St. Gallen - Fachwerkbauten außerhalb der Altstadt

  • Das Gebiet ausserhalb der Altstadt war in den letzten Jahrhunderten ebenfalls durch den Fachwerkbau geprägt. Dies hängt einerseits mit den natürlich vorhandenen Ressourcen zusammen: viel Wald, Lehm, aber auch Sandstein, Nagelfluh und Mergel. Während die Wälder das Holz für die Grundgerüste lieferten, stand auch reichlich Lehm für die Ausfachungen zur Verfügung. Nagelfluh war unbrauchbar für den Hausbau, und Sandstein wohl zu aufwändig für die Beschaffung, sodass man sich dieses Material eher für den kirchlichen und öffentlichen Bau vorbehielt. Andererseits gab es schon mindestens im 15. Jahrhundert Bestimmungen, welche den Bau von Häusern vor den Stadttoren erlaubte, aber mit der Auflage, diese bei Kriegsgefahr auf stadträtliche Anordnung hin schnell niederreissen oder niederbrennen zu können. Zuletzt geschah dies 1490, als die Eidgenossen im St. Galler Krieg vor der Stadt anrückten.

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    Älteste Abbildung der Stadt von Westen. Ein grosser Teil der Talsohle ausserhalb der Altstadt wurde für das Auslegen der Leinwand zum Bleichen benötigt. Entlang den Ausfallstrassen sieht man ausschliesslich Fachwerkbauten. Holzschnitt von Heinrich Vogtherr 1545


    Die ältesten datierten Fachwerkbauten ausserhalb der Altstadt stehen in der Spiservorstadt (früher auch Linsebühl-Vorstadt oder Stadelhofen), der bedeutendsten aller Vorstädte. Linsebühlstr. 53 und 55 besitzen Kerne, die ins 16. Jahrhundert zurückreichen (wenn nicht sogar ins 15. Jh.; Unterlagen bei der städtischen Denkmalpflege vorhanden). Weiter gibt es noch zahlreiche ehemalige Bauernhäuser, oft auch mit Kernen aus dem 16. Jahrhundert. Vorwiegend aus dem späten 16. und ganzen 17. Jahrhundert stammen die Sommer- und Landhäuser wohlhabender Bürger.

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    Linsebühlstrasse stadteinwärts gegen Westen. Im Hintergrund die Türme der Kathedrale. Die beiden hellen Bauten rechts sind die Nrn. 53 und 55.


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    Buchstr. 35. Wohnhaus eines wohlhabenden Landwirts. Gestrickter Kern von 1613, Erweiterung und Aufstockung in Fachwerk sowie Anbau eines Treppenturms um 1730.


    Der Bau der Häuser Rorschacher Str. 1-25 ab 1791 läutete die Überbauung der Talsohle ausserhalb der Altstadt ein. Das eigens dazu angefertigte Baureglement untersagte erstmals den Bau von Sichtfachwerk. Der Rohbau aber durfte in konstruktivem Fachwerk erstellt werden, das entweder zu verputzen oder zu verschindeln war. Ebenso durften auch keine Erker oder anderweitige Anbauten angefügt werden. Solche Bestimmungen prägten alle weiteren Überbauungen bis in die 1870er-Jahre.

    (vgl. hierzu auch die Pläne zur baulichen Entwicklung der Stadt in diesem Beitrag.)

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    Harfenbergstr. 13-23. Spätklassizistische Wohnhäuser um 1868/70 aus konstruktivem, verputztem Fachwerk. Die Fassadengestaltung unterscheidet sich kaum von jener der rund siebzig Jahre vorher errichteten Häuser Rorschacher Str. 1-23.


    Erst nach jener Zeit tauchte wieder Sichtfachwerk auf, wenn auch am Anfang eher zögerlich im Bereich der Dächer und der wiederaufblühenden "Erker-Kultur". Einen kurzen Höhepunkt erreichte der Fachwerkbau in den Jahren zwischen 1880 und 1910, als die Stickereiindustrie der Stadt zu einer enormen Blüte verhalf.

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    Stauffacherstr. 2-6. Am Rosenberg wurden zahlreiche Historismus- und Jugendstilvillen mit aufwändigen Dachgeschossen aus Sichtfachwerk versehen.


    Interessanterweise hat das Fachwerk dieser kurzen Zeitspanne nicht mehr viel gemeinsam mit dem traditionell überlieferten alemannischen Fachwerk, das im 19. Jahrhundert durchwegs verputzt wurde. Vielmehr erkennt man Formen des fränkischen und niedersächsischen Fachwerks. Dies führt zu einer ersten Fragestellung, weshalb sich bei uns im Historismus besonders der fränkische und niedersächsische Fachwerkstil gegenüber dem traditionell überlieferten alemannischen Fachwerkbau durchgesetzt hatte.

    Eine Erklärung liegt wohl darin begründet, dass man im 19. Jahrhundert vor allem die Schmuckformen verehrte und erforschte und weniger die Konstruktion. Wenn man die Werke früher Fachwerkforscher (z.B. Carl Schäfer) betrachtet, stellt man fest, dass der eher schmucklose alemannische Fachwerkbau jeweils nur eine kurze Abhandlung erfuhr. Die damaligen Forscher stammten zudem nicht aus diesem Gebiet.

    Ein weiterer Grund könnte auch mit dem Aufkommen des Berufs des akademisch ausgebildeten Architekten mitte des 19. Jahrhunderts zusammenhängen. Waren es vorher meistens Bau- und Zimmermeister, welche private wie auch öffentliche Bauwerke errichteten, wurden für öffentliche Bauvorhaben nun "gebildete" Personen herangezogen. Hat dies wohl mit dem Aufkommen des Eisenbahnbaus zu tun, welcher Bauwerke erforderte, deren Planung nicht mehr nur auf Erfahrungswerten basieren konnte, sondern einen statischen Nachweis erforderte? Jedenfalls ist mir aufgefallen, dass die Architekten in St. Gallen oft in Deutschland (München, Stuttgart) studiert hatten oder aus Deutschland zugezogen waren. Auch auf diesem Weg fanden wohl deutsche Bauformen Einzug in unser Gebiet. Das erste schweizerische Architekturstudium konnte erst ab 1855 an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich absolviert werden; der Einfluss dieser Architektur-Schule auf den Holzbau müsste noch erforscht werden.

    Für den hier ebenfalls heimischen Blockbau (in der Schweiz sagt man eher "Strickbau"), aus dem der Chaletbau hervorging, beziehen sich diese Aussagen aber nicht! Diese Baukunst verblieb in der Hand der traditionellen Zimmermeister und manifestierte sich unter dem Begriff "Schweizerhaus-Stil". Doch auch der Strickbau wurde von den akademischen Architekten entdeckt und aufgegriffen.

