Eigentlich hatte ich vor, nach dem Muster Rorschacher Str. 1 bis 25 - Die erste planmässige Überbauung ausserhalb der Altstadt ab 1791 weitere Quartiersplanungen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorzustellen. Dies hätte aber einen immensen Zeitaufwand bedeutet, den ich zur Zeit nicht zur Verfügung habe. Stattdessen möchte ich in Galerieform diesen Bereich des Zentrums westlich der Altstadt vorstellen und dann bei gegebener Zeit separate Stränge zu den einzelnen Quartieren und deren Geschichte eröffnen.
Die Talsohle westlich der Altstadt war bis ins frühe 19. Jahrhundert nur spärlich bebaut. Den grössten Teil der Fläche nahmen bis damals die 'Bleichen' zum Auslegen und Bleichen der gewobenen Leinwand ein. Eine Bebauung gab es bis damals vorwiegend entlang den Ausfallstrassen sowie verstreut private Landhäuser. Nachdem die Überbauung an der Rorschacher Strasse zwischen 1791 und 1802 fertig realisiert war und die Stadt erste Erfahrungen mit dem neuen 'Planungsinstrument' machen konnte, folgten weitere Quartiersplanungen:
2. 1802 Bebauung entlang dem Oberen Graben
3. 1807 Überbauung Frongarten
4. 1808 Überbauung Bleicheli
5. 1809 Überbauung Webersbleiche
6. 1840/60 Quartiere vor dem Schibenertor
Die Realisierung dieser Quartiere erfolgte noch vor der Eröffnung der Eisenbahn im Jahr 1856. Nur das westliche der beiden Quartiere vor dem Schibenertor musste durch Abschneiden einer Ecke der schräg verlaufenden Eisenbahnlinie angepasst werden. Dafür wurde es mit einem weiteren, privat erstellten Baublock (7), der dann der eidgenössischen Post vermietet wurde (heute mit dem Hotel Walhalla), ergänzt und zusammen mit dem neuen Bahnhof ein Ensemble geschaffen.
Nachdem diese Quartiere fertig gebaut waren und St. Gallen ans schweizerische und internationale Eisenbahnnetz angeschlossen war, waren die weiteren Bebauungen nicht mehr aufzuhalten. St. Gallen wurde Dank der damals aufgekommenen Stickereifabrikation innert zweier Jahrzehnte zu einer wohlhabenden und einer der wichtigsten Exportstädte der Schweiz.
Ich stelle zur Übersicht des eben Geschriebenens viermal denselben Stadtplanausschnitt zwischen 1828 und heute ein (die Nummern in den Stadtplanausschnitten entsprechen den chronologischen Quartiersnummern im Textabschnitt oben):
1) Stadtplan von Johannes Zuber 1828.
Die Altstadt ist rechts angeschnitten. Der Planausschnitt zeigt den noch offenen Stadtgraben mit dem Schibenertor (oben rechts) und dem Multertor (Mitte rechts). Die braunen Flächen markieren Pflanzbeete (Schrebergärten) auf den damals nicht mehr benötigten Bleichen, da die Leinwandproduktion durch das Aufkommen von importierter Baumwolle verdrängt wurde. Während der in der Schweiz grassierenden Hungerjahre 1816-1818 widmete der Stadtrat diese brachliegenden Flächen zu Pflanzflächen um, damit die Bürger zusätzliche Nahrung selber anpflanzen konnten.
Strassenmässig war dieser Bereich der Stadt durch zwei Ausfallstrassen gegliedert: die Zürcher Landstrasse vom Schibenertor aus entlang dem Hangfuss des Rosenbergs und die heutige St. Leonhard-Strasse vom Multertor aus, welche die südlichen Bereiche der westlichen Talsohle erschloss und Verbindungen ins Appenzellerland und Toggenburg ermöglichte.
Zwischen diesen beiden Strassen floss der Irabach, der wohl seines dunklen Moorwassers wegen in Lateinisch "Aqua nigra" und abgeleitet davon Deutsch dann Irabach genannt wurde (heute Schwärzebach-Kanal). Das ganze Gebiet war sehr sumpfig, was man heute noch an vielen Häusern ablesen kann.
2) 1. Stadtvermessungsplan von Fierz und Eugster 1863.
1863 war die Bebauung mässig vorangeschritten, und die Strassenstruktur mit vielen privaten Gartenanlagen entsprach vielmehr noch dem spätmittelalterlichen Stadtbild. Oben links ist der 1856 eröffnete Bahnhof eingetragen. Seine Ausrichtung - etwa 20 Grad abgedreht von der Talsohle - störte den sich langsam bildenden orthogonalen Stadtgrundriss. Dafür wurde er geschickt im Fluchtpunkt der Poststrasse platziert, die eigentlich ihre Fortsetzung direkt auf den Marktplatz hätte erhalten sollen, aber es bis heute (glücklicherweise!) nicht hat.
3) Stadtplan 1903.
Vierzig Jahre später ist praktisch der ganze Boden in diesem Stadtteil zugebaut. Massgeblich dazu beigetragen hatte die Überbauung Vadian- und Davidstrasse ab etwa 1860 in spätklassizistischem Stil (links unten angeschnitten) sowie eine Verdichtung mit historistischen und Jugendstilbauten in Bahnhofsnähe.
4) Stadtplan 2020. Rot eingetragen die nicht mehr vorhandenen Baufluchten der frühesten Quartierbebauungen.
Der Strassenraster hat sich bis heute kaum mehr verändert, ausser durch die Aufgabe der 3. und 4. Überbauung samt Strassennetz und in Bahnhofsplatznähe. Leider erfolgten hier ab den 1950er Jahren viele Abbrüche bedeutender Bauten vor allem des Historismus' durch Allerlei-Zweckbauten.