Lübeck - Historische Fassaden in der Altstadt

  • Hier mal eine schwierige Aufgabe, falls Du Lust hast: Die völlig verhunzte Fassade Böttcherstraße 18:

    "Baujahr 1500" - so eine Anzeige hat was.

    Na, 1500 halte ich aber für zu früh. 1600 würde eher hinkommen.

    Das in der Beschreibung geschätzte Baudatum '1500' halte ich aber schon für möglich. Auch in der Denkmalliste bei Wikipedia - in der Böttcherstr. 18 nicht figuriert - wird bei vielen Bauten ein viel älteres Datum angegeben als es die Fassaden suggerieren. Wie oft wurde eine neue Fassade vor ein älteres Gebäude gesetzt? Von daher halte ich die Zahl schon für glaubwürdig, insbesondere weil das Haus von der Denkmalpflege oder Bauforschung begutachtet wurde.

    Auf der vergrösserten Fassadenansicht sieht man praktisch keine Spuren, die Schlüsse auf ein früheres Aussehen der Fassade ermöglichen, lediglich über dem linken Fenster des 1. Obergeschosses deutet das Rissbild auf einen Entlastungsbogen des einstigen Dielenfensters hin. Bei der Putzöffnung rechts oben könnte man meinen, dass dort eine Baufuge besteht. Wenn man aber die Vergrösserung genau betrachtet, erkennt man, dass die Backsteine über die vermeintliche Fuge 'durchlaufen'; tatsächlich handelt es sich aber nur um eine Verfärbung! Jedenfalls war die Fassade vor dem Verputzten weiss oder hellgrau geschlämmt.

    Natürlich lohnt sich auch ein Blick auf die Nachbarbebauung; zuerst einmal eine Vogelschauperspektive auf die Vorderseite und Rückseite der ganzen Häusergruppe Böttcherst. 16 - 22. Nr. 16 steht traufständig zur Strasse und ist stark überformt, weshalb dieses Haus keine Anhaltspunkte liefert. Nrn. 20 und 22 sind da schon interessanter und stehen zudem unter Schutz:

    197px-Luebeck_Boettcherstr_20.jpg ... 203px-Luebeck_Boettcherstr_22.jpg

    Böttcherstr. 20 und Böttcher 22.

    Autor: Martin Lemke, Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license.

    Als älteste nachweisbare Bebauung ist in der Denkmalliste bei Wikipedia für Nr. 20 das Jahr 1294 angegeben und für die prägende (bestehende) Bebauung 1606. Bei Nr. 22 sind es 1325 und das 17. Jahrhundert. Beide Fassaden weisen Elemente aus der Renaissance auf, und bei beiden nehmen die untersten Stufenpaare fast die gesamte Fassadenbreite ein. Beide Bauten haben auch ein Satteldach, aber bei Nr. 18 ist das Dach gegen die Vorderseite abgewalmt. Da stellt sich schon eine weitere generelle Frage, was es mit diesen Abwalmungen auf sich hat: sind diese ursprünglich oder entstammen sie einer Zeit, in der bei Überformungen von Giebelfassaden zu klassizistischen Fassaden mit geradem, hausbreitem Abschluss der Giebel dann 'quasi' abgeschrotet wurde, damit er nicht mehr über die Abschlusskante hervorschaute?

    Jedenfalls hat Nr. 18 zwei Dachgeschosse und Nrn. 20 und 22 nur eines. Ich kann mir vorstellen, dass bei Nr. 18 das bestehende 1. Dachgeschoss (das ist kein 3. Obergeschoss) heute noch die originale Breite des ersten Stufenpaars einnimmt. Und die beiden seitlichen kleinen Fenster könnten aus einstigen Blindnischen hervorgegangen sein, auch wenn die Nachbarbauten keine solchen aufweisen.

    Für eine zeichnerische oder fotografische Rekonstruktion sind zu wenige Kenntisse vorhanden, weshalb ich das eben Beschriebene in Skizzenform zeichnete. Aussagen zu Blindnischen, Form und Anzahl der Fenster im Giebeldreieck etc. können aufgrund der Fotografie und der Rückseite bei google.maps keine gemacht werden. Insbesondere die beiden Fenster in der aktuellen Form im 1. Dachgeschoss erscheinen mir in der Höhe zu gedrückt, auch wenn die abgeschrägten Sturzleibungen altertümlich wirken.


