St. Gallen - Quartiere zwischen Altstadt und Bahnhof

  • Korbbögen - ihre schier endlose Aneinanderreihung war gerade das Spezielle an dieser Zeile, nebst der engen Pfeilerstellung und dem umlaufenden Balkon. Der Stichbogen war aber generell viel verbreiteter als der Korbbogen, egal ob im Barock, Klassizissmus oder Historismus. In St. Gallen (und in vielen andern Städten sicher auch) war der Korbbogen bis in die 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts bei Erdgeschossen in der Altstadt die Regel. Erst danach begannen sich grössere, rechtwinklige Schaufensteranlagen durchzusetzen.


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    88) Restaurant Speer, Neugasse 8 Seite Marktplatz. Spätmittelalterliche Erdgeschossöffnung mit stark gedrücktem Korbbogen. Bis zum Abbruch des Hauses 1933 die letzte Öffnung dieser Art in der Altstadt.


    Eine Teilrekonstruktion bei der Simonzeile wäre denkbar, zumindest jene des durchgehenden Balkons, auch wenn er ein fremdes Element in St. Gallen war. Die enge Pfeilerstellung wäre aufgrund des Verlusts von Schaufensterflächen und auch von den veränderten Proportionen mit dem tiefergesetzten Erdgeschossboden schwerer ausführbar. Man muss aber bedenken, dass es nicht selbstverständlich ist, dass die Zeile heute immer noch einheitlich gestaltet ist, auch wenn die vier Häuser unterschiedlichen Besitzern gehören. Ebenfalls nicht selbstverständlich ist es, dass in den letzten Jahren gerade die Ladenöffnungen vom Umbau um 1910 ihrerseits wieder Rückführungen in diesen Zustand erhalten haben, nachdem sie in den Jahrzehnten zuvor nachteilig verändert worden waren.


    Nun zum Hofbereich des zweiten Quartiers:

    Wegen der abgeschrägten Nordostecke des Quartiers umschreiben hier nur drei Strassen das Hofgeviert, welches einen dreieckigen bis trapezoiden Grundriss hat: die Hintere Bahnhofstrasse, Hintere Poststrasse und das Bienengässlein. Von der Waisenhausstrasse aus gelangt man in die Fortsetzung der Hinteren Bahnhofstrasse, die ja bereits beim Schibenertor beginnt:


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    89) Hintere Bahnhofstrasse bei der Rückseite von Bahnhofstr. 11 gegen die Waisenhausstrasse.


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    90) Aufwändig gestaltete Fensterachse des Treppenhauses von Bahnhofstr. 11.


    hintere-bahnhofstrasse_01.03.2022_0124x.jpg91) Hintere Bahnhofstr. 11 - 19.

    Die rückwärtige Bebauung ist einheitlich dreigeschossig und wird von begehbaren Flachdächern bedeckt. Zu jedem Vorderhaus gehörte ein Hinterhaus, die aber mit der Zeit unabhängig von den Vorderhäusern ihre Besitzer wechselten.

    Die Hinterhäuser sind in verputztem Fachwerk als einheitliche Konstruktion ausgeführt worden, sodass die einzelnen Hausabschnitte problemlos mit andern vereinigt oder aufgeteilt werden konnten. An den Fenstergewänden sieht man keine Unterschiede, die darauf hinweisen könnten, dass die Hinterhäuser ursprünglich nur zweigeschossig waren. Auf Fotografien aus den 1880er Jahren hat man aber den Eindruck, dass sie ursprünglich (Bauzeit um 1860) niedriger waren. Im Bauarchiv sollte diese Frage aber schnell zu klären sein.


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    92) Hintere Bahnhofstr. 13 (ocker) und 15 (weiss), wobei Nr. 15 durch die Vereinigung mit Nr. 17 vergrössert wurde. Nr. 17 war eine Zeitlang auch mit Nr. 19 (rechts angeschnitten) vereinigt.


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    93) Hintere Poststr. 12 - 18 bei der Einmündung der Hinteren Bahnhofstrasse.

    Ein Teil der südlichen Zeile an der Hinteren Poststrasse wurde um 1900 durch Neubauten ersetzt. Ursprünglich standen hier fünf Bauten, die aber wie an der Hinteren Bahnhofstrasse unterschiedlich auf die Besitzer aufgeteilt waren. Das ursprüngliche Aussehen dürfte dem Eckbau Nr. 12 sowie den Hofbauten an der Hinteren Bahnhofstrasse entsprochen haben.


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    94) Hintere Poststr. 12 - 18.


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    95) Hintere Poststrasse mit den Rückseiten von Nr. 16 und 18.

    Die Rückseiten von Poststr. 12 - 18 hatten gemäss dem Erd- und 1. Obergeschossumbau um 1910 ebenfalls Veränderungen erfahren. An ursprünglicher Gliederung kann aber gequaderte Lisenen an den Fassadenkannten sowie vorstehende Treppenhausrisalite mit halbgeschossweise versetzten Fenstern erkennen. Teilweise sind die Hintereingänge zugemauert und die Risalite unten einfach abgeschnitten worden.


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    96) Hintere Poststrasse mit den Rückseiten von Poststr. 10 und 12 - 18.


