Tübingen (Galerie)

  • Hallo Klingentor,
    für mich ist Tübingen eine der schönsten Städte in Deutschland, danke für die Fotos. Einer der ganz, ganz wenigen Wermutstropfen: die Betonarkaden an dem herrlichen Rathaus (auf deinem Foto charmant verdeckt). Ist das eigentlich ein Thema, hier mal den Vorkriegszustand zu rekonstruieren? Weiß jemand etwas über den diesbezüglichen Dokumentationsstand?

  • Wow, diese Bildergalerie! Ist auf Anhieb zu einem meiner Favoriten geworden! Ich war vor ein paar Jahren in dieser Stadt, als ich in den Raum Stuttgart fuhr, um die totale Sonnenfinsternis zu erleben. Stuttgart hat sich damals zu einem riesigen Stadtfest gerüstet, welches ja komplet ins Wasser fiel, aber zum Glück befand ich mich in Bad Urach (Umgebung Stuttgart), wo man dieses Spektakel vollends erleben konnte. Urach ist ja eine kleine Stadt, in welcher sehr viel Fachwerk freigelegt worden ist; im Verhältnis zum gesamten Baubestand sicher die Hälfte.

    Auf dem Heimweg besuchte ich Tübingen, und war überwältigt von dieser Stadt. Damals fiel mir aber schon auf, dass sehr wenig Fachwerke freigelegt waren. Wenn ich so deine Bilder betrachte, sind es auch heute noch keine 5%. Man kann nur erahnen, welches Potential in dieser Stadt immer noch schlummert! Ich bin sicher, dass Tübingen Rothenburg ob der Tauber den Rang ablaufen könnte; Rothenburg gilt ja im Tourismus als die Fachwerkstadt Süddeutschlands schlechthin.

    Besonders angetan hat es mir folgendes Bild:


    Bild: klingentor

    Bei diesem Gebäude handelt es sich sicher um eine ehemalige Kirche oder Kapelle, welche möglicherweise in der Reformation profaniert worden ist und in der Folge nebst einem massiven Geschoss ein Fachwerkgeschoss aufgestockt erhielt. Deutlich erkennt man noch den oktogonalen Chor mit seinen Strebepfeilern. Die Fenster des Fachwerkteils sind allerdings im 19. Jahrhundert vergrössert worden, als das Fachwerk unter einem Verputz verschwand.

    Ein bermerkenswertes Haus habe ich in deiner Galerie vermisst. Es handelt sich um ein Fachwerkwohnhaus, dessen Putzfelder und Holzbalken im selben hellen Beigeton gestrichen sind, sodass man nur das Balkenrelief sieht. Ich fand diese Art von Restaurierung insofern interessant, da damit ein Bauzustand dokumentiert ist, als man im späten 18./frühen 19. Jahrhundert begann, Fachwerke lediglich mit einer Kalktünche "zum Verschwinden zu bringen". Das Zudecken mit einem Verputz war dann eine Weiterentwicklung. Vielleicht begibst Du dich wieder mal auf eine Phototour dorthin...

    Gedanken zur Betonarkade des Rathauses: Hände weg von einer Zerstörung dieses Betondenkmals!!! Ist doch auch ein Stück Baudokumentation aus einer Zeit, als man versuchte, historisierende filigrane Bauformen in Beton nachzuempfinden... :gg: :gg: :gg:

  • Zitat von "Riegel"

    Gedanken zur Betonarkade des Rathauses: Hände weg von einer Zerstörung dieses Betondenkmals!!! Ist doch auch ein Stück Baudokumentation aus einer Zeit, als man versuchte, historisierende filigrane Bauformen in Beton nachzuempfinden... :gg: :gg: :gg:


    Es hat mich nicht in Ruhe gelassen!