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    Dufourstr. 73 Villa "Guggisberg", erbaut 1892 durch Architekt Jacques Gros aus Zürich, abgebrochen 1972. Gros errichtete in der ganzen Schweiz aufwändige Chaletbauwerke in historistischem Stil. Sein bekanntestes Bauwerk ist das Grand Hotel Dolder in Zürich. 1912 gelaufene Ansichtskarte, ohne Verlagsangabe.


    Nun möchte ich auf eine weitere Abhandlung verzichten und vorerst einfach mal in unsystematischer Weise die Fachwerkbauten ausserhalb der Altstadt dokumentieren. Aus der Sammlung werden sich wohl weitere Folgerungen und Erkenntnisse ergeben.


    Inhaltsverzeichnis:

    - Blumenaustr. 39 (ehem. St. Jakob-Str. 14)

    - Burggraben 23 "zur Hechel", Sommerhaus von 1611/1639

    - Dufourstr. 106, Strassenwärter- und Hydrantenwagenhäuschen

    - Kreuzbleicheweg 2, Militärkantine

    - Unterer Graben 25 (abgebrochen)

    -

  • Burggraben 23 "zur Hechel"


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    Burggraben 23 von Südwesten.

    Das bekannteste und augenfälligste Fachwerkhaus ausserhalb der Altstadt steht am Burggraben. Gemäss Literatur liess Wittwe Anna Schlappritzi-Stauder 1611 in ihrem Garten vor dem Spisertor ein Sommerhaus "mit vier Erkern" errichten. Ihr Enkel baute 1639 an die Rückseite einen "Schnecken" (Treppenturm) an und liess das Dach erhöhen.


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    Burggraben 23 von Nordwesten.

    Das Haus stand hart am ursprünglich offenen Burggraben nahe beim Spisertor (hier stand zwar nie eine Burg; "Burg" ist als Synonym zu Burg, Schloss, Stadt resp. Stadtgraben zu verstehen). Das Haus hat heute nur noch einen einzigen Erker sowie den erwähnten Treppenturm an der Rückseite. Quergiebel wurden früher auch als Dacherker bezeichnet; wenn man diesen noch dazu zählt, wären es schon zwei Erker.


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    Burggraben 23. Ausschnitt aus der Westfassade.

    Details an den Fassaden lassen aber erkennen, dass das Haus nicht so einheitlich wie beschrieben ist und eine weit interessantere Baugeschichte verbirgt. Beispielsweise sei auf die vier Balkenköpfe zwischen den ersten beiden Obergeschossen der Fassade hingewiesen, dann auf die enggelegte Balkenlage über dem 2. Obergeschoss links (im Schatten der Dachuntersicht) oder auf die beiden Fenster klassizistischen Formats im 1. Obergeschoss an der nördlichen Giebelseite (mit einfachen Andreaskreuzen in den Brüstungen; s. letztes Bild).


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    Burggraben 23 gegen Osten mit dem Treppenturm von 1639.

    1639 wurde der Treppenturm an der Rückseite angebaut und gleichzeitig das Dach erhöht. Doch wo ist eine Dacherhöhung sichtbar?


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    Burggraben 23 gegen Osten mit dem Treppenturm von 1639.

    Bei der Dachuntersicht rechts erkennt man wieder eine enggelegte Balkenlage. Sie ist das Pendant zum selben Detail auf der Vorderseite. Hier vermute ich einen einstigen Festsaal mit sieben Fenstern, der bei der Restaurierung des Hauses 1959 sowie 2012 nicht erkannt worden war! In der Mitte des mutmasslichen Festsaals verläuft ein Unterzug in Längsrichtung, der an der Nordfassade auf dem Mittelpfosten des mittleren Fensters aufliegt. Wären hier von Anfang an zwei Räume vorhanden gewesen, hatte man hier sicher nicht zwei in die Raumecken gedrückte Einzelfenster angeordnet.


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    Burggraben 23. Nördliche Giebelfassade.

  • Um der Baugeschichte des Gebäudes nachgehen zu können, folgen zuerst einige historische Ansichten. An den Fassaden selbst und Innern lässt sich auch einiges zur baugeschichtlichen Entwicklung ablesen, insbesondere weil noch viel historische Bausubstanz (Grundrisse, Wendeltreppe, gehobener Innenausbau vor allem aus dem 19. Jahrhundert) vorhanden ist.


    Zwischen 1596 und 1671 gibt es vier 'Stadtprospekte', welche die Altstadt aus der Vogelperspektive von Osten zeigen. Dabei ist das Spisertor samt Umgebung jeweils am unteren Bildrand eingezeichnet. Die älteste Ansicht von Melchior Frank von 1596 ist so knapprandig gezeichnet, dass nicht einmal die Vorwerke des Spisertors und damit auch keine Bauten der Vorstadt abgebildet sind. Die drei folgenden Ausschnitte mit der "Hechel" sind den späteren dieser 'Stadtprospekte' entnommen:


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    Grosser Pergamentplan um 1650. Stadtarchiv St. Gallen.

    Die Hechel ist bereits in der heutigen Form dargestellt - ein dreigeschossiger, rechteckiger Baukörper unter Satteldach mit einem turmartigen Erker an der Südwestecke und dem rückseitigen, mittig angeordneten Treppenturm von 1639. An der Rückseite folgt ein eingefriedeter Garten. Das Gartenhäuschen links gehörte wahrscheinlich schon damals zum Nachbarhaus "zur Akazie" Burggraben 25a und ist sogar im heute rötlich gestrichenen Nachbarhaus der Hechel Burggraben 25 erhalten (siehe die ersten zwei Bilder des vorangehenden Beitrags).


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    Federzeichnung um 1666. Historisches Museum St. Gallen.

    Auch hier erscheint die Hechel in der eben beschriebenen Form. An der Nordwestecke, also auch gegen den Burggraben hin, könnte sich ein weiterer Turmerker befinden. Ich kann allerdings jetzt schon vorausschicken, dass es am ganzen Gebäude keinerlei Anzeichen gibt, die auf einen Erker in diesem Bereich hindeuten.

    Die beiden südlichen Nachbarbauten (links) sind wahrscheinlich Burggraben 25 "zur Akazie" sowie das um 1904/05 abgebrochene Haus "zur Quelle" Burggraben 7 (heute Burggraben 27).


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    Kleiner Pergamentplan von 1671. Stadtarchiv St. Gallen.

