Litauen - Kaunas & das Memelland (LT) (Galerie)

  • Schon seit längerem spiele ich mit dem Gedanken, einen Galeriestrang über Litauen zu eröffnen. Einerseits, weil ich das Land aufgrund seiner Geschichte und des wechselnden Einflusses der umliegenden (Groß-) Mächten (im Besonderen natürlich Preußen/Dt. Orden, aber auch Russland und die poln.-litauische Union zwischen 1569 und 1795) sehr interessant finde, andererseits weil ich seit Mitte letzten Jahres auch genug eigene Bilder habe, um es in einem angemessenen Rahmen zu präsentieren.

    Nachdem wir in den letzten Jahren bereits Tallinn und Riga besucht haben, war es eigentlich nur logisch, auch der übrig gebliebenen baltischen Hauptstadt einen Besuch abzustatten. Da jedoch das Memelland sowie die Kurische Nehrung eine große Anziehungskraft auf uns hatten, entschieden wir uns, den Städtetrip zu einer in Eigenregie geplanten zehntägigen Rundreise auszuweiten. Diese führte uns schließlich von Vilnius über Kaunas, weiter an der Memel entlang an Silute (dt. Heydekrug) vorbei bis nach Klaipeda (dt. Memel). Von dort aus haben wir Ausflüge bis nach Nida (dt. Nidden) sowie Palanga unternommen, bevor wir zum Berg der Kreuze und von dort wieder zurück nach Vilnius gefahren sind.

    Diese wenigen Sätze aus dem Reisetagebuch, ab jetzt folgen Bilder. Ich hoffe es gefällt :)

    P. S. Ich habe mich bewusst dazu entschieden, das Land in einer einzigen Galerie vorzustellen, da ich so am besten den zeitlichen und räumlichen Zusammenhang darstellen kann. Zur Übersichtlichkeit folgt natürlich ein


    Inhaltsverzeichnis

    Vilnius

    Kaunas

    Das historische Memelland

    Die Kurische Nehrung

    Memel/Klaipeda

    Sonstige Orte in Litauen

    12 Mal editiert, zuletzt von Luxemburger (28. März 2020 um 13:24) aus folgendem Grund: Inhaltsverzeichnis ergänzt

  • Unser erster Stopp ist Kaunas, mit 310.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt des Landes. Verkehrsgünstig am Zusammenfluss von Neris und Memel gelegen, wurde die litauische Burg erstmals 1361 erwähnt. Diese wurde in den Litauerkriegen mehrmals vom Deutschen Orden zerstört, jedoch immer wieder aufgebaut. 1408 erlangte die Stadt das Magdeburger Stadtrecht, 32 Jahre später wurde ein Hansekontor eröffnet. Seit dem 16. Jahrhundert war es ein bedeutendes jüdisches Zentrum, noch Anfang des 20. Jahrhunderts lag der Anteil der Bevölkerung bei über einem Drittel. Zwischenzeitlich an Russland gefallen, wurde es zwischen den Weltkriegen die provisorische Hauptstadt Litauens, da die traditionelle Hauptstadt, Vilnius, von polnischen Truppen besetzt war. Heute besitzt die Stadt eine sehr gut erhaltene Altstadt sowie mit dem Vilniaus Gatve eine zweieinhalb Kilometer lange Fußgängerzone, an dem sich ein historisches Gebäude an das nächste reiht.

    Die Burg Kauno Pilis wurde übrigens zu Sowjetzeiten rekonstruiert, in den 1950ern sah sie noch so aus.


    Aus einer anderen Perspektive


    Die St. Georgskirche


    Im Innern


    Weitere Eindrücke aus dem angrenzenden Viertel



    Das Priesterseminar


    Weiter geht's mit dem Rathausplatz...

  • Der Rathausplatz ist das historische Zentrum der Stadt. Er ist - bis auf eine kleine Ausnahme - noch komplett erhalten. Den Mittelpunkt bildet das namensgebende alte Rathaus von 1542, welches wegen seines 53 Meter hohen Turmes und der weißen Fassade im Volksmund auch Weißer Schwan genannt wird. Heute beherbergt es ein Standesamt.