    Boettcherstrasse-18.md_Rekonstruktion.jpg

    Böttcherstr. 18, Rekonstruktionsskizze. Bildgrundlage: Frank1204.

  • Abermals eine tolle Rekonstruktionszeichnung, die dem Original sehr nahekommen müsste. Das Portal wird aber wohl noch ein wenig höher gewesen sein. Und vielleicht mit Kreisblenden darüber.

    Das in der Beschreibung geschätzte Baudatum '1500' halte ich aber schon für möglich. Auch in der Denkmalliste bei Wikipedia - in der Böttcherstr. 18 nicht figuriert - wird bei vielen Bauten ein viel älteres Datum angegeben als es die Fassaden suggerieren. Wie oft wurde eine neue Fassade vor ein älteres Gebäude gesetzt? Von daher halte ich die Zahl schon für glaubwürdig, insbesondere weil das Haus von der Denkmalpflege oder Bauforschung begutachtet wurde.

    Wenn da noch ein älteres, also gotisches Haus drinsteckt, müsste dieses deutlich vor 1500 gebaut worden sein. Die Renaissance-Fassaden vorne und hinten wird man ja nicht gleicht ein paar Jahr(zehnt)e nach dem Bau des gotischen Hauses davorgesetzt haben. In der Renaissance wurde ja meist die komplette Fassade - oder gleich das ganze Haus neu gebaut wie ich oben schon schrieb. In späteren Epochen wie dem Barock oder dem Klassizismus wurden Fassaden aus Gotik und Renaissance meist nur überformt. Deswegen haben wir ja überhaupt das Thema hier.

    Also, 1500 für die Fassade glaube ich beim besten Willen nicht. Die Frage ist ja, ob der Mensch, der die Anzeige erstellt hat, das genaue Jahr von der Denkmlapflege parat hatte oder sich nur vage an "irgendwas mit 1500" erinnerte oder ob da "Stille Post" im Spiel war. Auf die Zeit zwischen 1550 und 1600 würde ich mich ja noch herunterhandeln lassen, aber dann müssten im Stufengiebel noch Hochblenden gewesen sein. Fassaden ohne Hochblenden entstanden dann doch eher erst um 1600 herum. Vielleicht könnte es ja sogar sein, dass die schmalen seitlichen Fenster auf ehemalige Hochblenden hindeuten, von denen es dann 5 Stück gegeben haben müsste. Auch die fehlenden Stichbögen über den oberen Fenstern wären ein Indiz dafür, und die beiden mittleren, gedrungenen Fenster würden dann ehemals drei schmale (wie die äußeren) gewesen sein. Andererseits widerspäche dieser Theorie der mittlere Maueranker, der, wenn er noch an der originalen Position sitzt, in der mittleren Hochblende läge, was doch sehr ungewöhnlich wäre. Also eher keine Hochblenden...

    Alles nur Vermutungen, das wird man nur sehen, wenn der Putz ab ist. Ich bin darauf schon sehr gespannt und werde da wohl ab und zu mal vorbeigehen müssen, auch wenn das nicht ganz auf meiner Gründungsviertel-Route liegt.

    Auf der vergrösserten Fassadenansicht sieht man praktisch keine Spuren, die Schlüsse auf ein früheres Aussehen der Fassade ermöglichen, lediglich über dem linken Fenster des 1. Obergeschosses deutet das Rissbild auf einen Entlastungsbogen des einstigen Dielenfensters hin. Bei der Putzöffnung rechts oben könnte man meinen, dass dort eine Baufuge besteht. Wenn man aber die Vergrösserung genau betrachtet, erkennt man, dass die Backsteine über die vermeintliche Fuge 'durchlaufen'; tatsächlich handelt es sich aber nur um eine Verfärbung! Jedenfalls war die Fassade vor dem Verputzten weiss oder hellgrau geschlämmt.

    Ja, das klingt sehr plausibel, dass wir hier im Dachbereich die originale Fassadenbreite sehen. Es ist sogar fast immer so, dass die unterste Giebelstufe annähernd genauso breit wie die gesamte Fassade ist (höchstens abzüglich der Traufe). Mich hatte diese vermeintliche "Naht" rechts nur irritiert.

    Da stellt sich schon eine weitere generelle Frage, was es mit diesen Abwalmungen auf sich hat: sind diese ursprünglich oder entstammen sie einer Zeit, in der bei Überformungen von Giebelfassaden zu klassizistischen Fassaden mit geradem, hausbreitem Abschluss der Giebel dann 'quasi' abgeschrotet wurde, damit er nicht mehr über die Abschlusskante hervorschaute?