    Der Kleine Pergamentplan ist für die Baugeschichtsforschung in der Stadt eine der wertvollsten Quellen. Obwohl hunderte von Gebäuden festgehalten sind, stimmen diese mit baulichen Befunden bis zu den Fensteranordnungen überein! Auch hier bei der Hechel: links vom Treppenturm wird das Haus wie heute mit einem Giebel anstatt einer Traufe abgeschlossen. Am 1. Obergeschoss rechts ist ein Reihenfenster eingezeichnet, was mit dem heutigen Balkenbild besser übereinstimmen würde als mit den heutigen beiden quadratischen Zwillingsfenstern. Am zweiten Obergeschoss bestehen die drei Zwillingsfenster wie im Plan gezeichnet heute noch.

    Nördlich (rechts) ist ein kleines Ökonomiegebäude angebaut, das aber gegenüber der Rückfassade der Hechel zurückspringt. Somit verbleibt der Hechel dort am 1. Obergeschoss ein Fenster gegen Norden, wie es ebenfalls dem heutigen Balkenbild an der Nordfassade entspricht.


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    Ansicht der Stadt von Süden, wohl von David Herrrliberger, um 1751/54. Ausschnitt mit Spisertor und Burggraben. Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Diese erst in den letzten Jahren durch die Archive und Museen der Stadt aus dem Handel erworbene Panoramansicht zeigt die markanten Einzelgebäude auch ausserhalb der Altstadt in grosser Detailtreue. Die Hechel ist in ihrem heutigen Erscheinungsbild mit turmartigem Erker und Giebelabschluss an der Südostecke leicht erkennbar, ebenso rechts und davor die "Akazie", "Quelle" sowie der gegen den Burggraben bündig an die Hechel angebaute Ökonomiebau.


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    Ausschnitt aus einer Radierung von J. C. Mayr mit dem kleinen Brühl, um 1790.

    Mayrs Ansicht von Norden zeigt das Haus auch schon im heutigen Zustand. Der Ökonomiebau davor war damals offenbar eingeschossig mit einem anderthalbgeschossigen Mansarddach. Gemäss den beiden früheren Ansichten war er eingeschossig mit Kniestock oder zweigeschossig und durch ein Satteldächlein bedeckt.


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    Burggraben 23 von Westen. Aquarell von D. Ehrenzeller, 1839. Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Es ist sehr erstaunlich, dass 1839 das Fachwerk der Hechel noch sichtbar war, denn damals war an keiner Strasse im Stadtzentrum mehr Sichtfachwerk vorhanden. Mann kann gemäss Forschungen davon ausgehen, dass praktisch alle Fachwerke in den Jahren zwischen 1790 und 1835 zugedeckt wurden. Eine behördliche Aufforderung dazu gab es aber nicht.

    Die drei heute noch existierenden Fenster am Erdgeschoss dürften im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts entstanden sein. Der Quergiebel war noch als Aufzuggiebel in Funktion. Gemäss dem Stadtplan von 1863 folgte hinter dem grossen Rundbogenportal wie heute ein breiter Durchgang zum Garten und Hof hinaus.

    Der Ökonomiebau im Norden war nun zweigeschossig, und im Süden bestand immer noch das Gartenhäuschen der Liegenschaft "Akazie", die man hinten in der heutigen Höhe erkennt.


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    Burggraben 1863 von Norden. Weiss gehöhte Bleistiftzeichnung von J. J. Rietmann. Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Johann Jakob Rietmann hielt mit seinem Bleistift zur Mitte des 19. Jahrhunderts zahlreiche historisch anmutende Ensembles der Stadt fest. Dabei entstanden mehrere Ansichten im Bereich des Spisertors, wie hier jene vom Ensemble Hechel, Akazie und Quelle am Burggraben von Norden. Innerhalb der 25 Jahre davor wurde das Fachwerk verputzt. Der nördlich angebaute Ökonomiebau musste dem 1852/55 erfolgten Neubau der Kantonsschule (links ausserhalb der Zeichnung) weichen, wofür auch ein Teil der Hechel-Liegenschaft benötigt wurde.


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    Burggraben gegen Norden vor 1903. Sammlung Zumbühl, Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Kleinstädtisch mutet der Burggraben bis 1903 an, als die damals in Betrieb genommene Strassenbahn St. Gallen-Speicher-Trogen (heute Appenzeller Bahnen) durch den Burggraben und über das Spisertor führte. In den Jahren darauf wurde die Gegend durch markante Wohn- und Geschäftshäuser im Jugendstil grossstädtisch umgestaltet, wobei nur die Hechel und das inzwischen merklich vergrösserte einstige Gartenhaus Burggraben 25 überdauerten. Von letzterem sieht man übrigens heute noch - wie auch in der Fotografie oben - in der südlichen Seitenwand die alte Giebelkontur.


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    Burggraben 23 von Nordwesten 1948. Sammlung Zumbühl, Kantonsbibliothek St. Gallen.

    In den 1950er-Jahren kamen Abbruchabsichten für die Hechel auf. Dem Ehemaligenverein der benachbarten Kantonsschule gelang es, mittels einer Stiftung das Haus zu übernehmen, 1959 zu restaurieren und als Aufenthaltsräume für die Schüler der Kantonsschule zur Verfügung zu stellen. 2012 erfolgte eine weitere Instandsetzung des Gebäudes.


    Die "Hechel" im heutigen Kontext: Google Maps

  • Als Fazit aus den gezeigten historischen Abbildungen geht hervor, dass die 'Hechel' ab der Mitte des 17. Jahrhunderts praktisch unverändert in unsere Zeit hinübergekommen ist. Dies dürfte also dem Zeitpunkt entsprechen, als 1639 der Treppenturm angebaut und das Dach erhöht wurde.

    Somit konzentrieren sich die Überlegungen zur Baugeschichte auf das ursprüngliche Aussehen des Hauses 1611. Mangels so früher Abbildungen können nur noch Beobachtungen am Haus selbst gemacht werden.

    [...] Beispielsweise sei auf die vier Balkenköpfe zwischen den ersten beiden Obergeschossen der Fassade hingewiesen, [...]

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    Burggraben 23. Ausschnitt aus der Westfassade.

    In Breite und Anordnung entsprechen diese genau dem Aufzuggiebel darüber. Es könnte nun sein, dass das Haus 1611 ein Geschoss niedriger war, 1639 dann das ganze Dach abgenommen, das 2. Obergeschoss aufgesetzt und darüber das alte Dach unverändert wiedererrichtet wurde. Eine Wiederverwendung eines Dachwerks war damals nicht unüblich.


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    Ausschnitt aus der Ostfassade, 1. und 2. Obergeschoss bei der Nordostecke.