    Im Marburger Bildindex gibt's einiges an Material zum Rathaus, insbesondere zur Erdgeschosszone. Nebst einigen Jahrzahlen zur Baugeschichte ist dort die Rede von Erneuerungsarbeiten 1876, wobei die Entstehung der Fassadenmalerei mit 1872 angegeben wird. Offenbar zogen sich damalige Renovationsmassnahmen über mehrere Jahre hinweg.

    Ich beginne mal mit einer Photographie, welche den Zustand vor dem letzten Umbau der 60er/70er Jahre zeigt:
    Anstelle der heutigen filigranen Betonpfeiler bestanden breite, gemauerte Pfeiler, welche durch gerade Stürze miteinander verbunden waren. Es bestand also bereits damals eine Arkade mit sechs korbbogenähnlichen Öffnungen. Die geraden Stürze verraten jedoch, dass bereits damals mit Eisenträger gearbeitet worden ist (wobei ich Holzbalken nicht ausschliessen möchte). Der Gebäudesockel erschien sehr gedrungen; das Rathaus schien förmlich im Boden zu versinken. Diesen optischen Effekt könnte eine nachträgliche (18. Jh.?) Fenstervergrösserung im 1. Obergschoss mitverursacht haben, indem die Fenstersimse beträchtlich tiefer gesetzt wurden:


    Quelle: http://www.bildindex.de">http://www.bildindex.de


    Eine ältere Photographie, wohl kurz nach den Umbaumassnahmen der 1870er Jahre entstanden, zeigt den selben Zustand, nur dass hier die Arkaden mit Türen verschlossen waren:


    Quelle: http://www.bildindex.de">http://www.bildindex.de


    Interessant ist das dritte Bild: es zeigt den Zustand vor den Umbaumassnahmen und der Anbringung der heutigen Dekorationsmalerei in den 1870er Jahren. Stellenweise liegt das Fachwerk im 1. Obergeschoss frei; es scheint, als ob das Fachwerk mittels aufgenagelten Tonplättchen und darüber einem Verputz zugedeckt ist. Wahrscheinlich wurde hier im Vorfeld der Umbaumassnahmen eine Partie freigelegt, um die Statik der Fassade beurteilen zu können. Leider kann ich nicht erkennen, ob diese Aufnahme eine stark verwitterte frühere Fassadenmalerei zeigt. Aber ich meine, einmal gelesen zu haben, dass das Fachwerk bereits im 17. Jahrhundert zugunsten einer Renaissançemalerei zugedeckt worden ist. Anstelle der linken beiden Arkaden- resp. Türöffnungen bestanden geschlossene Wandpartien mit Fenstern:


    Quelle: http://www.bildindex.de">http://www.bildindex.de

    Interessant ist nun, dass man die Balkenköpfe der Erdgeschossdecke erkennen kann, welche beträchtlich höher als die Stürze der Arkadenöffnungen liegen. Ich kann mir vorstellen, dass ursprünglich eine offene Erdgeschosshalle mit kräftigen Eichenständern und angeblatteten Kopfbänder bestand, ähnlich der Rathäuser in Michelstadt und in Bad Urach, typisch für die Rathäuser im süddeutschen Gebiet. In diesem Zustand wirkte der Gebäudesockel weit weniger gedrungen, da der Sturz um einiges höher lag. Insofern finde ich den heutigen Zustand mit Beton bemerkenswert, da er dem (vermuteten) ursprünglichen Zustand am nächsten kommt. Die abgeschrägten Ecken der Arkaden zeichnen den Verlauf der Kopfbänder nach. Wahrscheinlich hatten die Tübinger seit Jahrhunderten mit der Statik ihres Rathauses zu kämpfen, und somit dürfte eine Rekonstruktion der Sockelzone mit den ursprünglichen Materialien einiges Kopfzerbrechen bereiten!

