München - Die Kirchen (Galerie)

  • Guter Vergleich mit Fürstenfeld. Wie gesagt, ich weiß zur Entscheidungsfindung der Wiederaufbauer nichts, ich kann dir diese Abweichungen nicht erklären; wenn ich mal was herausfinden sollte, werd' ich's dir mitteilen :)

    Bloß noch ein Gedanke: soweit ich weiß, hat Joseph Effner das Bandelwerk der Regence aus Paris nach Bayern gebracht und ist erst 1715 aus Paris nach München zurückgekehrt. Matthias Diesel war zeitweise sein Studienbegleiter in Paris und muss das Bandelwerk dort ebenfalls kennengelernt haben. Vielleicht hat er es deshalb in seinen Zeichnungen verwendet, obwohl es in echt gar nicht in der Bürgersaalkirche zu sehen war? Und vielleicht gibt es schriftliche Quellen, die den damals wirklich vorhandenen Stuck beschreiben? Mich erinnert der rekonstruierte Stuck auf den Zwickeln ein bissl an die Sakristei der Karmeliterkirche, die ungefähr in den gleichen Jahren dekoriert wurde. Aber das ist pure Spekulation.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Hm, dunkle Rahmen um Fresken dürften wohl so um 1900 sein, oder? Ist mir schwer vorstellbar, daß man in Barock/Rokoko so kontrastreich gearbeitet hätte. - Die neuen Fresken finde ich zu eckig und zu quirlig-spiralig, und farblich zu kräftig.

  • Also dass man im Barock nicht kontrastreich gearbeitet hätte, stimmt jetzt nicht, gerade dort hat man Kontraste gesucht. Auch in Fürstenfeld (die Barockkirche, die Jakob vorher verlinkt hat), gibt's genügend knallige Farben, man denke an die riesige grüne Girlande am Chorbogen; oder in den verschiedenen Asamkirchen, z.B. in Weltenburg oder München, da kann man vor lauter Hell-Dunkel-Kontrast kaum mehr ordentliche Fotos machen. Im Rokoko wird's dann heller und weißer, aber auch dort findet man noch genügend Farben.

    Ich gebe Dir aber Recht, dass die modernen Fresken farblich nicht gut dazupassen.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Dreifaltigkeitskirche

    Pacellistraße 12

    Erbaut 1711-18

    Filialkirche der Dompfarrei Zu Unserer Lieben Frau

    Typus: überkuppelter Zentralbau mit tonnengewölbten Kreuzarmen


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    In der leichten Seitenansicht von links sieht man den im Krieg beschädigten Kirchturm, der nach dem Krieg mit einem einfachen Zeltdach eingedeckt wurde:

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    Ansicht vor dem Krieg noch mit seinem schönen Zwiebelturm: https://www.bildindex.de/document/obj22…m616222/?part=0


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    Blick in Richtung Lenbachplatz, links der erhaltene Renaissance-Turm der alten Maxburg, in der Mitte das Palais Bernheimer:

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    Baugeschichte:

    - 1705 Gelübde der drei Stände (Klerus, Adel, Bürgerschaft) zur Rettung der Stadt aus Kriegsgefahr eine Dreifaltigkeitskirche zu bauen

    - 1711 nach langer Standortsuche der Beschluss, die Dreifaltigkeitskirche beim Karmelitinnenkloster in der Kreuzstraße (später Pfandhausgasse, heute Pacellistraße) zu bauen sowie Grundsteinlegung; Entwurf von Giovanni Antonio Viscardi; Bauleitung Johann Georg Ettenhofer

    - 1713 Tod Viscardis, Übernahme der Bauaufsicht durch Enrico Zuccalli

    - 1714 Fertigstellung der Kuppel, Aufführung der Turmobergeschoße; 1714/15 Stuckierung: Johann Georg Bader, Freskierung: Cosmas Damian Asam; 1716 Marmorbalustraden: Simon Pußfeger; 1717 Portal: Simon Pußfeger; Theresienaltar (rechter Querarm): Kistlerarbeiten Johann Neumayr, Statuen und Dekor Franz Ableithner, Altarblatt Johann Degler, 1718 Josephsaltar (linker Querarm): Kistlerarbeiten Johann Neumayr, Statuen Andreas Faistenberger zugeschrieben, Dekor Franz Ableithner, Altarblatt Joseph Ruffini

    - 1718 Fertigstellung und Weihe

    - 1726/27 Michaelsstatue an der Fassade: Joseph Fichtl, Guß: Adam Hämmerl, Vergoldung Stephan Haaß

    - 1730/40 zwei Engel seitlich der Altarmensa Johann Georg Greiff zugeschrieben

    - um 1760 Tabernakel mit Emmausrelief von Johann Baptist Straub

    - 1854-57 Renovierung der Altäre und Kanzel

    - 1877 Abbruch des Klostertrakts an der Pfandhausstraße

    - 1905 Restaurierung des Innern

    - 1944 nur relativ leichte Kriegsschäden: Verlust der Turmbekrönung und Fassadenobelisken

    - 1952 Restaurierung der Fassade, 1958 Innenrestaurierung

    - 1972 Restaurierung der Fassade, Wiederanbringung der Zierobelisken

    - 1983-85 erneute Renovierung

    - 1999/2000 Restaurierung der Fassade


    Die Dreifaltigkeitskirche geht auf ein Gelübde während des Spanischen Erbfolgekriegs zurück: nach der verlorenen Schlacht bei Donauwörth am 2. Juli 1704 lief München Gefahr, von den kaiserlichen Armeen gebrandschatzt zu werden. In dieser bedrohlichen Situation hatte die Bürgerstochter Anna Maria Lindmayr die Vision, dass München verschont bliebe, wenn es geloben würde, zur Verehrung der allerheiligsten Dreifaltigkeit eine Kirche zu bauen. Dieses Gelöbnis wurde dann auch am 17. Juli 1704 von den drei Ständen Klerus, Adel und Bürgerschaft in der Frauenkirche abgelegt, woraufhin München wundersamerweise tatsächlich verschont und im Gegensatz zu vielen anderen Gegenden Bayerns weder belagert noch von der Pest heimgesucht wurde. In der fertigen Kirche findet sich deshalb auch folgende Inschrift:

    Dies Denkhmahl dan verbleibe,

    In aller Hertzen schreibe:

    Die Stadt läg in dem Grund,

    Wan dise Kirch nit stund.

    Der Baubeginn verzögerte sich dann noch einige Jahre, hauptsächlich weil man lange keinen geeigneten Standort finden konnte. Schlussendlich erfolgte 1711 der Beschluss, die Kirche in der Kreuzgasse, der späteren Pfandhaus- und heutigen Pacellistraße, schräg gegenüber der bereits bestehenden Karmeliterkirche und der Maxburg zu errichten. Neben der Kirche sollte auch das neue Kloster für die unbeschuhten Karmelitinnen gebaut werden, die auf Initiative von Anna Maria Lindmayr 1711 von Prag nach München geholt wurden.

    Der Architekt Giovanni Antonio Viscardi beabsichtigte ursprünglich, die Fassade der Kirche quer zur Kreuzgasse, die damals an dieser Stelle recht eng war und wenige Meter weiter in einem Verbindungsbogen zwischen Maxburg und Ballhaus endete, zu stellen, so dass sie zum Promenadeplatz gezeigt hätte. Diese städtebaulich äußerst reizvolle Lösung wurde zwar von der Baukommission einstimmig angenommen, aber leider vom Bischof aus dem Grunde verwehrt, dass der Chor der Kirche somit direkt an das laute Ballhaus angestoßen wäre, was einer Kirche unwürdig gewesen wäre; so wurde die Kirche schließlich wie oben beschrieben in die Straßenflucht gegenüber der Karmeliterkirche eingebettet. Aufgrund dieser Situation gestaltete Viscardi die Fassade in für Münchner Verhältnisse ungewohnt plastischer Form mit einem weit in den Straßenraum vorspringenden mittleren Fassadenteil, so dass sie für einen von rechts, also vom Promenadeplatz, kommenden Besucher deutlich in Erscheinung tritt und wie aufgeklappt wirkt.

    Die Bayerische Denkmaltopographie schreibt über die Kirche:

    Viscardis Spätwerk nimmt typologisch wie künstlerisch in der Entwicklungsgeschichte des barocken Zentralbaus in Bayern einen hervorragenden Platz ein; der Architekt „greift eigene früher formulierte Baugedanken (Freystadt) wieder auf und entwickelt sie unter dem Einfluss des römischen Hochbarock und Enrico Zuccallis weiter“ (Ramisch 1986). Der nach Norden gerichtete, maßstäblich intime Bau von 23,5m Länge zeichnet sich durch eine originelle, aufwendig gestaltete und reich instrumentierte Schaufront aus, deren guarineske Zusammenhänge Erich Hubala (1972) aufgezeigt hat (vgl. Fassadenprojekt für S. Filippo Neri, Turin). Vor allem in Hinblick auf ihre in der einst schmalen Pfandhausgasse kaum frontale, in erster Linie von der Seite mögliche Einsehbarkeit konzipierte Viscardi eine umgewöhnlich plastische, raumgreifende Fassadenkomposition, die den borrominesken konkav-konvexen Typus in eckig gebrochener Form abwandelt und kraftvoll dramatisiert.“

    Auch das überraschend weiträumige Innere wird nicht von glatten Wandflächen, sondern von Säulen geprägt, die als „Angeln einer gelenkigen Verschränkung der sich durchdringenden Zentral- und gerichteten Kreuzstruktur des Raums fungieren" (Friedrich Naab). Friedrich Naab weiter: „Die Wirkung der Säulen als freibewegliche Gelenke beruht vor allem auf ihrem besonderen Verhältnis zu den Wandfeldern. Sie sind vollrund gebildet, treten aber nicht frei vor die Wand, sondern stehen fast zur Hälfte in Kehlungen, deren dunkle Schatten sie von den Wandstreifen daneben optisch isolieren. Die Wandstreifen selbst sind nicht nur von den Säulen abgesetzt, sondern auch leicht hinter die Ebene des Gebälks zurückgeschoben, so daß sie, durch eingetiefte Rahmungen geschient und in ihrer plastischen Substanz verdeutlicht, als selbständige, massive Tafeln wirken.

    Man hat nicht den Eindruck einer einheitlich-kompakten Mauermasse, aus der der Raummantel mit seinen Gliederungen herausmodelliert ist, sondern den eines beweglich zusammengefügten, gerüstartigen Systems aus Sockeln, Säulen, Wandtafeln und Gebälk, das den Raum umstellt und den Wölbungsorganismus trägt.“

    Die Kuppel verzichtet auf einen Tambour und bindet die Kuppelschale somit direkt in den Zentralraum ein, was zusammen mit den gelenkigen Verschränkungen der Raumstrukturen einen einheitlichen Raumeindruck schafft, der für die weitere Entwicklung des Kirchenbaus im bayerischen Barock (und vor allem im späteren Rokoko) bestimmend sein wird.