    Die Südseite wird von der Jesuitenkirche (1720 erbaut) und dem angeschlossenen Jesuitengymnasium dominiert. Bei der letzten Renovierung wurden der Dachstuhl des Gymnasiums sowie die historische Farbgebung rekonstruiert, bis vor kurzem war die Kirche noch komplett weiß.



    Weitere Eindrücke von der südlichen Platzseite.


    Die südwestliche Ecke ist modern bebaut worden. Ob bzw. was hier vorher stand weiß ich nicht. Wirklich auffallen tut dies jedoch zum Glück nicht, da die Ecke von den meisten Standpunkten aus vom Rathaus verdeckt wird oder der Blickwinkel sein Übriges tut (siehe vorheriges Bild). Schade ist's trotzdem.


    Die Westseite ist als einzige nicht durchgehend mit Bürgerhäusern bebaut, hier reihen sich mit dem Bischofspalast und der Dreifaltigkeitskirche zwei große Einzelbauwerke mit eigenen Innenhöfen nebeneinander.



  • Die Nord- und Ostseite des Rathausplatzes bilden mittelalterliche Kaufmannshäuser, die einzeln betrachtet größtenteils eher unspektakulär sind, als Ensemble aber dennoch überzeugen.

    Die Nordseite zunächst als Panorama


    Einzelne Häuser an der Nordseite



    Die alte Apotheke, heute ein Museum




    Die Ostzeile, eingerahmt von Dom und Jesuitengymnasium





    Und zu guter letzt...

  • Das Perkunashaus, direkt südlich an den Rathausplatz anschließend, ist ein Meisterwerk der Spätgotik. Im 15. Jahrhundert als Hansekontor erbaut, wurde es anschließend viele Jahrhunderte lang von den Jesuiten genutzt. Seinen Namen erhielt es durch den Fund einer Wandmalerei im Innern, die angeblich den baltischen Donnergott (lit.=Perkūno) darstellen soll. Die im oberen Teil üppig verzierte Fassade wurde aus 16 (!) verschiedenen Ziegelarten erbaut.



    Gegenüber befindet sich die Vyautaskirche, welche um 1400 errichtet wurde. Für damalige Verhältnisse monumental, sollte sie die vergleichsweise spät christianisierten Litauer beeindrucken.


    Im Norden des Rathausplatzes, schon teilweise am Vilniaus gatve gelegen, befindet sich die Kathedrale St. Peter und Paul. Um 1410 wurde mit dem im Kern gotischen Bau begonnen, die äußere Gestalt hat sich seitdem jedoch auch aufgrund von Krieg- und Brandschäden immer wieder verändert. Die reiche barocke Ausstattung zeugt vom früheren Reichtum der Stadt. Der 41 Meter hohe Glockenturm ist jedoch eher schlicht gehalten. Sie ist Bischofskirche des Erzbistums Kaunas und hat den Rang einer Basilica minor.






    Und nochmal in etwas besserer Qualität...


    von Diliff (Eigenes Werk) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0) oder GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html)], via Wikimedia Commons



    von Zairon (Eigenes Werk) [CC BY-SA 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons

  • Der Vilniaus Gatve (Vilniusser Straße) ist die zentrale Straße der Altstadt. Früher war sie der Beginn der Handelsstraße nach Vilnius, heute ist sie Fußgängerzone und Einkaufsstraße. Die alte Bausubstanz ist noch komplett erhalten, jedoch auch von Verfall geprägt. Zum Glück wurde und werden die teilweise aus dem 16. Jh. stammenden Bürgerhäuser in den letzten Jahren sukzessive gesichert und restauriert.

    Wir beginnen an der Ecke zum Rathausplatz, linke Hand liegt die im letzten Beitrag vorgestellte Kathedrale.


    Der Block aus der entgegengesetzten Richtung



    Dieses gotische Haus wurde bereits zu Sowjetzeiten restauriert.





    Ein erster Blick zurück


    Hier wäre eine Restaurierung dringend notwendig.