    Zum Vergleich:
    Rathaus Michelstadt
    Rathaus Bad Urach

    @klingentor
    Zur Freilegung von Fachwerk: da gehe ich mit Dir völlig einig! Ich habe mich in dieser Hinsicht bereits in Threads zu Nürnberg und Frankfurt geäussert. Ich habe eh vor, mal einen Faden mit dem Thema "Restaurierung/Rekonstruktion von Fachwerk" zu eröffnen. Auch betreffend Rothenburg gebe ich Dir recht: ich hätte besser geschrieben "... gilt in Tourismuskreisen als die mittelalterlichste Stadt..."

    Lingster
    Vielen Dank für die zusätzliche Ausführung!

  • Zitat klingentor:
    Eine originalgtreue Reko erscheint mir auch schwierig. Dennoch wäre es wünschenswert, wenn man zumindest mal Überlegungen hinsichtlich ästhetisch befriedigenderen Lösungen anstellen würde.

    klingentor:
    ganz meine Meinung.

    Riegel:
    Vielen Dank für die sehr ausführlichen Informationen.

  • @Riegel

    Danke erst mal für die Chronologie.
    Sich näher mit der Baugeschichte eines
    Gebäudes zu beschäftigen, ergibt neue
    Eindrücke und Bewertungen der Situation.

    Du schreibst:
    Ich beginne mal mit einer Photographie, welche den Zustand vor dem letzten Umbau der 60er/70er Jahre zeigt:
    Anstelle der heutigen filigranen Betonpfeiler bestanden breite, gemauerte Pfeiler, welche durch gerade Stürze miteinander verbunden waren. Es bestand also bereits damals eine Arkade mit sechs korbbogenähnlichen Öffnungen. Die geraden Stürze verraten jedoch, dass bereits damals mit Eisenträger gearbeitet worden ist (wobei ich Holzbalken nicht ausschliessen möchte). Der Gebäudesockel erschien sehr gedrungen; das Rathaus schien förmlich im Boden zu versinken. Diesen optischen Effekt könnte eine nachträgliche (18. Jh.?) Fenstervergrösserung im 1. Obergschoss mitverursacht haben, indem die Fenstersimse beträchtlich tiefer gesetzt wurden:


    und weiter:
    Interessant ist nun, dass man die Balkenköpfe der Erdgeschossdecke erkennen kann, welche beträchtlich höher als die Stürze der Arkadenöffnungen liegen. Ich kann mir vorstellen, dass ursprünglich eine offene Erdgeschosshalle mit kräftigen Eichenständern und angeblatteten Kopfbänder bestand, ähnlich der Rathäuser in Michelstadt und in Bad Urach, typisch für die Rathäuser im süddeutschen Gebiet. In diesem Zustand wirkte der Gebäudesockel weit weniger gedrungen, da der Sturz um einiges höher lag. Insofern finde ich den heutigen Zustand mit Beton bemerkenswert, da er dem (vermuteten) ursprünglichen Zustand am nächsten kommt. Die abgeschrägten Ecken der Arkaden zeichnen den Verlauf der Kopfbänder nach. Wahrscheinlich hatten die Tübinger seit Jahrhunderten mit der Statik ihres Rathauses zu kämpfen, und somit dürfte eine Rekonstruktion der Sockelzone mit den ursprünglichen Materialien einiges Kopfzerbrechen bereiten!


    Ist ein filigraner Zustand oder eine Rekonstruktion der Sockelzone
    angesichts der verputzten Fassade überhaupt sinnvoll?

    Ich meine nein und halte damit auch die derzeitige Betonpfeiler als
    vermeintliche Neuinterpretation früherer Eichenholzständer für falsch.
    Mit der Umgestaltung zur Putzfassade, die den Charakter des
    Sichtfachwerks beseitigte und stattdessen einen Massivbau mit
    Fassadenbemalung repräsentiert, war es folglich nur logisch aus
    gestalterischen Gründen auch der Sockelzone einen massiven
    Charakter zu verleihen.