    Die Dekoration und Ausstattung stammen einheitlich aus der Erbauungszeit der Kirche und verbinden sich zu einem harmonischen Gesamtbild. Wegweisend ist hierbei auch die Stuckierung von Johann Georg Bader, die sich im Gegensatz zur wesentlich plastischeren italienischen Stuckierung der Theatinerkirche im Hintergrund hält und zart und leicht wirkt. Diese feine, fast zeichnerische Art der Stuckierung wird in der darauffolgenden Zeit nicht nur typisch für Innenstuckaturen, sondern auch für Fassadenstuckaturen im ganzen altbayerischen Raum.

    Die Deckenbilder, darunter natürlich hauptsächlich das Kuppelfresko, sind frühe Hauptwerke von Cosmas Damian Asam aus den Jahren 1714/15, der hier seine in den Jahren zuvor in Italien erworbenen Kenntnisse virtuos zur Schau stellt. Das vielfigurige Kuppelfresko zeigt die Huldigung der heiligen Dreifaltigkeit durch die himmlischen Chöre der Engel, Apostel und Heiligen; am unteren Bildrand stößt der Erzengel Michael Luzifer in den Abgrund, der plastisch über den Freskorand hinaus fällt; leicht schräg links davon sieht man den Fassadenplan der Kirche, der der Dreifaltigkeit entgegengebracht wird und rechts neben dem Fenster, welches sich an den aus dem Bild herausfallenden Luzifer anschließt, findet sich ein Selbstportrait von C.D. Asam.

    Im 2. Weltkrieg blieb die Dreifaltigkeitskirche wundersamerweise fast unversehrt, obwohl das direkte Umfeld fast durchgehend schwer zerstört wurde; zusammen mit der Salvatorkirche ist sie die einzige Kirche in der Münchner Altstadt, die nur relativ leichte Beschädigungen erlitt. Die Zierobelisken, die auf die Straße gefallen waren, wurden nach dem Krieg wieder angebracht, kleinere Wasserschäden der Asamfresken konnten ohne Substanzverlust behoben werden; der einzige wirkliche Verlust ist die Turmhaube mit Laterne, die nach dem Krieg durch ein einfaches Zeltdach ersetzt wurde. Der Turm tritt allerdings von der Straße aus kaum in Erscheinung, er steht um einiges weiter nördlich und man sieht ihn nur kurz durch die enge Rochusstraße bzw. aus dem hinter der Kirche gelegenen Innenhof, so dass man den Verlust der ursprünglichen Turmhaube verschmerzen kann. Entscheidend hingegen ist, dass der Innenraum der Kirche mit allen Details vollständig original erhalten ist und somit eines der wenigen unveränderten Zeugnisse der Barockzeit in der Altstadt Münchens darstellt: ein oft unterschätztes Juwel, das vielen Leuten leider eher unbekannt ist, weil die Kirche normalerweise nur bis zum Absperrungsgitter geöffnet ist und sich ihre Großartigkeit erst von der Mitte des Kirchenraums aus wirklich entfaltet.

    Ansicht nach den Kriegszerstörungen der umliegenden Häuser: https://www.bildindex.de/document/obj22…2246b07/?part=0

    Innen:

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    Die Rückseite mit der Orgel, die wie ein Schwalbennest angeheftet scheint:

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    Das ganze Gewölbe:

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    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

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    Die Kuppel mit dem Fresko von C. D. Asam:

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    Ausschnitt aus dem Kuppelfresko mit dem Aufriss der Fassade der Dreifaltigkeitskirche und dem rechts unten aus dem Bild herausgestoßenen Luzifer:

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    Der Hochaltar:

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    Linke Seite:

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    Rechte Seite:

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    Weitere Bilder der Dreifaltigkeitskirche hier: https://www.flickr.com/photos/1619455…177720313265643

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    Karl Kraus

  • Fast ein Adventskalender, den Leonhard uns hier präsentiert. Ein Kirchentürchen nach dem anderen wird zur Erbauung des geneigten Publikums geöffnet. Tausend Dank!

    (Andererseits natürlich eine Provokation. Man selbst schlaff wie Oblomow auf der Ottomane, die auf dem Strom des Lebens dahindümpelt, und der haut beinahe täglich diese funkelnden und inhaltsreichen Beiträge raus. Nebenher wird er noch das Bad blitzblank putzen, laufen gehen, fünf Sorten Plätzchen backen und ein Klaviertrio komponieren. Ich sehe es direkt vor mir!)

  • Haha, das mit dem Klaviertrio kommt tatsächlich hin 8o Die Fotos hab ich in den letzten 5 Jahren gemacht und die Beiträge größtenteils heuer recherchiert und geschrieben, deswegen geht das jetzt auf einmal so schnell. Es war allerdings eine immense Arbeit, das geb ich zu. Es hat aber sehr viel Spaß gemacht und ich hab viel dabei gelernt!

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    Karl Kraus

  • Bzgl. Bürgersaalkirche hab ich noch mal in der Denkmaltopographie nachgeschaut, dort steht folgendes:

    "Die Deckenzone des Bürgersaals wurde wegen Baufälligkeit 1773/74 völlig neu gestaltet, der gesamte Deckenspiegel mit einem 32 x 10 m großen Fresko der Himmelfahrt Mariens ausgefüllt (vielleicht im Wettbewerb mit dem Asamfresko im Ingolstädter Kongregationssaal), das hohe Berühmtheit erlangte, jedoch im 20. Jh schwere Schäden aufwies. Den umgebenden Stuckdekor schuf Franz Xaver Feichtmayr."

    Zur Wiederherstellung:

    "Die kriegszerstörte Decke wurde zunächst nur in ihrer Rohform wiederhergestellt; eine Nachbildung der Gestaltung von 1774 mit dem großen Fresko kam nicht in Frage. So entschied man sich 1959 für die Rekonstruktion des durch zwei Kupferstiche von Matthias Diesel gut überlieferten originalen Stuckdekors Pietro Francesco Appianis von 1710 mit großem, von einer Strahlenglorie umgebenen Marienmonogramm im Mittelfeld, dem das Jesusmonogramm über dem Altar und das des hl. Josef über der Orgel entspricht (Bildhauer Max Grübl und Stuckfirma Anton Fuchs, Würzburg); die beiden zunächst nur farbig eingestimmten Gemäldefelder im Norden und Süden - ursprünglich mit Fresken von Johann Anton Gumpp - wurden erst 1971 mit modernen, frei barockisierenden Darstellungen der Himmelfahrt Martens und der Anbetung der Könige von Hermann Kaspar ausgefüllt. Im Zusammenhang mit der Farbtonskala der neuen Fresken wurde ein neues Konzept für die gesamte Raumfassung entwickelt, für die kein originaler Befund zu erbringen war (die erste Nachkriegsfassung war durch blasse Töne gekennzeichnet); auffallendstes Detail sind die in Spachteltechnik marmorierten, polierten Pilaster (Ausführung Fa. Richard Kunze). Erhalten blieben an den Seitenwänden der Stuck der Bauzeit von Georg Joseph Bader sowie - in den wegen der Anschlussbebauung die Fenster ersetzenden Blendfenstern der jeweils drei südlichen Achsen - die (verblassten) Fresken von J.A. Gumpp mit Szenen aus dem Marienleben (1945/46 von Hans Pfohmann restauriert und ergänzt). Erhalten blieb auch der gemalte Zyklus marianischer Embleme in den Kartuschen über den Fenstern bzw. Blenden."

    In "Münchens Kirchen" von 1973 schreibt Friedrich Raab: "Die gurtartigen Abschnitte zwischen den Rahmenfeldern enthalten weit ausschwingende Akanthusranken (die bei der Wiederherstellung wohl etwas zu mager ausgefallen sind)."

    Das bezieht sich allerdings auf die Stuckdekorationen zwischen den Rahmenfeldern der Decke, nicht auf die Stichkappen; es könnte allerdings ein Indiz dafür sein, dass auch woanders nicht ganz genau gearbeitet worden ist.

    Aber es steht bei Naab noch folgendes: es existieren Entwurfszeichnungen von Johann Andreas Wolff von 1698 für die Wand- und Deckengestaltung des früheren Kongregationssaales im Münchner Jesuitenkolleg, welcher unmittelbares Vorbild für den Bürgersaal gewesen sei (Johann Andreas Wolff entwarf auch die Ausstattung des Bürgersaals) und worauf auch die Wiederbestuckung nach dem Krieg basierte. Das bedeutet, dass man der Zeichnung von Diesel in den Details anscheinend etwas weniger vertraute als diesen Entwurfszeichnungen. Die heutige Farbgebung scheint wie oben aus der Denkmaltopographie zitiert im Zusammenspiel mit den modernen Fresken neu gestaltet worden zu sein, nachdem es keinen originalen Befund gab.

    Im offiziellen Führer zur Bürgersaalkirche (auf dem anscheinend der Wikipedia-Artikel basiert) finde ich keine genaueren Angaben zur Frage der Stuckdekoration und der Farbgebung.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Und es geht weiter im bunten Münchner Kirchen-Adventkalender!

