St. Gallen - Rorschacher Str. 1 bis 25 - Die erste planmässige Überbauung ausserhalb der Altstadt ab 1791

  • Vor dem ehemaligen Brühltor, welches 1836 als erstes der sieben Stadttore abgebrochen wurde, erstreckt sich auf der nördlichen Seite der Rorschacher Strasse eine gerade, einförmige Häuserzeile. Die gegenüberliegende Strassenseite wird durch den Kantonsschulpark gesäumt. Die Zeile besteht aus drei Blöcken zu vier Reihenhäusern, die am stadtabgewandten Ende durch einen Solitärbau abgeschlossen wird.

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    1) Rorschacher Str. 1 an der Brühltorkreuzung.


    Inhaltsverzeichnis:

    1. Einleitung

    2. Historische Ansichten des Umfeldes

    3. Stadtplanausschnitte

    4. Kurze Galerie anlässlich der Eröffnung der OLMA

    5.1 Der erste Häuserblock mit Nr. 1 bis 7

    5.2 Historische Ansichten von Nr. 1 bis 7

    5.3 Historische Ansichten der Rückkseiten von Nr. 1 bis 7

    6.1 Der zweite Häuserblock mit Nr. 9 bis 15

    6.2 Die Rückseiten von Nr. 9 bis 15

    6.3 Historische Ansichten von Nr. 9 bis 15

    7.1 Der dritte Häuserblock mit Nr. 17 bis 23

    7.2 Die Rückseiten von Nr. 17 bis 23

    7.3 Historische Ansichten von Nr. 17 bis 23

    8.1 Rorschacher Str. 25

    8.2 Historische Ansichten von Nr. 25

    9. Das Stadttheater in den ehemaligen Gärten von Nr. 23 und 25


    1. Einleitung:


    Auf eine Anregung zur „Anlegung neüer Häüsern und Werkstätten am Brüll“ hin wurde durch Stadtratsbeschluss vom 4. November 1791 erstmals der Weg zu einer planmässigen Überbauung ausserhalb der Stadtmauern geebnet. Bisher bestanden vor den Stadttoren mittelalterliche Vorstädte, Gewerbebetriebe und Landhäuser. Der grösste Teil des Bodens wurde aber für die Bleichen benötigt. St. Gallen lebte seit dem Mittelalter zu einem grossen Teil von der Leinwandproduktion. Um eine bestmögliche Qualität zu erreichen, wurden die Leinwandbahnen auf dem Boden ausgebreitet und mit Wasser besprengt, um sie durch die Sonneneinstrahlung zu bleichen. Der Brühl war aber auch eine grosse Wiese vor den Stadttoren, auf der seit Jahrhunderten Festivitäten und Jahrmärkte abgehalten wurden.

    Mit dem Einbruch der Leinwandindustrie - durch deren Verdrängung durch die aufkommende Baumwolle - wurden diese Bleichen allmählich für andere Nutzungen frei. Platzmangel innerhalb der bebauten Gebiete führten dazu, dass die Stadt nach Wachstumsmöglichkeiten suchte und dafür einen Teil des Brühls als geeignet ansah, ohne den Platz für Festivitäten und die Bleichen einzuschränken.

    Dies führte ab 1792 zum Bau einer ersten Häuserzeile zu acht Wohn- und Gewerbebauten, die in der Mitte durch einen Durchgang unterbrochen wird (Rorschacher Str. 1-7, 9-15):

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    2) Rorschacher Str. 3-7 und 9-15. Ganz hinten die spätere Fortsetzung mit Nrn. 17-23.

    Im Visier hatte der Stadtrat eine Weiterführung dieser Überbauung, indem er den ersten acht Bewerbern für die Baugrundstücke ausdrücklich vorschrieb, auf Einsprachen für den allfälligen Bau von Häusern auf der gegenüberliegenden Strassenseite zu verzichten. Zum Bau einer solchen kam es nie, sodass wir heute noch uneingeschränkt den „Kleinen Brühl“ (auch „Oberer Brühl“, heute Kantonsschulpark) zur Erholung geniessen können:

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    3) Der Kantonsschulpark mit dem 1855 eröffneten Gymnasium. Im Hintergrund Jugendstilbauten am Rand der Altstadt (vorgestellt am Schluss dieses Beitrages im APH-Forum).

    Ab 1798 erfolgte eine Fortsetzung der Zeile mit einem weiteren Baublock zu vier Häusern (Nrn. 17-23) und einem Solitärbau (Nr. 25) als Abschluss:

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    4) Rorschacher Str. 17-21 (rechts).

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    5) Rorschacher Str. 17-23 (Mitte) und 25 (rechts).


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    6) Zugehöriger Link: Google Maps

    Google/maps bietet einen schönen Überblick über die Bebauung entlang der Rorschacher Strasse. Am linken Bildrand ist die Altstadt mit der Brühltorkreuzung erkennbar, unten rechts angeschnitten die dem Park namengebende Kantonsschule und oben rechts das Moderne Stadttheater, die Tonhalle (Konzerthaus) und das Kunstmuseum. Letztere drei bilden den Auftakt zum Museumsquartier aus dem späten 19. Jahrhundert, welches ich ebenfalls hier mal vorstellen werde.

    Hinter den Häusern an der Rorschacher Strasse folgen Remise- und Gewerbebauten, allerdings nach einem weniger einheitlichen Bauplan folgend. Die Grundstücke reichen bis an die Museumstrasse, welche ebenfalls vom Brühltor aus abzweigt. Ihre schräg Lage in Bezug auf die Rorschacher Strasse hat zur Folge, dass die rückliegenden Gärten immer ausgedehnter werden, je weiter weg sie vom Brühltor liegen. Erst der Bau des 1969 eröffneten Stadttheaters bildete einen empfindlichen Eingriff ins Gefüge dieser ersten planmässigen Überbauung, indem diesem ein Teil der Hintergebäude und Gärten zum Opfer fielen.


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    7) Die Museumstrasse mit Blick zum Brühltor. Das Haus mit den roten Fensterläden ist die Rückseite von Rorschacher Str. 1.

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    8 ) Die Museumstrasse führt ostwärts zum zentrumsnahen Museumsquartier mit vielen kulturellen Institutionen.

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    9) In der Mitte der ersten acht Liegenschaften verbindet der Brühlweg die Museumstrasse mit der Rorschacher Strasse.

    Die Museumstrasse schliesst die Gärten rückseitig ab. Heute bestehen hier kunstvolle Schmiedeeisenzäune aus dem Ende des 19. Jahrhunderts. Leider wird die Bepflanzung nicht sonderlich gepflegt, aber in Bezug auf die vor allem von Fussgängern stark begangene Strasse ist ein üppiger Sichtschutz für die Gärten natürlich verständlich.

  • 2. Historische Ansichten des Umfeldes:


    Wie bereits im ersten Beitrag geschrieben, bestand vor dem Bau der Zeile eine grosse Allmend, der Brühl genannt (Brühl = eine sumpfige Wiese, mit Bäumen und Sträuchern bewachsen). Hier fanden allerlei Festivitäten wie Schützenfeste, Jahrmärkte usw. statt, auch wurde ein grosser Teil zum Bleichen der Leinwand benötigt. Verschiedene Wege luden zum flanieren ein, und nicht zuletzt befand sich unmittelbar vor dem Brühltor die "Brühllaube", wo die Armbrustschützen übten.

    Der Kleine Pergamentplan von 1671, die Stadt von Osten darstellend, zeigt die Situation, wie sie bis etwa 1800 bestanden hatte:

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    10) Kleiner Pergamentplan von 1671, Ausschnitt.

    Vom Brühltor aus (oben links) führt die Strasse nach Rorschach weg (nach links unten). An ihrer nördlichen Seite sind Brennholzbeigen für die Bäcker und Färber aufgeschichtet (an ihrer Stelle steht heute die Häuserzeile). Ebenfalls vom Brühltor aus führt leicht schräg dazu ein Weg (heute Museumstrasse, als Rückbegrenzung der zugehörigen Gärten) weg. Der nächste Weg existiert heute nicht mehr, folgte aber genau dem Verlauf der hier in den 1930/40er Jahren aufgegebenen Notkerstrasse. Der Weg quer zu allen drei ist der heute noch bestehende Brühlweg. Zwischen dem dritten Weg und der dem Stadtgraben entlang führenden Strasse (heute Torstrasse) befindet sich die Brühllaube, wo früher die Armbrustschützen übten. An seiner Stelle steht heute das im frühen 19. Jahrhundert errichtete Haus Museumstr. 1.


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    11) Radierung vom Johann Conrad Mayr, im 1790.

    Um 1790 schuf der Lindauer Zeichner und Stecher Johann Conrad Mayr eine Reihe von Umrissradierungen in- und ausserhalb der Stadtmauern. Im Vordergrund hielt er die noch unbebaute Rorschacher Strasse mit Blickrichtung nach Süden fest, ebenso einen aufgeschichteten Brennholzstapel. Die Wiese dahinter ist der heutige Kantonsschulpark, der vom Brühlweg durchquert wird (im kleinen Pergamentplan die links angeschnittene Fläche). Die Häusergruppe in Bildmitte besteht heute teilweise noch; das markante Haus mit Türmchen (Burggraben 23) ist in diesem APH-Beitrag vorgestellt. Das Bild zeigt demnach dieselbe Aussicht wie aus den ab 1792 hier entstandenen Häusern Rorschacher Strasse 1-15.


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    12) Das Bürgermahl nach der Beschwörung der helvetischen Verfassung am 30. August 1798. Aquarellierte Federzeichnung von Carl Meinrad Triner, Bildermappe G. Lorenz.

    Eine identische Ansicht hält das Bürgermahl nach der Beschwörung auf die neue helvetische Verfassung 1798 fest (siehe Helvetische Republik, eine fünf Jahre dauernde, von Frankreich abhängige Republik zwischen der Eidgenossenschaft und der heutigen Schweiz). Es geht mir nicht um diesen Festakt oder um möglichst viele Bilder des Ortes, sondern um die Identifikation des nächsten Bildes. Der innerschweizer Künstler Carl Meinrad Triner, der das Bürgermahl festhielt, benutzte offensichtlich Mayrs Radierung als Vorlage. Derselbe fertigte nämlich eine zweite Ansicht mit der Beschwörung auf die neue Verfassung an. Dieses zweite Bild wäre ohne Hilfe des ersten nur schwer zu lokalisieren.


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    13) Die Beschwörung der helvetischen Verfassung am 30. August 1798. Am linken Bildrand wahrscheinlich Rorschacher Str. 13 und 15. Aquarellierte Federzeichnung von Carl Meinrad Triner, Bildermappe G. Lorenz.