    Ich teile deinen Eindruck nicht, dass damit das Gebäude “im Boden zu
    versinken“ drohte...ganz im Gegenteil, sie gab den Obergeschossen
    durch ihre zusätzliche, horizontale Gliederung eine stabile Basis.
    Die ist mit dem erneuten „Aufbrechen“ zugunsten der Betonpfeiler
    zerstört worden.

    Dadurch scheinen die Obergeschosse, wie bei ausgeräumten
    Erdgeschossen gängiger Ladenzonen, zu schweben und man
    hat das Gefühl, dass die Pfeiler unter der Last zusammenbrechen
    müßten, was sie natürlich nicht tun... dennoch, das Ganze bekommt
    einen empfindungsgemäß unstabilen Charakter, wie es vom "Neuen
    Bauen" bekanntermaßen gewünscht ist, aber einer traditionelle Ge-
    staltung zum Nachteil gereicht.

    Dieser Eindruck kann bei den Beispielen aus Michelstadt und Bad Urach
    so nicht entstehen, weil wir es hier tatsächlich noch mit Sichtfachwerk
    zu tun haben...die Konstruktion der Halle bildet mit den Obergeschossen
    eine gestalterische und konstruktive Einheit.
    Im Falle Tübingen ist das nicht (mehr) gegeben. Konsequenterweise
    müßte man hierzu die Fassade ihres Putzes und der Bemalung berauben
    und die Fachwerkkonstruktion freilegen...und nur vielleicht würden die
    Betonpfeiler dann mit dem Fachwerkobergeschossen eine filigranen
    Einheit ergeben...

    Schließlich kann dies aber in niemandem's Sinne sein, oder doch?

    Ich würde deshalb eine massivere Ergeschosszone mit den ursprünglichen
    Korbbögen und evtl. Rustika aus gestalterischen Gründen vorziehen,
    weil eine Bewertung der Fassade aus konstruktiver Sicht durch die
    Verkleidung und den massiven Charakter der Obergeschosse bereits
    hinfällig ist.


  • Ich habe mich wahrscheinlich zu ungenau ausgedrückt, und deshalb hast Du mich falsch verstanden. Ich schrieb:

    Zitat

    Der Gebäudesockel erschien sehr gedrungen; das Rathaus schien förmlich im Boden zu versinken. Diesen optischen Effekt könnte eine nachträgliche (18. Jh.?) Fenstervergrösserung im 1. Obergeschoss mit verursacht haben, indem die Fenstersimse beträchtlich tiefer gesetzt wurden.


    Mit dieser Feststellung zielte ich auf die optisch niedrige Höhe des Erdgeschosses im Verhältnis zur Höhe des 1. Obergeschosses (resp. zur gesamten Gebäudehöhe) ab. Diese beiden sind ja durch ein Gurtgesims voneinander getrennt (wie die restlichen Obergeschosse auch), aber das Gurtgesims befindet sich nicht wie im Normalfall auf der effektiven Höhe der Erdgeschossdecke, sondern sitzt zu tief! Deshalb meine Bemerkung zu den auf der 3. Photographie sichtbaren Balkenköpfen und den nachträglich tiefer gesetzten Fensterbrüstungen im 1. Obergeschoss. Wegen diesen zu tief liegenden Fensterbrüstungen musste auch das Gurtgesimse tiefer gesetzt werden (ca. 40 cm), und deshalb ist die Fassade schon seit über einem Jahrhundert aus dem Gleichgewicht geraten!

    Wollte man diesem optischen Mangel Abhilfe schaffen, müssten als erstes die Fenstersimse des 1. Obergeschosses wieder höher gesetzt werden (so wie sie wahrscheinlich zum Zeitpunkt der Erbauung des Rathauses im 15. Jahrhundert bestanden) und folglich auch das Gurtgesims auf die tatsächliche Höhe der Geschossdecke. Dadurch gewänne das Erdgeschoss optisch wieder an Höhe, und erschiene fortan nicht mehr so gedrungen. Dies wiederum hätte zur Folge, dass die Fassadenmalerei angepasst, und ein allenfalls noch vorhandener historischer Innenausbau (Wandtäferung?) ebenfalls verändert werden müssten! Also Zerstörung von historischer Bausubstanz! Aus diesem Grunde ist ja die moderne Denkmalpflege sehr zurückhaltend, wenn es um Rekonstruktionen bei bestehenden historischen Bauwerken geht.

