Beiträge von Platz

    In Zürich wurde der einfallslose Erweiterungsbau des Kunsthauses von David Chipperfield eröffnet. Im Interview mit einem der Beteiligten ärgerte mich besonders die eine Passage des Fragestellers:


    Wenn man etwas aushalten muss, dann ist es dieser unfassbar belanglose Neubau Herr Heilmeyer!


    Kunsthaus Zürich von David Chipperfield Architects

    Dieser Neubau ist wirklich ein Ausbund an Geschmacklosigkeit und passt mit seiner wuchtigen Kubatur an die Ecke wie eine Faust in ein Kindergesicht.

    kunsthaus-ZH.png

    Vorher standen an der Stelle einige gefällige niedrige Bauten (die genaue Funktion ist mir leider nicht mehr erinnerlich, ich meine, es waren Lagerräume) und imposante alte Bäume. Auf Google Street View sieht man sie noch.

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    Hier ein Blick ins Innere des Neubaus: https://www.swissinfo.ch/eng/new-kunsth…elight/46179304

    Ich als Proletarier verstehe generell nicht, warum man für viel Geld in besten Innenstadtlagen hässliche Hallen errichten muss, damit das Publikum dort einsame bunte Bilder in großer Distanz zueinander betrachten kann. Warum ist man nur von der effizienten wie beeindruckenden "Salonhängung" abgekommen?

    Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Salonhängung

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    Was für mich eine "schöne Straße" ist, entscheide ich nach völlig subjektiven Kriterien. Ich möchte aber vor allem Straßen oder Gegenden zeigen, in die sich der typische Tourist nicht verirrt, die aber für einen städtebaulich interessierten Besucher einen Abstecher wert sein mögen. Natürlich ist aber auch jeder andere Benutzer eingeladen, hier Wiener Straßen zu präsentieren, die ihm persönlich zusagen.

    Ich schätze jedenfalls auch die gründerzeitliche Bausubstanz Wiens sehr. Die Diesterweggasse ist ja z.B. auch im umgangssprachlichen Sinne gründerzeitlich bebaut (mir fehlt das Expertenwissen, um zu sagen, wie genau dieser Stil im fachsprachlichen Sinne heißt). Aber in einer Stadt, in der im späten 19. Jahrhundert so viel demoliert und neu gebaut wurde wie in Wien, sind eben erhaltene ältere Ensembles auch bemerkenswert - wie es in mancher kriegs- und nachkriegszerstörten deutschen Stadt vielleicht ein erhaltener gründerzeitlicher Straßenzug ist.

    Für Freunde der Gründerzeit hier jedenfalls ein paar Bilder aus der Goldschlagstraße. Diese führt über gute 3,5 Kilometer vom Gürtel bis nach Breitensee und ist auf einem Großteil ihrer Länge mit stolzen gründerzeitlichen Mietshäusern aus der Zeit um 1900 bebaut. Die meisten sind auch in einem erfreulich guten Zustand, jedenfalls ihre Fassade.

    Die Goldschlagstraße führt eigentlich, gerade auf ihrer ersten Hälfte, durch eine eher ärmliche Gegend, den 15. Wiener Gemeindebezirk Rudolfsheim-Fünfhaus. Allerdings ist sie dort - nicht zuletzt weil man sie in eine verkehrsberuhigte "Fahrradstraße" konvertiert hat - eine Art Nukleus der Gentrifizierung durch junge und sich für junggeblieben haltende hippe Wiener, die es cool finden, wenn auf der Straße niemand mehr Deutsch spricht (letzteres ist eine faktische Beobachtung meinerseits) und deshalb auch deutlich hübscher anzusehen als manch triste Nebenstraße.