    Das ehemalige Dominikanerkloster, beim genauen Hinsehen erkennt man noch den Schriftzug "Garnison-Kirche". Die Fassade wurde seitdem wohl auch nicht mehr erneuert.


    Ein letzter Blick zurück in Richtung Rathausplatz

  • In der Neustadt finden sich - so wie es der Name schon vermuten lässt - vorwiegend Gebäude aus dem späten 19. und frühen 20. Jh. Die zentrale Achse bildet hierbei die Laisves aleja (Freiheitsallee) als Verlängerung der Vilniusser Straße. Endpunkte der beiden Straßen bilden der bereits vorgestellte Rathausplatz im Westen und die Kirche des Erzengels Michael im Osten, dazwischen rund zweieinhalb Kilometer Fußgängerzone mit vielen Cafés, Restaurants und Bars.

    Die historische Präsidentur Litauens war in der Zwischenkriegszeit Regierungssitz der Ersten Litauischen Republik.


    Nicht weit entfernt davon liegt die Choral-Synagoge (1871). Der neobarocke Bau ist die letzte erhaltene von ehemals 25 Synagogen und Betstuben in der Stadt.


    In einem Hinterhof versteckt sich die kleine Gertrudenkirche aus dem 15. Jh. Ein Abriss konnte Ende der 1980er Jahre glücklicherweise verhindert werden.



    von Diliff (Eigenes Werk) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0) oder GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html)], via Wikimedia Commons


    Nicht weit entfernt ein Überbleibsel der Stadtbefestigung


    Das Musiktheater von 1891.


    Ein interessanter Bau ist das gegenüberliegende Hauptpostamt von 1932.

    Am Ende der Allee befindet sich die neobyzantinische Kirche des Erzengels Michael. Sie wurde ursprünglich als russisch-orthodoxe Militärkathedrale erbaut. Unter den Sowjets zwischenzeitlich als Kunstgalerie genutzt, ist sie mittlerweile katholisch geweiht.


    Leider befindet sie sich äußerlich in einem schlechten Zustand, in Deutschland würde man sicherlich von einem "Schandfleck" sprechen.



    Der Unabhängigkeitsplatz, der Klotz rechts ist ein Museum für moderne Kunst.


    Und ein Blick zurück zur Freiheitsallee, welche übrigens von fast 600 Linden gesäumt wird.

  • Zaliakalnis ist der Höhenstadtteil von Kaunas, der rund 50 Meter über der Stadt thront. Erreichen kann man ihn mit einer der Standseilbahnen, welche in Litauen sehr populär sind. Neben der Standseilbahn in Zaliakalnis gibt es noch eine weitere in Kaunas-Aleksoto und in Vilnius. Diese hier ist jedoch die älteste und wurde 1930/31 von der Firma Curt Rudolph aus Dresden errichtet. Die Strecke ist 142 Meter lang und hat eine maximale Neigung von 25,9%.


    Oben angekommen erblickt man die monumentale Christi-Auferstehungskirche. Diese wurde von 1932-40 erbaut als Denkmal des unabhängigen Litauen erbaut, finanziert aus Spenden der Bevölkerung. 2005 wurde schließlich auch im Innern vollendet. Der 70 Meter hohe Turm kann bis zum Erreichen der Panoramaplattform auf dem Dach bestiegen werden.



    Der moderne Innenraum, noch 2002 sah es hier so aus.


    Und ein paar Etagen höher...



    Blick über die Neustadt; unten die Bergstation der Standseilbahn, in der Mitte die Kirche des Erzengel Michaels.


    Blick in Richtung Altstadt


    Hat schon was, bei schönem Wetter natürlich noch mehr...

  • Gute Galerie. War leider noch nie im Baltikum, wie ich von der ehem. UdSSR nur die Westukrainie (vor allem Lemberg, das ein ganz anderes Kaliber ist) betreten haben. Abseits der Glanzlichter dürfte der kulturelle Raubbau sehr stark gewesen sein. Bei dieser Ausführlichkeit können wir uns schon auf Wilna freuen, der wahrscheinlich schönsten Stadt des Baltikums.
    Kaunas selbst wirkt sehr eigenartig. Das sehr kleinstädtische (andererseits durchaus reizvolle) Ambiente kommt bei Regen wahrscheinlich ein wenig trostlos rüber. Die Stadt ist natürlich ungleich besser erhalten als zb Zeitz, dennoch sehnt man sich irgendwann nach den dortigen architektonischen Glanzlichtern.