    Ich gehe mit Dir einig, dass das Erdgeschoss im heutigen Zustand mit dünnen Betonpfeilern wie auch bei einer Rekonstruktion mit schlanken Holzpfeilern optisch im Boden versinkt (zu konzentrierte Kraftbündelung!). Haben wir damit nicht wohl das Hauptproblem bei der letzten Sanierung angesprochen? Wahrscheinlich befriedigte damals der Zustand des 19. Jahrhunderts mit den niedrigen, gedrungenen Erdgeschossöffnungen nicht mehr, und man suchte nach einer neuen Lösung. Aus unserer heutigen Sicht ist diese jedoch misslungen. Ich würde bei einer künftigen Sanierung auch eher wieder zu massiven Mauerpfeilern tendieren, evt. unter minimaler Absenkung des Platzes im Bereich der linken Gebäudehälfte.

    Diese Ausführungen mögen jetzt für den einen oder andern APH-Leser als spitzfindig erscheinen, aber ich möchte damit lediglich mal ein Problembeispiel darstellen, wie es sich oft bei Teilrekonstruktionen von historischen Bauwerken bietet.

  • @Riegel

    du schreibst:
    "Ich gehe mit Dir einig, dass das Erdgeschoss im heutigen Zustand mit dünnen Betonpfeilern wie auch bei einer Rekonstruktion mit schlanken Holzpfeilern optisch im Boden versinkt Wahrscheinlich befriedigte damals der Zustand des 19. Jahrhunderts mit den niedrigen, gedrungenen Erdgeschossöffnungen nicht mehr, und man suchte nach einer neuen Lösung. Aus unserer heutigen Sicht ist diese jedoch misslungen. Ich würde bei einer künftigen Sanierung auch eher wieder zu massiven Mauerpfeilern tendieren, evt. unter minimaler Absenkung des Platzes im Bereich der linken Gebäudehälfte.

    Diese Ausführungen mögen jetzt für den einen oder andern APH-Leser als spitzfindig erscheinen, aber ich möchte damit lediglich mal ein Problembeispiel darstellen, wie es sich oft bei Teilrekonstruktionen von historischen Bauwerken bietet."

    ob die maßnahme der 60er/70er jahre des 20.jahrhunderts ausschließlich
    aus heutiger sicht mißlungen erscheint, könnte nur anhand weiterer
    entwürfe von damals zur umgestaltung der erdgeschosszone beurteilt
    werden. ich kann nur vermute, meine aber, dass man sich damals wie
    heute zu wenig um die gesamtgestaltung gedanken machte und lediglich
    den teilaspekt aus konstruktiv-modernistischer sicht herausstellte...
    sonst hätte man sicher damals auch nach einer gestalterisch
    verträglicheren lösung gesucht, statt mit sichtbetonpfeilern zu agieren.

    deine beschreibung hinsichtlich der umgestaltung des 1.obergeschoss,
    die zur drückung des erdgeschosses beitrug, war für mich eingängig und
    gut geklärt. allein eine massivere erdgeschosszone würde diesen eindruck
    noch unterstreichen, wie ich es auffasste, mochte ich so nicht stehen
    lassen. die umgestaltung des erdgeschoss muß demnach nicht erst mit
    der verkleidung der obergeschosse als notwendige maßnahme erschienen
    sein, sondern bereits früher, mit der herabsetzung der fenster und des
    gesims im 1.obergeschoss. mit der massiveren erdgeschosszone wurde
    der gedrungene charakter bereits entschärft. erst die vermeintllich
    historische öffnung und neuinterpretation im 20.jahrhundert verschärfte
    die optische störung erneut, welche wiederum auf die veränderung des
    1.obergeschoss zurückzuführen ist.