    An der Rückseite gibt es dasselbe Detail an gleicher Lage. Demnach müsste einst auch hier ein Quergiebel aufgesessen haben. Bei Satteldächern mit einem frontseitigen Aufzuggiebel wurde im Allgemeinen an der Rückseite auch ein Quergiebel errichtet, womit die Lastenverteilung auf den meist liegenden Dachstuhl ausgeglichener war. Bei der Erhöhung 1639 wurde dieser Quergiebel dann nicht mehr aufgebaut, weil er teilweise hinter den Treppenturm zu liegen gekommen wäre. Statt seiner folgte eine an den Turm angelehnte Schleppgaube.

    Bemerkenswert ist das 1. Obergeschoss mit den beinah quadratischen Fensterformaten. Brust- und Sturzriegel überspannen ein breites Wandfeld, wie es sonst nirgends am Haus zu finden ist. Denkbar wäre eine ursprünglich offene Loggia, die auch eine Öffnung gegen Norden hatte.


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    Ansicht an die Südostecke 1. Obergeschoss.

    An den Südostecke gibt es Hinweise auf einen weiteren Erker. Just über dem hofseitigen Ausgang kragt das 1. Obergeschoss aus und wird durch zwei Büge gestützt, genau an der Gegenposition des vorderen Erkers, der durch gleichartige Büge unterstützt wird (links im Bild). Konstruktiv sind die Erker mit beiden Obergeschossen verbunden, wie man das an der südlichen Giebelwand an den durchlaufenden Schwellen und Rähme ablesen kann.


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    Ansicht an die Südostecke 1. bis 3. Obergeschoss.

    Das 3. Obergeschoss wird durch ein Giebeldächlein abgeschlossen. Wenn man sich den Treppenturm und die in den Zwischenraum eingefügten WC's wegdenkt, bleibt tatsächlich ein mehrgeschossiger Erker übrig, der sich vom vorderen nicht unterscheidet. Beim Umbau 1639 wurde dann dem Erker ein weiteres Obergeschoss und möglicherweise das Giebeldächlein des nicht mehr benötigten Quergiebels aufgesetzt.


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    Auskragung zwischen Erd- und 1. Obergeschoss an der Südostecke.


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    Erkerfuss an der Südwestecke.

    Am vorderen Erkerfuss fehlt der Bug in der Mitte. Die Büge sind zwar kaum tragend, da sie dem Druck des sich leicht setzenden Erkers nicht gewachsen wären. Am rechten Bug sind die Jahrzahl "1611" und die Initialen "C.G." eingeschnitzt. Letztere dürften wohl den Zimmermeister bezeichnen. In der Mitte könnte sich eine heute im Historischen und Völkerkundemuseum aufbewahrte Konsole befunden haben, die bis zum Umbau 1959 im Hausinnern angebracht war.

    > Erkerkonsole vom Haus Zur Hechel in St.Gallen – Online Collection


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    Burggraben 23, Rekonstruktionsversuch des Zustands von 1611 bis 1639 mit eingeschossigen Erkern. Zeichnung Riegel.

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    Burggraben 23, Rekonstruktionsversuch des Zustands von 1611 bis 1639 mit zweigeschossigen Erkern. Zeichnung Riegel.

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    Burggraben 23 von Südwesten.

    Ein erster Rekonstruktionsvorschlag berücksichtigt die geschilderten Beobachtungen: ein Geschoss weniger, gleiches Dach wie heute samt Aufzuggiebel, vorne und hinten je ein ein- oder zweigeschossiger Erker. Nun stellt sich die nächste Frage, ob die Erker tatsächlich zweigeschossig waren oder nur eingeschossig. Diese Frage kann jetzt noch nicht beantwortet werden und bedarf detaillierterer Untersuchungen. An Vorbildern in der Altstadt kommen im gleichen Zeitraum beide Möglichkeiten vor:

    - Blaues Haus, 1575

    - zum grünen Hof, 1606

    - zum Sonnenhof, 1607

    - Bankgasse 7, 1578/1615.

    Immerhin hätte so das Haus nach seiner Erbauung 1611 vier Erkerstuben gehabt, wenn die Rede ist von einem Haus "mit vier Erkern". Dass mit 'vier Erkern' allenfalls die beiden Erker und beide Dacherker gemeint waren, ist eher unwahrscheinlich. Ein 'Dacherker' - meistens ein Aufzuggiebel - war eine Normalität, die in einer Baubewilligung kaum speziell erwähnt worden wäre, im Gegensatz zu einem richtigen Erker, der in den öffentlichen Grund hinausragte.

  • Blumenaustr. 39 (St. Jakob-Str. 14)


    Ein ähnliches Gebäude wie die "Hechel" (siehe die drei Beiträge oben) erfuhr ein ganz anderes Schicksal. Blumenaustr. 39 (früher St. Jakob-Str. 14) blieb ein Abbruch wie jener der meisten Landhäuser aus dem 16. und 17. Jahrhundert auf Stadtgebiet erspart. Ende der 1970er Jahre wurde das Haus zwar von der Stadt zwecks Abbruchs zur Verbreiterung der St. Jakob-Strasse erworben. Glücklicherweise wurde das Projekt reduziert, womit das Haus erhalten blieb und 1983/84 renoviert wurde, nachdem ein Jahr zuvor im Erdgeschoss eine Arkade für die Fussgänger samt Abgang zur Unterführung eingebaut wurde. Bei dieser Gelegenheit konnte ich einige Beobachtungen zum Fachwerk machen, nachdem aus alten Abbildungen bekannt war, dass hier schon im 17. Jahrhundert ein Haus mit Eckturm stand.


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    Alte Vorstadtzeile an der St. Jakob-Str. 10-16.

    Das Haus besticht heute nur noch mit seinem Eckturm und durch die vorgerückte Lage innerhalb der Zeile. Die welsche Form der Turmhaube ist besonders altertümlich und weist ins 17. Jahrhundert. Die solitäre Lage des Hauses innerhalb der Zeile nimmt man nicht sofort wahr.



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    Blumenaustr. 39 und St. jakob-Str. 14 (rechts) von Nordosten gegen die Blumenaustrasse.

    Südöstlich ist Blumenaustr. 39, ein Haus von gleicher Grösse und Fassadengestaltung, angebaut. Es wurde um 1870 erstellt, etwa gleichzeitig mit der Blumenaustrasse. Beim Umbau beider Häuser 1983/84 wurde das Treppenhaus von Nr. 14 aufgegeben und die Wohnungen ans Treppenhaus von Nr. 39 angehängt. Seither tragen beide Hausteile die Adresse 'Blumenaustr. 39'.



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    Blumenaustr. 39 und St. Jakob-Str. 14 (links hinten) von Nordosten.

    Von Südosten her erscheint das Doppelhaus immer noch als Solitär.



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    Südecke von St. Jakob-Str. 14 mit Auskragung über Eck über dem 1. Obergeschoss. Links der Eckturm.