    Abwalmungen sind in Lübeck (ich würde mich mal so weit aus dem Fenster lehnen) nie bauzeitlich. Diese wurden im Klassizismus nötig, weil, wie Du schon schriebst, niedrigere Attika-Fassaden entstanden und das dann offene Dach-Dreieck darüber irgendwie geschlossen werden musste. Zudem gibt es noch einige wenige Fälle von nicht überformten Fassaden mit Abwalmung, bei denen dann aber die obere/n Giebelstufe/n irgendwann aufgrund von Baufälligkeit entfernt werden mussten und nicht wieder aufgebaut wurden. Meist sind die originalen Rückfassaden - wie auch hier - bei "klassizistisierten" Fassaden noch vorhanden (die sieht man ja nicht und wurden daher nicht teuer umgebaut) - und dort sind ja auch keine Abwalmungen vorhanden. Und überhaupt: Man muss sich direkt mal vorstellen, um wieviel älter Lübeck aussähe, wenn alle Häuser mit Rückfassaden aus Gotik und Renaissance heute ebenfalls noch ihre originalen Straßenfassaden aus dieser Zeit hätten. Das wäre geradezu überwältigend! Einen kleinen Eindruck davon bekommt man in der unteren Mengstraße.

    Jedenfalls hat Nr. 18 zwei Dachgeschosse und Nrn. 20 und 22 nur eines. Ich kann mir vorstellen, dass bei Nr. 18 das bestehende 1. Dachgeschoss (das ist kein 3. Obergeschoss) heute noch die originale Breite des ersten Stufenpaars einnimmt. Und die beiden seitlichen kleinen Fenster könnten aus einstigen Blindnischen hervorgegangen sein, auch wenn die Nachbarbauten keine solchen aufweisen.

    Übrigens keine Zusatzinfo: Direkt links neben Böttcherstraße 22 stand die kleine gotische Kirche St. Clemens aus dem 13.Jahrhundert. Diese wurde - überaus bedauerlich - 1899 abgerissen und Anfang des 20. Jahrhunderts durch einen furchtbaren Wohnblock ersetzt. In dem hat es übrigens gerade vor ein paar Tagen gebrannt. Die Gegend hier direkt neben dem ehemaligen "Rotlichtviertel" Clemensstraße ist nicht die beste und ziemlich heruntergekommen. Aber das ändert sich gerade, und eine schöne Sanierung/Teilreko des Hauses Böttcherstraße 16 würde einen guten Beitrag dazu leisten!

    Von der Kirche sollen übrigens noch zwei Strebepfeiler an einer Hauswand irgendwo im Hinterhof existieren, die ich aber noch nie gesehen habe.

    Für eine zeichnerische oder fotografische Rekonstruktion sind zu wenige Kenntisse vorhanden, weshalb ich das eben Beschriebene in Skizzenform zeichnete. Aussagen zu Blindnischen, Form und Anzahl der Fenster im Giebeldreieck etc. können Aufgrund der Fotografie und der Rückseite bei google.maps keine gemacht werden. Insbesondere die beiden Fenster in der aktuellen Form im 1. Dachgeschoss erscheinen mir in der Höhe zu gedrückt, auch wenn die abgeschrägten Sturzleibungen altertümlich wirken.

    Wie gesagt, das hat Du trotz der wenigen Indizien sehr gut hinbekommen. Die Rückfassaden wurde übrigens meist/oft ohne Nischen gebaut, auch wenn vorne welche waren. D.h. man kann da tatsächlich keine großartigen Rückschlüsse ziehen, auch wenn die Rückfassade hier bis auf Störungen im EG original zu sein scheint.

    Wenn es keine Hochblenden gab, werden das bei den oberen Fenstern aber zumindest Stichbogennischen gewesen sein. Eine Reihe Stichbögen und darüber plötzlich keine mehr, wäre sehr unüblich bis unmöglich. Vermutlich werden die Fenster noch ein klein wenig höher gewesen sein (bis zu den Maueranker-Mitten sind vielleicht noch 10-20cm Platz, und mit einem Stichbogen darüber, würden diese optisch noch weiter erhöht werden. Die Stichbögen wird man zugemauert haben, da diese sonst bis an das Gesims stößen würden, was auch wieder merkwürdig aussähe. Für mich sieht es des weiteren so aus als ob die unter dem Gesims Lilienanker ihre oberen "Schenkel" eingebüßt hätten.