  • Noch zwei Anmerkungen:

    Kaunas wirkt tatsächlich von der Qualität der Baudenkmäler etwas kleinstädtisch, vor allem abseits des Rathausplatzes. Wie schon weiter oben beschrieben ist die Ensemblewirkung von Reiz. Ob das bei gutem Wetter besser wird weiß ich nicht, da , gerade wenn die Sonne draufscheint, die Makel an den Fassaden noch mehr zur Geltung kommen.

    Da ich - im Gegensatz zu Ursus - schon das Glück hatte, in allen drei baltischen Hauptstädten gewesen zu sein, versuche ich mich mal an einer halbwegs objektiven Bewertung, ohne Reihenfolge (da die zugegebenermaßen schwierig ist, da jede Stadt reizvoll, aber nicht makellos ist).

    Tallinn:
    + gut erhaltene mittelalterliche Stadtbefestigung, reizvolle Lage mit Ober- und Unterstadt, Olaikirche, Rathaus und Kaufmannshäuser
    - Kriegszerstörungen südlich des Rathausplatzes, außerhalb der Altstadt nicht besonders sehenswert, verbauter Zugang zum Meer (durch Linnahall und Fährhafen), Hochhäuser in Altstadtnähe

    Riga:
    + großes Jugendstilviertel, Schwarzhäupterhaus, beeindruckende Einzeldenkmäler und Plätze, Lage an der Düna
    - durch Kriegseinwirkungen Verlust von viel Originalsubstanz in der südlichen Altstadt, Radisson Blu Hotel

    Vilnius:
    + komplett erhaltene, 360 ha. große Altstadt mit fast 1500 denkmalgeschützten Gebäuden, viele barocke Kirchen, nur sehr, sehr vereinzelt moderne Architektur, anscheinend keine Kriegszerstörungen
    - oft "nur" durchschnittliche Architektur, teilweise stark historistisch überformt

    Insgesamt spürt man, dass Tallinn nordeuropäisch und hanseatisch beeinflusst wurde, Vilnius eher osteuropäisch bzw. polnisch und Riga sowohl hanseatisch/deutsch als auch osteuropäisch.

  • Bevor wir Kaunas an der Memel entlang in Richtung Klaipeda verlassen noch zu zwei sehenswerten Orten in den Vorstädten.

    Das Kloster Pazaislis zählt zu den schönsten Barockbauten des ganzen Landes. Es wurde im 17. Jh. von den Kamaldulensern (einem kath. Eremiten-Orden) begründet, die streng symmetrische Mariä-Heimsuchung-Kirche wurde von 1667-1712 errichtet. Sie liegt auf einer Anhöhe über der zum sog. Kaunasser Meer aufgestauten Memel.





    Eine der Nischen in der Klostermauer wurde zu einem öffentlichen Bücherschrank umfunktioniert, u.a. mit einem großen Bildband über das Bergische Land.


    Die zweite Standseilbahn der Stadt befindet sich in Aleksotas, von der Altstadt gesehen auf dem gegenüberliegenden Memelufer. Sie wurde 1935 eröffnet um die Verbindung zwischen der Innenstadt im Tal und dem Flugplatz, der Universität sowie der Sternwarte auf dem Berg zu erleichtern. Oben angekommen bietet sich zum Abschluss nochmal ein schöner Blick auf die Altstadt.


    Blick zur Altstadt/Rathausplatz


    Und das wirklich allerletztes Bild von Kaunas, am linken Rand der Zusammenfluss von Neris und Memel/Nemunas

  • Von Kaunas bis nach Klaipeda sind es entlang der Memel rund 230 Kilometer. Der gesamte Landstrich ist mit rund 25 Einwohner pro km² nur sehr dünn besiedelt (zum Vergleich: in der Uckermark leben immerhin 39 Einwohner pro km²). Die ersten 100 Kilometer zwischen Kaunas und Jurbarkas sind eigentlich schnell erzählt: Viel Landschaft, zwei eher durchschnittliche Schlösser und geschätzt 5 Dörfer mit jeweils 1000 Einwohner. Viel mehr ist da nicht. Aber der Reihe nach.