    An dieser Ecke ist in beiden Geschossen das ursprüngliche Sichtfachwerk mit Knickbügen und geschwungenen Brüstungsstreben beim Umbau 1983/84 stellenweise zutage getreten. Dieses stimmt in Form und Dimensionierung mit jenem der Hechel und weiteren ähnlichen Bauten in der Altstadt (Gallusstr. 26, 28 u. 30, Kugelgasse 8 u.10) überein. Die Vergleichsbeispiele entstanden in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.


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    Stadtplan 2018.

    St. Jakob-Str. 14 hat hier keine eigene Nr. mehr. Auf dem Plan ist deutlich die exponierte Lage des Turmes an der westlichen Ecke (über der gestrichelten Fussgängerunterführung) zu sehen.


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    Stadtplan 1863.

    Im Stadtplan von 1863 wurden innerhalb der folgenden zwanzig Jahre neue Strassen und Gebäude mit roter Tinte nachgeführt; im Ausschnitt sind es die Blumenaustrasse und die Ersatzbauten von Ökonomiegebäuden (ocker). Anstelle von Blumenaustr. 39 besass St. Jakob-Str. 14 einen Ziergarten. Gemäss einem Quartierbebauungsplan des Museumsquartiers von 1874 waren damals die Blumenaustrasse und Nr. 39 bereits bestehend. Die Nordwestfassade von Nr. 14 war gegenüber dem Turm zurückversetzt. Ebenso scheint auch die Nordostfassade nicht in gleicher Lage wie heute gestanden zu haben. Dafür war an der nördlichen Ecke ein Abortanbau angefügt, den man auch auf älteren Ansichten sieht.


    Nun folgt eine chronologische Abfolge früherer Abbildungen:


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    Kleiner Pergamentplan von 1671 von Osten aufgenommen, Ausschnitt mit der St. Jakob-Strasse. Stadtarchiv St. Gallen.

    Deutlich erkennt man ein zweigeschossiges Gebäude mit einem Turm an der westlichen Gebäudeecke, einem Abortanbau an der nördlichen Ecke und links davon einer Geschosstrennung unbekannter Form. Bis ins frühe 19. Jahrhundert floss durch die St. Jakob-Strasse der noch stellenweise offene Irabach. Deshalb fällt heute noch das Terrain zur St. Jakob-Strasse hin leicht ab, womit es möglich ist, dass das Gebäude gegen die Strasse dreigeschossig erschien. Alle genannten Details sprechen dafür, dass hier St. Jakob-Str. 14 dargestellt ist.


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    St. Jakob-Strasse gegen Nordosten, vom Vorwerk des Platztors aus gesehen. Radierung von J. C. Mayr um 1790.

    Am rechten Bildrand steht ein dreigeschossiges Haus mit einem um zwei Geschosse höheren oktogonalen Eckturm in den Strassenraum hinaus. Bezüglich der Nachbarbauten kann es sich nur um Nr. 14 handeln. Ein Rundbogenportal ist an jener Lage denkbar, aber es würde heute halbwegs im Boden respektiv heutigen Lichtschacht über der Unterführung liegen (vgl. vier Abbildungen weiter oben). Die Fassade darüber war verputzt.

    Das zentral dargestellte Gebäude musste 1892 dem Backsteinbau St. Jakob-Str. 3 und 5 "zum Tiefenhof" weichen, welcher 1977 seinerseits der Strassenverbreiterung zum Opfer fiel. Seither besteht dort eine Brache, welche in den letzten Jahren durch weitere Abbrüche zusehends grösser geworden ist. Dahinter folgt ein Fachwerkhaus mit polygonalem, mehrgeschossigem Fassadenerker. Bisher dachte ich, dass dieses das wahrscheinlich von 1611 stammende Landhaus Leimatstr. 4 "zur Schlinge" zeigt, das zwar viel weiter nordöstlich stand und ebenfalls 1976/77 abgebrochen wurde (heute Casino).



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    Die St. Jakob-Strasse um 1800 von Nordosten. Anonymes Aquarell, Kantonsbibliothek St. Gallen.

    Ein Aquarell zeigt die Gebäudegruppe von Nordwesten. Links erkennt man wiederum das Gebäude mit dem polygonalen Fassadenerker. Aus der Abbildung geht nun die Lage des Hauses hervor. An seiner Stelle wurden zwischen 1799 und 1809 von zwei Brüdern die identischen Häuser "zum Freienstein" St. Jakob-Str. 21 und 25 erbaut (beide abgebrochen). In der Mitte ist das Haus "zur Blumenau" aus zwei zusammengefügten Baukörpern dargestellt, mit einem rückseitigen Turm gegen den Garten hinaus. Sein Helm ist auch auf der Radierung Mayrs ganz rechts festgehalten.

    Rechts angeschnitten folgt St. Jakob-Str. 14 mit zwei grau gestrichenen Fachwerkgeschossen über einem massiven Erdgeschoss. Der Abortanbau sowie die Dachgaube sind ebenfalls wie im Kleinen Pergamentplan von 1671 dargestellt. Der hohe Wiedererkennungsgrad vieler Gebäudeteile belegt die Exaktheit des Aquarells.

    Im Vordergrund sind Leinwandtücher zum Bleichen und Trocknen an der Sonne aufgehängt - eine Szene, wie sie Jahrhunderte lang bis 1800 die Talsohle der Stadt prägte. Im Hintergrund liegt der damals noch weniger als heute bewaldete Freudenberg.



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    St. Gallen von Nordosten. Aquatinta von Franz Schmied (Kantonsbibliothek St. Gallen) oder David Alois Schmied (Historisches und Völkerkundemuseum St. Gallen) um 1830.

    Im Vordergrund erkennt man die um 1800 errichteten Zwillingsbauten "zum Freienstein" St. Jakob-Str. 21 und 25 und links die "Blumenau" Nr. 16 mit dem durch eine Zwiebel bekrönten Turm. Folglich ist rechts davon auch Nr. 14 sichtbar, mit dem Quergiebel im Dach und rechts dem um zwei Geschosse höheren Turm. Durch ein rechtwinklig angefügtes Satteldächlein erfolgte wohl der Zugang zum obersten Turmgeschoss.

    Der Vergleich der Aquatinta mit dem vorangehenden Aquarell zeigt auch wieder, dass die Zeit der Verputzungswelle von Fachwerk ins erste Viertel des 19. Jahrhunderts fiel.


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    St. Jakob-Str. 14 und 16 von Westen. Links die Gitterfachwerkbrücke der 1856 eröffneten Eisenbahnlinie nach Rorschach (ab 1912 Führung durch Rosenbergtunnel). Die Blickrichtung ist dieselbe wie in der ersten Fotografie dieses Beitrags. Bleistiftzeichnung von J. J. Rietmann 1865, unbekannte Sammlung.

