• Zum "großstädtischen" Graz ein alter Beitrag, der zeigt, dass der Schein nicht immer trügen muss:

    Zitat

    1849 war Graz die - zehnt!größte deutsche Stadt, dh des damaligen dt Bundes (Quelle: Wikipedia).
    Im heutigen D. gibt es nur fünf Städte, die damals größer waren: Berlin, Hamburg, Köln, München, Dresden, dh wirklich nur Metropolen,davon nur zwei Reichsstädte, gerade mal drei Städte mit damals bedeutendem Stadtbild aus dem MA. Von diesen Städten hat Graz als einzige seine substanziell ma Altstadt großflächig ins frühe 20.Jh retten können.

    Man kann Graz, wie alle österr. Städte, nur schwer mit reichsdeutschen Städten vergleichen, denn die Entwicklug scheint eine ganz andere gewesen zu sein. Lassen wir hier WC außer Betracht, das ist ein Sonderkapitel. In D. ist ganz offenbar entweder alles mittelalterlicher geblieben (dh es blieb erhalten, bzw wurde in mittelalterlichem Stil erneuert, vgl FWH in Fürth aus der Barockzeit). Der Typus der "gewachsenen Altstadt", die ihre Grundmauern beibehielt und die Fassaden bis ins Barock jeweils dem neuen Stil anpasste, existiert dort nicht. Es gibt "richtige" Barockstädte, aber keine barockisierten Altstädte. Ohne Zweifel ist München dem am Nähesten gekommen, wobei die Stadt urpsünglich Inn-Salzach geprägt war.
    Was Graz so bedeutend macht, ist der Umstand, dass es von der Inn-Salzach-Schablone nicht angekränkelt wurde. So gesehen haben die Kommentatoren, die es also so "italienisch" ansehen, unrecht. Italienisch muten die Piazza von Linz und die Platzfolgen in Salzburg und Passau an. Diesen Typus der wahrhaft altösterreichischen (ohne historistische Habsburgnostalgie- Prag, Lemberg und Krakau sind eben nicht österreichisch, sondern böhmisch und galizisch) Stadt in nur dreimal in größerem Rahemn erhalten: Graz, Steyr und die Wiener Alstadtreste. Letzeres ist zu lückenhaft und zusehr in eine moderne Metropole integriert, zweiteres ist zu kleinstädtisch.
    Graz ist zudem die einzige dt. Großstädt südlich der Alpen gewesen. Was da noch kam, konnte nicht annähernd mit - Marburg, Hermannstadt, Kronstadt wirken als das was sie letzlich sind - reine Provinz oder städtische Inseln in hoffnungslos abgelegenen Gebieten.

  • Sicher war den meisten von euch klar, dass jetzt noch eine Serie über die Altstadt südlich der Herrengasse folgen muss. Nicht wahr.

    Es sind zwei parallele Straßenzüge, die uns noch fehlen. Wir beginnen mit der südlicheren Raubergasse.

    Sie wird von dieser Fassade geprägt, die in ihrer stilistischen Mixtur (Renaissance- Barock) so symptomatisch für die Stadt zu sein scheint:


    Der Name des Bauwerks steht in großen Lettern über dem Eingangsbereich geschrieben:

    Vis-à-vis noch eine Zeile von alten, urigen Bürgerhäusern, die bereits ein kleinwenig vorstädtisch anmuten:

    In Richtung Hauptplatz dominieren Bauwerke des frühen 20. Jh., die jedoch nicht den Straßenraum zerstören:

    Auch in der Gegenrichtung dominiert ein Gründerzeitschinken:

    Die beiden Innenhöfe des Joanneums:

    Dortselbst auch diese Darstellung des gar wilden steyrisch Wappentiers:

  • Eh wir mit der Schmiedgasse, unserer letzten Station in dieser Stadtpartie fortfahren, wollen wir uns ein wenig mit dem wunden Punkt dieser wunderbaren Altstadt auseinandersetzen. Es handelt sich hiebei natürlich um das Rathaus, das das bürgerliche Herz der Stadt, den Hauptplatz, nach bei uns eindeutig überwiegender Auffassung doch einigermaßen beeinträchtigt.

    Man kann sagen, dass auch das historische Rathaus in Anbetracht des üblichen architektonischen Reichtums einigermaßen enttäuscht haben musste:

    Pas de question, dieser Bau blieb deutlich hinter seinen Geschwistern zu Leoben, Radkersburg oder Marburg zurück!

