Frankfurt am Main: Zerstörung und Wiederaufbau
„Als ewige Anklage sollten die Trümmer liegen bleiben, das forderte damals die politische Presse.“
So Georg Hartmann, Vorsitzender des Freien Deutschen Hochstifts, bei der Einweihung des rekonstruierten Goethehauses im Jahre 1951.
Es ist sicherlich keine Übertreibung zu sagen, dass mittlerweile ganz Frankfurt an der Debatte um eine mögliche Rekonstruktion der Altstadt auf dem Areal des Technischen Rathauses – dem Bereich zwischen Dom und Römerberg – auf die eine oder andere Weise teilnimmt. Doch auch weit über Frankfurt hinaus ist das Interesse an diesen Geschehnissen groß. Auffällig ist dabei die Diskrepanz in den Urteilen der breiten Masse der Bevölkerung einerseits, die dem Vorhaben mehrheitlich positiv gegenübersteht, und weiten Teilen der Fachwelt andererseits, die üblicherweise auf der Grundlage überholter Architekturtheorien ablehnend reagiert.
Im Folgenden soll eine Übersicht geboten werden über die Hintergründe der Auseinandersetzung.
Frankfurt und seine Altstadt
Die erste Erwähnung Frankfurts stammt aus dem Jahr 794. Sie ist Karl dem Großen zu verdanken, der in diesem Jahr eine Reichssynode in Frankfurt einberief. Im Verlauf des Mittelalters wurde die Stadt schnell zu einer der bedeutendsten Handels- und Wirtschaftsmetropolen des Reiches. Im Jahre 1147 wurde Frankfurt erstmalig zum Ort der deutschen Königswahl; die Herbstmesse ist seit 1150 nachweisbar, und ab 1562 fanden in Frankfurt auch Kaiserkrönungen statt. Die wachsende wirtschaftliche und politische Bedeutung verdankte Frankfurt unter anderem seiner zentralen geographischen Lage.
Das alte Frankfurt, wie es sich vor dem Zweiten Weltkrieg darbot, war eine der bedeutendsten Fachwerkstädte Deutschlands. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren die meisten Häuser allerdings in einem schlechten Zustand gewesen. Im Jahre 1922 wurde der „Bund tätiger Altstadtfreunde“ unter dem Vorsitz von Fried Lübbecke gegründet, der nun seine Arbeit aufnahm und mit Sanierungen und Freilegungen von Fachwerkfassaden begann. Bis zur Zerstörung der Altstadt im Zweiten Weltkrieg wurden durch den Bund mehr als 600 Häuser renoviert. Das Ergebnis dieser Aktivitäten ließ die Altstadt auch zum Anziehungspunkt eines frühen touristischen Interesses werden.
Es war also kein heruntergekommenes Elendsviertel, sondern eine überwiegend liebevoll und vorbildlich sanierte Altstadt, die 1944 im Bombenhagel unterging. Was von ihr die Luftangriffe überlebte, fiel nach dem Krieg bis auf wenige Ausnahmen einer traditionsfeindlichen Abrisswut zum Opfer. Ein Modell der in Trümmern liegenden Altstadt, welches zur Rechtfertigung des modernen Wiederaufbaus einen stark übertriebenen Zerstörungsgrad zeigt, kann auch heute noch im Historischen Museum betrachtet werden und gibt Zeugnis vom Zeitgeist jener Jahre.
Wiederaufbau
Der Wiederaufbau Frankfurts geschah in moderner Weise, kompromissloser und radikaler noch als in nahezu allen anderen deutschen Großstädten. Darüber kann auch nicht die Tatsache hinwegtäuschen, dass eine begrenzte Anzahl bekannterer Gebäude mehr oder weniger verändert wiederaufgebaut wurde. Eine im engeren Sinne originalgetreue Rekonstruktion stellt indes nur das Goethehaus dar – doch auch hier war dem Wiederaufbau eine heftige und emotionsgeladene Debatte vorausgegangen. Die Ansicht, die der Münchner Architekt Otto Völckers damals äußerte, sei hier stellvertretend für viele seiner Zunft wiedergegeben: „Es ist nicht unsere Aufgabe, sentimentale Theater- oder Kinodekorationen zu bauen und Mumien zu fälschen.“ Die „Mumie“ wurde letzten Endes jedoch „gefälscht“, und das Resultat war eines der beeindruckendsten und gelungensten Beispiele für Rekonstruktionen der unmittelbaren Nachkriegszeit.