    Kleiner Nachtrag: Ich habe mir nochmal das Bild der Rückfassade in der Ebay-Anzeige angesehen. Da die Anordnung der Fenster zwischen Vorder- und Rückseite doch oft ähnlich ist, besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass oben im Giebel zwei Fenster in den bestehenden Achsen saßen. Das würde dann die Hochblenden-Theorie widerlegen und komplett auf Bogennischen hindeuten - was ich bei diesem Haus für ohnehin wahrscheinlicher halte.

  • Also, 1500 für die Fassade glaube ich beim besten Willen nicht.

    Als älteste nachweisbare Bebauung ist in der Denkmalliste bei Wikipedia für Nr. 20 das Jahr 1294 angegeben und für die prägende (bestehende) Bebauung 1606. Bei Nr. 22 sind es 1325 und das 17. Jahrhundert. Beide Fassaden weisen Elemente aus der Renaissance auf, und bei beiden nehmen die untersten Stufenpaare fast die gesamte Fassadenbreite ein. Beide Bauten haben auch ein Satteldach

    Ich hatte das zu wenig betont: In der Wikipedia-Liste wird eben genau in die beiden fettgedruckten Kriterien unterschieden. Wenn für die beiden Nachbarbauten als prägende Bebauung 1606 und das 17. Jahrhundert angegeben werden, wäre es ja so, dass

    Wenn da noch ein älteres, also gotisches Haus drinsteckt, müsste dieses deutlich vor 1500 gebaut worden sein.

    hier eine deutlich ältere Bebauung vorhanden war.

    Fassaden ohne Hochblenden entstanden dann doch eher erst um 1600 herum.

    Was auch mit "1606" und "17. Jh." übereinstimmen würde. Mein erster Blick nach deinem Foto war dann bei Googlemaps, und sofort kann man da feststellen, dass die Gebäudetiefe aller drei Bauten übereinstimmt, sodass ich dachte, dass da eine Ähnlichkeit unter allen drei Bauten vorhanden sein könnte. In der Denkmalliste stellt man auch eine Verwandtschaft der Giebel von Nr. 20 und 22 fest. So kam ich übrigens durch all diese Vergleiche darauf, dass das unterste Stufenpaar wohl heute noch die Fassadenkante von Nr. 18 markiert.

    Da die Bilder bei Ebay nicht lange online sein werden, und bei Googlemaps die Vogelschauansicht zu unscharf ist, habe ich das Bild der Rückseite herauskopiert:

    c4aedb8c-8069-4814-adb7-49e692f58903.jpg

    Die Rückfassade sieht in ihrer Unversehrtheit aber auch nach 'um 1600' aus, sodass ich denke, dass das ganze Haus um 1600 gebaut wurde und vielleicht noch ein älterer Keller drinsteckt. Als älteste nachweisbare Babauung der Nrn. 20 und 22 wird in der Denkmalliste 1294 und 1325 angegeben. Möglicherweise trifft dies auf die Keller zu.

    Die Stichbögen [der Fenster am 1. Dachgeschoss ] wird man zugemauert haben, da diese sonst bis an das Gesims stößen würden, was auch wieder merkwürdig aussähe.

    Das denke ich auch, und ich habe auch keine Vergleichsobjekte mit so gedrückten Fenstern und geradem Sturz finden können.

  • Die Rückfassade sieht in ihrer Unversehrtheit aber auch nach 'um 1600' aus, sodass ich denke, dass das ganze Haus um 1600 gebaut wurde und vielleicht noch ein älterer Keller drinsteckt. Als älteste nachweisbare Babauung der Nrn. 20 und 22 wird in der Denkmalliste 1294 und 1325 angegeben. Möglicherweise trifft dies auf die Keller zu.

    Ja, meist wurden, wenn vorhanden, die gotischen Keller beim Neubau des Hauses belassen. In jedem Fall sind in Lübeck aus der ersten steinernen (gotischen) Bauphase aber die Brandwände erhalten, da diese immer mittig auf den Grundstücksgrenzen standen und damit zu beiden Häusern gemeinsam gehörten. D.h. bei einem Hausneubau konnten die Brandwände nie mit abgerissen werden. Aus diesem Grund blieben diese über die Jahrhunderte erhalten und verfügt Lübeck über einen extrem hohen Anteil an gotischen Brandwänden (die insbesondere auch zum Welterbe gehören), auch in deutlich neueren Häusern. Es gibt sogar gotische Brandwände in Nachkriegsbauten, wenn das Nachbarhaus im Krieg nicht zerstört worden war oder einfach ein altes Haus zwischen zwei historischen abgerissen wurde.