    Damenstiftkirche St. Anna

    Damenstiftstraße 1

    Filialkirche der Pfarrei St. Peter

    Erbaut 1732-35

    Typus: kreuzförmiger, leicht längsgerichteter Zentralraum mit zwei Hängekuppeln und kurzen tonnengewölbten Querarmen


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    Damenstiftkirche mit ehem. Damenstiftgebäude rechts:

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    Das Portal mit den rekonstruierten Türflügeln:

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    Baugeschichte:

    - 1690 Beginn eines Klosterneubaus für die Salesianerinnen nach Plänen von Giovanni Antonio Viscardi

    - 1732 Grundsteinlegung als Kirche der Salesianerinnen durch Kurfürst Karl Albrecht, Pläne Johann Baptist Gunetzrhainer, Bauleitung Ignaz Anton Gunetzrhainer, Stuck und Altäre Ägid Quirin Asam, Fresken Cosmas Damian Asam, Altargemälde Joesph Ruffini (Hochaltar), Balthasar August Albrecht (rechter Seitenaltar, Hochaltarauszug), Georges Desmarées (linker Seitenaltar)

    - 1733-40 Klosterbau zu Ende geführt

    - 1735 Kirchweihe

    - 1784 Verlegung der Salesianerinnen nach Indersdorf, 1785 Übergabe der Kirche an den Sankt-Anna-Damenstiftorden, Umbau des Stiftsgebäudes durch Matthias Widmann

    - 1944 Zerstörung von Kirche und Stift bis auf die Umfassungsmauern, Ausstattung größtenteils zerstört

    - 1946-52 erste Aufbauphase unter Bauleitung von Erwin Schleich: Restaurierung der Fassaden, neuer Dachstuhl und Rekonstruktion der Gewölbe in alter Form, 1948 Gründung eines Kirchenbauvereins, der sich eine originalgetreue und vollständige Rekonstruktion aus des Inneren zum Ziel setzt

    - 1952-65 Rekonstruktion des Inneren mitsamt Ausstattung; Decken- und Altarbilder von Josef Lorch und Franz Xaver Marchner in sepiafarbener, monochromer Grisaillemalerei nach Schwarzweißfotos in Ermangelung einer Farbfotodokumentation; Altäre mit Stuckmarmorsäulen von Jakob Schnitzer; Stuckfiguren von Hans Ladner und Anton Gogl; Stuckdekor von Wilhelm Maile, Hans Ladner und Anton Gogl

    - 1965 Altarweihe und offizielle Wiedereröffnung

    - bis 1980 Fortführung der Rekonstruktion der Ausstattung, u.a. Orgelempore und Seitenaltäre, 1967 Pfeilerfigur Maria unter dem Kreuz von Walter Bidlinger, 1972 Hochaltartabernakel von Josef Schnitzer, 1976 Kanzel von Anton Gogl; 1964 und 1975 Fassaden abermals restauriert, 1980 neue Torflügel

    - das ehem. Damenstift wurde, nachdem es bis auf die Fassade zerstört worden war, abgeräumt, die stehengebliebene Fassade neu hinterbaut und seitdem als Schule genützt


    Bereits im 15. Jh befand sich an dieser Stelle das Indersdorfer Klosterhaus mit einer 1440 erbauten und der hl. Anna geweihten Kapelle, bevor diese 1496 durch eine neue Kapelle (Baumeister Lukas Rottaler) ersetzt wurde. 1667 wurde diese Kapelle von den durch die Kurfürstin Henriette Adelaide nach München geholten Salesianerinnen übernommen, für die dann ab 1690 ein neues Kloster neben der Kapelle und ab 1732 eine neue Kirche anstelle der alten Annakapelle errichtet wurde. Nachdem 1783 die Salesianerinnen nach Indersdorf übersiedelt waren, wurde das Kloster dem neugegründeten Sankt-Anna-Damenstiftorden übergeben; seitdem wird die Kirche Damenstiftkirche genannt.

    Die Damenstiftkirche steht architektonisch in der Nachfolge der Dreifaltigkeitskirche, von der sie den kreuzförmigen Zentralraum übernimmt, aber im Gegensatz zu dieser zwei Kuppeln statt einer besitzt (wobei es sich hier um Flachkuppeln ohne Tambourfenster handelt): eine über dem Hauptraum, eine über dem Altarraum.

    Die Innenausstattung war ein glänzendes Beispiel der Zusammenarbeit zwischen den beiden Asam-Brüdern: Egid Quirin schuf den Stuck, die Altäre mitsamt Figuren und die Kanzel, Cosmas Damian die Deckenfresken. Norbert Lieb bezeichnete die Kirche als „einen der malerisch prunkvollsten Räume der Sakralbaukunst Münchens“, Dehio bescheinigte ihr ein „glückliches Zusammenklingen von Raum, Architekturform, Beleuchtung und Ausstattung“ und Friedrich Naab schrieb über sie: „Das Thema der Raumkunst seiner Zeit, die Verbindung von Langraum und Zentralität, verwirklicht Gunetzrhainer in der Abwandlung der Grundform des griechischen Kreuzes durch variierende Raumwiederholung. Die Einheit der Raumkomposition gewinnt er im Aneinanderfügen einfacher, klar abgegrenzter und gestalteter Teile und ihrer gleichmäßigen Verklammerung durch das konsequent durchgeführte Gliederungssystem. (…) Nachdem Viscardi in der Dreifaltigkeitskirche die Säulenwand gerüstartig zerlegt und ihre Elemente beweglich verschränkt hatte, und während Johann Michael Fischer zur gekurvten Verschleifung vielfältig sich durchdringender Grund- und Aufrißelemente gelangt, bleibt Gunetzrhainer bei der eindeutigen Raumbegrenzung durch eine kontinuierliche, kompakte Säulenwand, der Wandstruktur der Theatinerkirche. Lediglich die plastisch-schwere Materialität scheint der Wand und der Gliederung genommen, besonders deutlich im Stuckdekor; alles wirkt leichter, linearer, zu einer eleganten Klassizität entspannt.“

    Im 2. Weltkrieg wurde die Damenstiftkirche mitsamt dem Großteil ihrer Ausstattung bis auf die Umfassungsmauern zerstört (siehe Baugeschichte), danach aber auch innen fast vollständig originalgetreu rekonstruiert. Ein interessanter Aspekt dieser Rekonstruktion sind die Deckenfresken und Altarbilder: da es hiervon keine Farbdokumentationen, sondern nur Schwarzweißfotos gab, entschied man sich dafür, sie in sepiafarbener, monochromer Grisaillemalerei nachzuempfinden. Diese Entscheidung gab der Kirche einen etwas zurückhaltenderen Farbakkord, über den man sicher diskutieren kann; meiner Meinung nach ist das Ergebnis aber sehr stimmig und elegant und auf jeden Fall einer modernen freien und polychromen Neuschöpfung vorzuziehen, da auf diese Weise wenigstens der Stil, die Feingliedrigkeit und der Schwung der Asamschen Malerei beibehalten wurde.

    Die Themen der Deckenbilder sind folgende: im Hauptraum der Zug der Jungfrauen zum verklärten Lamm auf dem Berg Sion nach der Vision des Apostels Johannes, in der Altarwölbung Gottvater von Engeln umgeben und über der Orgel ein Engelskonzert. Die Themen der Altarbilder: auf dem Hochaltar die hl. Anna mit Engelschören, Auszugsbild hl. Augustinus, Seitenaltar links Mariä Heimsuchung und Seitenaltar rechts hl. Margareta Maria Alacoque.

    Eine Besonderheit der Ausstattung ist die links im Altarraum aufgestellte Abendmahlgruppe, eine lebensgroße gefasste Holzfigurengruppe aus der 1. Hälfte des 18. Jh., die das letzte Abendmahl szenisch darstellt.

    Insgesamt ist die Wiedergewinnung dieses völlig zerstörten Kirchenraumes meiner Meinung nach eine Meisterleistung, die gerade auch in den vielen Details zu überzeugen weiß und für die man dem planenden Architekten Erwin Schleich und den beteiligten Kunsthandwerkern äußerst dankbar sein muss: auch wenn diese eher kleine und in der Altstadt Münchens etwas periphere Kirche angesichts einer überwältigenden Konkurrenz an bedeutenden Kirchen nicht sonderlich wichtig erscheinen mag, so besitzt sie doch eine ganz besondere Aura. Hinzu kommt, dass sie seit vielen Jahren die Heimat von präkonziliaren, tridentinischen Messen ist, die eine treue Gefolgschaft haben und der Kirche regen Zulauf bescheren.

    Im Gegensatz zum prächtigen Interieur ist das Äußere für eine Barockkirche eher schlicht gehalten und wirkt fast schon frühklassizistisch, was aber sehr gut mit der rechts anschließenden klassizistischen Fassade des Damenstifts harmoniert.

    Leider ist die Kirche seit einiger Zeit geschlossen, da sich Stuck- und Putzteile der Decke gelöst haben und heruntergefallen sind; die Sanierung wird gerade geplant, die Dauer der Arbeiten ist noch nicht absehbar.


    Ansichten vor der Zerstörung:

    - https://www.bildindex.de/document/obj22…medium=fm615422

    - https://www.bildindex.de/document/obj22…dium=mi02244a14

    - https://www.bildindex.de/document/obj22…dium=mi07393e05

    - https://www.bildindex.de/document/obj22…medium=fm615424

    - https://www.bildindex.de/document/obj22…dium=mi07393e06

    Nach der Zerstörung:

    Blick zum Chor:

    - https://www.bildindex.de/document/obj22…medium=fm202012

    - https://www.bildindex.de/document/obj22…dium=mi02244b02

    Blick nach hinten: https://www.bildindex.de/document/obj22…medium=fm202013

    Linke Seite:

    - https://www.bildindex.de/document/obj22…medium=fm202014

    - https://www.bildindex.de/document/obj22…dium=mi02244a13

    Heute:

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    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Die Orgelempore:

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    Die in Sepia- und Grisaillemalerei nachempfundenen Fresken:

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    Zum Vergleich das ursprüngliche zentrale Fresko vor der Zerstörung:

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    Der linke Seitenaltar:

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    Auch die Kanzel ist völlig rekonstruiert:

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    Die beiden Kronen über den Seitenaltären:

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    Weitere Fotos der Damenstiftkirche hier: https://www.flickr.com/photos/1619455…177720313297646

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Mir ist noch gar nicht aufgefallen, daß es in der Deckenmalerei doch so deutliche Unterschiede in der Tonalität gibt. Jedenfalls finde ich die Fresken sehr gelungen, da fehlt einem als Betrachter des 20./21. Jahrhunderts nichts.

    Bei den Altarblättern und da wiederum speziell beim Hauptaltar würde ich mir aber die ursprünglichen Farben zurückwünschen.

    Seltsam eigentlich, daß man sich bei der Damenstiftskirche beim Wiederaufbau so ins Zeug gelegt hat und bei St. Jakob am Anger und der Herzogspitalkirche, die ja beide noch ihre Konvente hatten, eher unglücklich entschieden hat.

    Wenn ich halbwegs interessierten Besuch habe, geht es immer von St. Michael über die Damenstiftskirche nach St. Nepomuk. Ein prägendes Hauptwerk, eine erstaunliche Wiederaufbauleistung und ein absolutes Unikum.

  • Oh ja, diese Wiedergewinnung ist wirklich eine Meisterleistung. So elegant! Die Grisaillen geben dem Ganzen einen klassizistischen Touch, finde ich, was aber gut zu den kanellierten Säulen und und den eher geradlinigen Ornamenten in den Bögen paßt. Wirklich großartig!