    Der Zeichner sass hier in einem Haus an der Brühlgasse südlich des Brühltors und schaute Richtung Osten. Demnach ist links wieder die Rorschacher Strasse festgehalten, mit zwei der ersten acht ab 1792 erbauten Häusern! Dem knapp sichtbaren Brühlweg nach müssten dies Rorschacher Strasse 13 und 15 sein. Eigentümlich ist nun, dass das links angeschnittene Haus Fachwerk zeigt, schrieb das Baureglement von 1791 doch verputzte Fassaden vor! Tatsächlich ist es so, dass diese Häuser alle in konstruktivem Fachwerk errichtet sind. Sogar die Wahl, ob die Brandmauern massiv gemauert oder in Fachwerk erstellt werden sollten, blieb den Bauherren frei. Ich schliesse daraus, dass hier ein Haus (Nr. 13) unmittelbar vor Bauvollendung, also noch mit fehlendem Fassadenverputz, dargestellt ist. Ob der Zeichner auch für dieses Bild eine Vorlage benutzte, ist mir nicht bekannt. Dort, wo ab 1798 Rorschacher Str. 17 - 25 zu stehen kommen werden, sind vier Kanonen aufgestellt.


    Nun kommt ein ausführlicher Exkurs über eine Abbildung, die zwar nicht viel mit der Häuserzeile direkt zu tun hat. Mit ihrer genauen Betrachtung bin ich aber auf eine Eigentümlichkeit gestossen und möchte diese als Beispiel erläutern, worauf man bei der Bauforschung nach Bilddokumenten überall achten muss:

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    14) St. Gallen von Osten. Unidentifiziertes Blatt in der Kantonsbibliothek St. Gallen, datiert zwischen 1800 und 1836.

    Diese Radierung zeigt die Häuserzeile ebenfalls kurz nach ihrer Vollendung. In der Kantonsbibliothek St. Gallen ist das Blatt keinem Künstler zugewiesen und mit "zwischen 1800 und 1836" datiert. Es ist eigentümlich, dass der Horizont mit Bleistift nachträglich eingezeichnet worden ist, ebenso weitere Häuser und die Pappelallee im folgenden Ausschnitt:

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    15) Ausschnitt aus der Abbildung oben.

    Doch mich interessiert zuerst die Häuserzeile vor dem Brühltor. Ihr östlicher, dem Betrachter zugewandte Abschluss ist unklar gezeichnet. Es sieht fast so aus, als ob das vorderste Haus noch kein Dach besitzt. Die Pappelallee links wurde 1801 durch Private entlang dem Brühlweg im bis dazumal baumlosen Kleinen Brühl (Kantonsschulpark) gepflanzt. Das Haus mit den Rundgiebeln davor, das Gärtli", ist ebenfalls eine nachträgliche Eintragung. Doch von wann ist nun das Blatt?

    Rechts angebaut ans Brühltor ist das ehemalige Zunfthaus "Nothveststein", das 1801 einem Neubau Platz machen musste. Der schwach erkennbare zwiebelbekrönte Turm an der rechten Hauskante gehörte sicher zum Vorgängerbau. Also kann man die Zeichnung zwischen 1792 (beginn Erstellung Rorschacher Str. 1 - 15) und 1801 (Abbruch des "Nothveststeins, Pflanzung Pappelalle) einordnen. Nun ist mir aber per Zufall eine weitere Radierung in die Hände geraten:

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    16) St. Gallen von Osten. Radierung gestochen von August Friedrich Schöpflin. Um 1794/1798.

    Diese Stadtansicht wurde Caspar Steinlin, Bürgermeister von 1794 bis 1798, gewidmet. Gezeichnet hatte sie vermutlich wiederum Johann Conrad Mayr, gestochen August Friedrich Schöpflin. Nun ist es so, dass die rätselhafte Ansicht oben etwa zu zwei Fünftel ein Ausschnitt aus dieser Ansicht ist; sogar bis auf die kleinsten Radierstriche ist sie identisch! Die Bleistifteintragungen (Pappelallee, "Gärtli") fehlen zwar, hingegen ist der Horizont gemäss der Bleistiftvorlage neu in die Druckplatte gestochen worden.

    Was also auf dem ersten Bild mit Bleistift eingetragen ist, fehlt auf dem zweiten, offensichtlich älteren Bild, umgekehrt ist aber der auf dem ersten Bild mit Bleistift gezeichnete Horizont auf dem älteren Bild schon in der Druckplatte eingeritzt - demnach müsste das erste Bild das ältere sein. Offenbar wurde die Druckplatte zu dieser dem Bürgermeister zwischen 1794 und 1798 gewidmeten Ansicht nach 1801 nochmals mit leicht veränderter Druckplatte neu aufgelegt, sodass der zweite Druck erst nach 1801 (Pappelallee nicht übernommen, dafür aber der Horizont) entstanden ist. Das erste Bild zeigt demnach den ursprünglichen Druck aus den 1790er Jahren, auf den die geplanten Änderungen probehalber eingezeichnet, aber in die abgeänderte Druckplatte nicht alle übernommen wurden.

    Was hat jetzt diese Spitzfindigkeit mit unserer Häuserzeile zu tun? Nichts - aber es geht mir darum, aufzuzeigen, dass historische Ansichten genau betrachtet, verglichen und auf deren Wahrheitstreue geprüft werden müssen. Ironischerweise ist die Häuserzeile nämlich auf dem zweiten, jüngeren Druck kürzer dargestellt, und die vom Künstler geplante Änderung also nicht erfolgt:

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    17) Ausschnitt aus der Abbildung oben.

    Wenn die Radierung dem von 1794 bis 1798 amtierenden Bürgermeister gewidmet ist, dann kann sie nur die erste, ab 1792 entstandene Etappe zeigen, und nicht schon die zweite ab 1798. Welches Haus zuvorderst dargestellt ist, lässt sich nicht sagen, denn das östlichste von ihnen, Nr. 15, zeigt heute eine originale Abwalmung, während auf der Radierung eine Giebelwand mit Fenstern gezeichnet ist. Allerdings führt der Brühlweg auf diese Fassade zu, was wiederum für die Nr. 15 spricht. Bei so vielen Widersprüchen muss einfach mal ein Schlusspunkt gesetzt werden!

    Ich habe aber doch noch das Experiment einer exakten Überlagerung beider Ausschnitte gemacht: rot eingefärbt ist der Stich mit der Widmung an den Bürgermeister mit verändertem Horizont (ausserhalb des Ausschnitts), und in der Originalfarbe der Stich mit den Bleistifteintragungen nach 1801. Somit werden die nachträglichen Eintragungen besser sichtbar. Ich erkenne darauf einige Gebäude, die dem Zeichner offenbar wichtig waren, in weiteren Drucken mitabgebildet zu werden:

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    18) Überlagerung beider Ausschnitte.


    Es folgt eine letzte historische Zeichnung:

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    19) Der Kleine Brühl (heute Kantonsschulpark) gegen Nordwesten. Bleistiftzeichnung von Johann Jacob Rietmann, Juni 1863, Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Johann Jacob Rietmann fertigte zwischen 1834 und 1868 zahlreiche, grösstenteils fotografisch genaue Detailansichten der Stadt St. Gallen an. Im Juni 1863 zeichnete er eine Ansicht des Kleinen Brühls, links mit dem damals erst acht Jahre alten Gymnasialgebäude sowie im Hintergrund Rorschacher Str. 15 bis 25. Solche Ansichten sind für den Bauforscher sehr wertvoll, denn sie dokumentieren bauliche Veränderungen noch vor dem Fotozeitalter. Genau Solche interessieren mich, obwohl die ganze Häuserzeile bis heute in denkmalpflegerisch sehr gutem Zustand in unsere Zeit hinübergekommen ist.

  • 3. Stadtplanausschnitte:


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    20) Hartmann-Plan 1809

    1809 erscheinen die Häuser erstmals auf einem Plan. Zu dieser Zeit sind sie zwischen zehn und zwanzig Jahren alt. Auf dem Hartmann-Plan sind jeweils nur die Hauptbauten eingezeichnet, nicht aber Neben- und Annexbauten. Er diente in erster Linie der Häusernummerierung und beruhte auch nicht auf Vermessungen. Die Strassen sind nur als gestrichelte Linien gezeichnet.

    Nebst den Grabenstrassen (Torstrasse, Burggraben) besteht vor der Zeile die Rorschacher Strasse, dahinter die Museumstrasse und weiter die nicht mehr existierende Notkerstrasse. Der alle Strassen querende Brühlweg ist hier wohl fälschlicherweise nicht vollständig eingetragen. Eine grosse Hilfe für die Erforschung der Besitzergeschichte sind die Hausnummern: 82-85, 86-89, 90-93 und schliesslich als Abschluss 94. Diese Nummern sind zwar in keiner Liste verzeichnet, aber sie zeigen die Strukturierung der Häuser, wie sie heute noch besteht (über Umwege findet man die Nummern im Helvetischen Katasterbuch von 1802 im Staatsarchiv St. Gallen). Die wertvollste Aussage ist die Nr. 94, Wohnhaus von J. J. Scherrer (zu dem auch der heutige, ostwärts gelegene Stadtpark gehörte), denn von diesem Haus kennt man das genaue Baudatum nicht, das in der Literatur immer um 1810/20 geschätzt wird. 1809 hat es also bereits bestanden! Weitere Aussagen über die bauliche Gestalt der Liegenschaften können nicht weiter entnommen werden.


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    21) Zuber-Plan 1828

    Dank Johann Zuber sind wir über die bauliche Anlage der Gebäude und Gärten in den ersten Jahrzehnten informiert: entlang der Rorschacher Strasse wieder die drei regelmässigen Baublöcke und als Abschluss das Scherrer'sche Haus. Dahinter bestanden mehr oder weniger geschlossen in einer Zeile angeordnet Hinterhäuser, und hinter diesen die bis an die Museumstrasse angelegten Gärten. Der Abschluss gegen die Museumstrasse könnte als schmaler, geschlossener Bau interpretiert werden; gemäss Bilddokumenten aus dem ganzen 19. Jahrhundert waren es aber nur geschlossene Bretterzäune mit vereinzelt angebauten Gartenhäuschen.

    Der Kantonsschulpark hatte 1801 den Rändern entlang doppelte Lindenalleen erhalten, und am ihn querenden Brühlweg eine Pappelallee.