    Wenige Jahre vor dem tiefgreifenden Umbau zwischen 1865 und 1874 hielt J. J. Rietmann das altertümliche Gebäude noch fest. Der Turm samt Helm hatte damals das gleiche Aussehen wie heute und ragte zwei Geschosse über die Traufe hinaus. Beim Umbau wurde das Haus aufgestockt. Gemäss einem Vergleich der Stadtpläne von 1863 und heute wurde dabei auch die Strassenfassade gegen Nordwesten um einen Meter nach aussen in eine Ebene mit der Turmseitenwand gerückt. Ebenso erfolgte eine Vergrösserung gegen Nordosten zur neuen Blumenaustrasse hin.

    Im Wesentlichen sind demnach heute nur noch im Turm und in den südlichen Gebäudeteilen Substanz des wahrscheinlich aus dem frühen 17. Jahrhundert stammenden Ursprungsbaus vorhanden. Dies bestätigen auch die Beobachtungen im Hausinnern anlässlich des Umbaus 1983/84. Über dem Erdgeschoss wurde eine Betondecke eingezogen, aber in den Obergeschossen blieben die Holztäfer aus dem 19. Jahrhundert grösstenteils erhalten, was nur an wenigen Stellen Beobachtungen zuliess.

  • Unterer Graben 25 (um 1938 abgebrochen)


    Die Strassen Unterer Graben und Torstrasse bezeichnen den Verlauf der ehemaligen Stadtbefestigung um die nördliche Altstadt. Der Stadtgraben im Bereich der heutigen Grossbauten Zentralgarage (Unterer Graben 21) und Parkhaus UG 25 (Unterer Graben 25) wurde 1842 aufgefüllt. Doch schon wenige Jahre später musste für die 1856 eröffnete Bahnlinie von St. Gallen nach Rorschach ein Teil davon wieder ausgehoben werden, weil diese hier wegen des ansteigenden Terrains in einem Einschnitt verlief. Ab 1912 befuhr die Eisenbahn den neuen Rosenbergtunnel. Der funktionslos gewordene Bahneinschnitt wurde anschliessend nicht einfach zugeschüttet, sondern im Bereich genügender Höhe 1914/15 überwölbt und als Weinlager weiter benutzt (heute als "Grabenkeller" bekannt).


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    Der Untere Graben mit offenem Eisenbahneinschnitt, dahinter von links Nrn. 23, 27 und 25. Fotografie 1914, Sammlung Riegel.

    Einen kompletten Niedergang als Sommer- oder Landhaus aus dem 17. Jahrhundert musste Unterer Graben 25 erleiden. Das Haus kommt in der Literatur nirgends vor, doch beim Betrachten der Fotografie im Zusammenhang mit der Erforschung des Bahneinschnitts fiel an der Giebelwand von Nr. 25 durchschimmerndes Fachwerk auf. Das Haus selbst sieht nach einem einfachen Wohnhaus aus dem ersten Viertel des 19. Jahrhunderts aus, errichtet aus konstruktivem Fachwerk. Dass das Dach mit Jahrhunderte alten Klosterziegeln eingedeckt war, sagt noch nichts über ein entsprechendes Alter des Hauses aus, denn Klosterziegel wurden noch bis um 1900 auf andern Gebäuden wiederverwendet.

    Unregelmässigkeiten im durchschimmernden Fachwerk entlockten aber dennoch den Griff zur Lupe:


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    Entzerrter Ausschnitt aus der Fotografie oben.

    Am 2. Obergeschoss lässt sich einstiges Sichtfachwerk mit Knickbügen feststellen. In den Brüstungen bestehen Pföstchen und Streben, die nicht im Einklang mit den Fensteröffnungen stehen. Auch am 1. Obergeschoss gab es Knickbüge. Das Giebelfeld unter dem Satteldach mit dem für das 19. Jahrhundert typischen Neigungswinkel von etwa 35 Grad stammte wahrscheinlich ebenfalls erst aus dem 19. Jahrhundert.

    Sichtfachwerk mit Knickbügen, wie auch bei Burggraben 23 'zur Hechel', war typisch für das 17. und frühe 18. Jahrhundert. Aufgrund der Verteilung der Bundpfosten und Knickbüge lässt sich für den Urzustand am ehesten eine Sichtfachwerkfassade mit vier Zwillingsfenstern erahnen. Die Form und Fensteranordnung des Gebäudes auf der Fotografie entspringen demnach einem Umbau eines älteren Gebäudes.



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    Kleiner Pergamentplan 1671, Ausschnitt mit dem Unteren Graben. Stadtarchiv St. Gallen.

    Auf dem Kleinen Pergamentplan von 1671 (Stadtansicht von Osten) befindet sich an gleicher Stelle ein dreigeschossiges Gebäude mit quer zum Stadtgraben liegenden Satteldach sowie nordostseitig angebautem Treppenturm. Das Erdgeschoss ist von den Obergeschossen abgesetzt, ein Hinweis auf ein gemauertes Erdgeschoss und Fachwerkobergeschosse. Links vom Treppenturm scheint der Hauseingang zu sein, den man nach dem Durschreiten einer Hofmauer erreichte. Der Grosse Pergamentplan um 1650 und die Federzeichnung um 1666 zeigen die Situation gleich. Das Haus rechts ist die heute noch bestehende Müller-Friedberg-Str. 3, ebenfalls ein einstiges Fachwerkhaus aus dem 17. Jahrhundert. Dazwischen steht Unterer Graben 23, das man ebenfalls auf der Fotografie von 1914 sieht. Auch sein Quergiebel und auskragender Kniestock weisen auf ein Sichtfachwerkgebäude aus dem 17./18. Jahrhundert hin.

    Auf den Stadtprospekten des 17. Jahrhunderts sind Bauten mit Türmchen ausserhalb der Altstadt durchwegs Land- oder Sommerhäuser aus Fachwerk (eine Ausnahme bildeten die beiden Schützenhäuser, die ebenfalls aus Fachwerk bestanden und Türmchen aufwiesen).

    Es ist also gut möglich, dass Unterer Graben 25 im 17. Jahrhundert als Sommerhaus errichtet worden war. Sein ursprüngliches Aussehen dürfte etwa Burggraben 23 'zur Hechel' und St. Jakob-Str. 14 entsprochen haben.



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    Stadtplan 1863 (mit Grundstücksnummern, nicht Hausnummern). Der Bahneinschnitt befindet sich zwischen den roten Linien mit grauem Begleitband.

    Unterer Graben 25 stand in der Südecke der Liegenschaft "630". Als Hauptgebäude fungierte damals bereits Unterer Graben 27 (vgl. Fotografie oben), das wohl in den 1850er-Jahren errichtet wurde. Das alte Sommerhaus wurde wahrscheinlich damals zu einfachen Mietwohnungen umgebaut. Weshalb der Turm und wohl auch das ursprüngliche Dach entfernt wurden, ist unbekannt.



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    Stadtplan 2018. Rot eingetragen der ehemalige Standort von Unterer Graben 25.

    Beide Häuser mussten um 1938 dem Erweiterungsbau der um 1926/27 errichteten Zentralgarage weichen.



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    Unterer Graben 21 und 25 heute. Gleicher Aufnahmestandort wie bei der Fotografie von 1914 oben. Links die Zentralgarage Unterer Graben 21 von ca. 1926/27, in der Mitte der Erweiterungsbau von ca. 1938, rechts das Parkhaus Unterer Graben 25 aus den 1950er-Jahren, das seither mehrfach erweitert wurde.

  • Kreuzbleicheweg 2, Militärkantine


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    Ausschnitt aus einer ungelaufenen Ansichtskarte, Verlag unbekannt, kurz nach 1901.

    Das grösste historistische Fachwerkhaus der Stadt dürfte die ehemalige Militärkantine von 1901 sein, welche heute noch aussen und innen tadellos erhalten ist. 1877 wurde die Kaserne aus dem Stadtzentrum auf die Kreuzbleiche verlegt und kontinuierlich ausgebaut. 1980 wurde die Kaserne geschlossen und ein Teil ihrer Gebäude für den Autobahnanschluss "Kreuzbleiche" abgebrochen, sodass heute nebst Reithalle, Zeughaus und Turnhalle auch das ehemalige "Offiziersheim und Soldatenstube" erhalten ist. Dieses wurde vor wenigen Jahren restauriert und zu einem Hotel umgebaut.

    (alle Fotos vom Februar 2008)


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    Heute ist das Gebäude stark von Bäumen und Buschwerk umwachsen, sodass man sich eher in die Umgebung eines Waldhotels versetzt fühlt. Die gleiche Perspektive wie auf der historischen Ansichtskarte oben wird jetzt durch die Föhre links verdeckt, welche auf der Karte noch ein frisch gepflanztes Bäumchen ist. So beginnt die Runde mit einer Ansicht von Osten, wo sich auch der Haupteingang mit Treppenturm im Winkel des L-förmigen Gebäudes befindet.


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    Bei den konkav gebogenen Fussstreben am Turm handelt es sich nur um vermeintliche Balken; tatsächlich bestehen die Brüstungsgefache aus drei senkrechten Bohlen, was die abblätternde Farbe verrät. Die gemalten 'Streben' dienen nur als Rahmen für die Wappen der drei Ostschweizer Kantone Appenzell IR/AR, Thurgau und St. Gallen, wobei von letzterem die Farben für die Gestaltung der Läden übernommen wurden. Darunter hält ein Löwe das Wappenschild der Eidgenossenschaft.


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    Bei der Büste, welche den Erkerfuss trägt, könnte es sich um ein Abbild des damaligen Stadtbaumeisters Albert Pfeiffer handeln, welcher 1901 die Pläne zum Gebäude entwarf.


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    Die Fussstreben unter den oberen Läden sind in Wirklichkeit Vollwinkelhölzer, was man wiederum an den beginnenden Verwitterungsspuren erkennt. Ob es sich hierbei um eine handwerkliche Rationalisierung handelt, ist unklar. Oben rechts wurde ein Fenster aus der Bauzeit des Hauses bei der Fassadensanierung um 1990 als Dokument in Situ erhalten, aber beim jüngsten Umbau doch noch entfernt...


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    Sehr pittoresk präsentiert sich das Gebäude von Südwesten. Im Historismus wurde oft übertrieben; die Augen suchen vergeblich nach einem 'Rastplatz'. Die Freude am Gliedern und schmücken ist an dieser Seite offensichtlich. Die Wurzeln des Reformstils, welcher sich wieder auf klarere Formen besinnte, sind wohl als Folge dieses Übertreibens zu suchen.


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    An der Nordseite besteht der Autobahnanschluss "Kreuzbleiche", welcher zum Glück grösstenteils unterirdisch angelegt ist.

  • Dufourstrasse 106, Strassenwärter- und Hydrantenwagenhäuschen


    Interessanterweise hat das Fachwerk dieser kurzen Zeitspanne [des Historismus] nicht mehr viel gemeinsam mit dem traditionell überlieferten alemannischen Fachwerk, das im 19. Jahrhundert durchwegs verputzt wurde. Vielmehr erkennt man Formen des fränkischen und niedersächsischen Fachwerks. Dies führt zu einer ersten Fragestellung, weshalb sich bei uns im Historismus besonders der fränkische und niedersächsische Fachwerkstil gegenüber dem traditionell überlieferten alemannischen Fachwerkbau durchgesetzt hatte.

    Nun habe ich doch noch ein "alemannisch-historistisches" Fachwerk in St. Gallen gefunden:

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    Es handelt sich um ein ca. 1890 errichtetes Strassenwärter- oder Hydrantenwagenhäuschen an der Dufourstrasse 106, von denen man noch einige in der Stadt antrifft. Obwohl alle etwa um dieselbe Zeit errichtet worden sind und einander sehr gleichen, ist jedes wieder anders gestaltet. Das Häuschen ist ca. 1980 renoviert und abgelaugt worden, aber ich vermute, dass das Holzwerk ursprünglich gestrichen war.


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    Charakterisierend sind bei diesem Exemplar:

    - der Schwebegiebel mit den Flugsparrendreiecken, typisch für die Fachwerkbauten ab dem Ende des 16. Jahrhunderts in der Schweiz

    - die angeblatteten Fuss- und Kopfbänder an den Seitenwänden, welche schon von den ältesten nachweisbaren alemannischen Fachwerken seit dem 14. Jahrhundert bekannt sind. Atypischerweise sind sie hier aber mit dem Brustriegel verbunden, und nicht wie üblich mit der Schwelle oder dem Rähm

    - rund ausgeschnittene Büge bilden auch die gebogenen Stürze des Tores und der Fenster - ebenfalls eine im hiesigen historischen Fachwerkbau unbekannte Form

    - die Gefache sind mit Bohlen ausgefacht, der üblichen Ausfachungsart neben Lehm-/Rutengeflecht bis ca. 1500


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    Die Kerbschnitzmuster sind sehr eigenartig und verraten den in der Blüte stehenden Jugendstil. Sie stellen stilisierte Blumen mit Blättern dar, erinnern aber auch an die Sonnenmotive des niedersächsischen Fachwerkbaus. Die Bären auf den Fensterläden sind dem Stadtwappen entnommen.