Andere Baudenkmäler (Römer, Paulskirche, etc.), entstanden ebenfalls wieder neu, jedoch oftmals in vereinfachter und modernisierter Weise. Letztlich blieben sie nur isolierte Zeugen des alten Frankfurts innerhalb eines Meeres moderner architektonischer Banalität. Mit den alten Gebäuden waren auch ganze Straßen und vor allem die vielen engen und verwinkelten Gassen verschwunden. So urteilt auch der ehemalige Stadtkonservator Heinz Schomann, dass die Chance zum wirtschaftlichen und architektonischen Neubeginn zwar genutzt worden sei, jedoch „erkauft mit weitgehendem Verlust an ursprünglicher Individualität des Stadtbildes“.
Technisches Rathaus, 2006
Das Technische Rathaus
Anfang der Siebziger wurde im Herzen der untergegangenen Frankfurter Altstadt, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Dom, das Technische Rathaus errichtet, nachdem man zuvor am Römerberg mit dem Historischen Museum bereits einen ähnlich gearteten Vertreter des Betonbrutalismus ohne jede Sensibilität inmitten eines historischen Ensembles platziert hatte. Wie so oft in Frankfurt und anderen Städten, so war es auch hier der für jedermann sichtbare Bruch mit der Umgebung, der den Planern als Ziel vor Augen schwebte: In Baumasse, Material und Gestaltung bietet das Technische Rathaus keinerlei Anknüpfungspunkte an sein geschichtsträchtiges Umfeld.
Das Urteil der Bürger erwies sich hier als erstaunlich konstant: Die Frankfurter hatten dieses Gebäude schon immer abgelehnt. Mehr als 20.000 Unterschriften wurden gegen den Bau des Technischen Rathauses gesammelt; ein Flugblatt des Traditionsvereins „Freunde Frankfurts“ bezeichnete das Gebäude als „Alptraum“. Fragt man heute den Bürger auf der Straße nach seiner Meinung zum Technischen Rathaus, so ist die Antwort in der Regel ebenfalls eindeutig ablehnend.
Die Fachwelt hingegen lobte das Technische Rathaus einst in den Himmel – der Kritiker Ulrich Conrads pries die „unprätentiöse Eleganz, um nicht zu sagen Baumasse verzehrende Heiterkeit“ –, kommt heute aber oftmals zu vernichtenden Urteilen. So schreibt Dieter Bartetzko im November 2005 in der FAZ von der „zu Recht als Elefantenbunker verhöhnten Waschbetonfestung“. In den Urteilen der Experten wird sichtbar, wie sehr die Fachwelt von akademischen Modeschwankungen abhängig ist – ganz im Gegensatz zu den Laien, die damals wie heute ihre Abneigung gegenüber diesem Gebäude offen bekunden.
Die Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit nahmen jedoch einen positiven Verlauf: Für das Ende des Jahres 2006 bietet sich für die Stadt die Gelegenheit zum Rückkauf des Gebäudes, das zuvor an die DIL verkauft und zurückgemietet worden war. Wurden in diesem Zusammenhang anfangs noch „Abriss“ und „Umgestaltung“ als gleichermaßen vertretbare Maßnahmen diskutiert (man hielt es tatsächlich für möglich, dem Technischen Rathaus durch eine Neugestaltung seiner Fassade den Charakter der Bausünde zu nehmen), so obsiegte bei vielen Beteiligten letztlich die Einsicht, dass nur eine vollständige Entfernung des Gebäudes den Weg zu einer wirklichen Stadtreparatur freimachen könnte. Bei anderen wiederum mag die Asbestbelastung ausschlaggebend für die Entscheidung zum Abriss des Gebäudes gewesen sein.
Im Jahr 2005 begann ein Wettbewerb zur Neubebauung des durch den Abriss des Technischen Rathauses freiwerdenden Areals. Er sah unter anderem eine Rückkehr zur alten Gassenstruktur vor. Diese Ankündigung weckte große Erwartungen, und schon bald wurde von verschiedenen Seiten die Forderung erhoben, zumindest einige der historischen Gebäude auf dem Areal zu rekonstruieren.