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    22) Das Brühltor 1835/36 gegen Norden. S/W-Fotografie eines farbigen Aquarells, Sammlung Zumbühl, Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Die Richtigkeit des Zuber-Planes bestätigen verschiedene Bilder aus dieser Zeit, so zum Beispiel eine Ansicht des 1836 abgebrochenen Brühltors. Im Vordergrund besteht der 1834 aufgefüllte Burggraben, der im folgenden Jahr mit Gärten bepflanzt wurde. In der Mitte besteht das Wohnhaus "zur Brühllaube", das um 1800 das Schützenhaus ersetzte, und rechts Rorschacher Str. 1 und 3. Die wichtigste Aussage des Bildes im Zusammenhang mit der Erforschung der Häuserzeile ist die, dass sogar der Kopfbau Nr. 1 nicht als solcher gestaltet wurde, sondern eindeutig auf die Rorschacher Strasse gerichtet war.


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    23) 1. Stadtvermessungsplan 1863

    Das auffälligste Merkmal am ersten Vermessungsplan sind die detailliert eingezeichneten Gartenanlagen. Hier rätselt man schon lange, ob diese wirklich so der Wirklichkeit entsprachen. Bei bisherigen Forschungen tendierte ich immer für eine Bejahung. Nun habe ich gestern eine Fotografie entdeckt, die mich in dieser Frage bestärkte: bei der sechsten, siebten und elften Liegenschaft erkennt man in den Gärten eine spiralförmige Wegführung.

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    24) Garten von Rorschacher Str. 11 gegen Norden. Fotograf Oskar Rietmann-Haak, 1941, Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Diese spiralförmigen Anlagen waren kleine Hügel mit einer Gartenlaube darauf, die auf einem spiralförmigen Weg erreicht werden konnten.

    Der Kantonsschulpark hatte nach dem Bau des Gymnasiums 1852/55 auch eine Umgestaltung erfahren, indem die biedermeierliche Anlage mit Allen einer englischen mit frei geschwungenen Wegen wich. Der gerade Brühlweg blieb aber erhalten. Auffallend ist die fehlende Allee entlang der Rorschacher Strasse. Ob diese tatsächlich nicht mehr vorhanden war, ist unklar, denn zur Zeit der Planaufnahme fanden weitere Umgestaltungen im Park statt. Auf Fotos um 1900 standen dort aber mehr oder weniger ausgewachsene Bäume.

    Dank diesem Plan haben wir auch eine erste genaue Darstellung der Hinterhäuser, die in ihrer Anlage dem Plan von 1829 entsprechen. Hinter den Wohnhäusern bestanden gepflästerte Höfe, welche diese Gewerbe- und Remisebauten erschlossen. Hinter diesen - und teilweise nur durch diese hindurch erreichbar - lagen die Gärten. Entlang der Museumstrasse bestanden Gartenhäuschen und weitere Kleinbauten.


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    25) Stadtplan 1903

    In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfuhr die Überbauung keine wesentlichen Änderungen. Einzig die Rückseiten der Wohnbauten erhielten teilweise Anbauten, und die Museumstrasse wurde zwischen 1897 und 1903 begradigt, weshalb die ursprünglichen Einfriedungen aus Holz solchen aus Stein und Schmiedeeisen weichen mussten. Überhaupt herrschte in den frühen 1880er Jahren eine rege Strassenbautätigkeit auf dem unteren Brühl, wohl um das damals entstandene Museumsquartier besser zu erschliessen. Die breiten, beidseits mit Trottoir versehenen Strassen ohne anliegende Bebauung wurden sonst nur für den zweimal jährlich stattfindenen Jahrmarkt benötigt. Sogar durch den Stadtpark hindurch wurde die Blumenaustrasse verlängert.

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    26) Jahrmarkt auf dem Unteren Brühl, 1901 gelaufene Ansichtskarte, Sammlung Riegel.

    An die Jahrhunderte alte Tradition anknüpfend finden die Jahrmärkte bis heute in diesem Quartier statt. Auf der Ansichtskarte sind der Jahrmarkt an Notker- und Museumstrasse abgebildet, und rechts von letzterer die Gärten der Rorschacher Strasse-Häuser. Einzelne Einfriedungen sind bereits modernisiert, vor allem im hinteren Bereich.


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    27) Stadtplan 2018

    Die augenfälligste Veränderung geschah mit dem Bau des 1968 eröffneten Stadttheaters in den Gärten von Rorschacher Str. 23 und 25. Trotz seiner Grösse und Sichtbetonfassaden wurde es von der Bevölkerung positiv aufgenommen und wird es bis heute noch. Durch die Aufhebung der Blumenaustrasse durch den Stadtpark erhielt es eine Anbindung an den Stadtpark.

    Die Rorschacher Strasse wurde verbreitert und in diesem Zusammenhang der Kantonsschulpark umgestaltet. Dazu wurden alle inneren Wege aufgehoben, inklusive der Jahrhunderte alte Brühlweg! Unter dem Unteren Brühl baute man in zwei Etappen eine unterirdische Parkgarage, nachdem schon um 1940 die Notkerstrasse aufgehoben wurde. Die Brühltorkreuzung erhielt eine Fussgängerpassage mit den entsprecheneden Aufgängen. Die Museumstrasse ist seit dem Bau der Parkgarage verunklärt, indem dort eine Ausfahrt hin kam. Diese wurde vor ein paar Jahren verlegt und dafür eine Parkmöglichkeit für Touristenbusse erstellt.

  • 4. Kurze Galerie anlässlich der Eröffnung der OLMA:


    Eine kurze Galerie anlässlich der Eröffnung der OLMA gestern, beginnend nochmals mit einem Bild aus dem letzten Beitrag. Im Mittelpunkt steht jeweils Rorschacher Str. 1:


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    28) Das Brühltor 1835/36 gegen Norden. S/W-Fotografie eines farbigen Aquarells, Sammlung Zumbühl, Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Hierzu schrieb ich: "Die wichtigste Aussage des Bildes im Zusammenhang mit der Erforschung der Häuserzeile ist die, dass sogar der Kopfbau Nr. 1 nicht als solcher gestaltet wurde, sondern eindeutig auf die Rorschacher Strasse gerichtet war." Man beachte die symmetrische Fassade mit Mittelportal und fünf Fensterachsen. An die Giebelwand war ein Schopf angebaut, weil dieses Haus das Einzige war, bei welchem an der Rückseite infolge Platzmangels kein Hintergebäude errichtet werden konnte.


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    29) Geschmückte Fassade von Rorschacher Str. 1 gegen das Brühltor anlässlich des Eidgenössischen Schützenfestes im Juli 1904. O. Rietmann, Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Bei wichtigen Festanlässen wurden häufig die Häuser geschmückt, wobei es nicht nur bei einer Beflaggung blieb. Für ein landesweites Fest legte man sich natürlich mehr ins Zeugs als bei einem Lokalfest. Das Brühltor bestand hier schon lange nicht mehr, weshalb die Giebelwand mehr ins Blickfeld rückte. Der Schopfanbau war mittlerweile verschwunden, und die Hauptfassade zählte nun sechs Fensterachsen, nachdem das Haus zwischen 1835 und 1863 eine Erweiterung auf ganzer Höhe anstelle des Schopfs erfuhr.


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    30) Jahrmarkt und Olma in den 1940/50er Jahren. Foto Liegenschaftsverwaltung der Stadt St. Gallen.

    Die OLMA fand 1943 erstmals als "Ostschweizerische Land- und Milchwirtschaftsausstellung" statt. Seither ist sie zusammen mit dem Herbstjahrmarkt der wichtigste, jährlich während elf Tagen stattfindende Volksanlass in der Ostschweiz. Das Festgelände lag damals in beiden Parks vor und hinter der Häuserreihe.


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    31)

    Heute Nachmittag...

    Beginn der OLMA 2018, allerdings kein allgemeiner Feiertag für die Arbeitnehmer. Heute ist sie eine Mischung von Messe und Münchner Oktoberfest, und der Fest- und Ausstellungsort ein bis zwei Quartiere weiter hinaus verlegt worden. Von Festschmuck keine Spur mehr; die Besucher müssen eh die Unterführung benutzen, um vom Marktplatz her dorthin zu gelangen... Fussdistanz 100 Meter, wo bereits die ersten Stände stehen. Hinter den Häusern beginnt also bereits der Trubel.

    Ich muss allerdings beifügen, dass ich meine aktuellen Fotos in erster Linie zur Baudokumentation mache und daher Momente mit möglichst auto- und personenfreien Momenten abwarte.


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    32)

    Heute Abend um 19 Uhr.

  • 5.1 Der erste Häuserblock mit Nr. 1 bis 7:

    Künftige Vorstellungen von Quartieren werde ich nicht so ausführlich behandeln wie die Zeile an der Rorschacher Strasse. Es ist aber die erste planmässige Überbauung ausserhalb der Altstadt, und zudem ist sie in einem denkmalpflegerisch sehr guten Zustand. In der Literatur hat ihre Baugeschichte nur immer sehr begrenzt Eingang gefunden, weshalb ich ihr näher nachgehen möchte. Die Menge an Bildern verstehe ich auch als Dokumentation des aktuellen Zustandes, unterlegt mit einigen historischen Abbildungen.

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    33) Google Street View 2016 von Norden. Rorschacher Str. 1-7, davor Museumstr. 2-6 (von rechts).

    Der erste Abschnitt von drei umfasst die Nummern 1 bis 7. Auf der Google-Ansicht von Norden (Nr. 1 rechts) sieht man die Rückseiten und zugehörigen Hinterhäuser. Von den ursprünglichen Hinterhäusern aus dem 18. Jahrhundert hat in diesem Abschnitt keines überdauert.

    Schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Nrn. 1, 3 und 5 zusammengefasst und auf allen Geschossen ein Haushalts- und Eisenwarengeschäft darin eingerichtet, das bis in die 1980er Jahre hier bestand. Aus diesem Grund ist in diesen drei Gebäuden keinerlei historischer Innenausbau mehr vorhanden.

    - zw. 1897 und 1903: leichte Verbreiterung und Begradigung der Museumstrasse, wofür die bis dahin noch vorhandenen Garteneinfriedungen aus der Bauzeit zum Opfer fielen. - ab ca. 1880 neues Hintergebäude von Nr. 7 (Museumstr. 4) mit Fotoatelier, mehrfach umgebaut.

    - 1909: Erstellung eines neuen Hintergebäudes im Reformstil in den Gärten von Nrn. 3 und 5.

    - ca. 1972 Eröffnung der Brühltor-Fussgängerunterführung samt Parkgarage unter dem Brühl, Personenaufgang unmittelbar vor der Rückseite von Nr. 1.

    - ca. 1998 Umbau von Nr. 1-5 unter teilweiser Wiederherstellung der Fassaden.

