Ravensburg - Fachwerkbauten

  • Da ich kürzlich eine Bildergalerie über Sindelfingen mit interessanten alemannischen Fachwerkbauten aus dem 14. und 15. Jahrhundert gesehen hatte, interessiert mich ein Vergleich mit den Ravensburger Fachwerkbauten derselben Epoche. Deshalb stelle ich hier eine handvoll Bauten aus Ravensburg vor. Anbei noch ein Link zu einer Galerie mit weiteren Bildern von Ravensburg: Ravensburg (Galerie)


    Inhaltsverzeichnis:

    Burgstrasse 14, "Obere Mang" von 1396(?) (heute „Räuberhöhle“)

    Charlottenstraße 36, "Vogthaus" von 1474

    Humpisstraße 5, "Neideggsches Haus" von 1470

    Grüner-Turm-Straße 21/23, Doppelwohnhaus von 1379

    Grüner-Turm-Straße 26–30, so genannte „Zehntscheuer“ von 1378

    Roßbachstraße 14, Wohn- und Geschäftshaus


    Allgemeine Fragen zum Fachwerk:

    Verdoppelung der Schwellen in Giebelwänden (und Folgebeiträge)

  • Charlottenstraße 36, "Vogthaus"


    Erbaut 1474 und heute noch weitgehend in der ursprünglichen Form erhalten. Ab 1486 Vogthaus. 1955 bis 2003 städtisches Museum. Seither diverse, sich die Türfalle in die Hand gebende kulturelle Nutzungen.

    Angaben zur Baugeschichte: Vogthaus (Museum) » Objektansicht » Datenbank Bauforschung/ Restaurierung

    Weitere Bilder: https://commons.wikimedia.org/wiki/category:vogthaus_(ravensburg)

    (dort auch ein Bild der wohl stark erneuerten Rückseite).


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    Das Erdgeschoss diente ursprünglich wohl Lagerzwecken, was die geräumige Höhe und die hochliegenden Fenster erklärt. Im Obergeschoss war die Wohnung, was man von aussen an zwei Bohlenstuben erkennen kann. Die Pfosten des Erdgeschosses standen ursprünglich auf einem nur noch teilweise vorhandenen Schwellenkranz. Das moderne Eingangstor (nach 2003) entstand anstelle einer rekonstruierten Fachwerkwand aus den 1950er Jahren. Möglicherweise befand sich dort ursprünglich schon ein Tor. Angaben zur detaillierten Baugeschichte sind im Netz leider nur spärlich zu finden. Im Gegensatz zu vielen Sindelfinger Häusern ist hier die ursprüngliche Fensteranordnung nicht rekonstruiert worden.


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    Am Obergeschoss fallen drei Begebenheiten am Fachwerk auf:

    1. Die Auskragungen werden nicht von einem Stickgebälk, sondern nur von den Hauptunterzügen getragen. An den Seitenwänden jedoch wie üblich durch die Deckenbalken.

    2. Über der Deckenbalkenlage ist kein Dielenboden sichtbar, wie dies beim frühen alemannischen Fachwerkbau üblich war. Im Bodenseeraum sieht man bis an die Fassadenebene reichende Dielen nur selten.

    3. Weiter fallen auch die dünnen Bälkchen im linken und mittleren Wandfeld auf, und links darüber ein sehr breiter Sturz. Die Fensteröffnungen wurden im Verlauf der Zeit immer wieder verändert, hier wohl im 17./18. Jahrhundert. Ich vermute, dass hinter den dünnen Bälkchen dicke Bohlen vorhanden sind, mindestens beim linken Eckraum. Links war ursprünglich wohl ein 5er- oder 6er-Reihenfenster vorhanden, und in der Mitte und rechts nur ein kleines Fenster in der Breite der je zwei Pföstchen darüber.

    4. Kopfbänder sind nicht überall angebracht; auch eine Eigenheit im Bodenseeraum.


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    An der Giebelwand ist die Spitze gekappt und ein Halbwalm mit Rauchloch vorhanden. Dies nimmt dem Gebäude die himmelstrebende Wirkung und lässt es eher gedrungen erscheinen. Im Bodenseeraum bis nach Nürnberg waren Halbwalme im 15. Jahrhundert häufig zu sehen und verschwanden im Lauf des 16. Jahrhunderts.