    Die Bestimmung der "ältesten nachweisbaren Bebauung" wird sich also aus Kellern, Brandwänden, aber auch zu einem guten Teil aus Erwähnungen in alten Dokumenten zusammensetzen. Vermutlich sogar im wesentlichen aus letzteren, da die genauen Jahresbestimmungen außerhalb von Schriftstücken meist dendrochronologisch erfolgen, was wohl nur bei erhaltenen Dachstühlen, aber nicht aus dem Mauerwerk möglich ist (?). Gotische Dachstühle sind wohl eher nicht erhalten, wenn in der Renaissance - wie hier - Vorder- UND Rückfassade, also das ganze Haus, erneuert wurden.

  • Nun haben wir doch noch Einiges über das Haus herausgefunden, auch wenn mit diesen Kenntnissen noch keine Photoshop-Rekonstruktion möglich ist. Ich hatte noch versucht, die Fenster im rückseitigen Giebeldreieck auf die Vorderseite zu übertragen, bin aber zu keinem brauchbaren Resultat gekommen. Die Denkmalliste habe ich nun dreimal nach mir interessant vorkommenden Bauten durchgeforstet, über die es etwas zu berichten gibt. Dabei fiel der Blick auch auf die Giebeldreiecke und deren Fensteranordnungen, aber auch hier habe ich nichts Vergleichbares für Böttcherstr. 18 finden können.


    Es gibt sogar gotische Brandwände in Nachkriegsbauten, wenn das Nachbarhaus im Krieg nicht zerstört worden war oder einfach ein altes Haus zwischen zwei historischen abgerissen wurde.

    So eine Wand hatte ich mal bei Googlemaps in Nürnberg zwischen der Karl-Grillenberger-Strasse und Mühlgasse entdeckt: https://club.baukultur.pictures.

    Für den Neubau wurde ein Nebentrakt eines 1923/24 erbauten Versicherungsgebäudes abgerissen (rechts angeschnitten). Das Haus, das sich die Brandwand teilt, ist ein Nachkriegsbau von 1950/60. Im Unter- und Erdgeschoss haben sich aber deutlich ältere Baustrukturen erhalten; an einer Stelle sogar bis ins 1. Obergeschoss hinauf!


    Nun gehe ich noch kurz auf zwei Bauten aus deinem Beitrag vom 16. Juli ein:

    Bei Dankwartsgrube 26 fallen mir zudem die sauber gereinigten Backsteine auf. Es gibt Fassaden, bei denen noch viele Reste früherer flächiger Bemalungen darauf sind oder auch Mörtelreste bei wiederverwendeten Ziegeln. Dies sieht eigentlich unschön aus (z. B. Hundestr. 64) und hat nichts mit Patina zu tun. Zuweilen sehen Fassaden so aus, wie wenn sie ausschliesslich aus Abbruchziegeln bestehen würden (z. B. Hundestr. 74, Fassade wohl neu gebaut). Man kann geteilter Meinung sein, ob jetzt eine gründliche Reinigung denkmalpflegerisch vertretbar ist oder nicht. Es sind ja nicht steinharte Krusten wie bei einem Naturstein, bei deren Entfernung der Steinoberfläche grosser Schaden zugefügt wird.

    Königstr. 30 erweckt schon beinahe den Eindruck einer neugotischen Fassade. Gerade die Zweifarbigkeit der Ziegel und die gotischen Spitzbögen mögen es der Neugotik doch angetan haben! Als diese in der Mitte des 19. Jahrhunderts hoch im Kurs war, haben noch viele originale Fassaden und historische Baubefunde existiert, die dem neuen Stil Pate standen.

    Und vielen Dank für deine weiteren Ausführungen zur Farbigkeit der Fassaden, Rücklagen und Fenster!

    Des weiteren ist zu lesen, dass "kräftige Blutrot-Töne" und "sattes Ockergelb" "jahrhundertelang das Bild der Ostseestädte bestimmten".

    ... was wir vor allem von Stockholm her kennen. Irgendwie schwer vorstellbar, dass Lübeck einst mal die Farbigkeit Stockholms besessen haben soll.