    in deiner einschätzung im letzten absatz gehen wir konform....die
    leichte niveauabsenkung wäre visuell ob ihrer wirkung zu untersuchen.
    finde den aspekt interessant und die diskussion hier sinnvoll.

    im grunde geht es dabei nicht so sehr um
    eine (teil-)rekonstruktion, sondern um die
    frage der gestaltung an sich. ob sich die moderne
    denkmalpflege schwer tut mit (teil-)rekonstruktionen,
    ist bei dieser thematik deshalb auch weniger die frage,
    scheint sie angesichts des eingriffs doch auch hier maßgeblich
    ideologisch motiviert. die punkte, die angesprochen wurden
    und zu einer verbesserung der gesamtfassade beitragen könnten
    würde zudem nicht von der denkmalpflege geführt...leider.

  • @johan
    Es ist wichtig dass wir nicht dogmatisch werden.

    wer wird hier dogmatisch?
    dogmatisch motiviert war vielleicht allenfalls
    der eingriff der 60er/70er jahre, wo ohne rücksicht
    auf die gesamtfassade eine vermeintlich mittelalterliche
    situation mit modernistischen mittel in form von
    sichtbetonpfeiler ausgeführt wurde.

    riegel hat ausführlich auf eine
    problematik aufmerksam gemacht
    und daraus hat sich dann die diskussion
    ergeben, die ich als sehr fruchtbar empfinde,
    weil sie analysiert und lösungen aufzeigt,
    wie man die situation verbessern könnte.

    von einer zwangsläufigen rekonstruktion
    wurde doch gegen ende sogar abstand ge-
    nommen.

  • Zitat von "Johan"

    Es ist wichtig dass wir nicht dogmatisch werden. Wenn wir dogmatischer wird, dann werden genau so wie der neo-modernisten....

    und

    ...Ich meine, in diese Forum gehen wir manchmal so in Details, weil es for uns ein grosse Hobby ist. Für die meisten menchen ist es nich so.


    Meine Beschäftigung mit diesem prächtigen Rathaus hat sich zu einer fachlichen Diskussion zwischen Stefan und mir gemausert. Es macht mir einfach Spass, über die Baugeschichte eines Gebäudes zu recherchieren; diesbezüglich ist das effektiv mein liebstes Hobby. Über dieses habe ich den Weg zu meinem Beruf als Architekt gefunden (mein Kindheitstraum!), und ich nutze hier lediglich die Gelegenheit, Alltagsaufgaben eines im Restaurationsbereich tätigen Architekten zu schildern. Deswegen ja meine Aussage in meinem letzten Beitrag: "Diese Ausführungen mögen jetzt für den einen oder andern APH-Leser als spitzfindig erscheinen, aber ich möchte damit lediglich mal ein Problembeispiel darstellen, wie es sich oft bei Teilrekonstruktionen von historischen Bauwerken bietet.". Ich hoffe damit, dem einen oder andern Leser hier das Auge schärfen zu können.

    Die Frage nach tatsächlichen Rekonstruktionen stellt sich in Tübingen glücklicherweise nicht, auch nicht diejenige des Sockelgeschosses des Rathauses. Aber bei jeder Renovation eines historischen Bauwerkes muss man sich mit dessen Rekonstruktion bzw. Baugeschichte befassen, auch wenn sie nur gedanklich oder auf dem Papier formuliert wird.

    Schon mit meinem ersten Beirag in diesem Faden war ich mir bewusst, dass man sich in kriegsverschonten Ortschaften glücklich schätzen kann, überhaupt über kleinste Details diskutieren zu können, im Gegensatz zu den meisten Themen hier im Forum, wo es um den Verlust ganzer Stadtteile und damit Urbanität geht!