    Die Stuhlpfosten sind mit Fuss- und Kopfbändern verstrebt und nicht mit geschosshohen Steigbändern. Das Fachwerk zwischen den beiden Stuhlpfosten des 1. Dachgeschosses stammt aus dem 18./19. Jahrhundert (man erkennt dies an dem nach Höhe strebenden Fensterformat und an den einzelen Brüstungsstreben. Beim Sichtfachwerk werden aus optischen Gründen normalerweise zwei Brüstungsstreben eingesetzt; beim konstruktiven Fachwerk genügte eine). Der Mittelpfosten zuoberst besitzt ebenfalls zwei Fussbänder, wohl aber mehr zur Zierde.

    Die Auskragungen werden wiederum nicht durch Stickbalken gebildet, sondern nur durch Unterzüge und Dachpfetten. Dies hat eine starke Durchbiegung der Schwellen zur Folge, ein Schwachpunkt des hiesigen alemannischen Fachwerkbaus.


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    Detail der Eckauskragung über dem Erdgeschoss rechts. Als Mauerabdeckung sieht man übrigens echte Klosterziegel: konkav geformte Nonnen, und darüber konvex geformte Mönche. Das ganze Dach ist übrigens so gedeckt. Im Bodenseeraum war dies die übliche Eindeckungsart im 15. und 16. Jahrhundert.


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    Gut zu erkennen ist der "Systembau" des Fachwerks: Das Grundgerüst der Fassade wird auch an beiden innern Längswänden und an der Rückfassade verwendet. Das sind vier "Binder" oder "Gebinde". Schön zu erkennen ist hier auch, dass die oberen Abschlussbalken der Binder (also Deckenbalken) scharfkantiger sind als die Deckenbalken dazwischen. Letztere mussten ja keine weiteren Holzverbindungen aufnehmen, und somit konnten hier kostengünstigere Balken (kleinerer Durchmesser, dafür stärkere Waldkante) ausgesucht werden als bei den Bindern, wo eine angemessene Fläche für die Auflager und Holzverbindungen nötig war.


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    Detail der Eckauskragung über dem Erdgeschoss links. Der wesentliche Unterschied zu jener rechts ist die Ausfachung der Deckenbalkenzwischenräume. Bei der Bohlenstube vorne und beim hinteren Eckraum ist in den Balken ein Einschubboden (oder Schrägboden) vorhanden. Darauf kam dann ein Lehm/Strohgemisch als Isolation gegen den unbeheizten Erdgeschossraum und darüber dann die Bodendielen. Auf dem Bild kann man sehen, dass also auch der hintere Eckraum beheizt war, der mittlere hingegen nicht. Hier befand sich wohl die Küche oder ein Flur.

  • Humpisstraße 5, "Neideggsches Haus"


    Erbaut 1470 und heute noch weitgehend in der ursprünglichen Form erhalten. Teil des Humpisquartiers, in welchem von der Museumsgesellschaft Ravensburg museumspädagogische Angebote wie einer Schreibwerkstatt, Papierschöpfen und einer Druckerei betrieben werden. Dem Aspekt der historischen Bauforschung ist ebenfalls ein Teil der Ausstellung gewidmet, respektive das Haus ist selbst ein Teil davon. Einen Besuch des ganzen Museumsgevierts kann ich nur empfehlen!
    Startseite >> Humpishaus - Museumsgesellschaft Ravensburg e.V.

    Angaben zur Baugeschichte: Humpishaus » Objektansicht » Datenbank Bauforschung/ Restaurierung

    Weitere Bilder: https://commons.wikimedia.org/wiki/category:neideggsches_haus_(ravensburg)


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    Das Gebäude mit Baujahr 1470 ist somit fast gleich alt wie das vorher gezeigte Vogthaus von 1474. Abgesehen davon, dass das Fachwerkgefüge zwei Vollgeschosse über einem gemauerten Erdgeschoss aufweist, gibt es im Vergleich mit dem Vogthaus auch Unterschiede im Fachwerk selbst:

    1. Augenfällig sind die "balkenlosen" Brüstungen, egal ob sich eine mutmassliche Bohlenstube dahinter verbirgt oder eine unbeheizte Kammer. Die Brüstungen ohne Bohlen sind entweder mit lehmverschmiertem Rutenflechtwerk oder mit Backsteinen ausgefacht.

