Litauen - Kaunas & das Memelland (LT) (Galerie)

  • Vielen Dank für die Korrektur, lieber Däne. Da Heydekrug eine deutsche Gründung war, gehe ich davon aus, dass dies der ursprüngliche Name war. Aus der bereits im 18. Jh. üblichen prussisch-litauischen Schreibweise Szillokarszmo (Silas = Heide; karcemo = Krug, Dorfgaststätte) wurde dann vermutlich nach der Abtrennung kurz Silute.

    Naja, wie dem auch sei. Das Gebäude mit dem größten Wiedererkennungswert ist sicherlich die evangelisch-lutherische Kirche. Mit ihrem Bau wurde 1913 im Deutschen Reich begonnen (geplant als Kaiser-Wilhelm-Jubiläumskirche) und konnte kriegsbedingt erst 1926 in der litauischen Republik fertiggestellt werden. Der 50 Meter hohe Turm der neogotischen Kirche ist weithin sichtbar. Im Gegensatz zu den bisher gezeigten Kirchen und Amtsgebäuden ist die Fassade weiß verputzt.

    Blick vom Vorplatz der gegenüberliegenden Feuerwache.


    Wir nähern uns langsam an...


    "Eine feste Burg ist unser Gott!" (Kirchenlied Luthers)


    "Das Wort sie sollen lassen stahn", eine Zeile aus o. g. Kirchenlied



    Sogar mit deutschsprachigem Aushang, vom Besichtigungsangebot konnten wir leider keinen Gebrauch machen...



    Im angrenzenden Park das Denkmal für Hermann Sudermann, der 1857 im benachbarten Matzicken geboren wurde. Das Denkmal selbst wurde in den 1990er Jahren nach Vorbild des alten, nach 1945 verschollenen Denkmals wiedererrichtet. Auffällig ist, dass als Inschrift der deutsche Name und nicht die litauische Übersetzung Hermanas Zudermanas verwendet wurde (welche allerdings als Tafel auf dem Boden liegt.


    Noch ein letzter Blick auf die wahrlich schöne Kirche...

  • Ein paar letzte Impressionen aus Heydekrug...

    An der Fassade der ehemaligen Bücherei findet sich noch der alte Ortsname, was in Ostpreußen generell sehr selten ist.



    Ein sanierter Gründerzeitler


    Die Prinz-Joachim-Straße, Blick zurück in Richtung Kirche


    Das Gutshaus Adlig Heydekrug von 1818 wurde in den letzten Jahren vorbildlich renoviert. Im Innern befindet sich die Tourist-Info mit einer hilfsbereiten, deutschsprachigen Fremdenführerin. Davor das Denkmal für den Mäzen und Großgrundbesitzer Hugo Scheu, welches 1999 vom ansässigen Rotary-Club gestiftet wurde. Scheu gilt als Symbolfigur für die gute Beziehung zwischen Deutschland und Litauen.




    Die Gartenseite


    Ein paar Nebengebäude, die vermutlich kirchlich genutzt wurden/werden



    Im Gegensatz dazu herrscht am Fischmarkt ganz in der Nähe noch Sanierungsbedarf...


    Nur noch 47 Kilometer bis Memel...

  • Der Ort Ruß (Rusne) ist vor allem bekannt, da sich dort die Memel in ein Delta verzweigt, bevor sie ca. 15 Kilometer später ins Kurische Haff mündet. Auch aufgrund der verkehrsgünstigen Lage war die Gemeinde bereits um 1500 Verwaltungssitz für die Orte der näheren Umgebung. Noch Mitte des 19. Jh. war Ruß an der Memel mit rund 2.500 Einwohnern der größte Ort im Kreis Heydekrug, aufgrund des Eisenbahnbaus verlor Ruß jedoch an Attraktivität. Die wohl schon 1419 errichtete und damit älteste Kirche des Memellandes brannte Ende des 18. Jh. aus und wurde bis 1809 wiederaufgebaut. Sie kam vergleichsweise gut durch den Zweiten Weltkrieg, was man auch daran sehen kann, dass sie bis zur Schließung durch die Sowjets auch weiterhin für Gottesdienste genutzt werden konnte. Danach verfiel sie jedoch, wurde aber schon 1994 wiedereröffnet. In der Ortslage haben sich noch ein paar Holzhäuser erhalten, das alte Rathaus wurde in der Sowjetzeit übel umgestaltet und das Pfarrhaus sowie die Schule stehen auch noch. Das, was ich davon gesehen habe, war aber leider nicht so berauschend, dazu gesellte sich die ein oder ander Platte, sodass ich vom eigentlichen Ortskern keine Bilder habe und mich von der Kirche direkt zum Fluss begeben habe.