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    34) Blick vom stadtseitigen Aufgang der Personenunterführung zur Rorschacher Strasse und Kantonsschulpark.

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    35) Blick zurück vom Kantonsschulpark zur Brühltorkreuzung.

    Zwischen dem Haus mit Treppengiebel und jenem mit Mansarddach stand bis 1836 das Brühltor (siehe erste Abbildung im vorangehenden Beitrag). Rechts Rorschacher Str. 1 und 3.

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    36) Rorschacher Str. 5, 7 und 9 mit Durchfahrt zu den Hofgebäuden.

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    37) Rorschacher Str. 1.

    Der Kopfbau Nr. 1 ist heute breiter als die restlichen drei Nachbarhäuser. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde dieser gegen Westen zur Brühltorkreuzung hin (links) um eine Raumbreite erweitert. Vorher bestand hier ein Schopf (vergleiche erste Abbildung im vorangehenden Beitrag). Die ursprüngliche Giebelwand existiert heute noch immer im ausgebauten Dachgeschoss. Auf der Rückseite sitzt eine schmale Lukarne in der Grösse der Aufzugsgiebel in der Altstadt.

    Wenn man die heutige Aufnahme mit der erwähnten Abbildung vergleicht, fallen die Veränderungen sofort auf. Nebst der erwähnten Erweiterung fiel auch das Erdgeschoss späteren Umbauten völlig zum Opfer. Ursprünglich befand sich in der Mitte der Hauseingang und seitlich zwei grosse, korbbogenförmige Fenster. Demnach war das Erdgeschoss sicher gemauert, während die beiden Obergeschosse aus einer verputzten Fachwerkkonstruktion bestehen. Für den Spätbarock/Frühklassizismus, in deren Übergangsphase der Bau der Häuser ansetzt, ist die Erdgeschossgestaltung mit breiten bogenförmigen Öffnungen äusserst altertümlich, denn eine solche würde man eher bei spätgotischen Gebäuden aus dem 16./17. Jahrhundert in der Altstadt suchen.

    Die Fenster der Obergeschosse dürften - gemäss der erwähnten Abbildung und frühen Fotos der Rückseiten - eine 16er Sprossenteilung besessen haben, und nicht wie vor 20 Jahren rekonstruiert eine Sechserteilung.

    Trägt man die wesentlichen Veränderungen des Hauses in eine Fotografie ein, erhält man eine Vorstellung vom ursprünglichen Aussehen des Hauses:

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    38) Rorschacherstr. 1. Rekonstruktion des ursprünglichen Zustandes um 1792

    nach einem Aquarell mit dem Brühltor von 1835/36 (vgl. Abb. 28).

    rorschacher-strasse-1_23.09.2018_4677x.jpg

    39) Rorschacher Str. 3.

    Obwohl im Innern baulich mit beiden Nachbarhäusern verbunden, ist die Fassade durch eine eigene Farbgebung abgesetzt. Sein Dachstuhl wurde beim Umbau in den 1990er Jahren ersetzt, da wesentliche Tragbalken herausgesägt waren und auch ein Liftschacht ins Gefüge einschnitt. Auf älteren Fotos ist zu sehen, dass die Fassade auch Durchbiegungen wie der Dachstuhl hatte, aber offensichtlich wurden später einmal die Fenster begradigt.

    rorschacher-strasse-1_23.09.2018_4679.jpg

    40) Rorschacher Str. 5.

    Wie bei Nr. 3 wird auch bei der Nr. 5 ein eigenständiges Haus vorgetäuscht. Man merkt dies bei Beiden am Fehlen von Hauseingängen. Auf der Rückseite eine schmale Lukarne in Form der Aufzugsgiebel in der Altstadt.

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    41) Rorschacher Str. 7.

    Nr. 7 hat als einziges Haus eine breiten Quergiebel auf der Vorder- und Rückseite. Dafür ist das Dach gegen die Hofzufahrt abgewalmt. In diesem Haus war jahrzehntelang das Fotogeschäft von August Zumbühl und vorher Schobinger & Sandherr beheimatet, denen das Stadtarchiv eine grosse baugeschichtlich wertvolle Fotosammlung zu verdanken hat. Wohl auf letztere geht die Schaufensterfront aus dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts zurück.

    Ab den 1880er Jahren entstand das Hinterhaus Museumstr. 4 etappenweise infolge Nutzungsänderung zu einem Fotoaltelier neu.

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    42) Durchfahrt zum Hofraum zwischen Nrn. 7 und 9.

    An der Seitenwand sieht man, dass von Nr. 7 auch das Erdgeschoss aus Fachwerk besteht. Das zum Nachbarhaus gehörende Eisengittertor stammt wie die Garteneinfriedungen aus dem Historismus und wurde als Folge des 2016 neu erstellten Hinterhauses leicht abgeändert.

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    43) Rückseite von Rorschacher Str. 1.

    Am unterschiedlichen Fensterabstand erkennt man auch hier die westliche Erweiterung (rechts). Der kürzlich erneuerte Abgang zur Personenunterführung vor der Rückseite von Nr. 1.

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    44) Museumstr. 2. Das Hinterhaus wurde 1909 im Reformstil in den Gärten von Rorschacher Str. 3 und 5 errichtet.

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    45) Museumstrasse.

    Nebst dem Personenabgang gibt es entlang der Museumstrasse noch ein Lift- und WC-Häuschen. Na ja, soweit alles gepflegt wird, gehts's noch. Entlang der Museumstrasse befinden sich die Busparkplätze für die Touristen, Theater- und Konzertbesucher, weshalb hier seitens der Stadt auf eine gute Pflege und Gestaltung Wert gelegt wird. Städtebaulich sind dies für mich aber 'vergoldete Verlegenheitslösungen', insbesondere wenn der öffentliche Raum zu stark mit Einzelobjekten besetzt wird.

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    46) Museumstr. 2.

    Die Warenanlieferung zum ehemaligen Haushalt- und Eisenwarengeschäfts dient heute ebenfalls als Personeneingang. Weiter hinten erkennt man das Ateliergebäude (blau/weiss) Museumstr. 4 und anschliessend das 2016 erbaute Wohnhaus Rorschacher Str. 9a.

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    47) Museumstr. 4 und Rorschacher Str. 9a, sowie Rorschacher Str. 9 und 11 im Hintergrund (von rechts).

  • 5.2 Historische Ansichten von Nr. 1 bis 7:


    Die historische Ansichten, die ich gemäss den Häuserblöcken in mehrere Beiträge unterteile, folgen abwechselnd mit den heutigen Aufnahmen. Die Menge an historischen Ansichten hat den Sinn, eine möglichst lückenlose Dokumentation der baulichen Veränderungen erstellen zu können. Von den vielen Ansichten suche ich diejenigen heraus, die einerseits Aussagen dazu geben und die auch von der Auswertung der zeichnerischen Details her glaubwürdig sind. Zudem bin ich erstaunt, wie viele noch nie publizierte Ansichten Dank der Online-Archivierung zum Vorschein gekommen sind und immer noch kommen!

    Archivforschung möchte ich im Rahmen dieser Präsentation nicht betreiben, weil das den Rahmen sprengen würde. Ich bin zwar vor zwei Wochen im Zuge zu Forschungen über andere Gebäude per Zufall auf die Brandversicherungseinträge der Jahre 1820 bis 1848 gestossen. Somit sind die damaligen Eigentümer und feuerversicherungsrelevanten Nutzungsarten bekannt. In Rorschachers Str. 1 war eine Schmiede untergebracht und in Nr. 9 eine Bäckerei. Die nächsten Quellen wären dann der helvetische Kataster von 1802 und die kantonalen Lager- und Assekuranzregister ab 1848. Im Kataster von 1802 ist zudem jeweils das Jahr der letzten Handänderung vermerkt. Somit dürfte eine lückenlose Besitzergeschichte aller Bauten ausnahmsweise relativ schnell zu eruieren sein.


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    48) Rorschacher Str. 1-15. Links das 1836 abgebrochene Brühltor, rechts der 1809 abgebrochene Michaelsturm an der Schwertasse/Torstrasse. Anonymes Aquarell zwischen 1792/93 und 1801. Historisches u. Völkerkundemuseum St. Gallen.

    Das bisher unbekannte Aquarell zeigt die ersten beiden Häuserblöcke von Osten Richtung Brühltor. Der dritte Häuserblock ist erst in den Jahren ab 1798/1802 anstelle der Umzäunung rechts entstanden. Rechts vom 1836 abgebrochenen Brühltor steht noch das alte Zunfthaus der Kaufleute "zum Notenstein", welches dem heutigen Bankgebäude 1801 weichen musste. Somit ist das spätest mögliche Entstehungsdatum der Abbildung bekannt. Wann genau die ersten beiden Häuserblöcke fertiggestellt wurden, ist nicht bekannt; sicher ist lediglich der Zeitraum zwischen 1792 und 1798. 1792/93 ist also das frühest mögliche Entstehungsdatum der Zeichnung. So wie ich alle Bauten im Hintergrund betrachte, hat für mich das Aquarell einen sehr hohen Wahrheitsgehalt!


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    49) Rorschacher Str. 1-7 und 9. Ausschnitt aus der Abbildung oben.

    Als erstes fällt auf, dass die Nr. 5 Sichtfachwerk zeigt! Es ist aber unvorstellbar, dass in der Stadt 1792 noch Sichtfachwerk erstellt wurde, zumal auch das Überbauungsreglement dies ausdrücklich untersagte. Auch von der Nr. 13 gibt es ja eine Abbildung mit Sichtfachwerk (Abb. 13 in diesem Beitrag). Wie schon dort vermute ich, dass die Nr. 5 mit seinem unverputzten Fachwerk noch nicht ganz vollendet ist. Das Reglement hinderte die Bauherren aber nicht daran, ihre Häuser in konstruktivem Fachwerk aufzurichten, wovon alle Bauherren mit Ausnahme jenes von Nr. 23 Gebrauch machten.

    Weiter fallen die vielen Klebdächlein über den Fenstern an den ersten beiden Geschossen auf. Ob der Zeichner mit diesen eine durchgehende Reihe von klassizistischen Fensterverdachungen andeuten wollte, so wie sie heute teilweise vorhanden und teilweise rekonstruiert sind, ist unklar. In der Altstadt und den historischen Vorstädten waren solche Klebdächlein an alten Häusern bis 1800 nichts Ungewöhnliches. An Neubauten um 1800 sind solche aber nur schwer vorstellbar, da sie dem Stilempfinden nicht mehr entsprachen.