  • Auf Youtube gibt es sehenswerte Luftaufnahmen von Tübingen und Bebenhausen:

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  • Ja, mir gefällt Tübingen auch besser als Heidelberg und das sage ich nicht nur, weil Tübingen meine Heimatstadt ist. Auf den Unesco-Titel lege ich keinen großen Wert. Mehr Touristen braucht Tübingen nicht und ob der Titel dem Schutz der Altstadt wirklich dient, ist auch die Frage (ich denke z.B. an das skandalöse Neubauprojekt in Bamberg).

  • In nächster Zeit werde ich Euch Tübingen näher vorstellen. Den Anfang mache ich mit Tübingens Schokoladenseite, der Neckarfront. Die Bilder sind von heute. Der klassische Blick von der Neckarbrücke:

    Der Turm rechts ist in seinen unteren Teilen ein Rest der mittelalterlichen Stadtbefestigung. Darüber ein Gebäude aus den 1950er Jahren, das einen im Krieg zerstörten Bau von 1880 ersetzt (das ist übrigens an der Neckarfront das einzige Haus, das nach 1900 errichtet wurde).

    Den Häusern links sieht man ihre bewegte Baugeschichte an. Das schmale rosa Haus rechts stammt aus dem 15. Jahrhundert, wurde aber 2008 völlig entkernt; nur die Fassade ist noch alt.

    In etlichen Häusern steckt noch die Stadtmauer.

    Der Hölderlinturm. Offensichtlich ein weiterer Rest der Stadtmauer. 1875 abgebrannt, danach etwas verändert wieder aufgebaut. Oben rechts die ockerfarbene Alte Aula von 1547. Links kommt die Burse ins Bild.

    Süßes kleines Waschhaus von ca. 1800.

    Die Burse. Ab 1478 für die Artistenfakultät erbaut. 1803 bis 1805 zur Klinik umgebaut. Vor ihr stand noch eine Häuserreihe, die um 1805 abgerissen wurde um der Klinik Licht und Luft zu verschaffen; auf die noch erhaltenen Kellergewölbe ist man vor ein paar Jahren bei Bauarbeiten gestoßen.

    Fortsetzung folgt.

  • Rechts noch die Burse, links angeschnitten das Stift. Das weiße Haus im Vordergrund ist das alte Neckarbad, schon im 15. Jahrhundert erwähnt.

    Das Haus mit dem freiliegenden Fachwerk im Giebel ist das alte Ephorat (Stiftsverwaltung). Die Häuser darüber liegen an der Münzgasse.

    Eine meiner Lieblingsansichten in Tübingen.

    Das hochbedeutende Evangelische Stift. Im Kern ein Augustinerkloster, mehrfach, zuletzt 1796 tiefgreifend umgebaut. Das Stift stelle ich bei anderer Gelegenheit ausführlicher vor.

    Links an den Hauptbau des Stiftes anschließend ein Wirtschaftstrakt und das Neue Ephorat.

    Die Häuser oben und links liegen an der Neckarhalde.


    Ein Blick zurück.

    Es geht noch weiter...

  • Stattliche Häuser an der Neckarhalde. Das Haus rechts ist aus zwei älteren Häusern zusammengefaßt. Das rosa Haus in der Mitte von ca. 1830.

    Unschwer zu erkennen ist, daß die Häuser auf der Stadtmauer aufsitzen. Darüber Schloß Hohentübingen, dem ich später viel Aufmerksamkeit schenken werde.

    Das schmale weiße Haus links markiert das Ende der vormodernen Bebauung an der Neckarhalde. Es folgte nach links das Hirschauer Tor.

    Dieses Haus wurde ca. 1830 nach Abbruch des Hirschauer Tores erbaut.

    Ein Turmstumpf des Hirschauer Tores hat als Gartenhäuschen überlebt.

    Links (d.h. nach Westen) schließen sich Bauten des 19. Jahrhunderts an.