    Einmal editiert, zuletzt von Loggia (16. Dezember 2023 um 14:10)

  • St. Johann Nepomuk „Asamkirche“

    Sendlingerstraße 32

    Filialkirche der Pfarrei St. Peter

    Erbaut 1733-46

    Typus: schmale, langgestreckte und tonnenüberwölbte Saalkirche mit umlaufendem Emporengeschoß

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    Das reich stuckierte Asamhaus, das Wohnhaus von Egid Quirin Asam, links neben der Kirche:

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    Das Priesterhaus rechts neben der Kirche:

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    Baugeschichte:

    - 1729-34 erwerben die Asambrüder vier Häuser an der Sendlinger Gasse

    - 1733 Grundsteinlegung, 1734 Rohbau benediziert, 1735 Deckenfresko von C.D. Asam, 1737 feierliche Einholung der Reliquienpartikel des hl. Johann Nepomuk aus Prag, 1738 oberer Choraltar, 1741 Glassarg mit der Figur des hl. Johann Nepomuk am unteren Choraltar, 1746 Weihe

    - 1750 Tod Egid Quirin Asams, zu diesem Zeitpunkt sind die Fassungen und Vergoldungen des Kirchenraums zum größten Teil noch nicht fertig

    - 1751 Einbau der Orgel und Errichtung des Glockentürmchens, 1752 Stiftung einer großen Glocke durch die Dreifaltigkeitsbruderschaft, 1757 Grabstein für den Grafen Zech in der Vorhalle durch Ignaz Günther

    - 1771-73 Neubau des rechts anschließenden Priesterhauses sowie Fertigstellung der Fassungen und Vergoldungen des Innenraums der Asamkirche

    - 1776 Schmiedeeisernes Gitter des Vorraums, 1783 Erneuerung des Aufsatzes des unteren Choraltars mit Silberpyramide und Strahlenkranz durch Roman Anton Boos, 1787 Ölgemälde „Fußwaschung“ an der rechten Wand vermutlich durch Franz Erasmus Asam, dem Sohn C.D. Asams, 1794 Ölgemälde „Tempelreinigung“ an der linken Wand von Thomas Christian Wink

    - 1795 Das Altarblatt des oberen Choraltars, ein versilbertes Stuckrelief, ist durch eingedrungenes Regenwasser schwer beschädigt und beginnt sich aufzulösen

    - 1798 Stiftung einer kleinen Glocke durch die Dreifaltigkeitsbruderschaft

    - 1824 Ersetzung des versilberten Stuckreliefs am oberen Choraltar durch ein Gemälde der Dreifaltigkeit von Andreas Seidel

    - 1853-57 Neuerrichtung des Bruderschaftsaltars

    - 1860/61 Innenrenovierung

    - 1886-95 Dach- und Fassadenrenovierung

    - 1908 wird der Zustand des Deckenbildes als ruinös festgestellt

    - 1913 Aufstellung eines von der Pfarrkirche von Grießstätt erworbenen Altaraufsatzes bestehend aus einem Tabernakel mit verehrenden Engeln von Ignaz Günther

    - 1931 bauliche Instandsetzung der Kirche, 1939 Beginn einer Innenrenovierung, 1941/42 Reinigung des Deckenbildes

    - 1944/45 schwere Bombenschäden an Altarraum, Sakristei, Decke, Fenster, Portal und Dach, Zerstörung des Chorerkers und des Glockenturms

    - ab 1946 Wiederherstellungsarbeiten: Wiedererrichtung des Chorerkers (unter Versetzung desselben um 70cm weiter nach außen), Westfenster im Gewölbebereich mit Korbbogen statt dem ursprünglichen Segmentbogen rekonstruiert, Änderung der Belichtung der oberen Chorkapelle durch Nichtwiedereinfügen der Holzdecke auf Höhe des Hauptgesimses, dadurch heller von oben beleuchtet als vor der Zerstörung, 1954-56 provisorische Restaurierung des Deckenbildes, 1958-60 Anbringung eines geschnitzten und versilberten Reliefs des hl. Johann Nepomuk von Franz Lorch am oberen Choraltar vor grau marmoriertem Hintergrund, welches einen zum Himmel emporfahrenden J. Nepomuk darstellen soll, Aufstellung einer neuen, wesentlich voluminöseren Mensa in der oberen Chorkapelle, die mit den restlichen, teilweise geretteten Ausstattungsgegenständen nicht sonderlich harmonierte

    - 1972/73 Fassadenrenovierung von Kirche und Asamhaus, Rekonstruktion des Glockenturms

    - 1975-82 umfassende, vom Unternehmer Leo Benz finanzierte und von Erwin Schleich durchgeführte Renovierung der Kirche: Wiederherstellung der Farbfassung des Innenraums nach Befunden und alten Farbaufnahmen, Deckengemälde total retuschiert, die unteren Wandbilder durch Karl Manninger erneuert; in der oberen Chorwand wird gegen den Protest einiger Fachleute ein großes, später verkleinertes Fenster ausgebrochen und somit die Lichtführung des Kirchenraumes verändert; diese Maßnahme stützt sich auf die Annahme von Schleich und einiger Kunsthistoriker, dass von E. Q. Asam ursprünglich ein solches Fenster realisiert worden sei. Am unteren Choraltar wird der Strahlenkranz von 1783 verkleinert. Zu diesen Maßnahmen später mehr.

    - 1998/99 Renovierung der Fassaden von Kirche und Asamhaus

    - 2009 Wiederherstellung der geschwungenen Stufen am unteren Choraltar


    Die Asamkirche ist ein Hauptwerk der bayerischen Barockarchitektur und stellt auch im europäischen Zusammenhang eines der „extremsten und exzentrischen Beispiele spätbarocker sakraler Inszenierung“ (Bayer. Denkmaltopographie) dar. Der fast schon exzessive, alle Möglichkeiten der Fantasie ausschöpfende Reichtum ihrer Ausstattung dürfte für nicht-katholische Augen auf den ersten Blick unerträglich und selbst für Katholiken ungewohnt sein; bei genauerem Hinsehen wird aber schnell klar, dass es sich um ein einzigartiges Gesamtkunstwerk handelt.

    Nachdem der Bildhauer und Stuckateur Egid Quirin Asam zusammen mit seinem Bruder Cosmas Damian mehrere nebeneinanderliegende Häuser in der Sendlinger Gasse erworben und eines davon zu seinem Wohnsitz umgebaut hatte, reifte in ihm der Wunsch, auf einem der anderen Grundstücke eine Hauskapelle zu errichten: „ex bona intentione absque ullo voto“, wie Egid Quirin in seinem Gesuch um Baugenehmigung schrieb. Nachdem die benachbarten Bürger in der Sendlinger Gasse aber gegen eine reine Privatkirche erfolgreich Protest eingelegt hatten, änderte Egid Quirin seine Pläne und versprach, die Kirche für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

    Der Bauplatz war der eines Bürgerhauses und somit sehr schmal und lang, was die Innenarchitektur und vor allem die Lichtführung sehr erschwerte. Dementsprechend einfach ist der Grundriss gehalten: die Innenarchitektur dient hier im Grunde nur als Leinwand für die unglaublich aufwendige Dekoration, bei der die beiden Asambrüder alle Register ihres Könnens zogen.

    Auch die kurvierte Fassade wirkt eher wie eine barocke Festdekoration und weniger wie das Ergebnis einer architektonischen Konzeption. Den fantastischen Reiz der Kirchenfront erhöht die Umrahmung aus dem außergewöhnlich reich stuckierten Wohnhaus von Egid Quirin links und dem Priesterhaus rechts (dessen um ein Geschoß erhöhter Neubau von 1771 allerdings die Kirche ungünstig bedrängt und damit das Gleichgewicht des Ensembles beeinträchtigt). Man mag an diesem insgesamt dezidiert dekorativen Charakter erkennen, dass Egid Quirin im Grunde kein Architekt, sondern ein Bildhauer und Stuckateur war.

    Dominiert wird die Kirchenfassade durch den großen Triumphbogen mit seinem sehr plastischen, reich profilierten Gebälk sowie der über dem Portal äußerst effektvoll dargestellten Himmelfahrt des hl. Johann Nepomuk, dem die Kirche geweiht ist und der 1729 heiliggesprochen worden war.

    Auffällig an der Fassade ist, dass sie, zum Zweck einer ausreichenden Belichtung des Innenraums, hauptsächlich aus Öffnungen und Rahmungen besteht: Portal und große Fenster sowie Bogenformen und Stützen. Die Felsbrocken als Sockel der Kirche können als Anspielung auf Matthäus 16,18 verstanden werden: „Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.“

    Alles zusammengenommen ist dieses Ensemble sicherlich eines der malerischsten Barockensembles Bayerns.

    Der 9m breite, 28m lange und 18m hohe Innenraum wirkt durch seine relative Dunkelheit und die Fülle an Dekoration zunächst etwas verwirrend; das Auge muss sich erst zurechtfinden und entscheiden, wohin es sich als erstes wenden soll:

    Der erste Eindruck beim Betreten des Hauptraumes ist berauschend. Die Überfülle des Figürlichen wirkt erdrückend, der schwere Prunk der Farbe mit dem vielen Gold betäubend. Auch das Schiff ist in leichtes, träumerisches Halbdunkel getaucht; nur auf einzelne Partien sind Lichter aufgesetzt, wie bei einem barocken Tafelbild. In dem geheimnisvollen Halblicht wirkt die schäumende Bewegtheit der Formen noch phantastischer. Das Auge weiß nicht, wo es beginnen soll. Der Reichtum ist so gepreßt, daß es zwecklos erscheint, ein Einzelnes herauszulösen, weil sich sofort die benachbarte Form in das Bewußtsein drängt. Die einzelne Form, aus dem Zusammenhang gerissen, bleibt auch unverständlich, weil sie nur in ihrem Verhältnis zur daneben liegenden Form richtig gesehen werden kann, und weil nur das große Ganze erklärt, wie beim Sehen von Bildern. Sie ist letzten Endes auch nebensächlich, weil der Zusammenhang von belebter Form und belebender Farbe, weil Stimmung und Inhalt das Wichtigste sind. Auch eine Trennung von Architektur und Dekoration ist nicht möglich, weil beide eines sind, weil die Ausstattung schon in der schöpferischen Konzeption mit dem Raume verwachsen ist. (…) Raumerweiterung und Raumdurchbrechung sind für den Eindruck wichtiger als der abgegrenzte Raum; der visionäre Raum in den Wand- und Deckenbildern drängt sich herein, mit den Sinnen Faßbares und Übersinnliches gehen ineinander über, das Statische löst sich auf und der prunkende Reichtum an Einzelheiten erzeugt ein undefinierbares Rauschgefühl. Der ganze Bau besteht aus Ahnung und Erfüllung.” (Adolf Feulner, 1932)

    Die durch die Enge des Grundstücks bedingte Dunkelheit des Erdgeschoßes nützte Egid Quirin Asam zu einer beeindruckenden Lichtsteigerung nach oben aus, indem er den Raum vertikal in drei Lichtbereiche gliederte: den dunklen, mystischen Gemeinderaum, die auf halber Raumhöhe umlaufende, durch das große Fassadenfenster lichter und weiter wirkende Empore und schließlich das freskierte Tonnengewölbe, das durch unsichtbare, von einer vorkragenden Hohlkehle verdeckte Seitenfenster indirekt beleuchtet wird und über dem Gesims zu schweben scheint. Dazu kommt eine durchgehend polychrome, teils marmorierte, teils stuckierte und vergoldete Oberflächengestaltung, die sich zusammen mit den Malereien und Figuren zu einem berauschenden barocken Gesamterlebnis vereint.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Nun einige Anmerkungen zur Ausstattung mit besonderem Augenmerk auf weniger bekannten, aber sehr interessanten Aspekten.