    Die Memel teilt sich in ihre Mündungsarme, links Atmath, rechts Skirwieth.



    Der litauische Grenzstein, im Hintergrund der Nachfolger der 1944 gesprengten Petersbrücke über die Atmath.


    Die Skierwieth und der kleine Hafen von Ruß.


    Zum Abschluss noch ein Panorama der Verzweigung. Rechts, auf der anderen Flussseite gelegen, befindet sich der nördlichste Zipfel vom Oblast Kaliningrad. Früher befand sich dort das Gut Brionischken, welches verwaltungstechnisch schon zum Kreis (Elch-)Niederung gehörte. Heute kann man höchstens noch einen Beobachtungsturm der Grenztruppen erkennen.

  • Der Ursprung von Windenburg (Vente) reicht bis ins Jahr 1360 zurück, als der Deutsche Orden dort eine Burg errichtete. Diese musste bereits 50 Jahre später aufgegeben werden, da die starken Wellen des Haffs die Mauern unterspülten. Noch bis ins 19. Jh. war das sogenannte Windenburger Eck ein gefürchtetes Nadelöhr für Seefahrer, da die Halbinsel mit einer steinbewehrten Sandbank weit ins Kurische Haff hineinragte. Bis 1873 wurde es jedoch insoweit entschärft, alsdass der 24 km lange "König-Wilhelm-Kanal" als direkte Verbindung von der Atmath ins Haff genutzt werden konnte. Dieser Kanal wurde zu Sowjetzeiten zugeschüttet.
    Der 1863 erbaute Leuchtturm am Windenburger Eck steht heute inmitten eines besonders geschützten Naturreservats.


    Der Leuchtturm ist öffentlich begehbar, wovon ich natürlich Gebrauch gemacht habe.
    Blick in Richtung Memelmündung


    Am Horizont sind bereits die Dünen auf der Kurischen Nehrung erkennbar.


    An der Straße zwischen Windenburg und Kinten (Kintai) befindet sich ein alter deutscher Friedhof, dessen Gräber teilweise erhalten sind. Wie in Litauen üblich, heißen diese Zeugnisse der Geschichte nicht "deutscher" sondern "ethnografischer Friedhof"..

    "Ruhe sanft nach großer Mühe"


    "Hier ruhet in Gott mein lieber Sohn und Bruder Wilhelm..."


    Letzter kurzer Zwischenstopp auf dem Weg nach Memel-Stadt war Prökuls (Priekule), wo noch diese alten Reklamen erhalten blieben.
    "Hotel ... (unleserlich) Hof"

  • Kaum in Klaipeda angekommen, setzten wir über auf die Nehrung, gefühlt das Highlight unserer Reise. Diese erstreckt sich auf (litauischer Seite) über fast 50 Kilometer, bei einer Breite von teilweise weniger als einem Kilometer. Es ist eine Maut/Umweltgebühr zu entrichten und parken ist nur auf offiziellen Parkplätzen erlaubt, da die gesamte Nehrung unter strengem (Unesco-) Naturschutz steht. Wir sind zunächst die alte Poststraße von Memel nach Königsberg bis zur russischen Grenze durchgefahren und erkundeten die Nehrung somit beginnend mit Nidden.

    Die Geschichte von Nidden (Nida) ist sehr wechselhaft. Kurz gesagt: 1385 erstmals urkundlich erwähnt, wurde nahezu die gesamte Bevölkerung bis zum 18. Jh. durch zwei Pestepedemien dahingerafft, des Weiteren versandete das Dorf dreimal und musste jedes Mal weiter nördlich wiedererrichtet werden. Wie die Dörfer des Memellandes gehörte auch Nidden ab 1923 zu Litauen, kurzzeitig wieder zum Deutschen Reich, bevor es zu Sowjetzeiten total verwüstet und militärisches Sperrgebiet wurde. Ab 1991 wurde Nidden wiederaufgebaut und erfreut sich seitdem wieder hoher Beliebtheit bei Touristen. Das Ortszentrum prägen heute wieder gepflegte Holzhäuser in kurisch-blau, die meisten von ihnen sind noch relativ neu.