    Nun zu den Übereinstimmungen:

    - das Erdgeschoss von Nr. 1 mit Mittelportal und zwei Rundbogenfenstern ist auch in der Abbildung 22 (und 28) von 1835/36 so dargestellt.

    - die Erdgeschosse der Nrn. 3 und 5 sind auf Fotos aus dem 19. Jahrhundert so zu sehen.

    - die Anzahl Fensterachsen der Obergeschosse stimmt mit dem Rhythmus 5-4-5-5 überein.

    - Zaun und Brunnen im Vordergrund sind auch auf Abb. 13 von 1798 so zu sehen.

    Weitere Bemerkungen:

    - die Dächer weisen nur kleine Giebellukarnen auf.

    - alle Kamine münden im Bereich der Firste.
    - der an die Westseite von Nr. 1 angebaute Schopf scheint hier noch ein offener Unterstand zu sein.

    - die Lage der Haustür von Nr. 3 entspricht nicht der Abbildung 22 (und 28) von 1835/36 mit dem Brühltor, wo sie ausserhalb der Fensteraxen positioniert ist. Von den baulichen Begebenheiten ist beides möglich.

    - die Hofzufahrt zwischen Nrn. 7 und 9 ist mit einem Brettertor mit welschem Giebelabschluss abgeschlossen.


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    50) Rorschacher Str. 1-25. Ausschnitt aus dem Panorama vom St. Laurenzen-Kirchturm aus. Aquatinta von 1835/36 von J.B. Isenring.

    Eine sehr wichtige Quelle für die Baugeschichtsforschung ist das 360° Panorama von 1835/36, das der Künstler und Fotopionier J. B. Isenring vom St. Laurenzen-Kirchturm aus aufgenommen hatte. Hunderte von Häusern sind hier akribisch genau festgehalten, weshalb das Bild auch für die Rorschacher Strasse interessant ist. Demnach hatte die Nr. 7 (viertes haus von links) bereits vor 1835 seinen breiten Quergiebel erhalten. Erstmals ist auch die 1801 gepflanzte Lindenallee zwischen Rorschacher Strasse und Park zu sehen.


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    51) Der Brühl vom St. Laurenzen-Kirchturm aus 1883. Im Vordergrund die Dächer der Häuser an der Brühlgasse, dahinter die Rorschacher Strasse und das Museumsquartier aus den Jahren 1880 bis 1905. Stadtarchiv St. Gallen.

    Auch ein halbes Jahrhundert später sind keine grossen Veränderungen sichtbar, ausser dass der Kantonsschulpark im Zuge der Fertigstellung des Gymnasiums 1855 eine Neubepflanzung erhielt.




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    52) Rorschacher Str. 1-7. Ausschnitt aus der Abbildung oben.

    An der unterschiedlichen Ziegeleindeckung ist die westseitige Verlängerung von Nr. 1 zu erkennen. Auf dem 1. Vermessungsplan der Stadt von 1863 ist diese bereits berücksichtigt. Die Baumassnahme erfolgte demnach zwischen 1835/36 und 1863.


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    53) Rorschacher Str. 1-23 von Westen zwischen 1897 und 1912. Stadtarchiv St. Gallen.

    Diese Aufnahme entstand zwischen 1897 (Eröffnung der Trambahn) und etwa 1912 (Doppelspurausbau). Die neue Giebelwand von Nr. 1 war zu diesem Zeitpunkt mit einer etwas unglücklichen Balkonanlage aus Gusseisen versehen. Nrn. 3 und 5 zeigen die ursprünglichen Erdgeschosse aus dem 18. Jahrhundert, wie sie auch auf Abbildung 49 zu sehen sind. Die Fensterachsen verliefen vom Erd- bis 2. Obergeschoss durch. Mit vier Axen bei Nr. 3 war entsprechend auch der Eingang nicht axial angeordnet. Bemerkenswert ist das Türvordach an Nr. 5, dessen welsche Haube für die 1790er-Jahre stilistisch reichlich verspätet ist.


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    54) Rorschacher Str. 7-1 von Osten zwischen 1912 und 1924. Fotograf Rietmann, Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Eine Aufnahme zwischen etwa 1912 (Tram-Doppelspurausbau) und 1924 (Abbruch Restaurant Schmiedstube in Bildmitte) zeigt auch das Erdgeschoss von Nr. 7 noch vor der heutigen Schaufensteranlage aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts. Auch hier bestand bereits ein Mittelportal und vier axial angeordnete Fenster. Auf dem Aquarell von 1792/1801 (Abb. 49) ist allerdings eine Anordnung wie bei Nr. 1 mit Mittelportal und lediglich zwei grossen Fenstern auszumachen. Offenbar wurde das Erdgeschoss bereits im 19. Jahrhundert schon einmal verändert.


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    55) Rorschacher Str. 3-23 von Westen 1948. Sammlung Zumbühl, Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Bis 1948 waren sämtliche Erdgeschosse mit grossen Schaufenstern versehen worden. Im Quergiebel von Nr. 7 wurde zudem ein breites Fenster anstelle der zwei einzelnen eingebaut. Sonst war das Äussere aus demkmalpflegerischer Sicht immer noch in Schuss.


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    56) Brühltorkreuzung um 1970. Ansichtskarte, Verlag unbekannt.

    Die Brühltorkreuzung erhielt um 1972 im Zusammenhang mit dem Parkgarageneubau unter der Wiese nördlich der Museumstrasse eine Fussgängerunterführung mit Geschäften. Bis dahin konnte man noch oberirdisch die Kreuzung passieren. Den Verkehr regelte damals noch ein Polizist in einer Kanzel mitten in der Kreuzung. So kenne ich die Situation noch aus meiner Kindheit. Die Häuser selbst waren allesamt in langweiligen Weiss- und Grautönen gestrichen. Immerhin hatten sie aber noch Fensterläden, aber die Versprossung der Fenster war verschwunden. Auch wurde wohl in den 1940er-Jahren die Balkonanlage an der Giebelfront auf den Balkon selbst reduziert. Das Innere der Nrn. 1-5 war weitgehend ausgeräumt. Ich erinnere mich jetzt noch an die drei sehr langen und schmalen Verkaufsräume des Haushaltwaren- und Werkzeuggeschäfts Wilhelm Fehr AG, an die PVC-Böden und den Geruch von gefettetem Eisen. In den 1980er-Jahren erhielten die Fassaden der Nrn. 1-5 einen damals hoch im Kurs stehenden kaffeebraunen Anstrich. Die Fensterrahmen wurden hellbeige gehalten und die Fensterläden entfernt. Man fasste dies damals wirklich als Aufwertung und Auffrischung auf. Leider habe ich noch kein brauchbares Foto aus dieser Zeit gefunden. Ende der 1990er-Jahre wurden die Häuser verkauft und anschliessend nach denkmalpflegerischen Grundsätzen restauriert. Aussen wurde durch unterschiedliche Farbgebung die drei Häuser voneinander abgehoben, und das Innere erhielt einen modernen und qualitativ hochstehenden Innenausbau für unterschiedliche Nutzungen.

  • In den 1980ern Kaffeebraun?! Da bin ich ja sehr erstaunt, das erinnere ich als Spät-Siebziger-Farbe (vor allem die Kombination mit beige).

    Die 80er waren doch eher Schwarz und Weiß und Primärfarben, dazu Pastell. Aber vielleicht waren das farbliche Nachzügler...

  • In den 1980ern war bei uns vieles braun gehalten, eher zwar im Innenbereich wie Küchenfronten und Fliesen. Schwarz, Weiss und Pastell kenne ich in den 80ern eher bei postmodernen Neubauten. So richtig farbig war es in den 1970ern, und ich vermute, als man diese Farben langsam satt hatte, dass dann das Braun kam - immerhin noch eine Farbe, aber wenigstens nicht mehr grell. Mir kommen einige Neubauten aus den 1980ern in den Sinn, die einen hellbraun gestrichenen Verputz und hell- bis dunkelgrün gestrichene Rollladenblenden und Balkongeländer erhielten. Beispiel der Nachfolgebauten anstelle des "Tivolis" an der Speicherstrasse oberhalb der Stadt mit Aussicht auf den Bodensee:

    https://goo.gl/maps/d4yctgnxaih2

  • Ach ja, an die "Stil"-Küchenfronten in Holzfarbe mit aufgeklebten Zierleisten erinnere ich mich auch noch, aber ich meine, die kamen vor 1980 auf. Meine Eltern bauten so 1978 das Haus um, und da kam dann ein brauner Fliesenboden und "bahama-beige" Sanitärkeramik rein, und andere Küchenfronten wurden diskutiert. Insofern bin ich sicher, daß zumindest in D die braun-beige-Welle schon in den Spät-70ern war. Aber es kann sein, daß die ganzen schwarzen Möbel in Einrichtungshäusern erst 2 Jahre später Einzug hielten, um dann nach und nach braune Möbel völlig zu verdrängen.

  • Mehr zu deinen Bildern: die Häuser von vor 1870 finde ich sehr interessant, weil es in Lauchringen/Tiengen ähnlich schmucklose aus dieser Zeit gab, idR Arbeiterwohnungen, die aber nicht mehr bestehen (zwischen 2000 und heute für Neubauten abgerissen).

  • Die Häuser an der Rorschacher Strasse waren aber weder Arbeiter- noch Patrizierhäuser. Die Bauplätze wurden ursprünglich an Handwerker vergeben mit der Absicht, nebst dem Wohnen auch das Handwerk unter gleichem Dach ausüben zu können. Nur die freistehende Nr. 25 war ein Patrizierhaus, und vielleicht auch die Nr. 23, weil jene gemauert ist. In Kürze werde ich aber die Berufe der Erbauer in den erwähnten Katasterbüchern nachschauen.

    Jedenfalls hat sich dieser Typ Gebäude in St. Gallen bis in die 1870-Jahre gehalten, allerdings mit drei bis vier Geschossen und flacher geneigten Dächern. Je später diese gebaut wurden, desto eher waren es Arbeiterwohnhäuser:

    Harfenbergstrasse, um 1868/70, wahrscheinlich die erste spekulative Überbauung in der Stadt

    Speicher Strasse, ab 1840 (grösstenteils abgebrochen)

    Linsebühlstrasse, ab 1850 (ostwärts grösstenteils abgebrochen)

    Brühlbleichequartier/Parkstrasse, um 1870

    Steingrüebliquartier, um 1870

    Die Gebäude wohlhabenderer Erbauer aus dieser Zeitepoche waren meist freistehend oder Doppelhäuser:

    Rorschacher Str. 75 und folgende, ab 1840/50 (die meisten leider abgebrochen)

  • ursprünglich an Handwerker vergeben mit der Absicht, nebst dem Wohnen auch das Handwerk unter gleichem Dach ausüben zu können.