    2. Die Eckauskragung über dem Erdgeschoss wird auf einer Seite durch Stichbalken bewerkstelligt. Über dem 1. Obergeschoss erfolgt die Eckauskragung wie beim Vogthaus auf einer Seite mit den Deckenbalken und auf der andern Seite nur mit den Unterzügen.

    Die Fensterteilung ist relativ stark verändert worden, aber nicht in dem Masse wie bei einer regulären barocken oder klassizistischen Fensteranordnung. Die beheizten Bohlenstuben sind nicht offensichtlich erkennbar; nur am 2. Obergeschoss hat sich ein Fenstererker erhalten, was auf eine solche Stube hinweist. Meistens befanden sich die Stuben aber im 1. Obergeschoss. Die Erdgeschossdecke ist nur in der vorderen Hälfte mit einem Einschubboden versehen, sodass dort im 1. Obergeschoss ein beheizter Raum postuliert werden kann. Die Decke des 1. Obergeschosses ist nur im vorderen Drittel mit einem Einschubboden versehen, erstreckt sich aber über die Stube im 1. Obergeschoss und einen Teil des anstossenden Raumes hinaus. Natürlich könnte sich im 1. Obergeschoss eine Schreibstube o.ä. befunden haben, und im 2. Obergeschoss die Wohnstube.

    Im Museum wird ein Modell des rekonstruierten Fachwerkgefüges gezeigt. Demnach befand sich im 1. Obergeschoss ursprünglich wohl keine Stube mit Bohlenausfachungen und Fenstererker, dafür aber mit zwei Stab-Trennwänden (vertikal gestellte Bohlen) gegen die benachbarten Räume. Im 2. Obergeschoss befindet sich wie erwartet eine Bohlenstube. Im Netz finden sich keine Seiten mit der detaillierten Baugeschichte des Hauses, weshalb ich mich nur auf das erwähnte Modell berufe.

    Nichts Weltbewegendes, aber für die regionale Fachwerkforschung dennoch interessant, ist das Giebeltrapez. Wie beim Vogthaus gibt es keine geschosshohen Steigbänder und am mittleren Pfosten zwei Fussbänder.

  • Es gibt in Ravensburg noch eine Reihe von Fachwerkbauten, die hundert Jahre älter als die beiden bereits vorgestellten Bauten sind. Vermutlich ist deren Anzahl aber noch grösser, weil viele Bauten noch nicht als solche erkannt worden sind. In den 1990er Jahren wurden von der Bauforschung viele Gebäude der Altstadt nach spätmittelalterlichen Strukturen und Dachstühlen untersucht und dendrodatiert. Verantwortlicher Projektleiter war der Bauforscher Burghard Lohrum, mit dem ich vor einigen Jahren eine Führung zum selben Thema in Villingen-Schwenningen machen durfte und so in einige Dachstühle des 14. Jahrhunderts hineinkam.

    Siehe auch: Objektsuche » Datenbank Bauforschung/ Restaurierung, und dann im Suchfeld "Ravensburg" eingeben.


    Grüner-Turm-Straße 26–30, sogenannte „Zehntscheuer“

    (durch ein Versehen in den 1980er Jahren so benannt)


    1378 von Kaufleuten erbaut, wohl bis 1530 als Lagerhaus der Ravensburger Handelsgesellschaft genutzt, seit dem 18. Jahrhundert Lagerhaus Ravensburger Wirte. Heute Kleinkunstbühne „Zehntscheuer“.

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    Ravensburg Zehntscheuer [CC BY-SA 4.0 (creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0 0b;)], by Gerhard Giebener (Own work), from Wikimedia Commons

    Das einstige Lagerhaus besteht aus einer heute ein-bis zweigeschossigen Wandständerkonstruktion auf einem Schwellenkranz. Ausgesteift wird sie durch lange Kopfbänder, an den Ecken durch doppelte Kopfbänder. Das riesige Dach ist gegen Osten mit einem Halbwalm mit Rauchloch und stark ausgkragendem Giebeltrapez versehen. Gegen Westen besteht heute ein voller Giebel.