  • Abwalmungen sind in Lübeck (ich würde mich mal so weit aus dem Fenster lehnen) nie bauzeitlich. Diese wurden im Klassizismus nötig, weil, wie Du schon schriebst, niedrigere Attika-Fassaden entstanden und das dann offene Dach-Dreieck darüber irgendwie geschlossen werden musste.

    Hierzu habe ich bei Google maps gerade in der Umgebung von Böttcherstr. 18 - an der Beckergrube ab Haus Nr. 71 beidseits - ein solches Ensemble mit gekappten Firsten entdeckt: Google maps.

    Vor allem wegen der links zu sehenden Dachpappeneindeckungen erhält man den Eindruck einer Westernstadt.

  • Und noch ein Nachtrag zu Kleine Burgstr. 16, betreffend der Breite der Erdgeschossdielenfenster:

    Vielleicht magst Du mit dem rechten EG-Fenster tatsächlich recht haben. Für mich ist es bei der Betrachtung des vergrößerten Originalfotos nicht ganz eindeutig. Es wirkt auf mich jedenfalls nicht ganz stimmig. Und ja, bei Mengstraße 64 gehen die Fenster tatsächlich bis an die Brandwände - das war mir so extrem gar nicht aufgefallen. Vielleicht auch, weil es hier stimmiger wirkt, da es auf beiden Seiten der Fall ist.

    Das rechte Fenster hatte ich im 1. Rekonstruktionsversuch anhand von Spuren bis an die Brandmauer angenommen, und das Resultat war ja nicht so befriedigend, insbesondere wegen der Asymmetrie zum linken Fenster. Nun frage ich mich, ob vom linken Ende des linken Entlastungsbogen sich nicht auch Ausbruchspuren (auf der Höhe der unteren Sprosse des linken Fensters im 1. Obergeschoss) erhalten haben, die anders verputzt sind. Bei dieser Annahme würde das linke Fenster auch bis an die Brandmauer reichen! Hierzu nochmals die Fassadenansicht in grosser Auflösung.


    Kleine-Burgstrase-16-Rekonstruktion3.jpg

    Kleine Burgstr. 16, links Photoshop-Rekonstruktionsvorschlag 3 des mutmasslich ursprünglichen Zustands, rechts der Ist-Zustand.

    Bildgrundlage: Z thomas, Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International.

    Mein Gefühl sagt eher 'nein' zu dieser Lösung, auch wenn wir mit der bereits herangezogenen Mengstr. 64 ein Vergleichsbeispiel haben. Bei folgenden Bauten reichen die Erdgeschossdielenfenster auch fast bis an die Brandmauer:

    - Engelsgrube 28

    - Fischergrube 18

    - Glockengiesserstr. 26

    - Hundestr. 10

  • Dann erinnere ich mich, dass ich vor Jahren hier in der Buchhandlung eine Reihe mit blauem Einband gesehen habe, in der es glaube ich um wissenschaftliche Arbeiten zur Lübecker Baugeschichte ging. Die Bücher waren großformatig und relativ umfanreich, und es gab glaube ich vier oder gar sechs Bände. Ich bin seinerzeit davor zurückgeschreckt, weil der Preis je nach Band bis zu 90 Euro betrug, was mir dann doch zu teuer war. Leider weiß ich nicht mehr wie die hießen und finde die daher auch nicht im Internet. Ich werde demnächst mal gucken, ob ich die in der Buchhandlung noch finde oder evtl. im Antiquariat, von denen es zwei bis drei gut sortierte in Lübeck gibt.

    Ich glaube die Buchreihe die du meintest heißt Häuser und Höfe in Lübeck. Die Umschläge sind zwar rot aber die Einbände sind blau. Ich weiß, dass es beim Antiquariat Arno Adler in der Hüxstraße ein Paar Bände gibt. Manche Bände sind aber schon vergriffen und werden, soweit ich weiß, auch nicht wieder aufgelegt. Ob es mit der Reihe weitergeht, steht auch nicht fest, da der Initiator und Herausgeber der Reihe, Prof. Dr. Rolf Hammel-Kiesow, leider letztes Jahr verstorben ist.

  • Danke für den Hinweis. Könnte sein, dass die das sind - ich war aber fest der Meinung, dass die von außen blau waren. Oder ich täusche mich sehr - hatte die vor wohl 10 Jahren bei Weiland gesehen und danach nicht mehr.