    Wir beginnen mit unserem kleinen Rundgang am Hafen..


    Die 60 Meter hohe Große Düne überragt natürlich alles.


    Rot, weiß und kurisch-blau ist hier das gewöhnliche Erscheinungsbild.


    Die neogotische evangelische Kirche von 1888. Bei besseren Lichtverhältnissen.


    Der angeschlossene Friedhof macht einen sehr gepflegten Eindruck. Hier findet man auch noch einige hölzerne Grabtafeln, welche vermutlich rekonstruiert wurden.


    "Ich bin die Auferstehung und das Leben"


    "Als wir mit des Haffes Wellen kämpften, wo Menschenhilf vergeblich war, wo nichts mehr war als der Tod, riefen wir den Herrn in unserer Not, Herr, rett' unsere Seele, nimm uns zu dir!"


    Das Thomas-Mann-Haus wurde 1930 auf dem sogenannten Schwiegermutterberg aus den Mitteln des Nobelpreises erbaut. Es diente zwei Jahre lang als sommerliches Domizil der Familie Mann, bis diese nach Amerika emigrierte. Zwischenzeitlich sollte sie als Kriegsruine abgerissen werden, nach dem Einsatz von litauischen Intellektuellen wurde es jedoch in eine Bibliothek umgewandelt. Heute dient es als Museum, war bei unserem Besuch jedoch leider geschlossen.


    Einmal kurz reingelunst..


    Nicht nur Thomas Mann war begeistert von diesem Ausblick aufs Kurische Haff...


    Die Villa nebenan


    Der Leuchtturm von 1874 wurde nach dem Zweiten Weltkrieg verändert wieder aufgebaut (=aufgestockt).

  • Angesichts der einmaligen Natur um Nidden herum möchte ich auch davon noch ein paar Eindrücke zeigen.

    Bereits vor mehr als einem Jahrhundert wurde die Große Düne teilweise bepflanzt, um ein weiteres Wandern in Richtung Ort zu verhindern. Heute kann sie bestiegen werden.


    Von oben genießt man eine schöne Aussicht auf den Ort...


    ... sowie auf die Dünenlandschaft selbst.


    Auf dem höchsten Punkt befindet sich eine Sonnenuhr, welche -soweit ich mich recht erinnere- in den letzten Jahren durch einen Sturm schwer beschädigt wurde.


    Auch von dort genießt man eine grandiose Aussicht, das Kurische Haff links, die Ostsee rechts. In der Mitte befindet sich irgendwo schon die Grenze zu Russland.


    Unten angekommen, auf dem Weg zum Haffufer...


    Hinter der Absperrung liegt schon russisches Territorium.



    Und wieder zurück in Nidden..

  • Die Nehrung ist an sich sehr dünn besiedelt, auf den insgesamt 50 Kilometern leben kaum mehr als 2000 Menschen, davon 1200 in Nidden. So gibt es nördlich von Nidden mit Preil, Perwelk und Schwarzort nur drei Siedlungen, die erwähnenswert sind.


    Preil (Preila) entstand erst um 1850, als sich Fischerfamilien aus benachbarten versandeten Dörfern dort niederließen. Der Ort liegt am Ende einer Stichstraße, die von der alten Poststraße Memel-Königsberg abzweigt. Heute leben die Einwohner hauptsächlich vom Fremdenverkehr und der Fischerei. In Preil leben 205 ständige Einwohner, darunter lt. Wikipedia auch einige deutsche Familien.

    Der alte Friedhof von Preil:
    "Hier ruhen wir und sind im Frieden
    Und leben ewig sorgenlos.
    Ach lasset dieses Wort, ihr Lieben,
    Legt euch dem Heiland in den Schoß"


    "Hier ruht in Gott / mein lieber Mann / unser guter Vater"


    "Hier ruhet in Frieden / mein lieber Sohn (links) / mein lieber Mann (rechts)"


    Perwelk (Pervalka) ist mit 40 ständigen Einwohnern die kleinste Ortschaft der Nehrung. Hier finden sich noch einige traditionelle Fischerhäuser, außerdem ist die nahegelegene Dünenlandschaft erwähnenswert, mit bis zu 53 Metern gehören diese zu den höchsten der Nehrung.