    Dann kam dieser in seiner Kastenhaftigkeit bereits originelle Bau:

    Zitat

    Im Jahr 1803 wurde das alte Rathaus dem Erdboden gleichgemacht und in den Jahren 1805 bis 1807 nach den Plänen von Christoph Stadler neu errichtet. Die 150.000 Gulden, die der Neubau kostete, wurden übrigens durch eine eigens hierfür eingeführte Weinsteuer aufgebracht ... Der in klassizistischem Stil gehaltene Neubau traf allerdings nicht ganz den Geschmack der Bevölkerung und sorgte für Unmut bei den Grazern.

    Zitat

    1869 wurde mit der Erweiterung des Rathauses begonnen, 1887 erfolgte die Grundsteinlegung für die neuen Teile des Rathauses. Nach den Plänen der Architekten Alexander Wielemans und Theodor Reuter wurde der klassizistische Altbau vom Anfang des 19. Jahrhunderts verwendet und in das Erdgeschoss sowie in das erste Stockwerk des Ost- und Nordflügels miteinbezogen. Die große Rathauskuppel entstand. Für die Expansion waren übrigens mehrere angrenzende Gebäude zugekauft worden, doch da sich die Eigentümer der Häuser Landhausgasse 6 und 8 gegen den notwendigen Abriss zur Wehr setzten, blieb der geplante Blockbau unausgeführt. Diese Tatsache kommt bei der Besichtigung des Innenhofes deutlich zum Ausdruck: Die stehen gebliebenen Häuser schieben sich weit in die Tiefe des Rathausgevierts und stören das Gesamtkonzept des Baus.


    Der letzte Satz ist natürlich sehr tendenziell - glücklicherweise blieben die alten Häuser bestehen! Ein klares Plus für die Herrengasse, die dadurch wenigstens im west. Bereich ihre Historizität erhalten hat!

    Hier ist die aktuelle Situation ganz links zu sehen: der Rathausneubau rahmt die drei alten Häuser sozusagen ein, das städtebaulich lähmende Geviert blieb dadurch an dieser sensiblen Stelle erfreulich aufgelockert.

    Das heutige Ungetüm hat leider auch einige skulpturale Einbußen hinnehmen müssen, wie diese Ansicht aus der Zwischenkriegszeit zeigt:

    Zitat

    1922 wurde die Fassadengestaltung in den oberen beiden Geschossen vereinfacht; 1957 wurde das ehemals reiche bauplastische Figurenprogramm, gestaltet von den Künstlern Hans Brandstetter, Karl Lacher, Karl Peckary, Emanuel Pendl und Rudolf Vital, größtenteils entfernt; der Verbleib der kulturhistorisch interessanten Kunstwerke ist unbekannt. Erhalten haben sich an der Westfassade über dem dortigen Portal zwei Sandsteinfiguren (Landsknechte) aus der Hand Hans Brandstetters (1892) und eine Sandsteinbüste aus der Hand Karl Lachers.
    1966 bis 1967 wurde die Außenfassade des Rathauses saniert. Bei einer Volksbefragung sprachen sich die Grazer dafür aus, das Rathaus in seiner altvertrauten Form zu erhalten, anstatt es auf die klassizistischen Formen zurückzuführen.

    Das hätte ich hier vorschlagen sollen, da hätte es wieder was gesetzt!
    (Sämtliche Zitate aus: http://www.graz.at/cms/beitrag/10058666/1088931

    Hier ein etwas sachkundigerer Kommentar:

    Zitat

    Die langwierigen Verhandlungen ärgerten die Grazer. Man spekulierte mit einer Verlegung des neuen Rathauses auf den Jakominiplatz oder den soeben geschaffenen Joanneumring – also wie in Wien an den Rand der Altstadt. Schließlich blieb alles beim alten und das Rathaus wurde nach Plänen der Architekten Wielemans und Reuter um- und ausgebaut. Am10. Dezember 1894 fand unter Vorsitz von Bürgermeister Ferdinand Portugall die erste Gemeinderatssitzung im neuen Rathaus statt, das mit seiner späthistoristisch- altdeutschen Fassade und den verspielten Erkern, Nischen und Balkonen wie aus einem Zuckerguss wirkte – nicht zu vergessen die Kuppel, die den Hauptplatz um 55 Meter überragt. Bald fand man aber den „Zuckerguss“ zu süß – und so kam es 1922 und 1927 zu Reduzierungen des üppigen Fassadendekors.