    Seredzius, ein einfaches Dorf, mit prachtvoller Kirche


    Das Schloss in Raudone. 1580 erstmals urkundlich erwähnt, im 19. Jh. neogotisch umgebaut. 1944 sprengte die Wehrmacht den Hauptturm, welcher aber glücklicherweise wiederaufgebaut wurde.



    Im Schlosspark steht noch ein sowjetische Denkmal für die hier im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten.


    Ein Wirtschaftsgebäude


    Ein paar Kilometer weiter befindet sich das Schloss Panemune aus dem 16. Jh.
    Nach einem kleinen Abstecher nach Ramoniskiai, dem letzten Ort vor der Grenze zum Oblast Kaliningrad, der für uns in einer längeren Kontrolle durch die litauische Grenzpolizei endete (Fotografieren der EU-Außengrenze ist anscheinend strengstens verboten!) befinden wir uns auf der Memelbrücke und blicken auf das rund 10.000 Einwohner zählende und recht unansehnliche Jurbarkas. Es entstand bereits 1422 als litauische Grenzsiedlung zum preußischen Memelland.


    Ein der drei Memelbrücken zwischen Kaunas und dem Delta.

    Aber erst ab jetzt wird's richtig interessant... :trommeln:

  • 14 Kilometer hinter Jurbarkas erreichen wir mit dem überqueren des ehemaligen Grenzflüsschens Swienta (Sventoji) endlich das alte deutsche Memelland, oder besser gesagt das, was dort von der deutschen Kultur übrig geblieben ist. Und gleich der erste Ort hinter der Grenze, Schmalleningken (Smalininkai) wartet mit einer ganz besonderen Sehenswürdigkeit auf...
    Die frühere preußische Landgemeinde wurde erstmals im 15. Jahrhundert erwähnt, erhielt 1792 das Marktrecht und gehörte bis 1920 zum Kreis Ragnit. Anfang des 19. Jh. bestand die Gemeinde aus den Dörfern Augstogallen, Endruszen, Schmalleningken-Dorf, Schmalleningken-Zoll und Wittkehmen mit insgesamt rund 350 Einwohnern, nachdem man ein Jahrhundert später derer fast 2000 zählte sind es heute nur noch 485. Im Jahre 1878 wurde die neugotische evangelische Pfarrkirche errichtet, welche leider im Zweiten Weltkrieg zerstört und die Reste später abgetragen wurden. Im Ortsteil Augstogallen endetete bis 1944 zudem die Kleinbahn Pogegen-Schmalleningken, deren Empfangsgebäude sich bis heute erhalten hat (Sogar mit dem alten deutschem Ortsnamen!!).


    Unser nächster Halt ist Wischwill (Viesvile), welches 10 Kilometer memelabwärts liegt. Zu Zeiten des Kaiserreiches war die Kleinstadt ein bedeutendes Zentrum im östlichen Memelland, so verfügte es über ein Amtsgericht, eine freiwillige Feuerwehr, sowie Volks-, Mittelschule und Gymnasium. Im Jahr 1910 zählte die Landgemeinde Wischwill mit den Dörfern Antgulbinnen, Antuppen, Baltupönen, Kallwelnen und Pagulbinnen noch mehr als 1500 Einwohner, heute sind es kaum halb so viele. Den Krieg überstand der Ort vergleichsweise gut, die darauf folgende Zeit hinter dem eisernen Vorhang jedoch weniger. Die evangelische Kirche aus dem 18. Jh. wurde genauso abgetragen wie zwei Friedhöfe und einige Verwaltungsgebäude. Heutzutage versucht man zwar, die alten Gebäude zu erhalten, architektonisch sind sie jedoch teilweise stark verfremdet, wie zum Beispiel das ehemalige Amtsgericht, die Volksschule oder das Bahnhofsgebäude. Das Zentrum des Ortes bildet ein kleiner Stadtpark rund um den Fluss Viesvile.