    Ja, die haben wohl fast alle ein "Laden-EG", anders als die verschwundenen Honeggerei-Häuser in Tiengen. Aber für eine Werkstatt dünkt mich der Platz bei den meisten etwas knapp, nur wenige haben hintendran noch einen größeren Hof. Was waren das für Gewerbe? Bäcker, Schneider z.B.?

  • Das hatte ich am Anfang des letzten grösseren Beitrages geschrieben:

    Ich bin zwar vor zwei Wochen im Zuge zu Forschungen über andere Gebäude per Zufall auf die Brandversicherungseinträge der Jahre 1820 bis 1848 gestossen. Somit sind die damaligen Eigentümer und feuerversicherungsrelevanten Nutzungsarten bekannt. In Rorschachers Str. 1 war eine Schmiede untergebracht und in Nr. 9 eine Bäckerei.

    Im nächsten Beitrag komme ich auf die Hinterhäuser zu sprechen, und vielleicht gehe ich nächste Woche ins Staatsarchiv, um die Brandversicherungs-Register nochmals anzuschauen. Dass Handwerk und Wohnen unter einem Dach stattfinden sollte, war im Überbauungsreglement von 1791 so vorgesehen. Aber ob sich genug Bauherren fanden, die diesem Ideal entsprachen, ist eine andere Frage. Das ist noch unerforscht (mit Betonung auf "noch" :wink: ). Vom Baureglement habe ich in einem Buch eine Abschrift gefunden, und die dort angegebenen Grundmasse und Anzahl der Häuser stimmen absolut nicht mit dem heutigen Bestand überein. Auch hier steht relativ leicht bewerkstelligbare Archivarbeit noch aus.

  • Vom Baureglement habe ich in einem Buch eine Abschrift gefunden, und die dort angegebenen Grundmasse und Anzahl der Häuser stimmen absolut nicht mit dem heutigen Bestand überein.

    Vielleicht war man um 1800 zuviel mit anderen Dingen beschäftigt und "lockerte" das Baureglement etwas? Immerhin scheint ja "Häuser mit Gewerbe unten" durchaus der Intention des Baureglements zu entsprechen, wenn halt auch nicht die Abmessungen.

  • 5.3 Historische Ansichten der Rückkseiten von Nr. 1 bis 7:


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    57) Rorschacher Str. 1 mit Hintergebäuden an der Museumstrasse zwischen 1897 und 1912. Sammlung Zumbühl, Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Aufgrund der einspurigen Tramlinie kann dieses Bild in die Jahre zwischen 1897 und ca. 1912 datiert werden. Links entlang der Museumstrasse sind bereits die (gemäss Stadtplänen) zwischen 1897 und 1903 erneuerten Garteneinfriedungen vorhanden. Sichtbar sind auch die beiden Hinterhäuser von Nr. 1 und 3, die schon im ersten Stadtvermessungsplan von 1863 eingetragen sind.

    rorschacher-strasse-1-25_1863.jpg

    58) 1. Stadtvermessungsplan 1863 mit Rorschacher Str. 1-25.

    Beim ersten Hinterhaus gehe ich allerdings davon aus, dass es erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Zuge der Erweiterung des Wohnhauses als Ersatz des zuvor an der Giebelwand stehenden Schopfes errichtet wurde. Das Hinterhaus von Nr. 3 stammte im Kern wohl noch aus dem 18. Jahrhundert. Seine abgeschrägte Ecke rührte nicht von der Begradigung der Museumstrasse um 1900 her, sondern war wohl ursprünglich schon so konstruiert worden. Es muss aber eine Verbreiterung Richtung Wohnhaus samt Aufstockung und Terrasse darüber erfahren haben. Ursprünglich war es wohl mit einem Satteldach bedeckt. Zwischen seiner Nordwand und der ursprünglichen Holzeinfriedung war wohl ein Unterstand. Die nächste Brandwand in Abbildung 57 gehört bereits zum Hinterhaus Nr. 7a, während der kleine dunkle Schopf davor zu Nr. 5 gehörte.


    ak-torstrasse-rorschacher-strasse-1904.jpg

    59) Torstrasse und Brühltor vom Dach das Talhofschulhauses aus Richtung Süden. Im Vordergrund die Liegenschaft "zur Brühllaube" (Museumstr. 1), links Museumstrasse mit Rorschacher Str. 1-7. 1904 gelaufene Ansichtskarte ohne Verlagsangabe, Sammlung Riegel.


    ak-torstrasse-rorschacher-strasse-1904-ausschnitt.jpg

    60) Rorschacher Str. 1-7 (von rechts). Ausschnitt aus der Abbildung oben (vergrösserbar).

    In Bildmitte ist wieder das Hinterhaus von Nr. 3 mit seiner abgeschrägten Ecke und Dachterrasse sichtbar; der Rest des Gartens war unbebaut. Das mehrfach veränderte Hinterhaus 7a weist rechts einen Atelierbereich auf. Es entstand in den 1880er-Jahren anstelle eines Schopfs aus dem 18. Jahrhundert. Hier hatten mehrere bekannte St. Galler Fotografen ihren Arbeitsort: vor 1888 verlegte Otto Pfenninger sein Atelier hierher. Auf ihn folgten drei weitere Fotografen, darunter ab 1901 Schobinger & Sandherr, bis schliesslich 1924 August Zumbühl das Fotogeschäft übernahm. Ich führe diese Fotografen deshalb hier auf, weil ihnen die Stadt einen grossen Teil ihrer baulichen Fotodokumentation zu verdanken hat.

    Hinweisen möchte ich noch auf zwei kleine Details: angebaut ans Atelier erkennt man wiederum den kleinen, zu Nr. 5 gehörenden Schopf. Auf diesen komme ich beim nächsten Bild zurück. Links unten erkennt man zudem ein aus Rundhölzern gestricktes Gartenhaus, dessen Dach mit Brettschindeln und Steinen als Beschwerung bedeckt ist. Dieses Häuschen besteht heute noch (s. Abb. 8), und ich war erstaunt, es jetzt auf einer über hundertjährigen Ansicht schon zu entdecken. Ich dachte immer, dass es erst etwa um 1940/1950 entstanden sei. Offenbar diente es als Ersatz für das in die Einfriedung hineinkomponierte Gartenhaus aus dem 18. Jahrhundert (s. nächste Abbildung), als die Garteneinfriedungen um 1900 begradigt und ersetzt wurden.

    An den Rückfronten der Wohnhäuser sei auf die unterschiedlichen Sprossungen der Fenster hingewiesen. Teils erkennt man eine Sechserteilung, so wie sie heute meist vorhanden ist. Es gibt aber auch 16er-Teilungen, die typisch für das späte 18. Jahrhundert sind und bei Neubauten bis um 1810/1820 anzutreffen sind. Auch auf dem Bild mit dem Brühltor von 1835/36 (Abb. 22) erkennt man an der Vorder- und Giebelseite von Nr. 1 diese feingliedrige Teilung. Ein früher Ersatz der Fenster durch solche mit grösseren Gläsern - vor allem an den Vorderseiten mit den Wohnräumen - ist durchaus denkbar.


    museumstrasse-rorschacher-strasse-um-1895-zumbuehl-kb.jpg

    61) Museumstrasse mit Rorschacher Str. 5 und 7 (von rechts) und den ursprünglichen Holzeinfriedungen um 1895. Sammlung Zumbühl, Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Diese Aufnahme zeigt als einzige die ursprünglichen Holzeinfriedungen aus dem 18. Jahrhundert aus der Nähe. Zu sehen sind die Bereiche der Nrn. 3 und 5, von letzterer sogar noch mit einem Gartenhaus. In Form und Grösse entspricht dieses dem bei der letzten Abbildung darauf hingewiesenen Schopfes an der Seitenwand von Nr. 7a. Um 1895 war er also noch nicht vorhanden. Es ist denkbar, dass beim Abbruch der Holzeinfriedungen und damit auch des Gartenhauses aus seinen Resten an der Seitenwand von Nr. 7a ein neues gezimmert wurde.

    Entgegen allen Stadtplänen bis 1897, nach welchen der Garten von Nr. 5 unbebaut sein müsste, besteht ein eingeschossiges Hofgebäude mit Dachterrasse, worauf dann später das neue Gartenhaus (oder Schopf) zu stehen kam. Auch auf der nächsten, noch älteren Abbildung besteht es schon. Dies ist ein Hinweis, dass auch offizielle Stadtpläne nicht bis ins letzte Detail verlässlich sind. Die Brandwand des Atelierhauses 7a ist hier noch höher als auf der ersten Abbildung 57. Ein Nachfolger von Fotograf Pfenninger änderte dieses offenbar ab, wobei seine Terrasse einer Atelier-Dachverglasung weichen musste.


    Abschliessen möchte ich die Reihe der Rückansichten mit einem kleinen Ausschnitt aus einer sehr wertvollen, grossformatigen Fotografie von 1889, welche die ganze Altstadt mit ihren unmittelbar östlich vorgelagerten Quartieren zeigt. Es ist also eine Fotografie mit hunderten von Häusern, die der Bauforscher mit der Lupe "abfahren" kann!

    1889-ost.jpg

    62) Altstadt von Norden von der ehemligen Villa "Bergheim" (Dufourstr. 50, heute Universität) aus, 1889. Grossformatige Fotografie (46,5x30,5 cm), Sammlung Riegel.

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    63) Ausschnitt mit Museumstrasse und Rorschacher Str. 1-19.

    1889-ost-ausschnitt-rorschacher-strasse-1-7.jpg

    64) Ausschnitt mit Museumstrasse und Rorschacher Str. 1-9.

    Aufgrund der Menge an bisher gezeigten Fotos bietet sie in Bezug auf die Rorschacher Strasse-Häuser nichts wesentlich Neues mehr, ausser dem kleinen Hofgebäude von Nr. 5, welches hier noch ein Satteldach anstelle der Terrasse trägt. Keine einzige andere Fotografie zeigt aber die Häuserzeile mit ihren Gärten und "Zugehörden" aus dem 18. Jahrhundert in dieser Gesamtheit!

    1889-ost-ausschnitt-rorschacher-strasse-3-5.jpg

    65) Ausschnitt mit Rorschacher Str. 3 und 5.