    Schwarzort i. Pr. (Juodkrante) wurde 1429 erstmals erwähnt und ist damit der älteste Ort auf der Nehrung. Direkt an der Hauptstraße nach Memel gelegen war Schwarzort früh als Kur- und Badeort bekannt, schon Mitte des 19. Jh. fuhren Dampfschiffe aus Memel und Tilsit den Hafen an. Der Hafen selbst war Ausgangspunkt für zahlreiche erfolgreiche Bersteinfischer. Heutzutage gibt es hier einige mannshohe Holzfiguren aus litauischen Volksmärchen auf dem Hexenberg, die über zwei Kilometer lange Promenade zum Haff hin sowie die evangelische Kirche von 1885 zu sehen. Da weder morgens noch abends Zeit genug für eine Besichtigung war, muss ich mir leider mit Fremdmaterial behelfen..

    Ansicht vom Haff aus


    von GiW (Eigenes Werk) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons


    Litauische Bäderarchitektur


    von Zairon (Eigenes Werk) [CC BY-SA 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons


    von Zairon (Eigenes Werk) [CC BY-SA 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons


    Die evangelische Kirche ist in der Zwischenzeit renoviert worden

    von Alma Pater (Eigenes Werk) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0) oder GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html)], via Wikimedia Commons

  • [...] die Ruine der Kirche von Plaschken [...]



    Dazu ein Video mit interessanten Innenaufnahmen. Es scheint so, als wären Reste von Altar und Kanzel noch erhalten.

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  • Schwer zu sagen. Für mich persönlich kann ich das nicht bejahen, da ich weder verwandtschaftliche Beziehungen in Richtung Ostpreußen/Nehrung habe noch aus einer Generation stamme, die den eisernen Vorhang miterlebt hat. Von Nidden selbst war ich sogar ein wenig enttäuscht, da es außer dem wahrlich bezaubernden Thomas-Mann-Haus und der evangelischen Kirche wenig schöne bzw. historische Bausubstanz von vor 1914 bietet. Der Hafen in Verbindung mit dem großen Verwaltungsgebäude der Gemeinde Neringa ist sogar ausgesprochen hässlich.
    Die weite Dünenlandschaft ist natürlich beeindruckend, auch da wir im April quasi ganz allein dort waren. Jedoch blieb derselbe Eindruck, wie er auch beispielsweise von Urlauben in Südfrankreich bleibt, nämlich eher der Gedanke an "die schöne Natur" denn an "die Region mit deutscher Vergangenheit". Auf der Nehrung erinnert halt kaum mehr was an die Zeiten von vor 1914 (abgesehen vom bereits erwähnten Thomas-Mann-Haus, den beiden Kirchen und ein paar Grabsteinen auf abseits gelegenen Friedhöfen).
    Ganz anders im Rückblick das Memelland: Die Überschreitung dieses Flusses, der über 700 Jahre der als nördlicher Fixpunkt des deutschen Reiches noch immer im allgemeinen Gedächtnis vorhanden ist, war schon etwas Besonderes. Ebenso war es sehr ergreifend, in den kleinen Ortschaften Ausschau nach historischer Bausubstanz zu halten und auch fündig zu werden (mit etwas Glück fand man sogar noch eine deutsche Inschrift o.ä.). Hier - und ich möchte ausdrücklich erwähnen, dass dies auch für die Stadt Memel selbst gilt - fühlt man sich dank der aus Deutschland gewohnten Architektur und der allgemeinen Gastfreundschaft schon ein Stück weit heimisch und denkt sehnsüchtig an die alten, vergangenen Zeiten zurück.

  • Am nördlichsten Ende der Nehrung, genau gegenüber von Memel (Klaipeda), liegt Sandkrug (Smyltine). Früher hatten hier die gutbetuchten Städter ihre Sommerhäuser, wovon heute noch die ein oder andere, teilweise verfallene, Villa zeugt. Heute ist der Ort vor allem wegen seiner Fährverbindung zum Festland von Bedeutung. Da die Fähre nur alle 20 Minuten bis halbe Stunde fährt hatten wir noch genügend Zeit für einen kurzen Abstecher.

    Ein paar Gebäude aus Kaisers Zeiten: Bild 1, 2, 3 (Ehemaliges Kurhaus)

    Heute ist der Blick nach Memel zwar nicht schöner als die alten Häuslein, aber gewiss spektakulärer...