    Die EU-geförderte Fischtreppe


    Vermutlich Reste einer Brücke der Kleinbahn Pogegen-Schmalleningken



  • Willkischken (Vilkyskiai) befindet sich 15 Kilometer hinter Wischwill, auf halbem Weg nach Pogegen (Pagegiai). Es wurde im 15. Jh. gegründet und hatte immer wieder unter kriegerischen Auseinandersetzungen und Pestepedemien zu leiden. Im 18. Jh. ließen sich hier Mitglieder der Salzburger Exulanten nieder. Anfang des 20. Jh. zählte das Dorf 700 Einwohner. Zum Amtsbezirk Willkischken im Kreis Tilsit zählten die Siedlungen Kallweiten, Kerkutwethen, Maszurmaten, Polompen sowie Dorf und Gut Willkischken. Im Gegensatz zu vielen anderen Gemeinden des Memellandes wurde es im Zweiten Weltkrieg nur wenig zerstört und kam auch vergleichsweise gut durch die Sowjetzeit. So konnten viele alte Gebäude erhalten werden, welches dazu führte, dass mittlerweile der komplette Ortskern unter Denkmalschutz steht und Haus für Haus sukzessive saniert wird.

    Leider gibt es immer noch einige verfallene Gebäude...



    Gegenüber befindet sich das ehemalige Wohnhaus der wohlhabenden jüdischen Familie Epstein, welche bei Besetzung des Memellandes durch die Wehrmacht geflohen ist. Seit 2006 wird es als katholische Kirche genutzt.


    Eine sanierte Scheune


    Blick auf die Kirche und das Ortszentrum


    Das Schild neben dem Gebäude verkündet, dass bald auch hier mithilfe von EU-Mitteln saniert wird.


    Die neoromanische Kirche von Willkischken wurde 1895 auf den Grundmauern der mittelalterlichen Kirche neu errichtet. Nach dem Krieg wurde sie als Getreidespeicher und Mühle zweckentfremdet, in der Sakristei wurden sogar ätzende Chemikalien gelagert. Nach der Wende gründete sich eine Initiative, die auch in Deutschland Spenden für die Rekonstruktion der ursprünglichen Gestalt sammelte. Mitte der 1990er konnten bereits das Dach und Fenster erneuert, die Turmspitze rekonstruiert und eine neue Orgel angeschafft werden. Heute werden hier wieder regelmäßig Gottesdienste abgehalten, außerdem steht die Kirche für Besichtigungen offen, der Schlüssel kann beim deutschsprachigen Chef der kleinen Tourist-Info nebenan abgeholt werden.



    Hinter der Kirchen wieder einige Ruinen, vermutlich die des alten Pfarrhauses...

  • Willkischken wartet mit einem besonderen Überbleibsel auf - einem Kriegerdenkmal für die Gefallenen des 1. Weltkrieges, inklusive Eisernem Kreuz! Schön, dass sich so etwas erhalten hat!


    "Vergiss mein Volk die teuren Toten nicht"


    "Herr, Du hast dem Volk allenthaleen (?) herrlich gemacht!"


    Sie haben überunnden (?) und ihr Leben nicht geliebt bis an den Tod!"


    "Sie sehen die Herrlichkeit des Herrn, den Schmuck unseres Gottes!"


    Schon 130 Kilometer seit unserem Start in Kaunas...


    ... und noch unter hundert bis nach Memel.


    Noch ein letzter Blick zurück zur Kirche.

  • Vielen Dank für die schnelle Korrektur, Vulgow.

    Fährst du auch noch mal nach Ostpreußen rüber?

    Nun, mein nächster Beitrag wird tatsächlich ein kleiner Exkurs nach Ostpreußen sein, mit einer Fahrt "rüber" taten wir uns allerdings sehr schwer. Es gibt halt zu viele Probleme, z. B. durfte der Mietwagen nur in Litauen gefahren werden, außerdem fehlten uns das Russland-Visum ebenso wie schlichtweg die Zeit für einen weiteren Abstecher. Langfristig steht Ostpreußen genauso wie die Gegend um Danzig natürlich auf meiner Liste, dann aber mit eigenem Auto, gültigem Visum und genug Vorbereitungszeit. Die Exklave Kaliningrad ist zwar nochmal ein gutes Stück interessanter als das Memelland (weil größere und bedeutendere Städte, Ordensburgen, etc.), sie ist allerdings meines Wissens nach auch viel stärker zerstört worden. In Litauen (vor allem rund um Heydekrug) habe ich dagegen das Gefühl, dass man sich der deutschen Vergangenheit bewusst ist/wird und diese auch mit einer Art Stolz erhält. Ob das in Russland auch so ist, wage ich zu bezweifeln.

  • Nun, auch wenn wir kein Russland-Visum hatten, haben wir es uns natürlich nicht nehmen lassen, einen Blick auf Tilsit ("Sovetsk") zu werfen, welches von der litauischen Seite (Übermemel / Panemune) möglich ist. Architektonisch zwar nicht wirklich ein Hingucker, aufgrund des legendären Friedens von Tilsit 1807 trotzdem einen Umweg wert. Vor dem Krieg muss es dort sehr schön gewesen sein, leider wurden weder Rathaus noch Deutsche Kirche von Zerstörung und Abriss verschont. Es haben sich wohl noch einige Bürgerhäuser aus der Jahrhundertwende erhalten, vom anderen Memelufer erkennt man jedoch nur das südliche Brückentor der alten Königin-Luise-Brücke sowie ein kleines Fachwerkensemble direkt am Fluss.

    Die Königin-Luise-Brücke (1960) mit Brückentor (1907). Wären die drei Hochhäuser nicht, es wäre zumindest ein einigermaßen erträglicher Anblick.


    So nah - und doch so fern..


    Wir sind sogar extra aus der EU ausgereist, um die Brücke betreten zu können. Aufgrund des fehlenden Visums mussten wir zwar in der Mitte wieder umkehren, gelohnt hat es sich irgendwie trotzdem. Dies hat aber wiederum zu Problemen bei der Einreise nach Litauen/in die EU geführt, da wir ja kein Visum für Russland hatten und uns keiner der Grenzbeamten so richtig abkaufen wollte, dass wir nur auf die Brücke wollten.. wäre die EU-Außengrenze nur überall so geschützt...


    Blick memelabwärts auf das Zentrum von Tilsit...


    ... und flussaufwärts in Richtung des 10 Kilometer entfernten Ragnit.


    Noch ein letzter Blick zur Brücke...

  • Ja, ja, der Blick hinüber... Hier ist er noch zu erleben, auch heutzutage, da es (fast) nichts Unerreichbares mehr gibt. Heute ist in Laa an der Thaya eine Ausstellung über - Znaim, so als würde man diese Stadt nicht problemlos und völlig frei betreten können (sogar Tschechen sollen sich angesagt haben). Beinahe schwingt da etwas Nostalgie mit, etwas Sehnsucht an die Zeit, als Sehnsucht noch unerfüllt und daher Sehnsucht war. Irgendetwas fehlt uns heute. Wir sind zu frei geworden.

    Leider gibt dieser Blick nach Sovetsk nichts her außer der Sehnsucht nach längst Vergangenem. Da sein wir bei unseren seinerzeitigen Blicken über den Vorhang doch weit mehr auf unsere Rechnung gekommen!
    https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%BCdm…_Nikolsburg.jpg

  • Nach unserem kleinen Abstecher ans Memelufer folgen wir weiter der Straße in Richtung Heydekrug. Die nächste Ortschaft, die wir passieren, ist Pogegen (Pagegiai). Die Kleinstadt weist leider nur wenige erhaltene Bauten aus der Vorkriegszeit auf, da sie einerseits bei Rückzugsgefechten der Wehrmacht stark zerstört wurde, andererseits erst spät Bedeutung erlangte. Die hatte vor allem zwei Faktoren: Die Eröffnung der Kleinbahn nach Schmalleningken 1902 und die Errichtung des Landkreises Pogegen 1920 aus den Teilen der Altkreise Tilsit und Ragnit, die rechts der Memel lagen. So wurde z. B. die erste Kirche der Stadt erst 1933-38 errichtet.