    1962 beschloss der Gemeinderat unter dem Motto „zurück zum Klassizismus“ einen Ideenwettbewerb für eine neue Rathausfassade. Eine Volksbefragung ging aber mit großer Mehrheit zugunsten der Renovierung der bestehenden Fassade aus. Die Grazer hatten ihr Zuckerguss-Rathaus schon sehr lieb gewonnen.

    http://austria-forum.org/af/Wissenssamm…_Rath%C3%A4user

  • Nein, da widersprech ich dir. Nicht aus Prinzip, denn man kann diesen Bau ja mögen, sondern aus Proportions- und Stadtraumüberlegungen.

    Zitat

    und für meinen Geschmack ist es wegen des großen Platzes vor dem Rathaus übrigens noch nicht mal arg überdimensioniert:


    In diesem Punkte (wenn man das "arg" wegließe) spießt es sich.
    Schau dir das Photo an - warum wurde es direkt an der Südkante gemacht?
    Richtig- um einen riesigen Platz zu suggerieren. Realiter erdrückt das Rathaus den Platz, der eben nicht riesig ist. Es ist einfach viel zu behäbig.

  • Ich bin hier conträrer Meinung. Gerade in der Überladenheit lag die Qualität des Baues. Gerade das Zuviel an Ornamentik, die Überforderung des Auges ist die Intention dieses Stils. Die nachträgliche Vereinfachung ist daher noch schädlicher als es bei früheren Bauten der Fall gewesen wäre - der Balg ist geschlechtslos geworden, um das Eigentliche gebracht worden. Durch seine Proportionierung kann er ja kaum punkten, und in diesem Manko liegt der historistische Hund begraben.


  • Herz-Jesu-Kirche Graz, unbekanntes Juwel des historistischen Kirchenbaus

    Nachfolgend möchte ich ein paar Fotos der Herz-Jesu-Kirche im Grazer Stadtteil St. Leonhard zeigen. Während sich die Besucherströme auf die Grazer Altstadt konzentrieren ist dieser Sakralbau ausserhalb der Stadtgrenzen wohl nahezu völlig unbekannt. Es handelt sich um eine neogotische, von 1881-1887 erbaute Kirche des Architekten Georg von Hauberrisser, dem Schöpfer des Münchener Rathauses. Angelehnt ist sie an norddeutsche Kirchen im Stil der Backsteingotik. Für mich handelt es sich um eine der schönsten Kirchen des Historismus in Mitteleuropa, wobei besonders das prachtvolle Innere dazu beiträgt.


    Zuerst zwei Ansichten vom Schlossberg her.



    Blick aus der Nähe auf den 109,5 m hohen Turm.



  • Sicher war den meisten von euch klar, dass jetzt noch eine Serie über die Altstadt südlich der Herrengasse folgen muss. Nicht wahr.

    Es sind zwei parallele Straßenzüge, die uns noch fehlen. Wir beginnen mit der südlicheren Raubergasse.

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    Sie wird von dieser Fassade geprägt, die in ihrer stilistischen Mixtur (Renaissance- Barock) so symptomatisch für die Stadt zu sein scheint:

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    Der Name des Bauwerks steht in großen Lettern über dem Eingangsbereich geschrieben:

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    Vis-à-vis noch eine Zeile von alten, urigen Bürgerhäusern, die bereits ein kleinwenig vorstädtisch anmuten:

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    In Richtung Hauptplatz dominieren Bauwerke des frühen 20. Jh., die jedoch nicht den Straßenraum zerstören:

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    Auch in der Gegenrichtung dominiert ein Gründerzeitschinken:

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    Die beiden Innenhöfe des Joanneums:

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    Dortselbst auch diese Darstellung des gar wilden steyrisch Wappentiers:


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  • Eh wir mit der Schmiedgasse, unserer letzten Station in dieser Stadtpartie fortfahren, wollen wir uns ein wenig mit dem wunden Punkt dieser wunderbaren Altstadt auseinandersetzen. Es handelt sich hiebei natürlich um das Rathaus, das das bürgerliche Herz der Stadt, den Hauptplatz, nach bei uns eindeutig überwiegender Auffassung doch einigermaßen beeinträchtigt.

    Man kann sagen, dass auch das historische Rathaus in Anbetracht des üblichen architektonischen Reichtums einigermaßen enttäuscht haben musste:

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    Pas de question, dieser Bau blieb deutlich hinter seinen Geschwistern zu Leoben, Radkersburg oder Marburg zurück!

    Dann kam dieser in seiner Kastenhaftigkeit bereits originelle Bau:


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    Im Jahr 1803 wurde das alte Rathaus dem Erdboden gleichgemacht und in den Jahren 1805 bis 1807 nach den Plänen von Christoph Stadler neu errichtet. Die 150.000 Gulden, die der Neubau kostete, wurden übrigens durch eine eigens hierfür eingeführte Weinsteuer aufgebracht ... Der in klassizistischem Stil gehaltene Neubau traf allerdings nicht ganz den Geschmack der Bevölkerung und sorgte für Unmut bei den Grazern.