    So sieht ein Resultat aus, wenn man die Fotografie mit der Lupe abwandert. Man erkennt sogar die Fenstersprossungen und die einzelnen Dachziegelreihen! Erst bei der Betrachtung dieses Ausschnitts ist mir die Ausformung des Hofraumes aufgefallen. Weil die Bauherren von Nr. 3 und 5 ihre Hinterhäuser in möglichst grosser Distanz voneinander anlegten, entstand ein grösserer gemeinsamer Hofraum, auch wenn dieser durch einen Zaun unterteilt war. Zudem entsprachen sich die Giebelwände beider Hofbauten, wodurch eine weitere Entsprechung und Symmetrie entstand.

    Abgesehen von wenigen Details denke ich, dass wir hier noch den ursprünglichen Zustand aus den 1790er-Jahren vor uns sehen; der Fotoausschnitt gibt mindestens eine Anmutung davon.

  • 6.1 Der zweite Häuserblock mit Nr. 9 bis 15:


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    66) Google Street View 2016 von Norden. Rorschacher Str. 9-15, davor Nr. 9a, [ohne Nr.], 13a und 15a (von rechts).

    Der zweite Abschnitt von drei umfasst die Nummern 9 bis 15. Auf der Google-Ansicht von Norden sieht man die Rückseiten und zugehörigen Hinterhäuser. Von den ursprünglichen Hinterhäusern aus dem 18. Jahrhundert hat in diesem Abschnitt ebenfalls keines überdauert. Bis vor kurzem ging ich davon aus, das Nr. 15a noch aus dem 18. Jh. stammt, also gleichzeitig mit dem Wohnhaus Nr. 15 entstanden ist. Auf Abb. 48 ist es aber noch nicht vorhanden; mehr dazu folgt im übernächsten Beitrag.


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    67) Rorschacher Str. 9-15 von Westen.

    Der zweite Häuserblock ist unruhiger als der erste, da die Häuser unterschiedlich breit sind, drei Bauten einen breiten Quergiebel besitzen und die Trauflinie stellenweise unterbrochen ist. Auch wurden die Erdgeschosse nie zusammengefasst und sind deshalb individueller gestaltet als die verbindende Schaufensterreihe bei Nr. 1 - 5. Nr. 9 ist das einzige Haus der ganzen Reihe, das keine Fensterläden mehr besitzt.


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    68) Rorschacher Str. 9-15 von Osten.

    Dafür hat Nr. 15 eine reichere Fassadendekoration, die allerdings eine spätere Zutat aus dem Historismus ist. Beide Kopfbauten sind an den Schmalseiten abgewalmt wie Nr. 7. Alle Hauseingänge sind in ihrer Schlichtheit fast unscheinbar in die Fassaden eingefügt.


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    69) Rorschacher Str. 9.

    Nr. 9 erhielt im späten 19. Jahrhundert ebenfalls eine historistische Fassadengliederung, die glücklicherweise später wieder entfernt wurde (vgl. mit Abb. 55). Zu dieser Zeit kamen als moderne Errungenschaft Rollläden und Rafflamellenstoren auf, die auch bei der Fassadenneugestaltung von Nr. 9 Eingang fanden. Deshalb fehlen heute die Fensterläden.


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    70) Rorschacher Str. 11.

    Das Erdgeschoss stimmt bezüglich der Fensteraxen nicht mit den Obergeschossen überein. Das Schaufenster ist eine Zutat der Fotografendynastie Rietmann.

    In diesem Haus führte Fotograf Otto Rietmann ab Mitte der 1880er-Jahre sein Fotoatelier, das 1924 sein Sohn Oskar und und seine Schwiegertochter Constance Rietmann-Haak übernahmen. Ihnen und den Fotografen August Zumbühl und Söhne in Rorschacher Str. 7 hat die Kantonsbibliothek St. Gallen zwei umfangreiche Fotosammlungen über die Stadt zu verdanken, aus denen einige der hier gezeigten historischen Ansichten stammen.


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    71) Rorschacher Str. 13.

    Dieses Haus ist auffallend schmaler als alle andern. Der Quergiebel mit den drei Pfetten und Flugsparren scheint ebenfalls eine historistische Zutat zu sein.


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    72) Rorschacher Str. 15.

    Stilistisch und auch im Vergleich mit frühen Abbildungen ist der Fassadendekor erst im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts angebracht worden. Der Dekor ist aber dezenter als der ehemalige bei Nr. 9, indem hier auf durchgehende horizontale Gurtsimsen (mit Ausnahme über dem Erdgeschoss) und Fensterbekrönungen wie Dreieck- oder Segmentbogengiebel verzichtet wurde.


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    73) Rorschacher Str. 15, Fassadendetail.

    Auch wenn ich mir die ursprüngliche, biedermeierliche Fassade zurückwünschte, ist der historistische Dekor sehr gekonnt und ausgewogen ausgeführt.


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    74) Rorschacher Str. 15 und der Brühlweg.


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    75) Rorschacher Str. 15 "Café Scheitlin" und der Brühlweg. Bleistiftzeichnung von J. J. Rietmann, 1863, Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Auf dieser Zeichnung ist das Haus gerade mal etwa 70 Jahre alt und dürfte hier noch weitgehend dem ursprünglichen*) Zustand entsprechen. Die Dachgaube an der Schmalseite wies eine schwungvollere Kontur als heute auf. Sie ist - wie auch das Vordächlein an Nr. 5 (vgl. mit Abb. 53) - noch ganz dem Barock verpflichtet und erhielt später einen Dreiecksgiebel aufgesetzt.

    *) Welchem Stil soll man das ursprüngliche Aussehen überhaupt zuordnen? Für die Antwort muss das ursprüngliche Aussehen der Fassaden natürlich zuerst bekannt sein. Bisher haben wir spätbarocke und frühklassizistische Elemente vorgefunden. Auch im Innern sind sehr viele Bauteile noch aus der Bauzeit erhalten. Auch wenn die Häuser noch vorher entstanden sind, spürt man schon den aufkommenden Biedermeier.

  • 6.2 Die Rückseiten von Nr. 9 bis 15:


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    76) Brühlweg mit Rückansicht von Rorschacher Str. 15-11, davor 15a.

    Die Rückseiten sind von der Museumstrasse kaum einsehbar. Erst vom Brühlweg zwischen Nr. 15 und 17 kann man über die hohen Umzäunungen einen Blick auf sie und die Hinterhäuser werfen. Im Gegensatz zum ersten Häuserblock sind die Rückseiten hier viel uneinheitlicher. Vor allem durch Treppenhausanbauten und einer Erweiterung und Aufstockung auf der ganzen Breite bei Nr. 13 ging einiges der ursprünglichen Einheitlichkeit verloren.


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    77) Brühlweg mit Nr. 17a und 15a.


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    78) Brühlweg mit Rorschacher Str. 15a und 13a (gelb mit verglastem Anbau).


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    79) Nordwestliche Dachfläche von Nr. 15a mit vielen handgestrichenen Biberschwanz-Dachziegeln in der herbstlichen Abendsonne, dahinter Nr. 15 und 13.


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    80) Hinterhaus Rorschacher Str. 15a von Südosten.

    Auch wenn das Häuschen nicht aus den 1790er Jahren stammen sollte, wird es gemäss Dachform und Lukarnen wohl in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entstanden sein. Auf dem Stadtvermessungsplan 1863 und der im gleichen Jahr entstandenen Abb. 75 von Rietmann ist es bereits vorhanden. Noch in den Jahren kurz nach 2000 hätte das Häuschen trotz Denkmalschutz einem verspäteten postmodernen Neubau mit anderthalb Geschossen weichen sollen. Durch eine langwierige Einsprache konnte dies verhindert werden.

    Das Schmiedeeisentor ist eine kürzliche Zutat. Dahinter folgt Nr. 13a, ein Hinterhaus, das im späten 19. Jahrhundert neu erbaut wurde.


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    81) Blick durch das Tor beim Brühlweg in die Höfe zwischen den Haupt- und Hofbauten.

    Zu beachten sind hier die alten Bodenbeläge aus unterschiedlichen Steinpflästerungen.


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    82) Hinterhaus von Rorschacher Str. 9 während des Abbruchs im Februar 2015. Links der nachträglich angefügte, gemauerte Waschküchenanbau.

    Nicht so viel Glück hatte das Hinterhaus Nr. 9a, das im Februar 2015 trotz Denkmalstatus einem zweigeschossigen Neubau in Holzkonstruktion weichen musste (s. Abb. 46 und 47). Von der Form und Bauweise her (Fachwerkkonstruktion mit Deckleistenschirm und Satteldach) sowie im Vergleich mit den beiden Hinterhäusern von Nr. 3 und 5 (Abb. 65) stammte es aus der Bauzeit der ganzen Häuserreihe und erhielt gegen 1900 einen gemauerten Waschküchenanbau. Es war somit wohl das letzte noch original erhaltene Hinterhaus der ganzen Reihe aus dem 18. Jahrhundert! Auf seine Baugeschichte und Konstruktion komme ich in einem späteren Beitrag zurück, da ich es mit spontaner Einwilligung des Besitzers, der mir ebenso spontan eine Führung im Hauptgebäude anbot, während der Abbrucharbeiten in letzter Minute noch dokumentieren konnte.

  • 6.3 Historische Ansichten von Nr. 9 bis 15:


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    83) Rorschacher Str. 9-15 zwischen 1792/93 und 1801. Ausschnitt aus Abb. 48.

    Auf der Abbildung aus der Bauzeit der Häuser präsentieren sich die Nrn. 9-15 übereinstimmend mit dem ersten Häuserblock:

    - durch alle Geschosse verlaufende Fensteraxen mit integrierten Haustüren im Rhythmus 5-4-4-5 (wie heute)

    - Fensterverdachungen über dem Erd- und 1. Obergeschoss (ausser bei Nr. 15)

    - keine Quergiebel an den Hauptfassaden.

    Bemerkenswert ist rechts vor allem das Hinterhaus von Nr. 15. Seine Form stimmt mit den abgegangenen Hinterhäusern aus dem 18. Jahrhundert von Nr. 3, 5 und 9 überein. Das heutige Hinterhaus Nr. 15a stammt demnach nicht aus dem 18. Jahrhundert, wie man bisher annahm, aber sicher aus dem ersten Viertel des 19. Jahrhunderts. Auf dem Zuber-Plan von 1828 ist es jedoch bereits vorhanden.


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    84) Rorschacher Str. 1-25. Ausschnitt aus dem Panorama vom St. Laurenzen-Kirchturm aus. Aquatinta von 1835/36 von J.B. Isenring.

    Gemäss Isenring bestanden beim mittleren Häuserblock 1835 noch keine Quergiebel. Die Anzahl der Fensteraxen, 5-4-4-5, hat er gewohnt akribisch genau festgehalten.