    Weitere Bilder: commons.wikimedia.org/wiki/Category:Zehntscheuer_Ravensburg


    Eigene Bilder vom April 2017:

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    Die Schwellen des Dachstuhls liegen auf einem Dielenboden, dessen Stirne bis an die Fassadenflucht reichen. Dies ist ein Merkmal des ganz frühen alemannischen Fachwerkbaus, und ist bei den hundert Jahre jüngeren Vogthaus und Neideggschen Haus so bereits nicht mehr vorhanden. Der Dachstuhl ist mit kurzen Fuss- und Kopfbändern ausgesteift. Steigbändern finden sich auch hier nicht.

    Der heutige Verputz scheint mir ein bisschen grob. Seine (naturbelassene?) Farbe und diejenige der Holzbalken erinnern mich an die rekonstruierten Pfahlbauten in Unteruhldingen am Bodensee.


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    Freilich ist das Fachwerk im Lauf der Jahrhunderte immer wieder verändert und repariert worden, wobei auch wiederverwendete Balken zum Zuge kamen. Im Giebeltrapez befindet sich eine zugemauerte Aufzugsöffnung.


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  • Grüner-Turm-Straße 21/23



    Mit Baudatum 1379, nur ein Jahr jünger als die Zehntscheuer, befindet sich an derselben Strasse ein Doppelwohnhaus. Die Teilung bestand vermutlich nicht von Anfang an. Auch wenn heute aussen keine historische Bausubstanz freiliegt, ist die Ähnlichkeit mit der Zehntscheuer frappant!

    Angaben zur Baugeschichte: bauforschung-bw.de/objekt/id/1…haus-in-88212-ravensburg/


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    Ravensburg, Grüner-Turm-Straße 21 [CC BY-SA 4.0 (creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], by Andreas Praefcke (Own work), from Wikimedia Commons


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    Ravensburg Grüner-Turm-Straße21 [CC BY-SA 4.0 (creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], by Andreas Praefcke (Own work), from Wikimedia Commons

  • Burgstrasse 14, "Obere Mang" (heute „Räuberhöhle“)


    Erbaut 1396 (mit Vorbehalt)

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    Ravensburg, Obere Mang [CC BY-SA 4.0 (creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0 0b;)], by Andreas Praefcke (Own work), from Wikimedia Commons

    bauforschung-bw.de/objekt/id/1…haus-in-88212-ravensburg/

    Seit einigen Jahren gibt es Pläne, das vernachlässigte Gebäude zu einem Hotel mit Tiefgarage umzubauen. Wiederstand dagegen kam vor allem aus kulturellen Kreisen, die ihre seit Jahrzehnten dort etablierte Kultkneipe nicht einfach so hergeben wollten. Anfangs dieses Jahres wurde informiert, dass die derzeitige Eigentümerin auf die Umbaupläne verzichtet und stattdessen eine Renovation anstrebt. Sie erwirbt im Gegenzug die Musikschule, wo sie anstelle derer ein anderes Hotelprojekt realisieren kann (über den beabsichtigten Abriss der Musikschule siehe hier. Dafür, dass das äusserst wertvolle Gebäude "Obere Mang" nun nicht durch einen tiefgreifenden Umbau wesentlich beeinträchtigt wird, muss nun halt das Musikschulgebäude weichen. Ein Kompromiss, dem ich gern zustimme).


    burgstr.14_schwaebische.jpg

    Das Bild entstammt folgenden beiden Zeitungsartikeln:

    schwaebische.de/region_artikel…id,10615719_toid,535.html

    schwaebische.de/region_artikel…id,10704032_toid,535.html

  • Wenn man bedenkt, wie zentral Grüner-Turm-Straße 21, 23 und 26 - 30 im Stadtgefüge liegen, ist es schon bemerkenswert, dass diese hochwertvollen Häuser bis heute überlebt haben.

    Auch das mir nicht bekannte Haus Burgstraße 14 ist natürlich großartig! Leider geht durch die Burgstraße ein starker Verkehr...

  • Zitat von Gast

    Auffällig finde ich bei der Zehntscheuer die Wandschwelle im Dachgeschoss, die nicht über die gesamte Giebelbreite reicht. Ist das eine Ravensburger, bzw. regionale Eigenheit?

    Dieses Detail müsste ich an andern Orten systematisch aufnehmen. Es ist ja nicht nur bei der "Zehntscheuer" so, sondern auch bei den ersten beiden gezeigten Gebäuden "Vogthaus" und "Neideggsches Haus". Bei der "Räuberhöhle" an der Burgstrasse fehlt diese Schwelle.

    Die Schwelle wird ja nur im Bereich der Stuhlkonstruktion benötigt, also als Schwelle für die Stuhlpfosten. Diese Schwelle ist nur ein Teil des ganzen Schwellenrahmens, der durch das ganze Haus hindurch bis zur andern Giebelwand reicht. Würde die Schwelle bis zu den Sparren reichen, müsste diese vor den Sparren aufhören, oder die Sparren müssten in diese eingezapft sein anstelle in den Deckenbalken (der ja zugleich Rähm des Vollgeschosses ist). Letzteres wäre aber nicht mehr systematisch, da die dahinterliegenden Sparren alle in die Deckenbalken eingezapft sind. Tönt jetzt ein bisschen kompliziert, aber man müsste dies aufzeichnen.

    Wenn Du dich damit auch vertiefen willst, habe ich darüber schon bei Weissgerbergasse 10 (1390) und Bergstr. 10 (1407) in Nürnberg am Rande geschrieben (siehe auch die sechs Beitrge davor). Bei ersterer gibt es gar keine separate Schwelle für die Giebelwand (dafür aber Dachstuhl-Schwellen im Hausinnern, deren Stirnen man an der Fassade sieht), und bei letzterer eine Schwelle bis an die Sparrenfüsse hinaus (und keine Dachstuhl-Schwellen im Hausinnern). Die Lösung bei der "Zehntscheuer" mit einem geschlossenen Schwellenkranz für den Dachstuhl ist von daher am konsequentesten. Die Weiterführung der Schwelle der Giebelwand bis an die Sparren hinaus ist nicht erforderlich und hätte einen viel längeren Balken benötigt, wäre daher ein bisschen unökonomischer gewesen.

    Beim Kloster St. Georgen in Stein am Rhein (CH) (beim Ausfluss des Bodensees/Untersees in den Rhein) sieht man beide Varianten an den Bauteilen aus dem 15. Jahrhundert. In St. Gallen, das schon immer eine sehr sparsame Stadt war, habe ich bisher noch nie diese Schwellenaufdoppelung beobachten können (siehe Vergleichsbeispiele, unabhängig davon, ob Halbwalmdach oder Satteldach mit vollausgebildeten Giebelwänden).

    Wenn man bedenkt, wie zentral Grüner-Turm-Straße 21, 23 und 26 - 30 im Stadtgefüge liegen, ist es schon bemerkenswert, dass diese hochwertvollen Häuser bis heute überlebt haben.

    Und diese Häuser liegen in der historischen Stadterweiterung zwischen Kernaltstadt und Bahnhhof. Die meisten Gebäude dieses Viertels sind heute noch nur dreigeschossig! In vielen andern Städten vergleichbarer Grösse bestünden an solchen Lagen meist viel höhere Gründerzeithäuser. Der schachbrettartige, historische Strassenverlauf wäre prädestiniert dazu gewesen!

    Burgstraße 14

    Dieses Haus ist mir bei meinen drei Ravensburg-Besuchen nie aufgefallen... unverständlich! Dabei steht es ganz nahe beim "Mehlsack" (=Turm).

  • Zitat von Gast

    In der Regel wird die Geschossüberkagung mit einem Stichgebälk hergestellt,

    Ich nehme an, dass sich die Aussage nur auf Auskragungen in Giebelwänden bezieht, und nicht auf Vollgeschosse.

  • Zitat von Gast

    Auch bei den Vollgeschossen überwiegen natürlich die Stichgebälke, interessandterweise ist dies ja beim Erdgeschossgebälk des Neidegghauses ja der Fall, wo diese Konstruktionsart in Ravensburg ja eher unterrepräsentiert ist. Meine Aussage bezog ich aber auf die Situation im Dachgeschoss. Ich fand auf die Schnelle die oben genannten Objekte (Minderzahl) bei denen die Vorkragung über die Wandrähme mit aufliegendem Deckenbalken erfolgt und eine zusätzliche Schwelle besitzen. Bei einigen weiteren Objekten war keine zusätzliche Schwelle erkennbar. Ähnliches gilt für Giebelwände ohne Geschossüberkragung.

    Für die Ravensburger Variante mit der verkürzten Schwelle habe ich kein Equivalent gefunden.

    Ich könnte mir gut vorstellen dass die von Riegel erwähnten Schwellen im Inneren der Gebäude, bei diesen Gebäuden fehlen und die Pfosten direkt auf dem Deckenbalken sitzen.

  • Ich merke mir jetzt mal diese "verkürzten Schwellen" in den Giebelwänden, die ich bisher auch nur von diesen drei Beispielen in Ravensburg und vom Kloster St. Georgen in Stein am Rhein (CH) kenne.

    Zwar ein bisschen off-topic in diesem Strang, aber dieser "Kräuterkasten" in Albstadt-Ebingen, Im Hof 19, ist ja faszinierend! Offenbar war das vor der Restaurierung ein Abbruchobjekt. Hier gibt's Fotos dazu:

    Albstadt-Ebingen Kräuterkasten

    Er hat nämlich etwas gemeinsam mit dem nächsten Gebäude in Ravensburg, das ich gleich vorstellen wollte. Es ist ein Kornspeicher aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts, dessen Fassaden im 18./19. Jahrhundert stark umgebaut wurden. Die linke, westliche Seitenwand ist im Urzustand geblieben. Dort gibt es geschosshohe Streben, die an die Schwellen und Rähme angeblattet sind. Dies ist eine Seltenheit beim alemannischen Fachwerkbau, und eher im fränkischen Fachwerk des 15. Jahrhunderts in Form von Schwertern bekannt. An der Giebelwand und östlichen Seitenwand existierten solche gemäss Blattsassen ebenfalls.

  • Roßbachstraße 14


    Erbaut möglicherweise um 1483 (nur vier Balken im Dachstuhl datiert)

    Angaben zur Baugeschichte: bauforschung-bw.de/objekt/id/1…haus-in-88212-ravensburg/

    In der Liste der Kulturdenkmäler bei Wikipedia nicht enthalten!


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    Die Fassaden sind sehr eigentümlich restauriert. Das Fachwerk besteht nur aus den Rahmen, gebildet aus Schwellen, Pfosten und Rähme sowie einigen Verstrebungen. Sämtliche zugehörigen Binnenteilungen fehlen. Die Fensteröffnungen modernen Zuschnitts sitzen wie eingeschnitten in den Wandfeldern, die ihrerseits mit dünnen, hellgrau gestrichenen Bälkchen unterteilt sind. Die wandhohen Streben sehen ohne die üblichen Riegelketten verloren aus. Anhand der exakt gleich hoch ausgerichteten Fenster, welche die Senkungen des Fachwerks nicht mitmachen, vermute ich, dass das Hausinnere völlig ausgekernt worden ist. Auch das Dach ist auffallend gerade.

    Der Eckraum im 1. Obergeschoss zeigt kurze Fuss- und Kopfbänder und könnte demnach ursprünglich eine Bohlenstube gewesen sein. Die restlichen Wandfelder, auch am 2. Obergeschoss, zeigen nur schlanke, geschosshohe Streben, die ich beim ersten Anblick als Streben des 18./19. Jahrhunderts betrachtete. Meine Begleitperson, die eigentlich nicht vom Fach ist, wies mich aber darauf hin, dass sämtliche Streben oben angeblattet und unten eingezapft sind. Dies weist auf eine Übergangszeit von der Blatt- zur Zapfenverbindung hin. Das Jahr 1483 scheint mir dazu aber eher noch früh, ist aber möglich. Streben mit unterschiedlichen Verbindungen oben und unten sind überall sehr selten.

    Die geschosshohen Streben beim Kräuterkasten in Albstadt-Ebingen (siehe vorangehenden Beitrag) aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts sind oben und unten angeblattet.