    Da stand die Kirche des kleinen Nachbarortes Rucken (Rukai) schon fast ein halbes Jahrhundert. Diese befindet sich an einer kleiner Abzweigung an der Hauptstraße in Richtung Heydekrug, abseits des heutigen Ortszentrums. Da ich im Vorfeld Bilder der verfallenen Kirche auf Google Earth gesehen habe, war ich sehr überrascht eine intakte, weil 2011 frisch sanierte, Kirche vorzufinden.




    Ein gänzlich anderes Bild bietet sich im Nachbarort Plaschken (Plaskiai). Dieser zählt heute nur gut hundert Einwohner und ist über einen Lehmweg zu erreichen. Es wurde 1639 erstmals erwähnt, ab 1695 war es Kirchspiel. Die heutige Kirche wurde 1897 erbaut, da ihr Vorgänger für die Gemeinde zu klein geworden war. In der heutigen Zeit kaum vorstellbar. Der ruinöse Anblick schmerzt umso mehr, wenn man bedenkt, dass es noch viele weitere ehemalige Kirche in Ostpreußen gibt, die ein ähnliches Dasein fristen oder Krieg, Sowjetzeit oder den Zahn der Zeit nicht überlebt haben. Die einzige gute Nachricht ist, dass dies im litauischen Memelland die absolute Ausnahme ist, die restlichen mir bekannten Kirchen sind zumindest gesichert oder, oft mit deutscher Hilfe, restauriert worden. Dass dies bei der Kirche von Plaschken bisher ausgeblieben ist, liegt wohl am Standort, der weit ab vom Schuss ist.



    Noch erhaltene Umzäunungen der alten Gräber



    Oben im Kirchturm nisten mittlerweile Störche





    Grab für Otto Schulz ( * 26.02.1844, † 10.01.1887), Pfarrer in Plaschken.

  • Heydekrug ist mit heutzutage etwas mehr als 20.000 Einwohnern die -nach Memel- größte Stadt des litauischen Memellandes. Mit Klaipeda teilt sie auch das Schicksal, nach der Abtrennung vom Deutschen Reich keinen an den alten Ortsnamen angelehnten neuen Namen, sondern mit Šilutė eine völlige Neukreation erhalten zu haben. Man muss an dieser Stelle jedoch Litauen auch zugute halten, dass dies bei 90% der alten Ortschaften nicht der Fall ist und dort der alte deutsche Name in anderer Form weiterbesteht.
    Nun zum Ort selbst: Dieser wurde 1511 erstmals erwähnt und geht, wie es der Ortsname vermuten lässt, auf einen alten Dorfkrug zurück. Obwohl dieser sich zum bedeutendsten Ort zwischen Memel und Tilsit entwickelte und ab 1818 Kreisstadt war, wurden die Stadtrechte erst 1941 von den Deutschen verliehen. Ende des 19. Jh. hatte Heydekrug ca. 800 Einwohner, in den 20ern waren es derer fast 5000. Im Zweiten Weltkrieg brannte zwar der Nachfolger des alten Dorfkrugs, das Hotel Germania, ab, u.a. blieben jedoch das Amtsgericht, die Herderschule, das Landratsamt, das Kreiskrankenhaus, das Postamt sowie die evangelische Kirche erhalten.


    Zu Fuß folgen wir die Tilsiter Straße / Prinz-Joachim-Straße (heute Lietuvininku Gatve) von Ost nach West.

    Die Bibliothek, an der Außenwand haben sich alte Reklamen erhalten. Vor 10 Jahren sah sie noch so aus.




    Ein dreistöckiger Gründerzeitler; eine Restaurierung wäre wünschenswert.


    Im Giebel kann man die Bezeichnung 'erb. 1910' erkennen.


    Das ehemalige Amtsgericht




    Die 1911 erbaute Feuerwache ist bis heute als solche in Betrieb, der Anstrich ist nichtdestotrotz gewöhnungsbedürftig.