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    85) Rorschacher Str. 7-15 um 1860/70 von Westen. Sammlung Zumbühl, Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Die sehr frühe Fotografie zeigt erstmals die Fassaden an der Rorschacher Strasse aus der Nähe. Der Kantonsschulpark wurde anlässlich des Neubaus des Gymnasiums 1855 umgestaltet und neu bepflanzt. Rechts sieht man jedenfalls frisch gepflanzte Bäume, wonach die Fotografie tatsächlich aus diesem Zeitraum stammen dürfte. Ob die halb ausgewachsenen Linden entlang der Strasse noch von der ersten Bepflanzung von 1801 stammen, ist nicht klar, da die Bäume im Park regelmässig geschnitten wurden.

    Links sieht man Rorschacher Str. 7 im wohl noch ursprünglichen Zustand - in der Mitte das korbbogige Hausportal und seitlich je zwei Einzelfenster in der axialen Gliederung der oberen Stockwerke. Alle Geschosse sind durch feine Gurtbänder voneinander getrennt, wobei zusätzlich ins untere ein Türvordach integriert ist. In seiner schlichten Form (mit niedrigem Zaun für Bepflanzung?) stand es ganz im Gegensatz zu jenem von Nr. 5, das eine damals veraltete welsche Haube trug. Ob das den Hofzugang zu Nr. 9 abschliessende Tor wohl noch das originale ist, das man auf Abb. 83 sieht?

    Nrn. 9, 11 und 13 waren in ihrer Schmucklosigkeit kaum zu überbieten. Ihr einziger Schmuck waren die Fensterverdachungen. Solche Fassaden wurden in St. Gallen noch bis in die 1870er Jahre haufenweise errichtet und lassen eine Datierung ohne Kenntnis ihres baulichen Umfeldes nur schwer zu. Haus Nr. 15 war ähnlich, ausser dass es bereits ein Gurtsims über dem Erdgeschoss aufwies. Mindestens Nr. 13 hatte zu diesem Zeitpunkt noch keinen Quergiebel.


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    86) Rorschacher Str. 9-15 1883. Ausschnitt aus Abb. 51

    Vor 1883 erhielt Nr. 9 eine historisierende Fassadengliederung (nicht mehr vohanden) und einen breiten Quergiebel, während die drei Nachbarn immer noch ihre schlichten Dächer zeigten.


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    87) Rorschacher Str. 11 und 13, 1944/46. O. Rietmann, Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Links erkennt man die historistische, heute nicht mehr vorhandene Fassadendekoration von Nr. 9. Ein Umbau von Nr. 11 Mitte der 1880er Jahre, bei welchem der Quergiebel aufgesetzt wurde und rückseitig ein Treppenhausumbau stattfand, geht wahrscheinlich auf Fotograf Otto Rietmann zurück. Er oder sein Sohn brachen auch das Schaufenster aus. Die nicht ins Axensystem passende Dreierfenstergruppe im Erdgeschoss rechts ist in Abb. 85 um 1860/70 bereits vorhanden.

    Der historistische Quergiebel von Nr. 13 besass anstelle der heutigen beiden Einzelfenster ursprünglich ein dreiteiliges Fenster.


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    88) Rorschacher Str. 9-15 (von rechts), 1889. Ausschnitt aus Abb. 62.

    Weitgehende Umbauarbeiten am ganzen Häuserblock fanden in den 1880er Jahren statt. Wie man an der Rückseite sehen kann, wurde gleich bei drei Bauten jeweils das Treppenhaus vergrössert und ein Quergiebel aufgesetzt. Nur noch Nr. 13 behielt bis zu diesem Zeitpunkt das originale schlichte Gewand, wurde aber kurz danach auch umgebaut.

    Die Hinterhäuser waren 1889 bereits stark verändert. Hinter Nr. 9 bestand das Hinterhaus in der Form, die es bis zu seinem Abbruch 2015 hatte. Es war ein langgestrecktes, anderthalbgeschossiges Häuschen aus Fachwerk, das mit einem Deckleistenschirm verschalt wurde. Sein Satteldach entsprach jenen der andern Hinterhäuser aus dem 18. Jahrhundert. Ursprünglich stand es losgelöst vom Nachbar Nr. 11, bis in den Zwischenraum eine massive Waschküche angebaut wurde. Das Hinterhaus wird in einem separaten Beitrag später dokumentiert.

    Nr. 11 hatte bereits ein neues zweigeschossiges Hinterhaus erhalten, wahrscheinlich das Atelier von Fotograf Rietmann. Bei Nr. 13 erkennt man vom Hintergebäude nur einen Quergiebel. Seine Höhe und auch der Grundriss lassen ebenfalls noch auf ein Gebäude aus dem 18. Jahrhundert schliessen. Nr. 15 zeigt bereits den heutigen Bestand mit dem Hinterhaus aus dem ersten Viertel des 19. Jahrhunderts.

    Einheitlich präsentierten sich die Garteneinfriedungen. Wie bei Nr. 1-7 bestanden sie aus hohen geschlossenen Bretterwänden, die nur durch Tore und Gartenhäuschen aufgelockert waren.


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    89) Rorschacher Str. 5-15 (von rechts), 1930/35. O. Rietmann, Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Während eines halben Jahrhunderts schien nicht mehr viel zu passieren. Bei Nr. 13 wurde die Rückfassade um 1900 auf ganzer Hausbreite um anderthalb Meter in den Hof hinausgerückt und ein zusätzliches Geschoss daraufgesetzt. Die hölzernen Garteneinfriedungen wichen gleichzeitig mit jenen von Nr. 1-7 Eisengeländern auf Steinsockel.


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    90) Garten von Rorschacher Str. 11, 1941. O. Rietmann, Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Der Garten von Nr. 11, in welchem während Jahrzehnten die Fotografendynastie Rietmann beheimatet war, ist durch ihr Wirken besonders gut dokumentiert. Alle möglichen Situationen hielten sie im Bild fest: Besuche, Bauarbeiten, Gartenhäuschen, Schneeskulpturen (Goetheanum Dornach!) und sogar ihre weisse Katze. Eine Auswahl davon folgt im nächsten Beitrag, doch zwei baugeschichtlich und gartendenkmalpflegerisch interessante Ansichten lasse ich bereits hier folgen.


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    91) Gartenhaus mit spiralförmigem Zugangsweg, Rorschacher Str. 11, 1941. O. Rietmann, Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Im 1. Vermessungsplan der Stadt von 1863 (s. Abb. 23 in diesem Beitrag) sind einige Sitzplätze mit spiralförmigem Zugangsweg eingezeichnet. Bisher wurde noch nie nachgewiesen, ob die im Plan eingezeichneten, teilweise sehr aufwändig gestalteten Gartenanlagen tatsächlich auch so bestanden. Durch Vergleiche mit frühen Luftbildaufnahmen und Fotos einzelner Gärten kann man aber davon ausgehen, auch wenn das noch nicht abschliessend nachgewiesen ist. Mit Abb. 90 und 91 ist achtzig Jahre später ein weiterer Nachweis in diese Richtung gelungen, indem bei Rietmanns tatsächlich noch ein Gartenhäuschen mit spiralförmigem Zugangsweg bestand!

  • Der gesamte Fotonachlass der Fotografendynastie Rietmann wird heute in der Kantonsbibliothek St. Gallen archiviert und ist im Internet zugänglich (St. Galler Bibliotheksnetz). Darunter gibt es viele Aufnahmen vom Anwesen Rorschacher Str. 11 "so zwischendurch". Eine Auswahl davon - auch wenn nicht direkt mit der Baugeschichte des Hauses verbunden, aber trotzdem das Leben darin und draussen festhaltend - gebe ich hier wieder, so wie die Glasplatten- und Gelatine-Negative im Web zu sehen sind:


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    92) Rorschacher Str. 11, Wohnzimmer im 1. Obergeschoss um 1892/1900. O. Rietmann, Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Das Holztäfer und die Fenster stammen wohl noch aus der Bauzeit, die Stuckdecke, Fenster und Holzmaserierung (Faux-bois) wohl vom historistischen Umbau des Hauses.


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    93) Rorschacher Str. 11, Brennholzträger, 1934. O. Rietmann, Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Für eine behagliche Stube den ganzen Winter über wurde viel Brennholz benötigt. Der arme Brennholzträger vor dem Hintereingang kann einem richtig Leid tun.


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    94) Rorschacher Str. 11, Sanitärinstallateure, 1961. O. Rietmann, Kantonsbibliothek St. Gallen.

    1961 liess Rietmann einen Verbindungsbau vom Wohnhaus direkt ins Atelier erstellen, der mittlerweile nicht mehr existiert. Um eine genügende Durchfahrtshöhe zu erreichen, wurden die Bodenbalken von unten her mit Gewindestangen angeschraubt.


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    95) Rorschacher Strasse bei 23, 25, steckengebliebenes Tram im Winter 1897/98 oder 1898/99. O. Rietmann, Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Von der Schneemenge her könnte diese Aufnahme glatt von diesem Winter stammen! Ich schätzte die Aufnahme von der "Frische" des Negativs her in die 1930/40er Jahre, doch wurde ich stutzig ob des Tramwagens mit offenen Plattformen. Die ersten Trams bei der Eröffnung der Trambahn 1897 hatten tatsächlich noch offene Plattformen, die aber in den Jahren darauf alle verschlossen wurden.

    Nun erinnerte ich mich an eine Mondscheinkarte aus meiner Sammlung. Mondscheinkarten waren in den Jahren um 1895/ 1905 sehr in Mode. Mein Exemplar ist zudem mit Glimmerplättchen versehen, welche im Licht flackern und Schneefall vortäuschen (in der Wiedergabe hier nicht sichtbar). Beim Vergleich wurde sofort klar, dass der Ansichtskarte die Aufnahme Rietmanns zugrunde liegt, die eine der ersten Tram-Pannen festhält:


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    96) Rorschacher Strasse bei 23, 25, "Eingeschneite Trambahn" im Winter 1897/98 oder 1898/99. 1899 gelaufene Ansichtskarte. Sammlung Riegel.


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    97) Rorschacher Str. 11, Schneehaus in Form des Goetheanums in Dornach, 1931. O. Rietmann, Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Im Hintergrund ist der Atelierbau Rietmanns zu sehen. Das Fenster mit Kunstverglasung im 1. Obergeschoss hilft, die folgende Innenaufnahme zu lokalisieren:


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    98) Rorschacher Str. 11, Fotoatelier um 1895/1905. O. Rietmann, Kantonsbibliothek St. Gallen.


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    99) Rorschacher Str. 11, Abbau des Baukrans beim Neubau des Stadttheaters an einem nebligen Tag, 1968. O. Rietmann, Kantonsbibliothek St. Gallen.