    An der Giebelwand kragt das 2. Obergeschoss aus. Die äussersten Deckenbalken bilden an beiden Traufseiten zugleich Rähm des 1. Obergeschosses und Schwelle des 2. Obergeschosses. Dies ist eine sehr sparsame Konstruktion, wie sie vor allem den Fachwerken des 18. und 19. Jahrhunderts eigen ist. Bis ins frühe 18. Jahrhundert wurde in der Regel auf eine Balkenlage ein umlaufender Schwellenkranz gelegt, sodass längs zur Balkenlage zwei Balken aufeinenader zu liegen kamen.

    Der strassenseitige Rähm des 2. Obergeschosses ist wie das ganze Dach auffallend gerade. Beide könnten beim letzten Umbau erneuert worden sein.


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    Insgesamt ist es eine eigentümliche Sanierung. Möglicherweise wurden nur die ältesten Bauteile unter Schutz gestellt, wodurch alle späteren Zeitschichten abgebrochen werden konnten. Das Resultat fällt unter "analytische Freilegung".

  • Zitat von Gast 2

    Diese geschosshohen Streben erscheinen in der Tat merkwürdig, vor allem in Ravensburg, das ja nun nicht in einer Übergangszone zu anderen Fachwerkstilen liegt. Andererseits sind mir genau diese Streben auch schon in einer anderen Region aufgefallen, nämlich einer großen Übergangszone zw. südhessischem und alemannischem Fachwerk, die sich zwischen dem unteren Neckartal und dem mittleren Elsass erstreckt - Beispiele gibt es u. A. in Neckargemünd und in Hunawihr, allerdings beide ohne Anblattungen.

  • Das Haus in Neckargemünd ist interessant! Die überkreuzten Streben im Vordergrund erinnern an jene im Raum Frankfurt a. M., wie man sie beispielsweise an mehreren Bauten in Limburg an der Lahn sieht. Die eine Strebe ist eine wandhohe Strebe wie die drei andern weiter hinten, kombiniert mit einer Kopfstrebe. Sie sind in die Schwellen und Rähme eingezapft, wie du es ja auch geschrieben hast. Die Kopfstrebe ist aber in den Eckpfosten eingezapft, und nicht in die Schwelle. Während in Limburg und allgemein in Hessen die Strebenpaare von den Pfosten aus gehen, zeigt das Haus in Neckargemünd eine Kombination.

    Interessant sind an den ersten beiden Dachgeschossen auch die Steigbänder, ein typisch alemannisches Fachwerkelement. Auch sie zeigen eine Mischform, indem sie oben angeblattet und unten eingezapft sind, also wie die Streben bei Rossbachstr. 14! So eine Mischform kann aber ab und zu mal beobachtet werden. In Nürnberg ist mir dies auch bei Ludwigstr. 74 aufgefallen.

    Weiter ist noch interessant, dass die Sparren auf den unteren Mittelpfetten nicht aufliegen, auf den oberen mittels des Hahnenbalkens aber schon. Vermutlich bestanden dort ursprünglich Sparrenschuhe wie an der Traufe.

    Sodann habe ich noch einen kleinen Google-Ausflug nach Hunawihr gemacht. Meintest du wohl dieses Haus an der Grand’Rue 24?
    google.ch/maps/@48.1796435,7.3…KBjVUg!2e0!7i13312!8i6656

    Die überkreuzten Streben, von den Pfosten ausgehend und an beiden Enden eingezapft, erinnern wiederum an jene aus dem 15./16. Jahrhundert im hessisch-fränkischen Gebiet. Ebenso die an die Brüstungspföstchen anliegenden Brüstungsstreben, in letzterem aber eher im 17. Jahrhundert und meist verziert vorkommend. Das Giebeltrapez erinnert wegen den Steigbändern eher an alemannisches Fachwerk, der Fenstererker hingegen ist rein fränkisch.

  • Ja, diese Streben würde ich auch noch als geschosshoch bezeichnen, auch wenn sie wie bei den andern Beispielen die Eck- und Bundpfosten berühren. Jedenfalls auch dem 15. oder 16. Jahrhundert zuordenbar.