    Blick in Richtung Ostsee...


    .. zum alten Stadtzentrum...


    rangezoomt (rechts erkennbar die abstrakte Rekonstruktion eines Kornspeichers aus Fachwerk)


    ... und in Richtung Haff.

    Die letzen beiden Aufnahmen sind bereits von der Fähre entstanden.


  • "Nimmersatt, wo das Reich sein Ende hat" - bis 1919 war dieser Satz wohl vielen Deutschen geläufig. Dort befand sich nämlich seit 1434 der nördlichste Grenzübergang Preußens bzw. später des Deutschen Reichs zum russischen Zarenreich. Die Geschichte des Kruges selbst geht bis ins 16. Jh. zurück, er war allerdings relativ unbedeutend und bildete mit nur rund 200 Einwohnern (1939) eine kleine Ortschaft.
    Nach dem Krieg lag Nimmersatt (Nemirseta) in einem militärischen Sperrgebiet, daher wurden die meisten Häuser abgetragen. Bis heute haben sich lediglich das Kurhaus Karnowsky sowie das ehemalige Zollhaus erhalten; beide jedoch in einem äußerst schlechten Zustand. An die Grenze erinnert nichts mehr. Wir haben uns auf die Suche nach einem Grenzstein oder ähnlichem gemacht - leider jedoch ohne Erfolg. Der große Grenzstein befindet sich heute zweckentfremdet in einem Skulpturenpark in Memel/Klaipeda.

    Ansichtskarte der Grenze Nimmersatt-Polangen

    Das Kurhaus vor 1914...


    (Adelheid Raqué-Nutall;gemeinfrei)


    ... im Jahr 2003 ...


    (WikiCommons User "Charm Offensive"; gemeinfrei)


    ... und heute. Welch ein Jammer.

    Außerdem steht etwas versteckt und dem Strandabschnitt zugewandt ein ehemaliger Rettungsschuppen der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS). Vergleichsexemplar aus Bremerhaven und Bild um die Jahrhundertwende.

  • Diese Information habe ich ungeprüft (mea culpa) von der ansonsten recht gut informierten Seite ostpreussen.net übernommen. Dort heißt es:

    Vom Dorf Nimmersatt ist nach dem 2. Weltkrieg nicht viel geblieben, [...] es gibt nur noch zwei Häuser, nämlich das einstige Zollhaus und die verfallende ehemalige Gaststätte, früher auch als Kurhaus Karnowsky bezeichnet.


    Bei meinem Besuch war mir der ehemalige Grenzverlauf nicht im Detail bekannt, nach Betrachten der alten Bilder von der Grenzschranke bin ich zu dem (falschen) Entschluss gekommen, dass diese ca. 300 Meter nördlich vom Kurhaus entstanden waren. Dort gibt es nämlich auch eine Lichtung auf gerader Strecke, das hätte gepasst. Das einstige Zollhaus hatte ich auf schräg gegenüber vom Kurhaus lokalisiert, da dort, hinter dem Gestrüpp, noch ein renovierter Backsteinbau steht (der allerdings genauso gut auch nach 1945 entstanden sein könnte).
    Die Orientierung fällt halt heutzutage besonders schwer, da man ab Ortsausgang Polangen bis zum Kurhaus Nimmersatt fast nur durch den Wald fährt, das war ja früher noch anders. Aber wie gesagt, außer dem Kurhaus und der ehemaligen Reichsstraße 132 gibt es leider keinen Fixpunkt mehr..

  • Das alte Fischerdorf Karkelbeck (Karkle) wurde 1554 gegründet und befindet sich etwas südlich von Nimmersatt. Heute würde es für einen Urlaubsort bzw. Seebad ideale Bedingungen bieten: Der mit 15 Kilometern längste Strandabschnitt im Memelland liegt genauso wie eine stattliche, 1911 erbaute, evangelische Kirche sowie ein großer Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg auf dem Gebiet der Gemeinde. Auch die Stadt Memel (Klaipeda) ist nur rund zehn Kilometer entfernt.
    Allerdings war es der bereits erwähnte Zweite Weltkrieg, der auch Karkelbeck zum Verhängnis wurde. Die evangelische Kirche wurde zerstört, bevor dann der gesamte Ort von den Sowjets zum militärischen Sperrgebiet umgewandelt wurde, was mit einer kompletten Zerstörung gleichzusetzen ist. Meines Wissens nach ist kein ziviles Gebäude von vor dem Krieg erhalten.
    Nach der Wende erholte sich der Ort jedoch langsam und es entstanden kleine Ferienhaussiedlungen für die städtische Mittelschicht.