Als im September desselben Jahres das Frankfurter Büro Engel und Zimmermann zum Sieger des Wettbewerbs gekürt wurde, machten die Hoffnungen einer allgemeinen Ernüchterung Platz: Der Entwurf sah nicht eine einzige Rekonstruktion vor; statt dessen präsentierte die Visualisierung zweitklassige Zweckarchitektur, deren Hauptaussage eine offen zur Schau getragene Missachtung der Frankfurter Geschichte zu sein schien. Gleichzeitig stellte die Veröffentlichung des Engel-Entwurfs den Auftakt zu einer hitzigen Auseinandersetzung um die Altstadt dar: In den folgenden Monaten wurden die Zeitungen mit Leserbriefen überschüttet, es bildete sich eine Bürgerinitiative, die sich die Rekonstruktion der historischen Gebäude auf dem Areal des Technischen Rathauses zum Ziel gemacht hatte, und in unregelmäßigen Abständen fanden Diskussions- und Informationsveranstaltungen statt – anfangs überwiegend von den Gegnern der Rekonstruktion organisiert, die so den Befürwortern den Wind aus den Segeln zu nehmen beabsichtigten.
Die Debatte um den Wiederaufbau
Die Debatte um den Wiederaufbau ist, wie sich jeder Besucher bei den bisherigen entsprechenden Veranstaltungen in Frankfurt überzeugen konnte, von folgenden Merkmalen geprägt:
– Üblicherweise findet man auf dem Podium eine tendenziös besetzte Expertenrunde vor, in der Rekonstruktionsbefürworter entweder gar nicht oder in der Rolle von Einzelkämpfern auftauchen.
– Entsprechend kommt es auf dem Podium in der Regel nicht zu einer Diskussion über das Für und Wider der Rekonstruktion, sondern zu einer gegenseitigen Bestätigung der jeweiligen Polemiken. Als ein Tiefpunkt in diesem Sinne muss das vermeintliche „Streitgespräch“ zwischen den Architekturkritikern Dieter Bartetzko und Christian Thomas während der letzten Römerberggespräche gelten, als beide „Diskutanten“ nahezu jeden ihrer Beiträge mit Formulierungen wie „Da stimme ich dir zu“ oder „Ich gebe dir in dieser Hinsicht völlig Recht“ begannen.
– Die Rekonstruktionsgegner erheben scheinbar praktisch orientierte Einwände, beispielsweise den Brandschutz oder die Finanzierbarkeit betreffend, die sich aber bei Überprüfung als falsch herausstellen.
– Ansonsten beschränken sich die Wortbeiträge der jeweiligen Podiumsredner auf mehr oder weniger plumpe Diskreditierungsversuche, wo es schon mal vorkommen kann, dass Rekonstruktionsbefürworter pauschal zu Populisten, Ewiggestrigen oder Faschisten erklärt werden. Manchmal ist es aber auch so, dass einem Redner, wie in diesem Fall dem Architekten und Mitglied des Städtebaubeirats Ernst Ulrich Scheffler, bei dem Bemühen, die Forderungen der Bevölkerung nach einer Rekonstruktion der Altstadt zu unterbinden, offenbar nicht viel mehr einfällt als der Satz: „Es eignet sich nicht jedes Thema zur demokratischen Debatte.“
Zu Recht sprach daher der Wiesbadener Kurier, auf eine Diskussionsveranstaltung bezugnehmend, die am 18. Oktober 2005 im Deutschen Architekturmuseum stattfand, von „Dreistigkeit und Arroganz“ der anwesenden Experten. Glücklicherweise fanden später vereinzelt auch ausgewogenere Veranstaltungen statt, wie etwa die „Altstadtforen“ des Traditionsvereins „Freunde Frankfurts“, wo sich auf dem Podium unter anderem auch Architekten einfanden, die eine Rekonstruktion der Altstadt befürworteten.
Ausblick
Seit Beginn der öffentlichen Debatte hat sich die Position der Rekonstruktionsbewegung eher verbessert, ohne dass jedoch das angestrebte Ziel in greifbare Nähe gerückt wäre. Die positive Bewertung des Vorhabens durch einige namhafte Architekten sowie den hessischen Einzelhandelspräsidenten in jüngster Vergangenheit hat den Rekonstruktionsbefürwortern sicherlich den Rücken gestärkt. Es ist zudem vorgesehen, dass das Technische Rathaus am 1. April 2007 zurückgekauft werden soll. Neue Möglichkeiten eröffnet die Einrichtung einer Planungswerkstatt, an der Frankfurter Bürger teilnehmen können und deren Ergebnisse der Stadtverordnetenversammlung zur Empfehlung vorgelegt werden sollen.
Letztlich aber ist das Schicksal des Areals des Technischen Rathauses, gelegen zwischen Dom und Römerberg, zum gegenwärtigen Zeitpunkt weiterhin ungewiss.