    Eine Reihe besonders reich geschmückter Bauten beim Wieningerplatz:

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    Von etwas näher:

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    Vollfrontal:

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    Schöner Torbogen:

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    Der Gabrielen-Hof mit schwarzer Krone zum Auf-das-Gesindel-Herabschauen:

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    Kein Haus für Veganer:

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    In Breitensee, früher von Klein- und Mittelbetrieben geprägt, heute... nicht mehr:

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    Vermutlich entstuckter Eckbau zur Missindorfstraße, man mag sich gar nicht vorstellen, wie bombastisch diese Burg ursprünglich gewirkt haben muss:

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    Ich hoffe, damit ist der Bedarf an Gründerzeit fürs erste gedeckt.

    Im äußersten Nordwesten des 7. Bezirks liegt die Bernardgasse. Die schmale Parallelstraße zur Lerchenfelder Straße weist in ihrem Mittelteil eine praktisch geschlossene biedermeierliche Bebauung auf, wobei sich die dreistöckigen Häuser zwar stark ähneln, aber doch jedes seinen eigenen Charakter hat.

    Abendstimmung in der leider ordentlich verparkten Bernardgasse:

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    Adolf-Bronce waar der Hitt, Mann!

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    Früh wird es finster:

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    Würde nicht aufgestockt, wäre es nicht Wien:

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    Hat diese Fensterform mit Rundbogen einen Namen? Sieht man nicht allzu oft, finde ich:

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    Blick zurück. Wir wir ganz hinten sehen, ist die Bernardgasse nicht durchgehend niedrig bebaut:

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    Wem verdanken wir eigentlich diesen ansprechenden Straßenzug? Dem erfolgreichen Architekten Franz Karl (1816-1876).

    Im Lexikon lesen wir über ihn Folgendes:

    Ergänzend sei hinzugefügt, dass sich die Wiener heute alle zehn Finger abschlecken könnten, wenn zeitgenössische Bauherren zumindest den "nur auf Sparsamkeit zielenden eintönigen, akzentlosen Fassadengestaltungen des Vormärz" nacheifern würden.

    Nicht mehr in der Bernardgasse, aber an ihrem Kopfende steht dieses kleine Biedermeierhaus von 1829:

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    Und um zum Abschluss wieder den Zirkel in den inneren Siebten Bezirk zu schlagen: Das im Lexikon erwähnte "repräsentativere" Franz-Karl-Haus in der Burggasse 22 ist das Eckhaus zum oben von Ursus vorgestellten Sankt-Ulrichs-Platz. Siehe hier: https://goo.gl/maps/WnFWuetgmqoTfsRK6

    Herzlichen Glückwunsch für diesen wunderbaren Strang, und ich hoffe, du verfügst über viel Freizeit. Trotz aller Bemühungen der heutigen Stadtverwaltung verfügt Wien über genügend Anschauungsmaterial, um dies als veritable Sisyphos-Aufgabe erscheinen zu lassen. Mit der Diesterweggasse zu beginnen, ist natürlich so gewagt wie originell. Natürlich wirst du um das Penzinger Zentrum gleich ums Eck nicht hinwegkommen. Und das transviennesische Hietzing mit seinem alten Kern wirst du uns erst recht nicht unterschlagen dürfen. Ich hab mich im APH schon damit gespielt, Alt Wien, was blieb oder so.

    Danke. Natürlich habe ich bewusst mit der Diesterweggasse angefangen, damit gar nicht erst die Illusion eines Anspruchs auf Vollständigkeit oder eines Systems aufkommen kann.

    Durch deine interessanten Beiträge bin ich natürlich jetzt mit einem Schlag eines Großteils meines spaziergängerischen Materials beraubt, da ich quasi auf der Grenze zwischen 7. und 8. Bezirk residiere, lustigerweise nur einen kräftigen Steinwurf von dem zuletzt vieldiskutierten Schnizer-Märchenschloss entfernt. Dazu sei ergänzend bemerkt, dass der Eckerkerturm auf der Lerchenfelder Straße zum guten Ton gehört. Eine Straße weiter östlich sieht es z.B. so aus:

    https://goo.gl/maps/fWi2jJNurLtB2EM79

    bzw. andernseitig

    https://goo.gl/maps/4Ke1tSR9M5Ka6uQx6

    Diese spezielle Türmchen-Konstellation sticht mir übrigens grade erstmals ins Auge, obwohl ich da schon hunderte Male vorbeigegangen, -geradelt und -gefahren bin. Man sieht nie aus.