    Von der deutschen Kultur zeugt noch einer von ehemals vier Friedhöfen, nämlich der Große Kirchhof nahe der Holländischen Mütze. Er entstand 1904 und lag glücklicherweise außerhalb des Sperrgebiets. Er wird auch heute noch als Grabstätte genutzt und befindet sich in einer malerischen Lage, direkt an der Steilküste, mit Meerblick. Leider habe ich es versäumt, gescheite Aufnahmen zu machen, daher muss ich mich extern bedienen.

    Hinter den Büschen befindet sich die Ostsee..

    von Kontis Šatūnas (Eigenes Werk) [Public domain], via Wikimedia Commons, gemeinfrei


    "Hier ruhen in Gott meine lieben Eltern..."


    Südlich des Ortes befindet sich noch ein Relikt des Zweiten Weltkrieges. Die Batterie Memel-Nord wurde 1939-41 errichtet, um das Memelland vor einem sowjetischen Angriff zu schützen. Durch seine exponierte Lage wirkt es, als sei ein Ufo bzw. Wal am Strand angelandet. Der Bunker ist begehbar, das dazugehörige Museum hatte aber leider geschlossen.

  • Nun, bevor ich als nächstes zur ehemals nördlichsten deutschen Stadt komme, möchte ich zunächst ein paar einleitende Gedanken festhalten.

    Auch wenn ich mich im vorhinein mit der litauischen und im speziellen mit der memelländischen Geschichte stark auseinandergesetzt habe, nach Memel/Klaipeda bin ich ohne große Erwartungen gereist. Zu sehr prägte der Gedanke an die Zerstörung von circa 50 % der Stadt im Zweiten Weltkrieg sowie die zweite Zerstörung als sowjetisches Sperrgebiet.
    Ich bin davon ausgegangen, dass die fast 700jährige deutsche und vor allem preußische Geschichte der Stadt restlos getilgt wurde und außer ein paar verstümmelten Häusern keine Altstadt mehr vorhanden war. Irgendwie dachte ich immer an die mir bekannte Ansicht von Königsberg und den traurigen, weil verlorenen Anblick des Königsberger Doms zwischen Plattenbauten und Stadtautobahn. Nur gibt es in Klaipeda keinen Bau eines solchen Formats, der alles andere in den Schatten stellt. Da die Stadt, wie bereits erwähnt, sowjetisches Sperrgebiet war, wurden alle Kirchen im Stadtgebiet abgerissen. Heute dominiert das Theater zusammen mit dem Simon-Dach-Brunnen die Ansichten der Stadt (Bild). Diese Sehenswürdigkeiten sind zwar ganz ansehnlich, aber nur bedingt eine ganze Reise wert. Wie sich herausstellen sollte, waren meine Befürchtungen glücklicherweise unbegründet. Klaipeda hat sich noch größtenteils die deutsche Kleinstadt erhalten, die vor dem Krieg Memel hieß. Dazu jedoch später mehr...


    Als nächstes noch ein kurzer Geschichtsabriss:

    1252/53: Errichtung der Memelburg durch den Livländischen Orden und Gründung der Stadt Memel unter Mitwirkung Dortmunder Kaufleute
    1328: Der Deutsche Orden erlangt die Herrschaft über die Memelburg
    1422: Frieden von Melnosee zwischen dem Deutschen Orden und Polen-Litauen. Festlegung der Grenze des Memellandes, welche bis 1923 Bestand haben sollte.
    1678: Im Schwedisch-Brandenburgischen-Krieg wurde die Stadt von den Schweden eingenommen und niedergebrannt.
    1807/08: Im Preußisch-Französischen Krieg musste der preußische König Friedrich Wilhelm III. in den äußersten Osten seines Hoheitsgebiets flüchten und machte Memel kurzzeitig zu seiner Residenz. So kam es, dass das Oktoberedikt in Memel geschrieben wurde.
    1920: In Folge des Versailler Vertrages wird das Memelland ohne Volksabstimmung vom Deutschen Reich abgetrennt und unter französische Verwaltung gestellt. Memel heißt ab jetzt Klaipeda, der kurische Name für die Stadt, welcher 1413 erstmals erwähnt wurde.
    1923: Litauische Truppen besetzten (unter Billigung der Franzosen) das Memelland. Sie gewährten in der Folge den deutschen Memelländern zwar Autonomie, über drei Viertel der Bevölkerung wünschte sich allerdings einen Anschluss ans Deutsche Reich.
    1939: Auf Druck der deutschen Regierung gibt die litauische Regierung das Memelland an das Deutsche Reich zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg kommt es unter sowjetische Verwaltung und wird in die litauische SSR eingegliedert.
    ab 1990: Zusammenbruch der Sowjetunion, Litauen wird unabhängig und Memel als Ostseehafen eine freie Wirtschaftszone. In den letzten Jahrzehnten erlebte die Stadt einen wirtschaftlichen Aufschwung und hat heutzutage mehr als 180.000 Einwohner, mehr als das gesamte Memelland vor dem Krieg.


    Nun will ich euch nicht weiter mit der Geschichte langweilen, auf in die Stadt :biggrin:

    Einmal editiert, zuletzt von Luxemburger (18. Oktober 2017 um 23:21) aus folgendem Grund: Kleinstadtbegriff deutlicher formuliert

  • Es schaut aus und fühlt sich an wie eine Kleinstadt. Alt- und Neustadt (also der Teil, der bereits vor dem Ersten Weltkrieg entstanden ist) machen heute vielleicht noch einen Prozent des Stadtgebiets aus und hatten im Jahre 1910 knapp 20.000 Einwohner.
    Sobald man diesen Teil verlässt wird man, wie in Osteuropa üblich, sofort mit Plattenbauten konfrontiert und es ist deutlich 'luftiger' bebaut. Durch viele Eingemeindungen erstreckt sich das Stadtgebiet von Nord nach Süd über an die zwanzig Kilometer!

  • Wir beginnen unseren Rundgang durch die Altstadt an der Börsenbrücke (Birzos tiltas = Börsenbrücke), die über die Dange (Dané) führt. Hier finden sich noch viele erhaltene Bauten, auch wenn die namensgebende alte Börse (Bild) nicht mehr steht.
    Anbei noch zwei Links zu alten Stadtplänen mit deutschen Straßennamen, damit der Rundgang auch nachvollziehbar bleibt. Karte 1, Karte 2

    So sah es vor knapp 100 Jahren aus, als in dem Gebäude mit dem prächtigen Erker noch die örtliche Sparkasse residierte. Das Gebäude von 1915 hat übrigens keinen Dachreiter, das ist der Turm der Johanniskirche.


    Die selbe Stelle heute...


    Das Stadtwappen von Memel!


    Der Blick wandert nach links zur Dange, auf der das Museumsschiff Meridianas (1948) liegt. Es ist begehbar und beherbergt ein Restaurant.


    Das folgende Bild ist vom Schiff aus entstanden. Dort, wo die Grünflächen sind, standen früher Häuser. Links davon die Schuhstraße (Kurpiu Gatve = Schuhstraße), rechts die Schmiedestraße (Mazoji Vandens Gatve = Kleine Wasserstraße). Auf dem Dach des linken Gebäudes befindet sich ein Schornsteinfeger. Der Legende nach bringt es Glück an dem Knopf seines Mantels zu reiben.


    Wir folgen jetzt wieder der Friedrich-Wilhelm-Straße (Tiltu Gatve = Brückenstraße). Die bereits gezeigte ehemalige Sparkasse.


    Friedrich-Wilhelm-Straße 4


    Die Grüne Apotheke (im Kern von 1677, 1854 umgebaut) ist das älteste Gebäude der Stadt. Es wurde bereits in den 1970er Jahren restauriert und befindet sich an der Ecke zur Johannisstraße (Jona Gatve = Johannisstraße) bzw. Bäckerstraße (Kepeju Gatve = Bäckerstraße), da hier jedes Haus an Vorder- und Rückseite an einer Straße steht.

  • Wir gehen die Friedrich-Wilhelm-Straße weiter entlang bis zur Kreuzung mit der Marktstraße (Turgaus Gatve = Marktstraße), wo dieses Eckgebäude steht. Die Marktstraße ist m. E. die authentischste Straße des alten Memels, da sie nahezu vollständig erhalten ist und noch Kopfsteinpflaster besitzt.