    Das kunstvolle Gitter, welches den Vorraum vom Gemeinderaum trennt, stammt nicht aus der ursprünglichen Konzeption Egid Quirin Asams, sondern wurde erst 1776, also lange nach seinem Tod, eingefügt. Trotz seiner kunsthandwerklichen Schönheit wirkt sich seine Hinzufügung eher ungünstig aus: es unterbricht erstens den fließenden Übergang vom Vorraum in den Hauptraum, indem sein oberer Rand ein Ornamentband an der Decke sowie einen Engelsflügel überschneidet und verhindert außerdem den ungehinderten Blick auf den Hauptraum und die Altargruppe, der sich dem Eintretenden einst bot: “Fast wie eine Vision und begrenzt durch die Öffnung vom Vorraum zum Gemeinderaum bot sich die Vierergruppe der Altäre dem Blick als ein vielgeschossiger Aufbau, der hinaufreichte bis in das Deckengemälde, wo als oberster Abschluß, als einziger Teil des Freskos sichtbar, ein in illusionistischer Perspektive gemalter Bogen auf vier Säulen mit einem dahinterliegenden Kuppelraum und einer Laterne darüber das Ganze bekrönte. (…) In jähem Anstieg hatte man von der niedersten Stelle des Kirchenraums einen Ausblick auf eine kaum noch faßliche Höhe, die wirklich in den Himmel zu ragen schien.” (Lehmbruch 1973)

    Das Gitter vom Vorraum aus gesehen:

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    Das Deckenfresko von Cosmas Damian Asam stellt verschiedene Szenen aus dem Leben des hl. St. Johann Nepomuk dar, u.a. seinen Brückensturz von der Karlsbrücke in die Moldau, seine Bergung und seine anschließende Verehrung; Höhepunkt des Freskos ist die perspektivische Darstellung des Veitsdoms in Prag, in dem sein Grab liegt. Das Fresko war schon um 1900 in schlechtem Zustand, Wilhelm Hausenstein beschreibt es in den 1930er Jahren als “schwarz und weiß und bleichgolden”; nach zwei eher provisorischen Rettungsversuchen (1941/42 und 1954-56) wurde es erst bei der Restaurierung unter Erwin Schleich 1975-82 wieder grundlegend gereinigt und retuschiert, wobei es Meinungen gibt, die das Ergebnis an einigen Stellen als qualitativ und auch farblich mangelhaft ansehen; indes ist der wichtige Gesamteindruck wiederhergestellt.

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    Nicht mehr original sind die flächenfüllenden Wandbilder auf den Seitenwänden des Erdgeschoßes, es handelt sich heute um Nachkriegskopien von Karl Manninger nach den Originalen von Christian Winck und Franz Erasmus Asam.

    Bemerkenswert ist, dass E. Q. Asam seiner ursprünglich als Privatkapelle geplanten Kirche den Charakter einer Hofkapelle gab: vor allem die Empore ist ein Zitat aus der Tradition der Schlosskapellen, in der eine solche grundsätzlich dem Monarchen reserviert war. Auch hier in der Asamkirche weisen die über der Brüstung liegenden Stuckdraperien, die nach französischem Hofzeremoniell die Anwesenheit des Königs signalisierten, sowie das kaiserlich-bayerische Wappen über der Orgel (die Kirche wurde in den Jahren ausgestattet, in denen der bayerische Kurfürst Karl Albrecht römisch-deutscher Kaiser war) auf die symbolische Anwesenheit des Kurfürsten hin. Eine weitere Reminiszenz: ähnlich wie im spanischen Escorial die königlichen Privatgemächer Philipps II. so mit der Klosterkirche verbunden waren, dass der König von seinem Schlafzimmer aus den Hochaltar sehen konnte, war auch das Wohnhaus Egid Quirin Asams mit seiner Kirche verbunden, so dass dieser ebenfalls von seinem Schlafzimmer aus auf den Altar schaute. Zusätzlich legte Egid unter der Kirche eine Gruft an, in der er bestattet werden wollte, was sich aber später nicht erfüllen sollte, da er 1750 in Mannheim starb.

    Die Gruft unter der Asamkirche:

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    Der vielleicht interessanteste, am meisten veränderte und teilweise auch sehr kontrovers diskutierte Bereich ist der Chor. Er ist mit zwei übereinander liegenden Altären versehen, worüber als bekrönendes Element die Dreifaltigkeit in Form eines Gnadenstuhls schwebt: Gottvater den von Engeln umgebenen Gekreuzigten haltend, darüber die Taube des hl. Geistes.

    Die beiden Altarbereiche wurden im Laufe der Zeiten immer wieder verändert und sind in ihrem ursprünglichen Zustand nicht mehr vollständig bekannt. Beginnen wir mit dem unteren Altar. Lehmbruch schreibt 1973: “Am schwerwiegendsten sind die Veränderungen am Altaraufbau des Chorovals. Besonders im Erdgeschoß kann man sich kaum noch ein Bild von der ursprünglichen Wirkung dieses Raumteils machen. Dort steht, allzusehr nach vorn und ins Licht gerückt, ein frühklassizistischer Altar. Man erkennt hinter ihm noch die Reste des Asamschen Altars, der ganz in die Architektur integriert war. Der gläserne Schrein mit den Reliquien des Johann Nepomuk war wie in ein Nischengrab unter die Wölbung der vorkragenden Galerie gestellt und noch nicht übertönt von dem harten, starren Glanz der übergroßen Strahlenglorie. Man kann sich kaum einen größeren Gegensatz denken als zwischen der Bewegtheit der heute gerade noch sichtbaren Engel, die über dem ersten Altar einen Stuckvorhang zurückschlugen, und der Steifheit und Härte des späteren Aufbaus.”

    Dieser nachvollziehbar unschöne Kontrast bewog Erwin Schleich bei seiner berühmt-berüchtigten Restaurierung 1975-82 dazu, den Strahlenkranz zu beschneiden und somit den dahinterliegenden Stuckvorhang mit den Engelhermen wieder besser sichtbar zu machen. Ob das Resultat nun befriedigender ist oder nicht, sei dahingestellt - die Strahlenglorie sieht seitdem arg gestutzt aus und der störende Kontrast besteht trotz der Maßnahme immer noch.

    Zustand vor der Restaurierung 1975: https://www.bildindex.de/document/obj20…dium=mi02248d11

    Heutiger Zustand nach Kürzung des Strahlenkranzes:

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    Der Glassarg unter der klassizistischen Strahlenglorie enthält eine hölzerne Nachbildung des Leichnams Johann Nepomuks und stammt noch aus der ursprünglichen Planung E. Q. Asams.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Kommen wir zum Altar auf der Empore. Der ursprüngliche, von der Dreifaltigkeitsbruderschaft gestiftete Altar wurde Mitte des 19. Jhs verkauft (er ist heute verschollen) und 1913 durch einen aus der Pfarrkirche von Griesstätt (Nähe Rosenheim) erworbenen, 1767 von Ignaz Günther angefertigten Altar ersetzt. Über diesem befindet sich nun der Bereich, der Ende der 1970er Jahre eine große öffentliche Kontroverse auslöste: das über dem Altar angebrachte gelb verglaste Westfenster mit Glorie und den Figuren Marias und des hl. Johann Nepomuk. Der folgende Sachverhalt ist sehr kompliziert und obwohl ich versucht habe, die unterschiedlichen Positionen und Argumente vereinfachend zusammenzufassen, ist es trotzdem ein längerer Text geworden; da die Asamkirche aber eine sehr bedeutende Kirche ist und weder in der Literatur noch im Netz eine ausreichende Übersicht über die Problematik existiert (selbst die offiziellen Kirchenführer streifen das Thema nur äußerst oberflächlich), denke ich, dass eine ausführliche Zusammenfassung doch lohnend sein und den einen oder anderen interessieren könnte.

    Die Kontroverse um das Westfenster

    Die Kontroverse entzündete sich hauptsächlich an zwei Fragen: der originalen Gestaltung des Altars auf der Chorempore im Zusammenhang mit der möglichen Existenz eines großen Fensters dahinter (Westfenster) sowie der Frage der originalen Lichtführung im Zusammenhang mit den beiden Nordfenstern der Empore.

    Widmen wir uns zunächst der Frage des möglichen Westfensters und der Gestaltung des oberen Choraltars. Das ursprüngliche Aussehen des Altars ist nicht genau überliefert, es existieren nur zwei vage Beschreibungen des Priesterhausdirektors Blasius Miller von 1795 und 1817, aus denen abgeleitet werden kann, dass an der Chorwand ein versilbertes Stuckrelief mit dem vor Maria knieenden Johann Nepomuk angebracht war. Blasius Miller schreibt zunächst von einem “Altarblatt”, lässt dann aber verstehen, dass es sich dabei um ein versilbertes Stuckrelief gehandelt haben muss: “Altarblatt des oberen Chor, welches von Stukadorarbeit und versilbert ist” und „Bildniß der unbefleckten Mutter Gottes, und des hl. Joh.v. Nep, vor selber kniend, von Stukador-Arbeit“.