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    97) Bienengässchen als Verbindung von der Hinteren Poststrasse zur Hinteren Bahnhofstrasse.

    Das rote Backsteinhaus Bienengässchen 3 ist das einzige Gebäude, das heute dieser Strasse zugeteilt ist. Es hatte zuerst die Nummer 17a und gehörte zu Waisenhausstr. 17. Offensichtlich ist es später um ein 2. Obergeschoss erhöht worden. Das linke Nachbargebäude ist erst vor einigen Jahren neu errichtet und mit dem Eckhaus vereinigt worden. Der Vorgängerbau hatte nur zwei Geschosse und ein Satteldach.


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    98) Das Bienengässchen mit den Rückseiten von Bahnhofstr. 11 und Waisenhausstr. 15 und 17.

    Das Türvordächlein von Nr. 15 könnte noch aus der Bauzeit um 1850 stammen.

  • Das 'Simonquartier' (Eidgenössische Post, später Hotel Walhalla)


    Die Eröffnung der Eisenbahn 1856 erforderte weitere Zubringerbauten, die mit dem Eisenbahnverkehr in Verbindung standen:

    - 1861 Eidgenössische Post (heute Hotel Walhalla und weitere Wohn-/ Geschäftshäuser, 1955 Brand, 1957 und 1961 grösstenteils Abbruch und Ersatzneubauten)

    - 1864/65 Zoll- und Niederlagsgebäude (1910 Abbruch für den heutigen Bahnhof)

    - 1863/64 Kornhalle (heute Busbahnhof und Bahnhofplatz,1885 Abtragung für die neue Post (später Rathaus, 1977 Abbruch) und bei der Kaserne Wiederaufbau als Magazin, 1981 Abbruch infolge Baus des Autobahnanschlusses Kreuzbleiche).

    Für den Bau einer neuen Hauptpost kaufte die Eidgenössische Post 1858 einen Bauplatz gegenüber dem Bahnhofgebäude und schrieb noch im gleichen Jahr einen Projektwettbewerb aus, den Johann Christoph Kubly gewann. Trotzdem verkaufte die Postverwaltung den Bauplatz an Bernhard Simon, welcher auf eigene Rechnung 1860/61 das Postgebäude sowie bis 1863 die anstossenden Wohn- und Geschäftshäuser wohl nach den ursprünglichen Plänen Kublys erstellte (Überbauung 7 in den Stadtplänen im ersten Beitrag). Die Eidgenössische Post zog dann als Mieterin ein, wo sie bis zum 1885/87 ausgeführten Bau der neuen Post (ab 1927 Rathaus) blieb.


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    99) Bahnhofpärkli von der Hinteren Poststrasse aus gesehen, links die Eidgenössische Post (später Hotel Walhalla) und rechts der 1971/72 abgebrochene alte Bahnhof (heute Rathaus). Carte de visite um 1863/65. Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde St. Gallen.


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    100) Bahnhofstrasse und Bahnhofplatz heute. Links Hotel Walhalla, in der Mitte die Hauptpost von 1911/14, rechts das 1976 eröffnete Rathaus anstelle des alten Bahnhofs von 1856. Dieses Teilstück der Bahnhofstrasse gehörte bis 1928 zum Bahnhofpärkli, das bereits um 1911 von den Geleisen der Tram- und Trogenerbahn durchstochen wurde.


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    101) Eidgenössische Post (später Hotel Walhalla) mit Schützengasse und Bahnhofpärkli. Rechts angeschnitten die Kornhalle. Carte de visite um 1870/75. Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde St. Gallen.

    Der grosse Baukomplex umfasste das Gebiet zwischen Post-, Kornhaus-, Merkurstrasse und Schützengasse. Die Merkurstrasse existierte damals noch nicht, dafür grenzte das Baugrundstück an die Liegenschaft 'Thalgarten', die aus dem einstigen Schützenhaus der 'Büchsenschützen' hervorgegangen war (s. auch diesen Beitrag). Erst mit der Überbauung des 'Thalgartens' zwischen 1904 und 1908 wurde auch die Merkurstrasse angelegt. Einen privaten Erschliessungsweg als Vorläufer der Strasse hatte aber bereits Simon erstellt.

    Das ganze Bauprojekt umfasste neben der Post im Mittelteil je drei Wohn- und Geschäftsbauten an der Schützengasse und Kornhausstrasse. Daneben wurden um einen Innenhof, der für Fuhrwerke über vier Durchgänge erreichbar war, wohl auch Stallungen für Pferde und Magazinbauten erstellt. Beim linken Eckgebäude (Poststr. 23, ehemals Schützengasse 9) kann man 'Restaurant Café Billards' lesen, aber keinen Namen. Auf einer andern Fotografie um 1870 lese ich beim rechten Eckgebäude (Kornhausstr. 3, ehemals Nr. 1) 'Café Restaurant' und 'Bierbrauerei', und wiederum keinen Namen. Ein Hotel oder Gasthof war damals offenbar noch nicht drin. Adressbücher werden hier sicher Klarheit schaffen.

    Ein Brand im Hotel Walhalla 1955 läutete den weitgehenden Untergang des Gevierts ein. Erst 1957 wurde die Brandruine des Hotels und das benachbarte Geschäftshaus Poststr. 25 abgebrochen und das neue Hotel 1959 eröffnet. 1961 wurde auch die nordöstliche Ecke des Gevierts abgebrochen (Poststr. 23, früher Kornhausstr. 7) und ersetzt, sodass vom Simonquartier heute nur noch Kornhausstr. 5 (Papeterie Markwalder) und Schützengasse 5 und 7 existieren.


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    102) Die Geschäftshäuser Poststr. 23, 25 und Hotel Walhalla Poststr. 27 / Kornhausstr. 3 heute.


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    103) Hotel Walhalla und Poststrasse vom alten Bahnhof aus gesehen. 1901 gelaufene Ansichtskarte, Charnaux frères, Genf, unbekannte Sammlung.


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    104) Hotel Walhalla und Kornhausstr. 5 gegen den Bahnhofplatz.

    Zusammen mit Schützengasse 5 und 7 ist Kornhausstr. 5 der übrig gebliebene Teil des Simonquartiers. Seine Fassaden wurden einst purifiziert und die enge Pfeilerstellung an den Sockelgeschossen teilweise zugunsten breiterer Schaufenster aufgegeben.


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    105) Schützengasse 5 - 9 bei der Einmündung der Merkurstrasse.

    Bei Schützengasse 5 und 7 erhält man noch einen vagen Eindruck des ursprünglichen Simonquartiers. Die Sockelgliederung ist in ihrer Struktur noch erhalten, aber leider fehlen auch hier an den Obergeschossen einzelne Gurtsimsen, Fensterverdachungen und die Balkone.

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    106) Schützengasse 5 und 7.

    Auch wenn die Fassaden im aktuellen Zustand schön anzuschauen sind, merkt man mit der Zeit, dass da einige Elemente fehlen. Die fehlenden Fensterverdachungen bei Nr. 5 sowie der abgegangene Balkon schmerzen weniger als das fehlende Gurtsims am obersten Geschoss links und an beiden Fassaden über der Sockelzone. Jedenfalls gibt Nr. 7 noch den besten Eindruck der ursprünglichen Fassaden des ganzen Komplexes.

    Auffallend ist bei Nr. 7 der horizontale Keil zwischen dem schwarz gestrichenen Architrav und den Brüstungsplatten der Fenster darüber. Dies besagt wohl, dass sich bereits während der Bauphase die beiden Sockelgeschosse senkten und das 1. Obergeschoss dann wieder waagrecht weitergebaut wurde. Offenbar vertraute Simon darauf, dass mit dem Weiterbau nicht noch mehr Bodensetzungen eintreten sollten.



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    107) Merkurstrasse Richtung Bahnhofplatz mit beiden noch erhaltenen südlichen Eckbauten des Simonquartiers.

    Mit dem Bau der Merkurstrasse 1907 wurde auch der zurückstehende Zwischenbau neu erstellt und seine Fassade in die Bauflucht der beiden Eckbauten vorgerückt. Der ursprüngliche Zwischenbau stand etwa vier Meter hinter der Baulinie, war nur dreigeschossig und wies ziemlich grosse Fensterflächen auf. Eine an Schützengasse 5 anstossende kleine Partie blieb aber noch bestehen und wurde gemäss den Stadtplänen spätestens 1948 aufgefüllt, auch wenn die Fassade eher einen Ausdruck der 1960er Jahre zeigt.


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    108) Grundrisse des ganzen Quartiers in den Stadtplänen.

    Einen ersten Überblick über den grossen Baukomplex liefern die Stadtplanausschnitte. Baueingabepläne sind im Bauarchiv generell ab etwa 1880 ziemlich vollständig vorhanden, vereinzelt schon ab den 1860er Jahren. Für einen Besuch im Bauarchiv lohnt sich aber eine gute Vorbereitung, da die Bauakten aus Platzmangel innerhalb des Archivs an drei verschiedenen Orten aufbewahrt werden. Sollten die Baueingabepläne von 1860 dort aber noch vorhanden sein, wäre das ein Glücksfall!

    Bei den Stadtplänen wiederum muss man mit deren exakten Wahrheitsgehalt vorsichtig sein. Einige Übersichtspläne wurden im Massstab 1:5000 gedruckt, andere mit 1:15'000. Gerade in letzteren können kleine Fehler vorhanden sein.

    Fierz und Eugster zeichneten die 1. Stadtvermessung im Massstab 1:500 vom Oktober 1861 bis Mitte 1863, also kurz nach Fertigstellung des Postgebäudes. Später wurden in diesen 'Urplan' noch einige Jahre lang rot schraffierte Nachträge eingezeichnet, so auch Kornhausstr. 5 (Markwalder). Bei der Abgabe des Vermessungswerks war dieses Gebäude noch nicht fertiggestellt, auch wenn es in der Literatur zuweilen heisst, dass Simon nach der Fertigstellung der Post bis 1862 'auch die übrigen sechs Postquartierbauten fertigstellte'. Das Studium der Planausschnitte lässt noch einige Fragen offen, insbesondere weil im Plan von 1863 die einzelnen Gebäude noch nicht klar ausgeschieden sind. Auf Fotos geben zwar die über die Dächer hinausreichenden Brandmauern klar Auskunft über die einzelnen Bauten. So gehörten die beiden Durchfahrten von Norden her nicht mehr zum Postgebäude, sondern zu beiden Eckbauten.

    Es wäre müssig, jetzt anhand dieser Planausschnitte die weitere Baugeschichte des Simonquartiers zu beschreiben, denn dafür sind die Baupläne viel aussagekräftiger. Interessant ist noch ein Dokument, in welchem der Brand aus feuerwehrtechnischer Sicht beschrieben wurde. Rätselhaft ist mir darin eine beschriebene Brandmauer zwischen den Häusern Poststr. 25 und 27 (früher 19 und 21), die auf keinen Fotos mit Dachaufsicht zu sehen ist. Diese hätte sich im ursprünglichen Posttrakt befunden, der nach dem Auszug der Post und Umbau zum Hotel Walhalla 1887 in zwei Gebäude aufgeteilt worden war. Möglicherweise hatte man damals eine Binnenwand verstärkt. Ebenfalls ist die Rede von Bodensenkungen in den oberen Geschossen und dass die oberen Stockwerke als Riegelbauten konstruiert seien.

    Dass Simon hier ein Quartier geschaffen hat, das heute noch nach 160 Jahren tadellos funktioniert, darf als Hauptfazit aus der Betrachtung der Stadtplanausschnitte gelten.


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    109) Hotel Walhalla in den 1940erJahren. Unbekannter Verlag und Sammlung.

    Bei einer Aussenrenovation zwischen 1910 und 1940 fanden auch Vereinfachungen an der Poststrassenseite statt. So entfiel das Band mit seinen Konsolen im Brüstungsbereich des obersten Geschosses sowie die übereck gestellten Quadrate in den Brüstungsplatten des 2. Obergeschosses.


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    110) Hotel Walhalla nach Fertigstellung des Neubaus. 1959 gelaufene Ansichtskarte, R. Suter, Oberrieden.

    Nach dem Brand des Hotels in der Nacht vom 12./13. Juli 1955 blieb die Ruine noch zwei Jahre stehen, bis nach weiteren zwei Jahren der Hotelneubau 1959 eröffnet werden konnte. Dabei wurde die Fassadenflucht bei der abgeschrägten Nordwestecke zur Poststrasse hin um rund 5 m zurückgenommen. In den Neubau wurden auch Kornhausstr. 3 (vorher schon zum Hotel gehörend?) sowie Poststr. 25, auf welches das Feuer ebenfalls übergegriffen hatte, miteinbezogen.


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    111) Hotel Walhalla nach Fertigstellung des Neubaus. Ungelaufene Ansichtskarte um 1959/61, Foto Gross, St. Gallen.

    Auf dieser Ansicht ist gut zu sehen, dass die östliche Durchfahrt in den Hof unter der stehen gebliebenen Poststr. 23 (ehemals Schützengasse 9) im Gegensatz zur westlichen nicht geschlossen wurde. 1961/62 wurde dann auch dieses Gebäude durch einen Neubau ersetzt.


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    112) Hotel Walhalla 1962 oder kurz danach. Reklamekarte.

    Eigentlich bin ich kein Autonarr, aber wenn sich anhand der Bebauung ein Foto nur ungenau datieren lässt, schaue ich oft bei den Automarken, wann ein bestimmtes Modell auf den Markt kam. Bei dieser Ansicht sind es der ab 1960 produzierte Ford Taunus (zweiter PW von links) und der vor ihm parkierte Opel Kadett mit Produktionsstart ab 1962. 1962 - Fotos aus meinem Geburtsjahr schaue ich besonders gerne an und würde gerne mit dem damaligen Opel Rekord meines Vaters eine Spritzfahrt durch St. Gallen im Jahr 1962 unternehmen... :)


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    113) Hotel Walhalla nach Abbruch des Rathauses und Neugestaltung des Bahnhofplatzes 1977/78, Reklamekarte.

    Das Hotel Walhalla ist nun ein Best Western-Hotel. Offenbar wollte man sich mit dem 1977/78 neugestalteten Bahnhofplatz und den vielen Leuchtreklamen international präsentieren.

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    114) Poststr. 25 (Geschäftshaus) und 27 (Hotel Walhalla) mit Chromstahlfassade aus den 1990er Jahren.

    Ende der 1990er Jahre verschwand die 50er Jahre-Keramikplattenfassade unter einer Wärmedämmung mit Verkleidung aus übereinander geschuppten Chromstahlblechen.


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    115) Spiegelung des Hotels Walhalla im Rathaus.

    Seit der Fertigstellung der Rathaussanierung 2007 spiegelt sich das Hotel in dessen Fassaden. Das Rathaus selbst entstand 1971/72 bis 1976 anstelle des alten Bahnhofs von 1856 und wies zuerst Fassaden mit goldbeschichteten Gläsern auf, die aber ziemlich bald trüb wurden und deshalb einen Ersatz erforderten.


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    116) Ecke des Hotels gegenüber dem Rathauseingang.

    Der Rathauseingang... Gerade so gut könnte sich dahinter eine Migros oder ein Coop befinden. Einen Rathauseingang stelle ich mir anders vor:


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    117) Altes Rathaus an der Marktgasse von 1564 - 1877. Carte de visite vor 1865.


    Wieder zurück zur Kornhausstrasse:


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    118) Kreuzung der Kornhausstrasse mit der St. Leonhard-Strasse. Links die Rückseite der zweiten Hauptpost (später Rathaus), in der Achse der Kornhausstrasse der alte Bahnhof und rechts das Simonquartier. 1905 gelaufene Ansichtskarte, Edition Burgy, Saint-Imier.

    Die drei Hauptportale des alten, 1971/72 abgebrochenen Bahnhofs würden sich heute knapp sieben Meter hinter dem heutigen Rathauseingang befinden.

    Rechts blickt man auf die noch unbebaute Liegenschaft 'zum Thalgarten', die sehr wahrscheinlich auf das einstige Schützenhaus zurück geht. Mit dem Ende der Stadtrepublik 1798 gingen die Liegenschaften der damals aufgelösten jahrhundertealten Institutionen wie Zünfte und Schützenhäuser in private Hände über. Erst zwischen 1903 und 1907 wurde die Liegenschaft dann komplett mit Bank- und Geschäftshäusern überbaut und die Merkurstrasse angelegt. Diesen wird sich einer der nächsten Beiträge widmen.


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    119) Kornhausstrasse und Bahnhofplatz mit Rathaus und Hotel Walhalla. Gleiche Blickrichtung wie oben.

    Erst mit der Bahnhofplatzneugestaltung 2015 bis 2018 wurde die Stadt mit überdimensionierten Buswartehäuschen aufgewertet. Sie sind so schön geworden, dass sie nicht einmal eine grössere Beschriftung der Busliniennummern vertragen. Zudem harmonisieren sie wunderbar mit der wertvollen historischen Architektur...


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    120) Kornhausstr. 7 und St. Leonhard-Str. 24.


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    121) Bahnhofplatz mit Milchglas-Kubus über der Bahnhofunterführung.

    Auch der 1913 eröffnete neue Bahnhof hat jüngst einen neuen, höchst sensibel eingepassten Nachbar in Milchglasoptik erhalten... Der Bahnhofplatz hat aber einen eigenen Strang verdient.

    Zum Abschluss der Betrachtung des Simonquartiers folgen noch vier Bilder des alten Bahnhofplatzes. Die ihn ursprünglich rahmenden Bauten - Post, Kornhalle sowie Zoll- und Niederlagsgebäude - entstanden zwischen 1860 und 1865 nach einem Ausbauplan Simons. Der Platz bildete somit den vorläufigen Abschluss der Bebauung zwischen dem Schibenertor und Bahnhof.


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    122) Alter Bahnhofplatz. Links das Hotel Walhalla (ehem. erste Hauptpost), zweite Hauptpost (später Rathaus), in Bildmitte das Zoll- und Niederlagsgebäude und rechts das Bahnhofgebäude. 1905 gelaufene Ansichtskarte, Verlag Gebr. Wehrli, Bendlikon ZH.


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    123) Alter Bahnhofplatz. Links angeschnitten das Hotel Walhalla (ehem. erste Hauptpost), zweite Hauptpost (später Rathaus), dritte Hauptpost von 1911-1914, ganz hinten der Gaiser Bahnhof (heute Appenzeller Bahnen), rechts der neue Bahnhof von 1911-1913 und der alte Bahnhof. 1925 gelaufene Ansichtskarte, Photo H. Gross, St. Gallen.


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    124) Alter Bahnhofplatz. Selbe Situation wie oben, aber mit entfernter Risalitbedachung der 1926/27 zum Rathaus umgebauten zweiten Hauptpost. 1938 gelaufene Ansichtskarte, Frobenius Kunstverlag AG, Basel.


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    125) Poststrasse, ehemals alter Bahnhofplatz, heute.

  • Das "Milchglasgebäude" ist der Gipfel. Sieht aus wie mit staubigen Bauplanen behängt. Innen wirds einem auch nicht gefallen, wenn man nicht rausschauen kann. Das Rathaus versucht Dallas 1975 (*) zu spielen, naja. Tempi passati.

    Gestern traf ich übrigens beim Spazierengehen auf ein Gebäude mit noch versteckterem Eingang. Ich wunderte mich, was das wohl sei, und mußte um das ganze Gebäude herumgehen, bis ich endlich auf ein Schild stieß. Bis dahin - ich mußte dazu das Gebäude zu Dreiviertel umrunden - an der vierten Seite grenzte es an Wohngebäudebebauung von etwa 1900-1914 an - rätselte ich, was das wohl sei. Zuerst dachte ich: Schule oder Bildungseinrichtung. Die hätten aber Schilder gehabt und eine sichtbarere Eingangsbeschilderung, also nicht. Kirchenverwaltung? Auch die haben Eingänge. Medizinisches Labor? Ich schaute in ein Fenster, ein paar Aktenordner lagen umgekippt auf einem Schrank, an dem ausgedruckte A-4-Papierzettel aufgeklebt waren, es wirkte wie das Hausmeisterzimmer. Nein, sieht nicht nach Medizin aus. - Parkplatz. "Der Senat übernimmt keine Haftung". Aha, muß also der Stadt gehören. Aber immer noch kein Eingang. Weiter um die Ecke, eine riesige Rampe, Rollstuhlfahrer könnten zu viert nebeneinander Rennen fahren. Die Rampe verschwindet unter einem Vordach, nebenan eine Durchfahrt für Autos, unbeschildert. Da oben muß doch was zu sehen sein. Ich laufe außen an der Rampe entlang, bis auf Höhe - aha, hier in der Ecke nun doch! - eines zurückgesetzten Eingangs. Und endlich sehe ich im dunkeln die Buchstaben über der Tür: "Finanzamt". (Das Bild in Google ist nicht aktuell, weil noch ohne offenbar recht neue Dämmung, und die "Schikanen" am Anfang der Rampe wurden mE auch beseitigt: https://www.google.com/maps/place/Fin…2393!4d13.33162 )

    (*) Dort war die Mode mit den verspiegelten Glasfassaden sehr prominent, es wurden dort zu der Zeit viele Gebäude so gebaut. In der Fernsehserie "Dallas" wurden diese Glastürme immer gezeigt.

  • Jedenfalls zeigen die Fotos aus der Schweiz immer gut, dass die deutschen Städte auch ohne den Krieg tendenziell so aussehen würden, wie sie heute aussehen. Nicht die Bomben sind der Hauptgrund, denn man hätte ja gefällig wieder aufbauen können, sondern die modernistische Architektur und die Abrissmentalität.

  • Loggia Das "Milchglasgebäude" ist eigentlich gar kein Gebäude, sondern nur die Überdachung der Bahnhofunterführung und des Zugangs vom Bahnhofplatz zum Gleis 1. Als Kunst am Bau gilt die binäre Uhr, die niemand versteht. Die Bahnhofplatzneugestaltung wurde 2018 abgeschlossen. Eine Bilderreihe über den gesamten Hauptbahnhof nach der Neugestaltung gibt es hier:

    Hochparterre - Schwerpunkt verschoben
    Der neue Glaskubus des Bahnhof St. Gallen schliesst die Fassadenlücke zum Kornhausplatz. Der Um- und Neubau des Bahnhofs verknüpft Stadt- und Verkehrsraum,…
    www.hochparterre.ch

    Unser Hauptbahnhof hätte etwas Besseres verdient gehabt. Nie hätte ich gedacht, dass ich mir die alte Überdachung von der vorletzten Bahnhofplatzneugestaltung 1977/78 zurück wünschte. Diese bestand aus einer halbrunden Glasüberdachung mit etwas schwerfälligen, dunkelbraun gestrichenen Stahlprofilen. Aber sie ordnete sich dem Bahnhofgebäude (und dem Rathaus-Glasturm) unter. Heute ist alles irgendwie überdimensioniert, bis hin zu den Buswarteunterständen. Mir bangt es jetzt schon davor, dass dieselben Ämter nun auch die Marktplatzneugestaltung an die Hand nehmen werden...


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    126) Glaskubus über der Bahnhofunterführung.


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    127) Inneres des Glaskubus' mit Sicht vom Treppenaufgang her auf die 'Kunst am Bau'.


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    128) Zugang zum Bahnhofplatz von der Kreuzung St. Leonhard-Strasse / Kornhausstrasse her. Der heutige Glaskubus ist links hinten sichtbar.

    Der heutige Bahnhofplatz ist eigentlich nicht der Platz, der mit dem Neubau von Hauptbahnhof, Hauptpost und Gaiser-Bahnhof 1911 bis 1914 entstand, sondern der Platz zwischen altem und neuem Bahnhofplatz, wo bis 1977 das alte Rathaus stand (ursprünglich die zweite eidgenössische Post, vgl. mit Abb. 118). Die Buswartehalle rechts ist dieselbe wie in Abbildung 120.


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    129) Zugang zum Bahnhofplatz von der Kreuzung St. Leonhard-Strasse / Kornhausstrasse her, 2008. Die halbrunde Vorgängerüberdachung von 1978 ist links hinten sichtbar.



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    130) Das 1911/13 erstellte neubarocke Bahnhofempfangsgebäude, 2008.



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    131) Zugang zum Bahnhofplatz über die Gutenbergstrasse von der St. Leonhard-Strasse her, 2008. Heute Fussgängerbereich. Links die Hauptpost, rechts das Stickereigeschäftshaus 'Merkatorium' und hinten der Bahnhof.

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    132) Die dritte Hauptpost im Bau, im Vordergrund die Endstation der Gaiser Bahn, rechts angeschnitten der neue Bahnhof. August 1913, Fotonachlass Ernst Kuhn, Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde St. Gallen.

    Die 'Gaiser Bahn' (früher St. Gallen - Gais - Appenzell, im Volksmund 's'Gaiser Bähnli', heute Appenzeller Bahnen) war eine 1889 eröffnete Zahnrad-/Adhäsionsbahn. Sie verband die beiden Appenzeller Halbkantone mit der damaligen 'Textilhauptstadt St. Gallen' und war nicht nur wegen der Personenbeförderung wichtig, sondern auch wegen des Gütertransportes. Dadurch erhielten viele appenzellische Textilindustriebetriebe einen Anschluss ans nationale Eisenbahnnetz (Appenzell IR und AR haben heute noch als einzige Schweizer Kantone keinen Meter SBB-Geleise und Nationalstrasse!). Wegen der befürchteten Konkurrenz schaute die Stadt damals eher missliebig auf das neue Bahnprojekt und war mit der Bereitstellung für Boden für die Bahnendstation entsprechend knauserig.

    Ein bisschen off-topic, aber auch ein Thema, das den Pioniergeist in St. Gallen zwischen 1890 und 1914 wiederspiegelt:

    Die Gaiser Bahn hatte der Stadt einen Rekord beschert: den Ruckhalderank, die engste Zahnradbahnkurve der Welt mit einem Radius von 30 m. Mit Inbetriebnahme des Ruckhaldetunnels 2018 wurde diese Kurve abgebrochen und die Geleise samt Zahnstange für einen Wiedereinbau in eine künftige Wohnüberbauung deponiert. Auch die Dampflokomotiven mussten speziell für die Bahn entwickelt werden, einerseits mit drehbaren Triebachsen und Kohletender wegen den engen Kurvenradien, und andererseits mit einer überhohen Feuerbüchse für den Dampfkessel, damit dieser ständig bei Steigungen und Gefälle auf voller Länge mit Wasser gefüllt war. Die sie 1930 ablösenden elektrischen Triebwagen waren damals die weltweit stärksten Triebwagen und standen bis in die 1980er Jahre in regelmässigem Einsatz. Am 13. November 2016 konnte der historische Triebwagen Nr. 5 (s'Füfi) ein letztes Mal die Kurve befahren. Hierzu fanden fünf Sonderfahrten von St. Gallen nach Teufen und wieder zurück statt. Von der zweitletzten Fahrt habe ich Filmsequenzen aus dem Führerstand von insgesamt acht Minuten Dauer; falls jemand diese zu einem Film zusammenmontieren möchte, bitte melden. Zwei einzelne Sequenzen, auf denen man das Durchschütteln im Führerstand und das weite Ausholen desselben gegenüber den Geleisen in den Kurven wie auf einer Achterbahnfahrt miterleben kann, nicht aber den Geruch von Maschinen und das Gefühl von Hochspannung unmittelbar hinter dem Rücken:

    Ruckhaldekurve Bergfahrt (Youtube)

    Ruckhaldekurve Talfahrt (Youtube) (mit Einkupplung in den Zahnstangenabschnitt)

    Der Pioniergeist dieser für die Welt eigentlich unbedeutenden Bahn ist heute nirgends mehr zu spüren, sie ist heute eine unter vielen. Geblieben ist mir die Erinnerung an das Dröhngeräusch vom Zahnstangenabschnitt, das man in der Nacht bei speziellen Windverhältnissen sogar zuhause hören konnte, obwohl ich in Luftlinie 3 km diagonal über das Tal der Stadt weit weg wohnte. Hier noch ein Videolink zu drei historischen Triebfahrzeugen der Appenzeller Bahn, deren Mittleres eben das 'Füfi' ist:

    Appenzeller Bahnen (Youtube)

    Eine weitere Bahnrarität in St. Gallen: Die S-Kurve der 1903 eröffneten Trogener Bahn bei der Abzweigung der Speicherstrasse von der Linsebühlstrasse ist mit 80 Promille der steilste Adhäsionsabschnitt der Schweiz. Auch hier eine Erinnerung an das Bahngeräusch: Die Motoren und Antriebsräder der ehemaligen orangen Triebfahrzeuge von 1975 drehten bei nasser Witterung gern durch, was dann ein hohes Aufheulen derselben zur Folge hatte.



    Bahnhofplatz-vom-Hauptpostturm-aus-1913-Ernst-Kuhn-x.jpg

    133) Sicht vom Hauptpostturm ostwärts über den alten Bahnhofplatz in Richtung Schibenertor. Links der neue Bahnhof unmittelbar vor seiner Fertigstellung, dahinter der alte Bahnhof und das Bahnhofpärkli. Rechts vorne der alte Gaiserbahnhof mit Drehscheibe zum Wenden und Zurücksetzen der Dampflokomotiven, dahinter die 2. Eidgenössische Post (später Rathaus). Im Hintergrund rechts die Quartiere vor dem Schibenertor, das Simonquartier und die Webersbleiche-Überbauung. August 1913, Fotonachlass Ernst Kuhn, Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde St. Gallen.

    Auch hier bestechen wieder die Grössenunterschiede zwischen altem und neuem Bahnhof und zwischen alter und neuer Post. Die Risalitbedachung der zweiten Hauptpost - mit Gittern auf allen vier Seiten zur Aufnahme der Telefonleitungen - scheint gegenüber dem neuen Hauptpostturm geradezu klein. Auf dieser Aufnahme ist zudem bemerkenswert, dass beim Abriss des alten Zoll- und Niederlagsgebäudes von 1864/65 (vgl. mit Abb. 122) für den Bau des neuen Bahnhofs ein Eckrisalit vorübergehend noch stehen gelassen wurde.


    Altstadt-St.Leonhard-Strasse-vom-Hauptpostturm-aus-1913-Ernst-Kuhn-x.jpg

    134) Sicht vom Hauptpostturm ostwärts über die Kreuzung St. Leonhardstrasse / Kornhausstrasse in Richtung Altstadt. August 1913, Fotonachlass Ernst Kuhn, Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde St. Gallen.