    1869 wurde mit der Erweiterung des Rathauses begonnen, 1887 erfolgte die Grundsteinlegung für die neuen Teile des Rathauses. Nach den Plänen der Architekten Alexander Wielemans und Theodor Reuter wurde der klassizistische Altbau vom Anfang des 19. Jahrhunderts verwendet und in das Erdgeschoss sowie in das erste Stockwerk des Ost- und Nordflügels miteinbezogen. Die große Rathauskuppel entstand. Für die Expansion waren übrigens mehrere angrenzende Gebäude zugekauft worden, doch da sich die Eigentümer der Häuser Landhausgasse 6 und 8 gegen den notwendigen Abriss zur Wehr setzten, blieb der geplante Blockbau unausgeführt. Diese Tatsache kommt bei der Besichtigung des Innenhofes deutlich zum Ausdruck: Die stehen gebliebenen Häuser schieben sich weit in die Tiefe des Rathausgevierts und stören das Gesamtkonzept des Baus.

    Der letzte Satz ist natürlich sehr tendenziell - glücklicherweise blieben die alten Häuser bestehen! Ein klares Plus für die Herrengasse, die dadurch wenigstens im west. Bereich ihre Historizität erhalten hat!

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    Hier ist die aktuelle Situation ganz links zu sehen: der Rathausneubau rahmt die drei alten Häuser sozusagen ein, das städtebaulich lähmende Geviert blieb dadurch an dieser sensiblen Stelle erfreulich aufgelockert.

    Das heutige Ungetüm hat leider auch einige skulpturale Einbußen hinnehmen müssen, wie diese Ansicht aus der Zwischenkriegszeit zeigt:


    9185996712_5190b15ae0_b.jpg


    1922 wurde die Fassadengestaltung in den oberen beiden Geschossen vereinfacht; 1957 wurde das ehemals reiche bauplastische Figurenprogramm, gestaltet von den Künstlern Hans Brandstetter, Karl Lacher, Karl Peckary, Emanuel Pendl und Rudolf Vital, größtenteils entfernt; der Verbleib der kulturhistorisch interessanten Kunstwerke ist unbekannt. Erhalten haben sich an der Westfassade über dem dortigen Portal zwei Sandsteinfiguren (Landsknechte) aus der Hand Hans Brandstetters (1892) und eine Sandsteinbüste aus der Hand Karl Lachers.
    1966 bis 1967 wurde die Außenfassade des Rathauses saniert. Bei einer Volksbefragung sprachen sich die Grazer dafür aus, das Rathaus in seiner altvertrauten Form zu erhalten, anstatt es auf die klassizistischen Formen zurückzuführen.

    Das hätte ich hier vorschlagen sollen, da hätte es wieder was gesetzt!

    (Sämtliche Zitate aus: graz.at/cms/beitrag/10058666/1088931

    Hier ein etwas sachkundigerer Kommentar:


    Die langwierigen Verhandlungen ärgerten die Grazer. Man spekulierte mit einer Verlegung des neuen Rathauses auf den Jakominiplatz oder den soeben geschaffenen Joanneumring – also wie in Wien an den Rand der Altstadt. Schließlich blieb alles beim alten und das Rathaus wurde nach Plänen der Architekten Wielemans und Reuter um- und ausgebaut. Am10. Dezember 1894 fand unter Vorsitz von Bürgermeister Ferdinand Portugall die erste Gemeinderatssitzung im neuen Rathaus statt, das mit seiner späthistoristisch- altdeutschen Fassade und den verspielten Erkern, Nischen und Balkonen wie aus einem Zuckerguss wirkte – nicht zu vergessen die Kuppel, die den Hauptplatz um 55 Meter überragt. Bald fand man aber den „Zuckerguss“ zu süß – und so kam es 1922 und 1927 zu Reduzierungen des üppigen Fassadendekors.

    1962 beschloss der Gemeinderat unter dem Motto „zurück zum Klassizismus“ einen Ideenwettbewerb für eine neue Rathausfassade. Eine Volksbefragung ging aber mit großer Mehrheit zugunsten der Renovierung der bestehenden Fassade aus. Die Grazer hatten ihr Zuckerguss-Rathaus schon sehr lieb gewonnen.

    austria-forum.org/af/Wissenssa…ark/Grazer_Rath%C3%A4user