    Vielleicht werde ich demnächst mal bei Arno Adler vorbeischauen.

  • Mein Gefühl sagt eher 'nein' zu dieser Lösung, auch wenn wir mit der bereits herangezogenen Mengstr. 64 ein Vergleichsbeispiel haben. Bei folgenden Bauten reichen die Erdgeschossdielenfenster auch fast bis an die Brandmauer:

    Für mein Gefühl sieht die Variante mit den Fenstern bis an die Brandwände bei dem Haus Kleine Burgstraße 16 gar nicht so abwegig aus - insbesondere jetzt da ich weiß, dass ich mich geirrt habe mit der Behauptung, die würden in Lübeck nie bis an die Brandwände reichen.

    Wie man beobachten kann, reichen die Dielenfenster nämlich sehr oft oder sogar meistens außen über die Unterbodenfenster hinaus, was dann eine insgesamt sehr harmonische Fassade bewirkt.

  • Durch die Betrachtung vieler Fassaden konnte ich auch das Rätsel bei Wahmstr. 35 lösen:

    Bei Wahmstr. 35 ist mir zudem noch die spezielle Fenstersturzmauertechnik am obersten Vollgeschoss und den drei Dachgeschossen aufgefallen:

    Luebeck_Wahmstr_35-Ausschnitt-1.-2.-DG.jpg

    Wahmstr. 35, Fensterstürze am 1. Dachgeschoss mit untermauerten Entlastungsbogen.

    Bildgrundlage: Lemke, Martin, CC BY-SA 4.0, Wikimedia Commons.

    Das sieht in der Tat merkwürdig aus. Die ursprünglichen Bögen hatten eine größere Wölbung. Vielleicht musste die Fassade irgendwann stabilisiert werden. Oder die Bögen wurden den Fenstern angepasst. Keine Ahnung.

    Hier nochmals die ganze Fassade für den Gesamtzusammenhang:

    268px-Luebeck_Wahmstr_35.jpg

    Bild: Lemke, Martin, CC BY-SA 4.0, Wikimedia Commons.

    In der Tat sind hier stärker gewölbte Fenstersturz-Stichbögen nachträglich untermauert worden. Im Vergleich mit beiden Nachbarbauten Wahmstr. 33 und Wahmstr. 37, die ja eine vergleichbare Giebelstruktur zeigen, kann man sehen, dass die Fenster offensichtlich bis an die 'Lisenen' verbreitert worden sind ('Lisene' ist eigentlich der falsche Begriff; in der Tat handelt es sich um die schmalen Restflächen der Hauptfassadenebene nebst den Hochblenden. Heisst der richtige Begriff "Mauerpfeiler"?). Die Fensteröffnungen sind Teil der Hochblenden und hatten seitlich auch noch profiliertes Mauerwerk, das die Stichbogenstürze trug. Nachdem dieses seitliche Mauerwerk entfernt wurde (dort ist jetzt auch nur noch Putz vorhanden statt Backstein), hatten die Stürze keinen Halt mehr und mussten mit einem zweiten Entlastungsbogen untermauert werden. Das Resultat waren dann breitere, dafür ein bisschen niedrigere Fensteröffnungen, die viel mehr Licht in die Räume bringen als hohe schlanke Fenster.

    Das Bauhaus hatte diese Erkenntnis auch schon ausgenützt. Gebäude im Bauhausstil haben meistens horizontale Fensterbänder, weil sie einfach viel mehr Licht in die Räume hereinlassen und diese auch gleichmässiger ausleuchten. Von daher kann ich die heute üblichen, stehenden französischen Fenster nicht begreifen. Das Licht sollte via die Wände gleichmässig verteilt werden, und nicht über die Böden.

  • An der Königstr. 8 ist mir auch eine Fassade aufgefallen, die Spuren eines früheren Bauzustandes zeigt:

    Konigstr.-8-Rekonstruktion.jpg

    Königstr. 8, links Photoshop-Rekonstruktionsvorschlag des mutmasslich ursprünglichen Zustands des Giebels, rechts der Ist-Zustand.

    Bildgrundlage: Z thomas, Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International.

    Was sich heute wie ein viergeschossiges Haus mit eineinhalb Dachgeschossen darstellt, war ursprünglich ein zweigeschossiges Haus mit hoher Diele, einem Unterboden und zwei Dachgeschossen. Die Diele wurde wohl nachträglich unterteilt und die Fenster der Geschosse darüber ein bisschen niedriger gesetzt. In der Rekonstruktion habe ich nur die Giebelkontur berücksichtigt.