    Damit ist der Marsch vor der Neckarfront von rechts nach links (Osten nach Westen) fertig. Fortsetzung folgt (hoffentlich) nächte Woche.

  • Danke! Die herrliche Oberstadt werde ich Gasse für Gasse vorstellen. In der etwas weniger herrlichen Unterstadt (wo die ärmeren Leute wohnten) und in den Stadterweiterungen des 19. und 20. Jahrhunderts werde ich mich auf Highlights beschränken. Mit den Fortsetzungen kann es aber noch eine Weile dauern.

  • Weiter gehts. Von einem sehr häßlichen Parkaus aus hat man einen schönen Blick in nordwestliche Richtung auf die Innenstadt. Links (westlich) der Neckarbrücke liegt die Altstadt, rechts der Österberg.

    Blick von der Neckarbrücke nach Norden in die Mühlstraße. In der Bildmitte rechts, an Stelle des eingeschossigen Flachbaus, befand sich einst das Wohnhaus von Ludwig Uhland. 1944 wurde es von einer schweren Fliegerbombe getroffen, die auch die umliegenden Häuser (alle aus dem 19. Jahrhundert) zerstörte. Dies war der einzige Kriegsschaden in der Altstadt. Links hinter dem Neubau geht es in die Neckargasse, durch die wir die Altstadt betreten.

    Die Neckargasse.

    Auf dem Stadtplan von 1819 ist die Marschroute in rot markiert.

    Der Neubau ganz vorne rechts geht auf den Kriegsschaden zurück. Für die folgenden zwei Bauten wurden in 1990er Jahren zwei Fachwerkhäuser und ein Stück der Stadtmauer abgerissen! Solche Barbareien kommen in Tübinger viel seltener vor als in anderen baden-württembergischen Städten, aber eine Insel der Seligen ist Tübingen halt auch nicht. Das zartrosa Fachwerkhaus ist aus dem 15. Jahrhundert.

    Hinter dem Neubau versteckt sich ein Fachwerkhaus des 16. Jahrhunderts.

  • Die linke, d.h. südliche, Seite, die parallel zum Neckar verläuft, also die Rückseite der Häuser an der Neckarfront.

    Selbige Seite.

    Das hohe weiße Haus rechter Hand (Neckargasse 15) wurde 1446/47 (d) erbaut.

    Ein Blick zurück. Wieder das Haus von 1446.

    Wir folgen wieder unserem alten Kurs und sehen die Stiftskirche. Das Haus links mit dem Erker aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, das weiße Haus daneben aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts (wir schauen uns nachher noch die gegenüberliegende Seite an).

    Der Erker mit historistischer Bemalung und fiktiver Datierung 1584. Auf alten Ansichten kann man erkennen, daß es in Tübingen Fassadenmalereien der (echten) Renaissance früher öfters gab, doch leider ist sehr wenig erhalten.

    Wir sind an einer Abzweigung angelangt. Nach Norden geht es bergauf zum Holzmarkt mit der Stiftskirche.

    Nach Westen geht es parallel zum Neckar hinab in die Bursagasse und diesen Weg werden wir weitergehen.

  • Auf dem Stadtplan von 1819 ist der Verlauf der folgenden Strecke bis zum Stift in Rot markiert, der bereits zurückgelegte Weg in Schwarz.

    Gleich am Anfang der Bursagasse steht dieses Haus aus der Zeit um 1500.

    Wir drehen uns einmal um und sehen wieder das Haus aus dem 15. Jahrhundert, diesmal die andere Schmalseite.

    Weiter nach Westen.

    Ein 1910 umgebautes älteres Haus.

    An dessen Fassade ein renaissancezeitlicher Löwe als Spolie angebracht ist.

    Wir erreichen den Bereich der Universität mit durchaus monumentalen Bauten. Links hinten die Burse, rechts die Alte Aula (1547).