    In der Beschreibung von 1795 beklagt sich Miller gegenüber dem bischöflichen Ordinariat Freising, dass durch ein oberhalb des Reliefs liegendes “groß rundes Fenster, wovon die Mauer am unteren Theile zwar mit Eisenblech eingemacht, welches sich aber an die herablaufenden Eisenstangen nie ganz angeschlossen anbey aber vom Rost so zerfressen und durchlöchert” soviel Wasser eingedrungen und das Relief dadurch so beschädigt sei, dass dieses sich bald ganz auflösen werde. 1824 wurde deshalb das inzwischen irreparabel geschädigte Relief durch ein großes Ölgemälde der Dreifaltigkeit von Andreas Seidl ersetzt. 1933 entdeckte der Architekt Klett im Zuge von Restaurierungsarbeiten eine fensterförmige Vermauerung samt Sohlbank und Gewände in der Chorwand genau hinter dem Gemälde von Seidl. In Anlehnung an ähnlich gestaltete Altaraufbauten Egid Quirin Asams in Sandizell und Osterhofen setzte sich nun in den 1930er Jahren, ausgehend vom Kunsthistoriker Adolf Feulner, die Meinung durch, dass Asam auch hier ursprünglich eine durch ein rückwärtiges Fenster erleuchtete Glorie mit Figuren angefertigt habe und dass das oben erwähnte Stuckrelief nur fälschlicherweise als solches beschrieben worden, in Wahrheit aber eine vollplastische Figurengruppe gewesen sei. (Hierzu sei angemerkt, dass z.B. auch die große Johann-Nepomuk-Figur, die heute als Kopie im Hof des Asamhauses steht [das Original befindet sich im Diözesanmuseum Freising], in einem Inventar des Priesterhauses aus dem 18. Jh als “Bildnis” bezeichnet wurde - also auch hier ein für den heutigen Sprachgebrauch irreführender Begriff.) Das Fenster sei nach Meinung von Klett und dem Kunsthistoriker Carl Lamb, der sich damals intensiv mit der Sache auseinandersetzte, 1824 bei der Anbringung des Gemäldes von Seidl zugemauert worden.

    Für die 1939 beginnende große Restaurierung der Asamkirche wurde nun mit Zustimmung des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege die Öffnung des Westfensters geplant, aufgrund des Krieges und der damit verbundenen Materialknappheit und -rationierung (vor allem Glas) dann aber nicht durchgeführt. Noch während des Krieges bekam daraufhin der Bildhauer Franz Lorch den Auftrag, ein neues Nepomuk-Relief anstelle des Gemäldes von Seidl zu fertigen, welches schließlich nach Kriegszerstörung des Chorerkers in die neue Erkerwand eingesetzt wurde.

    Die Idee, das als original angenommene Westfenster wiederherzustellen, blieb aber lebendig und so machte der Architekt Erwin Schleich bei der von ihm geleiteten Restaurierung ab 1975 unter Billigung des Bauherrn und des Denkmalschutzamtes den Versuch, das Westfenster probeweise in die Chorwand einzubrechen und die bereits erwähnte Stuckfigur des Hl. Johann Nepomuk, von der angenommen wurde, dass sie im 18. Jh in der Kirche stand, zusammen mit einem sie umgebenden Strahlenkranz davorzustellen.

    Hierauf regte sich großer Protest vonseiten jüngerer Kunsthistoriker, die Schleich eine falsche Auslegung der Quellen vorwarfen und die Wiederherstellung des vorherigen Zustands forderten. Die vier Kunsthistoriker Richard Bauer, Gabriele Dischinger, Hans Lehmbruch und Heinz Jürgen Sauermost veröffentlichten im Sommer 1977 die Schrift “St. Johann Nepomuk im Licht der Quellen”, in der sie anhand einiger Quellen darzulegen versuchten, warum das Einbrechen des Westfensters falsch und die vorherige Lichtsituation hingegen original und richtig gewesen sei; Erwin Schleich antwortete wenige Monate später mit der Veröffentlichung seines Büchleins “Die Asam-Kirche in München – Ein Beitrag zur Restaurierung im September 1977”, in dem er anhand seiner Auslegung der Quellen und vor allem vieler Baubefunde seine Sichtweise zu beweisen suchte.

    Nachdem sich der Streit unter reger Anteilnahme der Öffentlichkeit incl. diverser Verunglimpfungen und Beleidigungen in allen möglichen Kanälen hochgeschaukelt hatte, entschied sich das Landesamt für Denkmalpflege schließlich für eine Art „Kompromisslösung“: die große Johann-Nepomuk-Figur wurde wieder entfernt, das Westfenster stark verkleinert und eine gelb verglaste Glorie mit seitlich angebrachten Figuren Marias und Johann Nepomuks (in Anlehnung an Sandizell und Osterhofen) davorgestellt - eine Lösung, die bis heute Bestand hat.

    Sehen wir uns nun die jeweiligen Argumente beider Seiten an: auf der einen Seite Schleich (sowie ursprünglich Adolf Feulner, Carl Lamb, Georg Lill und Hugo Schnell), auf der anderen die vier oben erwähnten Kunsthistoriker, die ich der Einfachheit halber von nun an “Gegner” nennen werde.

    Die Argumente Schleichs für die Existenz eines Westfensters wurden oben schon kurz angeschnitten, seien aber hier noch einmal genauer aufgeführt:

    1. Das Auffinden der halbsteinstarken Fenstervermauerung mit Gipsauffüllung innen und die Tatsache, dass in nahezu jeder von den Asambrüdern konzipierten Kirche ein gelbverglastes Fenster mit Glorie und/oder ein Bühnenaltar mit vollplastischer Figur vorhanden sei: Weltenburg, Rohr, Sandizell, Osterhofen, Johanni-Kapelle im Freisinger Dom, Hochaltar der Klosterkirche Fürstenfeld (der wahrscheinlich nach Entwurf von E. Q. Asam gebaut wurde). Die Idee stamme natürlich ursprünglich von Bernini, der sie bei seiner Cathedra Petri im römischen Petersdom umgesetzt hatte. Das Vorbild Petersdom werde in der Münchner Asamkirche übrigens auch an den vier gewundenen Säulen ersichtlich, die sich E. Q. Asam vom Ziborium des Petersdoms abgeschaut habe und die in München aber auf der Brüstung der Empore stehen und mittels eines Gebälks den darüber befindlichen Gnadenstuhl tragen.

    2. Die Überzeugung, dass die Münchner Asamkirche wie alle anderen Asamkirchen und die meisten Barockkirchen überhaupt symmetrisch angelegt sei, sowohl was die Ausstattung als auch die Lichtführung betrifft und dass deswegen die beiden Nordfenster auf der Empore, die keine Entsprechung auf der Südseite besitzen und den Innenraum einseitig belichten, nachträglich eingefügt worden sein müssen. Wenn sie aber nachträglich eingefügt wurden, müsse ursprünglich zum Zweck einer ausreichenden Beleuchtung des Chors unbedingt ein zentrales Chorfenster d.h. ein Westfenster vorhanden gewesen sein. Dieses Argument der Symmetrie soll weiter unten bei der Frage nach der originalen Lichtführung noch genauer erörtert werden.

    3. Die Verwendung der Johann-Nepomuk-Statue aus dem Hof als zentrale Altarfigur sei dadurch gerechtfertigt, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit im 18. Jh in der Kirche stand und zusammen mit den in den beiden Seitennischen stehenden Figuren des Johannes Baptist und Johannes Evangelist eine Dreiergruppe bilde, wie sie E. Q. Asam sehr ähnlich auch in der Johann-Nepomuk-Kapelle des Freisinger Doms realisiert habe. Sie könne auch zusätzlich zu einer um eine Lünette angeordnete Figurengruppe aus Johann Nepomuk und Maria, d.h. davor, aufgestellt gewesen sein; zumindest aber sei in Anbetracht des Verlustes der ursprünglichen Gestaltung eine Aufstellung der Johann-Nepomuk-Figur in der heutigen Kirche eine angemessene und passende Lösung.

    4. Schleich nimmt an, dass das Westfenster nicht als reine Lichtquelle gedacht war, “sondern durch einen großen Strahlenkranz transzendentes goldgelbenes Licht gebracht hat, wie das bei den meisten Asam-Kirchen in vielfach abgewandelter Form immer wieder zu beobachten ist” und dass deshalb in den 1770er Jahren (angeblich nach Abbruch des nördlichen Seitenanbaus, wozu wir im Anschluss kommen werden) zur zusätzlichen Belichtung die beiden langgestreckten Nordfenster anstelle von zwei älteren Türen eingebrochen worden seien. Wichtig sei aber laut Schleich gerade das ursprünglich indirekte Licht gewesen, was durch die beiden Nischen der Johannesfiguren sowie das mit goldgelbem Glas versehene Chorfenster sanft und gleichmäßig eingeströmt sei und den Raum weit gemacht habe, anders als die scharfen und einseitigen Lichtakzente der neuen Nordfenster.

    Nun zu den Argumenten der Gegner (wiederum mit Entgegnungen von Schleich). Es habe kein Westfenster auf Emporenhöhe gegeben, sondern es habe sich bei der halbsteinstarken Vermauerung um eine Nische gehandelt, in der das von Blasius Miller beschriebene versilberte Stuckrelief angebracht gewesen sei. Überhaupt zweifeln die Gegner die Genauigkeit der Untersuchungen von Klett und Lamb an; ihrer Meinung nach haben die beiden nur ein Fenstergewände entdeckt und daraus geschlossen, dass es auf der anderen Seite auch ein zweites geben und es sich somit um ein vermauertes Fenster handeln müsse. Schleich verweist auf die Bestätigung der baulichen Untersuchung Kletts durch zwei Fachleute, den Kunsthistoriker Hugo Schnell und den Vorstand des Landbauamtes Karl Hocheder. Die Nischentheorie erscheint Schleich darüber hinaus aber auch deshalb nicht plausibel, weil die Mauer bloß eine Stärke von 34cm hatte (Einsteinstärke) und eine Nische eine Mauerstärke von nur der Hälfte übriggelassen hätte, was für eine Außenwand entschieden zu wenig gewesen wäre. Das Fenster sei aus folgenden Gründen nur halbsteinstark vermauert worden, weil die Fenstergewände erstens innen höchstwahrscheinlich architektonisch gestaltet gewesen seien und zweitens die Eisenkonstruktion des Fensters, von der Blasius Miller schreibt, aus Zweckmäßigkeit belassen und die Innenseite des Fensters einfachheitshalber mit Gips aufgefüllt worden sei (der bei den Untersuchungen von Klett und Lamb auch tatsächlich vorgefunden wurde). Zudem sei die Außenseite der Vermauerung mit einem Schindelbelag gegen die Witterung geschützt worden. Dies alles seien laut Schleich typische Behelfsmaßnahmen und könnten nicht als ursprünglich so geplanter Zustand angenommen werden. Die Befürworter der Nischentheorie hingegen argumentieren, dass eine halbe Steinstärke absolut ausreichend sei und dies auch in anderen Fällen so gehandhabt worden sei: man brauche bloß einen Bogen darüber zu mauern, um für die nötige Stabilität zu sorgen. Zudem hätte die außen an den Chorerker angebaute Sakristei, die vor ihrer Zerstörung im 2. Weltkrieg vierstöckig gewesen war, ein hypothetisches Westfenster in Emporenhöhe zum Teil verdeckt und Blasius Miller habe in seiner Beschreibung mit “groß rundem Fenster” daher das darüber liegende Gewölbefenster gemeint und nicht ein Fenster auf Höhe der Chorempore. Schleich hält dagegen, dass die Sakristei ursprünglich nur zweistöckig gewesen sei und weist mithilfe von Baubefunden auf Basis von alten Plänen sowie Fotos nach der Zerstörung überzeugend nach, dass die Sakristei erst später aufgestockt wurde.