    Das unterste Stufengiebelpaar nimmt beinahe die gesamte Fassadenbreite ein. Das haben wir weiter oben schon bei Böttcherstr. 18 und 20 (und möglicherweise auch bei Nr. 18) beobachten können. Der schmale Raum zum linken Nachbarhaus ist zugemauert worden; jener rechts blieb unmerklich offen, als die Brandwand von Königstr. 4-6 in der Gründerzeit auf ganzer Stärke (die Brandmauern gehören jeweils hälftig beiden Anstössern) massiv erhöht worden war.

    Aus dieser Perspektive sieht die Giebelwand besonders fragil aus, und das vermeintlich heutige 3. Obergeschoss entpuppt sich tatsächlich immer noch als 1. Dachgeschoss!

  • Deine "Reko-Montagen" sind wirklich klasse. Ich hatte das linke Bild auf den ersten Blick - ohne den Text schon gelesen zu haben - erst für echt gehalten und mich gefragt, wo dieses schöne Haus denn wohl steht. Die Fassade Königstraße 8 macht einem die Reko aber auch leicht - es ist hier ja alles bis ins Detail an den offenliegenden Steinen abzulesen.

    Eine "witziges" Detail ist, dass man die oberste Blendnische bis zur Höhe des Bogens zugemauert hat und den noch offenen Bogen im neu geschaffenen Giebeldreieck als "neues" halbrundes Blindfenster wiederverwendet hat. Der Aufwand, den man betrieb, eine Fassade dem jeweiligen Zeitgeschmack anzupassen, wurde manchmal wirklich auf ein Minimum beschränkt. Geiz war wohl auch damals schon geil - zum Glück für uns (Hobby-)Baufoscher. ;)

    Übrigens - wenn ich den direkten Vergleich bei Königstraße 8 so sehe, macht es micht immer traurig, dass die originalen Treppengiebel in Lübeck in so großer Zahl umgebaut wurden. Für mich stehen gerade diese Treppengiebel als die originäre Bauform für die stolzen norddeutschen Hansestädte und vermitteln mir ein Gefühl von Heimat. Mit diesen Abschweifungen fremdele ich eher.

    Und nochmal übrigens: Ist Dir aufgefallen, dass die Anordnung der Befensterung von Königstraße 8 exakt der von Böttcherstraße 18 entspricht, die wir weiter oben behandelt haben? Daraus schließe ich, dass die schmalen Seitenfenster dort im 1. Dachgeschoss auch aus Blendnischen hervorgegangen sind! Zudem sollten Deine Reko-Skizze mit dem einen Fenster ganz oben korrekt sein. Dieses wird dann von 3 Blendnischen umgeben gewesen sein - wie eben auch bei Königstraße 8.

    In der Tat sind hier stärker gewölbte Fenstersturz-Stichbögen nachträglich untermauert worden. Im Vergleich mit beiden Nachbarbauten Wahmstr. 33 und Wahmstr. 37, die ja eine vergleichbare Giebelstruktur zeigen, kann man sehen, dass die Fenster offensichtlich bis an die 'Lisenen' verbreitert worden sind ('Lisene' ist eigentlich der falsche Begriff; in der Tat handelt es sich um die schmalen Restflächen der Hauptfassadenebene nebst den Hochblenden. Heisst der richtige Begriff "Mauerpfeiler"?). Die Fensteröffnungen sind Teil der Hochblenden und hatten seitlich auch noch profiliertes Mauerwerk, das die Stichbogenstürze trug. Nachdem dieses seitliche Mauerwerk entfernt wurde (dort ist jetzt auch nur noch Putz vorhanden statt Backstein), hatten die Stürze keinen Halt mehr und mussten mit einem zweiten Entlastungsbogen untermauert werden. Das Resultat waren dann breitere, dafür ein bisschen niedrigere Fensteröffnungen, die viel mehr Licht in die Räume bringen als hohe schlanke Fenster.

    Super erkannt! Ich fand es auch seltsam, dass die Fenster bis an die Lisenen gehen und gefühlt zu breit sind, war aber nicht auf die Idee gekommen, dass die seitlichen Gewände der ehemaligen Speicherluken ausgebrochen wurden, um breitere Fenster zu ermöglichen, was wiederum die neuen, untergezogenenen Stürze erforderte. :daumenoben: