, wodurch dieses Wissen zumindest eine Generation lang weiter gegeben wurde. Aber die Zahl der Kundigen blieb begrenzt, ein Massenstil konnte auf diese Weise niemals entstehen.

    Günstiger waren die Voraussetzungen in den übrigen böhmischen Ländern, in den beiden Lausitzen,in welchen eine reiche Tätigkeit zu beobachten war, in Schlesien und zuletzt Mähren. Dennoch gibt es hier kein Gebiet mit einer ähnlichen Dichte wie den süd-westböhm. Raum.

    Über Mähren (Pernstein, Misslitz bei Znaim) gingen die Bauleute sodann nach Österreich, wo es zwei größere Projekte gab: die erwähnten Schlösser in Grein und Breiteneich.

    Hier kam in den zwanziger(dreißiger Jahren der Meißner Stil zu seinem späten, bereits renaissancegeprägten Ende.

    Fünfzehn bis zwanzig Jahre später kommt es zu einem neuerlichen Aufflackern und zwei fern voneinander gelegenen Landstrichen, nämlich in Thüringen und Südmähren. Die Thüringer Beispiele blieben sporadisch, sind jedoch insofern bemerkenswert, als die den westlichsten Punkt der ZG-Ausbreitung markieren.

    Interessanter ist das neuerliche Auftreten in äußersten Westen Südmähren, nämlich in und um dem Städtchen Zlabings. Davon später.

  • Zum Thema Thüringen:

    Zu diesem Bundesland gibt es einige Besonderheiten zu nennen:

    Dank Karasek haben wir zwei brauchbare Bilder des Chorgewölbes:

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    Leider sind wir bei Neustadt/Orla auf das normale Internetzangebot angewiesen;

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    (Quelle Christian Hildbrand de)

    Zwei sehr eng verwandte Gewölbekonstruktionen. M+O Rada führen sie unter ZG. Mit welchem Recht?

  • Unterbrechen wir mal unsere Thüringischen Studien, bis jemandem etwas zu den gezeigten Kirchengewölben einfällt - irgendwie fehlen die Ausführungen Georg Friedrichs Strängen wie diesem sehr schmerzlich. Wenn mir jemand übrigens mit Innenansichten der Jenaer Stadtkirche, vorzugsweise von den Seitenschiffen aushelfen könnte, wer ich diesem sehr verbunden.

    Schlagen wir ein neues Kapitel auf:

    ZG und Moderne

    St. Johann Baptist Neu-Ulm:

    "1922 bis 1926 und nach dem Zweiten Weltkrieg von Dominikus Böhm umgestaltet" (wikipedia) Offenbar konnte der Schänder der Augsburger Moritzkirche früher etwas.

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    Mit ZG hat das natürlich bis auf die oberflächliche Wirkung nichts zu tun.

    Hier zum Vergleich:

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    Des-Raetsels-Loesung-Diamantgewoelbe-in-der-Greinburg von ursuskarpatikus auf Flickr

    Quelle: Wikipedia.

    Pfarrkirchen Traunstein (Waldviertel):

    Hier war sicher keine Assoziation zum unweit des Waldviertels gelegen Zlabings vorhanden, die Ähnlichkeit zu den ZG ist wohl rein zufällig. Dem Architekten ging es sichtlich um "Wald".

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    Quelle:Pfarre Traunstein

    Zitat

    Die einzigartige Holz – Faltdecke (Eiche) symbolisiert das „Zelt Gottes“ auf Erden. Einerseits ist die Gemeinschaft der Kirche das konkrete und sichtbare Werk Gottes, das repräsentative Zelt in der Welt, andrerseits sind wir als Kirche unter dem Zelt, dem Segen Gottes unterwegs. Das goldfarbene Deckengemälde im Altarraum vom akad. Maler Heinrich Tahedl möchte das liturgische Geschehen zusätzlich unterstreichen.

    Quell: ditto

    Der tschech. Kubismus scheint regelrecht aus den ZGKonstruktionen geschöpft zu haben - Anschauungsmaterial gab es ja genug im Lande:

    Pelhřimov, dt. Pilgram(s), von Pavel Janák 1913 umgestaltetes Bürgerhaus am Ring:

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    Praha, Vyšehrad - Přemyslova, Neklanova 494:

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    (Autor: Matěj Baťha)

  • M+O Rada bringen folgende dt. Beispiele aus der Zwischenkriegszeit:

    St. Alexius-Kirche Aachen:

    alexianer-aachen.de/fileadmin/…Chronik_Kirche_Aachen.pdf

    Die Gewölbekonstruktion scheint erhalten geblieben zu sein. Leider gibt es wenig brauchbares Bildmaterial

    Bottrop, St. Joseph:

    buona-novella.de/upload/Innenraum6.jpg

    bot-spot.de/spots/trio-meditam…-08/images/Kirche-400.JPG

    Sehr beeindruckend:

    google.at/imgres?q=st+joseph+b…2&ved=1t:429,r:2,s:0,i:87

    weimbs.de/images/rest_11.jpg

    Erstaunlich, welche Schätze, selbst aus dem 20. Jh, es noch gibt.

    FF-Sachsenhausen, St. Bonifatius:

    de.wikipedia.org/wiki/St._Bonifatius_(Frankfurt_am_Main)

    Von den ZG im Chor gibt es keine Internetbilder, zumindest ich find keine. Vielleicht können da FFer Freund aushelfen?

  • Zwei Bilder aus Jena (Stadtkirche) von Juhser Michael aus dem APH-Forum:


    photo-10385-94af85cb.jpg


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    Hier noch das Neuhauser ZG. Der hängende Schlussstein hinten verrät die späte Errichtung durch die Zlabingser Bauhütte und den herrschaftlichen Zusammenhang (Zlabings gehörte zur Neuhauser Herrschaft, und auch dieses Ringplatzhaus war ein herrschaftliches). In der bürgerlichen Stadtbaukunst Südböhmens kommen ZG so gut wie nicht vor (das einzige Krumauer Beispiel leitet sich auch vom Kloster Kuglweit ab).

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    Ein kleine Sensation hab ich aus dem Untern Mühlviertel zu vermelden. Die Sakristei der Wallfahrtskirche zu Allerheiligen wartet mit einem wunderschönen ZG auf. M+O Rada bringen dies mit dem eben erwähnten Kloster Kugelweit (Kuglvajt, heute Kuklov) in Zusammenhang. Das von ihnen gezeigte Bild ist erguglbar (einfach Allerheilen und Zellengewölbe eingeben), sagt aber nicht das Eigentliche aus: heute ist das ZG unverputzt, und GRANIT(!)sichtig. Es sieht einfach herrlich aus. mW ist es das einzige ZG aus Granit. Es müsste damit doch eine ganz andere Errichtungstechnik erfordern als die anderen aus Ziegel! Ich muss mich drüber noch schlau machen. Irgendwann werd ich ein gescheites Bild nachreichen.

  • Stadtkirche zu Mohrungen/ Ostpreußen (heutzutage Morąg)

    Noch eine alte Aufnahme (auf der Internetseite datiert mit 1920-1930)

    fotopolska.eu/foto/326/326022.jpg

    Ost- und Westpreußen ist neben Sachsen und noch vor Böhmen das zweite Groß-Verbreitungsgebiet der ZG, auf das ich mangels persönlicher Kenntnis bisher nicht eingegangen bin. Sachsen und Böhmen sind mir halt ungleich näher. Der wichtigste Bau ist natürlich die Danziger Marienkirche, auch aus Allenstein und anderen Städten wäre vieles Wertvolles zu behandeln - enormer Formenreichtum und virtuose Weiterentwicklung. Eine Befassung damit hat mich abgeschreckt, diese bezügliche Beiträge sind umso mehr willkommen.

    Freiberg/Sachsen

    mi10723c13


    Das Haus am Obermarkt neben dem Dom, heute städt. Museum.

    Eine äußerst interessante Neuentdeckung aus dem äußersten Westen:

    ebay.de/itm/1913-4-Freiburg-Sp…Ccher&hash=item540aa6acf7

    ZG ostdeutschen Typs.

    Und - oh Wunder - es scheint erhalten zu sein:

    badische-seiten.de/freiburg/meckel-halle.php

    google.at/search?q=Freiburg+Me…parkasse%252F%3B448%3B336

    Da haben unsere Historismusfreaks mal gepennt - eine für mich echt sensationelle Neuentdeckung!