    In der Umgebung des Bahnhofs entstanden um 1900 zahlreiche Stickereigeschäftsbauten und Banken. Die beiden Gebäude im Mittelgrund links (Stickereigeschäftshaus Labhard, Kornhausstr. 7 und die Toggenburger Bank als eines der drei Gründungshäuser der heutigen UBS, St. Leohhard-Str. 24, vgl. mit Abb. 32) stehen südlich des Simonquartiers mit dem Hotel Walhalla in der einstigen Thalgarten-Liegenschaft (vgl. mit Abb. 118 rechts und Abb. 120), womit im nächsten Beitrag der Bogen zurück zur Baugeschichte der Quartiere zwischen Schibenertor und Bahnhof gespannt werden soll. Die beiden Bauten im Vordergrund (Stickereigeschäftshaus Merkatorium, St. Leonhard-Str. 32 und Eidgenössische Bank, Bahnhofplatz 1a) sind in Abb. 33 zu sehen. Schräg gegenüber, mit abgwinkelter Mittelrisalitfassade, stand bis 1977 die 'Helvetia', ein 1876/77 errichteter Neorenaissance-Palast der Helvetia Versicherungen (die erste Gesellschaft in der Schweiz, die ab 1858 Transport- und Feuerversicherungen anbot). Ihre zur Kreuzung gerichtete Fassade und die dreissig Jahre jüngeren, sie höhenmässig überragendenen Jugendstil-Eckbauten gaben der Kreuzung ein ganz spezielles Gepräge. Vom alten und neuen Bahnhofplatz war die Kreuzung durch das 1977 abgebrochene Rathaus (früher 2. Hauptpost) optisch getrennt, aber trotzdem zu beiden Seiten von ihm verkehrsmässig verbunden (Kornhausstrasse zum alten und Zollhausstrasse zum neuen Bahnhofplatz). Durch seinen Abriss sind heute alle Plätze zu einem Konglomerat verschmolzen, was mit dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs wettgemacht worden ist.

    Über diese Aufnahme könnte man ein Buch schreiben...


    Ak-Bahnhofplatz-neu-1914.jpg

    135) Gegenblickrichtung von Abb. 133 und 134 auf den neuen Bahnhofplatz von der Mittelrisalitbedachung der zweiten eidgenössischen Post (später Rathaus) aus. Links die dritte Hauptpost, im Hintergrund der Verbindungsbau zum neuen Gaiser Bahnhof, rechts der neue Hauptbahnhof. 1914 gelaufene Ansichtskarte, G. Metz, Basel.

    Dies dürfte eine der ersten Ansichtskarten mit dem neuen Bahnhofplatz sein. Sein städtebauliches Vorbild mit der trapezförmigen Ausweitung des Platzes und der Stellung des Turms war die Piazza delle Erbe in Verona. Zum Aufnahmezeitpunkt waren die Strassenbauarbeiten noch nicht abgeschlossen, weshalb der Bodenbelag und die Geleise der Tram- und Trogenerbahn hineinretouchiert sind. Links vorne sieht man noch knapp das Dach des alten Gaiser Bahnhofs hervorschauen, der zur Fertigstellung des neuen Bahnhofplatzes dann abgebrochen wurde.


    Ak-Hauptpost-Gaiserbahnhof-1915.jpg

    136) Gaiser-Bahnhof und dritte Hauptpost, Seite St. Leonhard-Strasse, unmittelbar vor ihrer Fertigstellung 1914. Im Hintergrund der bereits 1913 eröffnete neue Hauptbahnhof. 1915 gelaufene Ansichtskarte, Wehrli AG, Kilchberg/ZH.

    Schliesslich folgt noch ein Bild vom 'Gaiser Bahnhof', wo die Gaiser-Bahn und die Trogener Bahn ihre Endhaltestellen hatten. Die Gaiser-Bahn wurde erst 1931 elektrifiziert, weshalb am Schluss der Geleise wieder eine Drehscheibe zum Drehen und Zurücksetzen der Dampflokomotiven nötig war. Die 1903 eröffnete Trogener Bahn fuhr von Anfang an mit elektrisch betriebenen Fahrzeugen.


    Ak-Bahnhofplatz-vor-1993.jpg

    137) Der Bahnhofplatz nach Abbruch des Rathauses und der Bahnhofplatzneugestaltung von 1977/78. Ansichtskarte vor 1993 in der typischen Ansichtskartengestaltung jener Jahre, Foto Gross, St. Gallen.

    Bereits auch wieder Geschichte ist die Bahnhofplatzneugestaltung von 1977/78, die durch den Abbruch des alten Rathauses (zweite Eidgenössische Post) möglich wurde. Der stetig ausgebaute öffentliche Verkehr benötigte mehr Haltekanten, und auch die Hauptpersonenunterführung zu den Bahngeleisen, die schliesslich in den Milchglaskubus mit der binären Uhr mündet, erfuhr eine Aufwertung.


    Bahnhofplatz-Rathaus-3-Bild-I-Photoglob.jpg

    138) Der Bahnhofplatz nach Abbruch des Rathauses und der Bahnhofplatzneugestaltung von 1977/78. Das 1976 fertiggestellte neue Rathaus noch mit den ursprünglichen Fassaden aus goldstaubbeschichteten Fensterscheiben. Ungelaufene Ansichtskarte, Photoglob AG, Zürich.