    Zu dem Renaissancehaus am Sankt-Ulrichs-Platz meine ich einmal gelesen zu haben, es handle sich um eine spätere Rekonstruktion. Allerdings weiß ich nicht mehr wo und wirklich wahrscheinlich wirkt es auf mich auch nicht. Vielleicht blieb es auch erhalten, weil gleich ums Eck der türkische Obermigrant Kara M. sein Hauptquartierszelt aufgeschlagen haben soll (zumindest laut einer gut patinierten Tafel hier: https://goo.gl/maps/E6dedQ2t8nxNa9bN8). Vielleicht gewann er das Häuschen lieb, weil es ihm Schatten spendete, während er in der heißen Wiener Sommersonne seine Datteln haberte und er ließ es großzügig stehen?

    Ich habs mir mal in der Schnelle durchgelesen: 1607 gab es wegen Brandschutz in der Tat einen Erlass, Giebel abzubauen und vor allem: Fachwerk zu verputzen mit dem typischen weißen "pariser" Kalk. Dieser blieb eben haften bis 1960, damals haben die Architekten das Fachwerk wieder freigelegt und restauriert. ;)

    Daher kann ich mir vorstellen, dass auch bei den anderen alten Fotos manch ein Haus aus Fachwerk war, es war nur verputzt und sah so aus wie Steinbau...

    Da war die im ersten Link zitierte alte Frau wohl eine unzuverlässige Zeitzeugin :D

    Ein interessantes Thema, jedenfalls interessanter als meine Erwerbsarbeit.

    Im Marais stehen tatsächlich zwei mittelalterlich wirkende Fachwerkhäuser in der Rue Francois Miron: https://goo.gl/maps/PDW5zEFgjc1z67LM8

    Allerdings hat man Ihnen das Fachwerk anscheinend in den 1960ern aufgeklebt:

    https://vivrelemarais.typepad.fr/blog/2019/05/m…cois-miron.html (mit Vorher-Nachher-Foto)

    https://www.histoires-de-paris.fr/maisons-colomb…francois-miron/

    Laut letzterem Link hat die Stadt Paris aufgrund des Brandrisikos schon 1607 offenes Balkenwerk und Giebel (wenn ich das richtig verstehe) verboten, woraufhin die Fachwerkbauten verputzt wurden.

    PS: Sagt mir, wenn dieses dilettantische Googeln mehr nervt als nützt, möchte hier ungern den Rastrelli 2.0 geben :wink:

    Das trifft es überhaupt nicht zu. Paris war bevor dieser Haussmann alles umgestaltet hatte eine großartige mittelalterliche Metropole, wie es sie in Europa so bis auf FFM; Nürnberg, etc.. nicht gegeben hatte

    ...

    Dieses Bild mit den Fachwerkhäusern und Notre Dame ein Traum:

    ...
    https://www.sequanamedia.com/catalogue/pari…otredame-3D.jpg

    Paris braucht auf jeden Fall so ein Art Dom-Römer Viertel wie in Frankfurt, wo man das mittelalterliche Paris nochmal erleben kann...

    Aber wie weit war dieses mittelalterliche Fachwerk-Paris im 19. Jahrhundert noch vorhanden?