    Hier ist auch der Platz, auf dem die St. Johanniskirche stand. An ihre fast 400 jährige Geschichte erinnert heute nur noch eine Gedenktafel, die aber auch verrät, dass es Wiederaufbaubemühungen gibt!


    Das jetzige evangelische Gemeindehaus (Zustand vor wenigen Jahren)


    Wir laufen nun die Marktstraße entlang, Blick in Richtung Hafen


    Die Bibliothek, Marktstraße 8


    Marktstraße 1


    Blick zurück in Richtung St. Johanniskirche


    Auch auf dieser Grünfläche in einer Seitenstraße der Markstraße standen vor dem Krieg noch Häuser


    Die historische Post in der Großen Wasserstraße (Didzioji Vandens Gatve = Große Wasserstraße)


    Wieder zurück auf der Friedrich-Wilhelm-Straße


    Friedrich-Wilhelm-Straße 13


    Nun auch zur ersten und zum Glück einzigen groben Bausünde der Altstadt. Auf dem Platz der zerstörten reformierten Kirche erhebt sich nun ein hässlicher Wohnblock. Vorkriegsansicht

  • Wir verlassen die Friedrich-Wilhelm-Straße und gehen die Bäderstraße (Darzu Gatve = Gemüsestraße) in den Süden der Altstadt herunter. Hier haben sich sogar noch einige schöne Fachwerkbauten erhalten.


    Unsanierte Altbauten, wie dieses 1773 errichtete Gebäude mit Mansarddach, sind allerdings die absolute Ausnahme.


    Nun zum schönsten erhaltenen Ensemble der gesamten Altstadt, der Häuserreihe in der Hohen Straße (Aukstoji Gatve = Hohe Straße). Die einstöckigen Bürgerhäuser stammen größtenteils aus dem späten 18. Jahrhundert.


    Und weil's so schön ist noch ein Panorama.


    Abschließend noch ein schönes Fachwerkhaus in der Grabenstraße (Sukileliu Gatve = Rebellenstraße), bevor es dann zum Theaterplatz geht.

  • Als Höhepunkt erreichen wir nun den Theaterplatz mit dem Simon-Dach-Brunnen. Das namensgebende Städtische Schauspielhaus wurde im Jahr 1820 eingeweiht und beim letzten großen Stadtbrand (1854) zerstört. Der heutige Bau stammt von 1860 und wurde im Zweiten Weltkrieg stark in Mitleidenschaft gezogen. Erst nach dem bis 1985 andauerndem Wiederaufbau befindet sich dort wieder ein Theater. Die letzte Sanierung liegt wenige Jahre zurück, seitdem ist die Fassade in einem satten Rot anstatt im ursprünglichen Weiß gestrichen.


    Ein kurzer Blick zurück in die Grabenstraße


    Der Simon-Dach-Brunnen (1912) mit dem "Ännchen von Tharau".


    Vor der Sanierung noch in weiß..


    von Thomas Pusch (Eigenes Werk) [CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons


    ... und bei Nacht.


    Der Dichter Simon Dach (1605 - 59) wurde in Memel geboren, in seinem berühmten Volkslied besingt er in 17 Strophen Anna Neander, die Tochter des Pfarrers von Tharau. Die originale Brunnenfigur des Ännchen war kurz nach Kriegsende verloren gegangen, zur Sowjetzeit "zierte" eine Stalin-Büste den Brunnen. Im Jahr 1988 wurde auf Initiative von Bürgern aus Klaipeda und mit deutscher Unterstützung eine neue Bronzefigur gegossen, woran heute eine Gedenkplakette erinnert.

    "Aennchen von Tharau, Mein Reichtum, Mein Gut, Du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut"


    Ein Block entfernt, an der Dange gelegen, haben sich noch ein paar Speichergebäude erhalten, u. a. der Germania-Speicher. Er beherbergt heute ein empfehlenswertes Restaurant (das Katpedele), in dem man ein wenig in das alte Memel eintauchen kann. An der Wand hängen Artikel des Memeler Dampfbootes, alte Fotografien und ausgeschenkt wird das "Memelbräu" (eine Marke des größten litauischen Bierproduzenten Svyturys).