    In Bezug auf die von Schleich probeweise getätigte Aufstellung der Johann-Nepomuk-Figur auf der Empore argumentieren die Gegner, dass die Johann-Nepomuk-Statue viel zu groß für die Chorempore sei und sie ursprünglich auch nicht etwa zusätzlich zu einem Stuckrelief aufgestellt gewesen sein könne, weil die Zeremonien der Dreifaltigkeitsbruderschaft, die nachweislich am oberen Altar abgehalten wurden, durch das raumgreifende Volumen der Statue sehr schwer, wenn nicht sogar unmöglich gemacht worden wären.

    Gehen wir zum zweiten Streitpunkt, der Frage nach der originalen Lichtführung und damit der beiden Nordfenster.

    Laut Schleich soll es einen zweistöckigen nördlichen Seitenanbau an den Chorerker analog zum bestehenden südlichen Seitenanbau gegeben haben; die Nische mit der Figur des Johannes Evangelist auf der Nordseite der Chorempore sei genauso wie die entsprechende Nische mit Johannes dem Täufer auf der Südseite nach hinten offen und mit einem Oratorium hinterbaut gewesen. Daraus ergebe sich als Konsequenz, dass die beiden langgestreckten Nordfenster nachträglich eingebaut worden seien und damit die Lichtführung verändert worden sei. Indizien:

    1. Farb- und Putzbefunde, die eindeutig zeigen, dass die Nische längere Zeit nach hinten offen war und erst nachträglich vermauert wurde (Existenz von mehreren Farbschichten, die ohne Unterbrechung von der Innenwand auf die heutige Außenwand durchgehen).

    2. Regelmäßige Balkenlöcher an der heutigen Nordwand auf exakt der Höhe der Empore und der Johannesnische analog zum Seitenanbau auf der Südseite.

    3. Fund einer Eisenschlauder im Mauerwerk auf Höhe des Hauptgesimses (auf der die Decke des Oratoriumsanbaus erwartet werden müsste), welche die sich dort 20 cm nach außen neigende Polygonecke umklammert und vor weiterem Wegdriften schützt; die dazugehörigen, nur 3 cm schmalen Streifenschlitze im Mauerwerk, durch welche die Eisenschlauder gelegt ist, seien mit einer dermaßenen Präzision herausgeschnitten und mit Ziegelriemchen wieder verschlossen worden, dass ihre Entstehung laut Schleich nur im Klassizismus angenommen werden könne: im Barock sei das Maurerhandwerk in München “souverän verschlampt”, erst im Klassizismus und speziell durch das Wirken von Klenze sei es wieder zu einer größeren handwerklichen Genauigkeit gekommen, weswegen diese Präzisionsarbeit nicht in der Zeit des Barocks durchgeführt worden sein könne. Auslöser für die Verschiebung nach außen, die natürlich von den Schubkräften des Gewölbes des Hauptraums ausgehe und auf der Südseite aufgrund des dortigen Seitenanbaus nicht festzustellen sei, sei der Abriss des nördlichen Seitenanbaus in den 1770er Jahren gewesen, also lange nach E.Q. Asams Tod. Weitere Mauerwerksuntersuchungen insbesondere im Bereich der beiden Nordfenster, die Aufschluss über ihre Entstehungszeit hätten geben können, untersagte das Landesamt für Denkmalpflege aus Sorge vor Zerstörung von Originalsubstanz.

    4. Auffinden von zwei Balustern, einer Volute und drei Vierpassplatten aus Stuckmarmor in der Bodenauffüllung der Empore vor dem nördlichen oberen Fenster, wie sie genau entsprechend auf der Südseite in der Stuckumrahmung um die Türe, in der Balustrade der Konsole und im unmittelbar an den südlichen Seitenanbau anschließenden Stiegenhaus des Asamhauses vorhanden sind - ein Indiz für eine ursprünglich symmetrische Ausbildung der Architektur.

    5. Das im Krieg zerstörte Rückgebäude des Priesterhauses, welches einem Seitenanbau im Wege gestanden wäre, stamme nicht aus der Entstehungszeit der Asamkirche, sondern sei erst nach 1775 errichtet worden, als das Grundstück samt Priesterhaus in den Besitz der Stadt München überging. Es habe die Deckenbalken nicht, wie in München vom Mittelalter bis zum Ende des Barock üblich, parallel zur Fassade, sondern im rechten Winkel dazu gehabt - eine Änderung, die in München erst mit Beginn des Klassizismus eingetreten sei. Außerdem sei seine nördliche Außenmauer entgegen altem Münchner Brauch an und nicht auf der Grundstücksgrenze gebaut gewesen - gemäß dieser sogenannten “kommunischen” Tradition seien Außenmauern lange Zeit üblicherweise direkt auf die Grundstücksgrenze gebaut worden und hätten von späteren Nachbarbauten mitbenutzt werden dürfen; die Tatsache, dass dies hier nicht geschehen sei, ließe auf eine spätere Erbauungszeit schließen.

    6. Der Zugang zur Kanzel sei bis zur Zerstörung “außen in höchst primitiver Weise an die Kirche angeklebt (gewesen), wie dies in der Regel nur bei Landkirchen zu finden ist”; laut Schleich sei es unvorstellbar, dass E. Q. Asam mit so einer primitiven Lösung zufrieden gewesen sein solle und sieht hier ein weiteres Indiz für die Existenz eines nördlichen Seitenanbaus, in dem auch der Aufgang zur Kanzel untergebracht gewesen sei.

    7. Das im Krieg zerstörte sogenannte “Frauenhofersche Oratorium”, ein kleiner einstöckiger Anbau unterhalb der Empore zwischen Polygonwand und Rückgebäude des Priesterhauses, dessen Existenz als weiterer Beweis gegen einen höheren nördlichen Anbau an gleicher Stelle vorgebracht wurde, sei baulich klar ersichtlich erst später an die Nordseite angebaut worden und könne nicht Teil der ursprünglichen Planung gewesen sein.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

    Einmal editiert, zuletzt von Leonhard (17. Februar 2024 um 21:21)

  • Für Schleich stand somit fest, dass die Kirche erstens ursprünglich zu beiden Seiten bis zur Hauptgesimshöhe von Seitenanbauten umrahmt war, zweitens die Apsis von Anfang an Teil der Planung und des Baus war und drittens die beiden heute noch existierenden Nordfenster der Empore erst nach dem Abriss des nördlichen Seitenanbaus in den Jahren 1771-73 eingebrochen wurden und somit die Lichtführung von einer ursprünglich symmetrischen zu einer asymmetrischen geändert wurde. Daran schließe sich eine entsprechende symmetrische architektonische Gestaltung des Innenraums an.

    Die Gegner dieser Theorie bestreiten dies und gehen von einer von E. Q. Asam so geplanten asymmetrischen Lichtführung aus, zu der die beiden Nordfenster von Anfang an gehört hätten; ihrer Meinung nach habe es nie einen mehrstöckigen nördlichen Seitenanbau gegeben, weil das Hintergebäude des Priesterhauses schon zur Erbauungszeit der Kirche existiert habe und damit für einen nördlichen Seitenanbau kein Platz gewesen sei - die bis zum Krieg bestehende Hofsituation, die im Stadtplan von Consoni 1806 erstmals dokumentiert wurde, sei die originale gewesen. Es gebe in den verschiedenen Archiven der Stadt und der Diözese keinerlei schriftliche Belege für einen Neubau des Rückgebäudes nach 1774. Schleich weist hier darauf hin, dass Dokumente zu Neu- oder Umbauten aus jener Zeit des öfteren nicht in den Archiven vorhanden seien und dies deshalb kein Beweis sei, dass Baumaßnahmen nicht stattgefunden hätten.

    Was die Farb- und Putzbefunde sowie die im Mauerwerk gefundenen Balkenlöcher betrifft, mutmaßen die Gegner, dass möglicherweise zwischen dem Rückgebäude des Priesterhauses und dem Chor der Kirche ein hölzerner Verbindungsgang auf Höhe der Empore existiert habe, um der Frauenhoferschen Familie, den Besitzern des Rückgebäudes und Stiftern eines Ewiglichtkapitals für die Kirche, einen Gefallen zu erweisen und ihnen einen privaten Zugang zur Kirchenempore samt Oratorium zu ermöglichen. Dieses Oratorium sei dann bei Anfügung der Apsis an den Chor, welche ihrer Meinung nach erst 1739, also einige Jahre nach Fertigstellung des Rohbaus, erfolgt sei (Indiz dafür: die Apsis sei bei der Bombardierung im 2. Weltkrieg allzu glatt heruntergefallen), entfernt und auf Erdgeschoßhöhe neugebaut worden: dadurch sei das bereits erwähnte, im 2. Weltkrieg zerstörte Frauenhofersche Oratorium entstanden. Laut Schleich sei die Apsis, basierend auf Baubefunden, hingegen Teil des Ursprungsplans- und baus gewesen und nicht erst später hinzugefügt worden.

    Die schließlich vom Denkmalamt angeordnete, bereits oben beschriebene „Kompromisslösung“, das Westfenster stark zu verkleinern, die Figur des Johann Nepomuk zu entfernen und durch zwei versilberte und seitlich der Öffnung angebrachte, neu anzufertigende Stuckreliefs (eigentlich Figuren) von Maria und Johann Nepomuk zu ersetzen, ist eine Lösung, die Schleich natürlich wesentlich mehr entgegenkam als den Gegnern eines Westfensters, denen im Grunde nur blieb, dass die von Schleich angedachte Rekonstruktion des nördlichen Seitenanbaus samt Öffnung der rechten Seitennische unterblieb. Der Grund für diese Bevorzugung Schleichs war, dass vonseiten höhergestellter Kunsthistoriker im Denkmalamt, des zuständigen Ministeriums sowie des erzbischöflichen Ordinariats Sorge bestand, dass Erwin Schleich und Leo Benz, der als Unternehmer die gesamte Renovierung großzügig finanzierte, verärgert werden und abspringen könnten, falls man ihnen zu viele Steine in den Weg legen würde. Man war nämlich froh, dass mit dieser aufwendigen und teuren Renovierung zum ersten Mal die ursprüngliche Farbigkeit des Kirchenraums und vor allem das stark verwitterte Fresko wiederhergestellt werden konnten und wollte diese Unternehmung somit auf keinen Fall gefährden.

    Zustand 1824-1944 mit dem Gemälde von Andreas Seidel (Foto von 1937):

    Asamkirche-1937.jpeg

    (Quelle: Bildarchiv Foto Marburg)

    Zustand 1958-1975 mit dem versilberten Relief des hl. Johann Nepomuk von Franz Lorch:

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    (Quelle: Timeline Images)

    Weiteres Foto mit dem Relief: https://www.bildindex.de/document/obj20…dium=mi12822e01

    Zustand nach dem Einbruch des Westfensters und der Versetzung der Johann-Nepomuk-Figur von E.Q. Asam samt neu angefertigtem Strahlenkranz auf die Altarempore (1977):

    Asamkirche-1977.jpeg

    (Quelle: Alamy)

    1982 aber tauchte ein bis dato unbekannter Querschnitt des Chors von 1812/13 auf (also vor der Umgestaltung des Chors und der Anbringung des Gemäldes von Seidl), in dem auf der Empore kein Fenster, sondern wie von den Gegnern postuliert eine geschlossene Wand zu sehen ist:

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    Dieser Fund beantwortet also die Frage nach dem Westfenster abschließend und im Sinne der Fenstergegner; allerdings war zu diesem Zeitpunkt das Westfenster schon eingebaut und die Restaurierung abgeschlossen, so dass diese Lösung nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte.

    Heutiger Zustand mit dem verkleinerten Westfenster und den versilberten Stuckfiguren:

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    Nahaufnahme des oberen Altars:

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    Es bleibt die Frage nach der symmetrischen Lichtführung und der möglichen Existenz eines nördlichen Seitenanbaus, eine Frage, bei der die Baubefunde von Schleich durchaus schwer wiegen und nicht so leicht widerlegt werden können; wenn es allerdings nachgewiesenermaßen kein Westfenster auf der Empore gegeben hat, muss das Licht fast zwangsläufig von woanders hergekommen sein, denn das westliche Gewölbefenster dürfte für eine angemessene Belichtung des Chors wohl kaum ausgereicht haben. Johannes Erichsen schreibt 1983 in der Kunstchronik:

    Der so (d.h. von Schleich) herausgearbeitete „originale Baugedanke“ führt bei der Suche nach Vergleichsbeispielen zwangsläufig zu Altären mit von rückwärts einfallendem vollen Licht, nach Sandizell und Osterhofen (Seitenaltar), ohne nach den besonderen Bedingungen dieser Altäre fragen zu müssen. Er führt hingegen nicht nach Rohr, wo sich die Altarlösung findet, auf die E. Q. Asam in seiner Hauskirche offensichtlich wirklich zurückgegriffen hat: die Inszenierung einer Assumptio vor dunklem Fond, indirekt beleuchtet durch weißes Seiten- und gelb-goldenes, „himmlisches“ Oberlicht. Damit wird die Entwicklungslinie mißachtet, die vom Rohrer über den Osterhofener Hochaltar (in dem seitlich „Oratorien“ in den Fenstern eingeführt werden) nach St. Johann Nepomuk führt. Nach allem, was die Forschungen der letzten Jahre erbracht haben, bestand die geniale Leistung in der überaus schwierigen, nur im Westen und Nordwesten Höfe berührenden Baulücke an der Sendlinger Gasse ja eben darin, daß Asam den dämmerigen Raum nicht nach Westen zur Nachmittagssonne hin aufgerissen, sondern mit Seiten- und Oberlicht den Chor aufzuhellen und dem silbern schimmernden Schlußbild im oberen Altar eine quasi überirdische Atmosphäre zu geben verstanden hat.“

    Abschließend kann man Schleich vorwerfen, eine weniger denkmalpflegerische als vielmehr eine „ästhetizistische“ Herangehensweise praktiziert zu haben, bei der er sich im Asamschen Formenvokabular frei bedient hat, um eine zwar ästhetisch stimmige, aber eben nicht historisch belegbare Lösung für die Chorempore zu kreieren. Schleich äußerte sich 1981 in der Süddeutschen Zeitung dazu: „Kein Mensch weiß zuverlässig, wie der obere Chor der Kirche ursprünglich ausgesehen hat … Es wäre zu wünschen, daß endlich anstatt weiterer theoretischer Spekulationen Ruhe eingeräumt wird für eine sorgfältig erarbeitete künstlerische Lösung.“ Und in einem weiteren Artikel im Münchner Merkur vom Juni 1981: „Die Vervollständigung der Asamkirche muß auf das Gesamtwerk des Egid Quirin Asam bezogen werden, das eine Fülle von großartigen, beispielhaften Lösungen aufweist. Es kann hinreichend Aufschluß geben über das künstlerische Wirken und die Planungsideen der Asam-Brüder.“

    Auf jeden Fall hat sich die Schleichsche „Kompromisslösung“ inzwischen über 40 Jahre gehalten und fällt heute wohl keinem Besucher mehr störend auf - fast niemand weiß überhaupt, dass hier einmal etwas verändert wurde. Die Haltung der heutigen Kunsthistoriker bleibt aber verständlicherweise ablehnend, wie zwei Zitate belegen mögen:

    „… so wurde der zweite Versuch bis heute geduldet. Es ist Zeit, ihn zu beenden und die Altarwand wieder zu schließen, denn das gelbe Fenster verändert in unglücklicher und unzulässiger Weise die von Asam geplante Lichtführung. Das Stuckrelief von 1980 ist in seinen grobschlächtigen Formen unerträglich, neben den virtuosen Plastiken Egid Quirin Asams. Es ist auch vom Programm her falsch, weil es eine Jungfrau anstelle einer Mutter mit Kind als Vision des Heiligen zeigt und weil es die Krone, die ein Englein, das auf den Stuckgirlanden schaukelt, im Himmel für den Heiligen bereithält, vorwegnimmt.“ (Peter B. Steiner, 2010)

    Seit 1977 ist die Rückwand zu einer Lichtöffnung aufgebrochen. Diese denkmalpflegerische Maßnahme, die den vermeintlichen Ursprungszustand wiederherstellen sollte und ganz München in zwei Lager spaltete, hat sich inzwischen als Irrtum herausgestellt. In der Tat bringt die allzu helle Lichtöffnung den ganzen oberen Raumabschluss aus dem Gleichgewicht, da sie das Hauptmotiv, den Baldachin, und selbst den Gnadenstuhl penetrant übertönt. Die Öffnung, die nur ein leeres Loch ist, sollte unbedingt wieder geschlossen werden. Denn nur so käme die Lichtsituation des Raums, die heute empfindlich gestört ist, wieder uneingeschränkt zur Geltung, der sakrale Dämmer, in welchem das Licht wie eine eigene Materie schwebt. Nur so wäre der Andächtige wieder ganz von jener eigentümlichen Stimmung des Raums erfüllt, die anders als sonst im bayerischen Barock etwas Mystisches hat.“ (Bernhard Schütz, 2000)

    Ich denke allerdings nicht, dass man in absehbarer Zukunft etwas am Status quo ändern wird, denn für solche idealistischen Spielereien dürfte im Moment kein Geld verfügbar sein - die Kirche und der Staat haben vorerst genügend damit zu tun, die dringendsten baulichen Mängel in den vielen Kirchen zu beheben. Ich hätte auch die Befürchtung, dass man im Falle einer Umgestaltung heutzutage eine moderne Lösung favorisieren würde, die zu einem noch viel inakzeptableren stilistischen Bruch führen würde. Ob die naheliegendste und im Endeffekt wünschenswerteste Option, nämlich das 1944 angefertigte und bis 1977 in der Kirche hängende Stuckrelief von Franz Lorch wieder anzubringen, möglich ist, weiß ich nicht; mir ist nicht bekannt, ob es noch in einem Magazin existiert. Von daher ist es wahrscheinlich am besten, man belässt vorerst alles so, wie es ist und was durch seine über 40-jährige Existenz vielleicht auch eine gewisse Daseinsberechtigung und eine Art Denkmalcharakter bekommen hat.

    Momentan wird gerade eine Renovierung der Kirchenfassade durchgeführt, von der sich Stuckteile gelöst haben.

    Zum Abschluss noch ein Zitat von Bernhard Rupprecht von 1980 über den wahrscheinlich wichtigsten Aspekt beim Betrachten eines solchen Asamschen Kirchenraums:

    Heute, ungefähr zweieinhalb Jahrhunderte nach ihrer Entstehung, tauchen bei der Betrachtung Asamscher Räume, Bilder und Skulpturen gewisse Gefahren auf. Die größte davon ist die Isolierung dieser Architekturen und Bildwerke aus dem kulturellen Zusammenhang, in dem sie entstanden und standen, und von dem sie ein wichtiger Teil waren. Diese Gefahr des Mißverstehens ist deswegen so ernst, weil die inzwischen so ganz andersartige technisch-industrielle Welt- und Lebensverfassung diesen Werken so fern gerückt ist. Sie sind weniger als Kunst-Attraktionen, als künstlerische Schöpfungen in einem modernen Verständnis anzusehen, sondern sie waren eingebettet in ein lebendiges Ineinander von Kultur und Kult, von Liturgie, Zeremoniell und Bild. Ein Abendschein dieses Zusammenwirkens und dieses Zusammenklangs einer einheitlichen Lebensform war aufbewahrt in der nachtridentinischen Liturgie der römischen Kirche. Die Reformen im Gefolge des zweiten vatikanischen Konzils haben auch diesen letzten Abglanz zum Verlöschen gebracht. Es bedarf neben der Kraft der Anschauung und künstlerischer Sensibilität auch eines Wissens und der Einfühlung in die historische Entstehungslage der Asamschen Werke, damit diese nicht als funktionslose Artefakte und verödete Festsäle zu Staffagen eines rührigen Kunstbetriebs werden, der nur zu bereit ist, barocke Klosterkirchen als stimmungsvollen Rahmen sommerlicher Festivals zu vereinnahmen.”

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Nun zur umlaufenden Empore. Ich möchte behaupten, dass man die Asamkirche erst dann wirklich kennenlernt, wenn man auf der Empore steht; unten scheint der Kirchenraum je nach Lichteinfall oft sehr düster und eng, erst oben weitet sich der Blick und man bekommt unglaublich spannende Einblicke.

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