    Im englischsprachigen Wiki-Artikel zu Haussmans Wirken finden sich einige Fotos aus den 1850ern, auf denen ich keine mittelalterlichen Fachwerkbauten finden kann:

    https://en.wikipedia.org/wiki/Haussmann…vation_of_Paris

    bzw. ab hier

    https://en.wikipedia.org/wiki/Haussmann…%E2%80%9370.jpg

    Da ich auch etwas zu diesem sympathischen Forum beitragen möchte, starte ich hiermit einen kleinen Strang zu schönen Straßenzügen in Wien. Erst wollte ich von sehenswerten Straßen schreiben, aber es geht mir eher um äh-Stehtisch angenehme Stadträume, durch die man gerne durchspaziert, als um architektonisch oder geschichtlich herausragende Ecken und Kanten. Andere Beiträger (die es hoffentlich geben wird) mögen und dürfen das natürlich von Fall zu Fall anders sehen.

    Den Anfang macht die Diesterweggasse im 14. Bezirk, und zwar deren unterer Teil zwischen der Penzinger Straße und der Hadikgasse (der verkehrsreichen Ausfallschneise nach Westen): https://goo.gl/maps/QsRV8xfZavhMbjry9

    Ich finde dieses Straßenstück sehr reizend, weil hier zwischen 1901 und 1902 auf gut 200 Metern beiderseits eine Reihe sehr ähnlicher, aber nicht identischer niedriger Gründerzeitbauten mit adretten Fassaden und Erkern errichtet wurden. Laut Wiener Gebäudedatenbank wurde jedes Gebäude von einem anderen Architekten geplant, aber irgendeine Art von Gestaltungsvorgabe muss es wohl gegeben haben. Das wäre vermutlich auch ein gutes Rezept für heutige Stadtentwicklungsgebiete.

    Da die Gegend unweit des Schlosses Schönbrunn und nur einen Steinwurf vom Nobelbezirk Hietzing entfernt liegt, gehe ich davon aus, dass hier auch vor 120 Jahren schon für eine zahlungskräftige Klientel gebaut wurde.

    Heute sind fast alle Häuschen hübsch hergerichtet und der Straßenzug (für Wiener Verhältnisse) fast frei von Bausünden, abgesehen von der Nummer 3, die aber nicht groß auffällt, und dem Eckbau mit der Nummer 18 (vor dem man sich am besten zum Betrachten aufstellt, um ihn im Rücken zu haben).

    Blick nach Süden, linke Seite:

    diester1.jpg

    Blick nach Süden, rechte Seite:

    diester2.jpg

    Blick nach Süden, frontal:

    diester3.jpg

    Blick zurück zur Penzinger Straße, das kleine Häuschen (Penzinger Straße 68) stammt aus dem 18. Jahrhundert und war einst ein Schulhaus: (Bild von 1905 hier: https://www.zeitenspruenge.at/bild/507)

    diester4.jpg

    Der Rest der Diesterweggasse besteht im Wesentlichen aus zwei Sackgassen, die zum S-Bahnhof Penzing führen. Dort entsteht gerade dieses 20 Meter hohe Prachtstück: https://wohnservice-wien.at/aktuelles/aktu…rasse-45-47-wbi - und daneben dieser Traum in Kartenhaus-Optik: https://kennedygarden.buwog.at/

    Zum Abschluss noch etwas Versöhnliches vom anderen Ende der Diesterweggasse, das ehemalige Hotel Sitler/Gloriette mit imposanter Brandmauer: https://goo.gl/maps/it8UYHZTSZXMn63w5 Anscheinend steht das Gebäude seit den 1990ern leer. Dafür wirkt es zumindest noch recht gut beieinander.

    Dieser hässliche Bau erinnert mich innen an die Hauptgebäude der Universität St. Gallen. Da hat man weiland auch Beton in Fichtenholz-Schalungen gegossen und sich das Resultat als architektonisch herausragend prämieren lassen. In der Praxis sind die Gebäude gerade an den in St. Gallen häufigen Nebeltagen innen furchtbar deprimierend. Aber vielleicht sorgt das zumindest dafür, dass die Studenten schneller abschließen?

    Hier kann man virtuell durch den Tempel des Heiligen Cementus wandeln: http://www.artlight.ch/wp/index.php/u…et-st-gallen-7/