  • Kleiner Rundgang im Zentrum und am Bernegghang


    Hier folgen unsystematisch ein paar Beispiele von Bauten mit historistischem Fachwerk. Komplett aus Fachwerk erstellte Bauten aus dieser Epoche gibt es mit Ausnahme der bereits gezeigten Militärkantine keine; dem Chaletbau wurde offenbar der Vorzug gegeben, wie man dies vor allem bei kleinen bis mittelgrossen, um 1900 erstellten Wohnhäusern feststellen kann. Um sich einen Überblick über die unterschiedlichsten Fachwerkbilder und auch den Gegensatz zum traditionell überdauerten Fachwerk verschaffen zu können, sind auch ein paar Beispiele aus der Altstadt eingereiht.


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    Schwertgasse 11, erbaut 1885 von Baumeister Jakob Merz.

    1885 wurde an der Schwertgasse 11 mitten in eine durchwegs verputzte spätgotische Häuserzeile ein Backsteinbau mit Fachwerkerker gesetzt. Die Rosetten in der untersten Brüstung, wie auch die Bauweise in Sichtbackstein überhaupt, waren ein hier völlig unbekanntes Motiv, hingegen war der obere Abschluss mit einem "Schwebegiebel" ein typisch schweizerisches Element. Ein- und zweigeschossige Erker aus dem 16. bis 18. Jahrhundert hatte damals annähernd jedes fünfte Haus in der Altstadt. Jakob Merz führte 19 Jahre später auch den Umbau von St. Georgen-Str. 8 (siehe weiter unten) aus, wo man den stilistischen Wandel in dieser kurzen Zeitspanne sehen kann.


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    Schwertgasse 23, erbaut ab 1529.

    Fünf Häuser weiter unten steht das Fachwerkhaus Nr. 23. In dieser Form muss man sich einige hundert Fachwerkbauten im "St. Gallen vor 1800" (oder rund 95% des gesamten damaligen Häuserbestandes in der Altstadt) vorstellen. Der Kernbau besteht aus einer zeitgeschossigen, stockwerkweise abgebundenen Fachwerkkonstruktion alemannischer Bauart von 1529, die mit Sichtbackstein(!) ausgefacht war. Das 2. Obergeschoss wurde 1589 aufgestockt und war ursprünglich ebenfalls mit (dünneren) Kopfbändern ausgesteift. Damals erhielten die Gefache einen Verputz. Von 1705 stammt die Aufstockung des 3. Obergeschosses, welche vom Fachwerkbild her auch irgendwo im fränkischen Raum stehen könnte. Damit ist beispielhaft die Verschmelzung vom alemannischen und fränkischen Fachwerk dokumentiert. 1798 wurde die Fassadenpartie des 2. Obergeschosses durch konstruktives Fachwerk ersetzt, und die ganze Fassade weiss übertüncht (nicht verputzt!). Die Fensteröffnungen erhielten rot gestrichene Rahmungen und die Gebäudekanten rot gestrichene Lisenen, um einen Steinbau vorzutäuschen. Wie man sieht, stehen mit der Nr. 11 von 1885 und der Nr. 23 von 1529 zwei völlig gegensätzliche Fachwerke nebeneinander!
    Foto während der Restaurierung


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    Gallusplatz, Haus "zur Linde", Kernbau 1. Hälfte 15. Jahrhundert.

    Um eine weitere Vorstellung der ältesten, hier angewandten Fachwerkbauweise zu geben, lohnt sich ein Blick auf das Haus Gallusstr. 29 "zur Linde" am Gallusplatz. Es ist um die Mitte des 16. Jahrhunderts durch die Zusammenfassung und Aufstockung zweier wohl kurz nach dem letzten Stadtbrand von 1418 errichteter Kernbauten in Wandständerbauweise hervorgegangen.


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    Linsebühlstr. 11 (Seite Lämmlisbrunnenstrasse), erbaut 1902 von Architekt Fritz Wagner.

    Rund 500 Jahre später, 1902, entstand dieser Fachwerkgiebel auf einem Jugendstilbau zwischen der Linsebühlstrasse und der Lämmlisbrunnenstrasse. Die geschwungenen "Streben" ergeben zusammen eine eigenwillige Jugendstilform. Alemannische, fränkische oder niedersächsische Tradition? Erwähnenswert sind die eingetieften Verzierungen in den Balkenoberflächen und das Sonnenmotiv beim rechts abgeschleppten Dach.


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    St. Georgen-Str. 8, ehemalige Spitalmühle, Aufstockung 1904 durch Baumeister Jakob Merz.

    1904 erhielt die ehemalige Spitalmühle aus dem 16./17. Jahrhundert an der St. Georgen-Strasse eine Aufstockung. Die Anordnung der Streben und Gegenstreben (K-Streben) ist typisch für den hessisch-fränkischen Raum insbesondere um Nürnberg, nicht aber für die Schweiz und Süddeutschland. Der Quergiebel, ehemals dem Warenaufzug dienend und noch dem Kernbau zugehörig, wurde mit einem Brettchenfachwerk und hier untypisch geschwungenen Konsolen versehen. Die eigenwillige Unterkonstruktion des Vordaches erinnert an Armbrüste und entbehrt ebenfalls historischer Vorbilder in der Gegend. Jakob Merz war auch der Urheber von Schwertgasse 11 (siehe erstes Bild dieses Beitrages).


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    Berneggstr. 25/27, erbaut 1905 durch Theodor Schlatter, Zimmereigeschäft.

    Mehrfamilienhaus von 1905 an der Berneggstrasse: die lückenlose Reihung von Fussstreben findet man beim fränkischen, nicht aber beim alemannischen Fachwerk. Der Schwebegiebel mit den Flugsparrendreiecken ist hingegen wieder typisch schweizerisch.


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    Gottfried-Keller-Str. 11 "Rotfluh", erbaut 1908 durch Baumeister Cyrin Anton Buzzi.

    Historistisches Fachwerk findet sich in St. Gallen vor allem in Dachgeschossbereichen, wie hier an der Gottfried-Keller-Strasse 11. Obwohl am Eckturm aus gestalterischen Gründen keine Eckpfosten angeordnet sind, übt das Fachwerk eine effektiv tragende Funktion aus und steht im Verbund mit der gesamten Dachstuhlkonstruktion. Das Fehlen der Eckpfosten wiederspiegelt die Verwendung von Fachwerk im Historismus viel mehr aus gestalterischen als aus bautechnischen Gründen.

    Die Kombination von übergiebeltem Mittelrisalit und Eckturm war vor allem bei Villen und gehobeneren Mehrfamilienhäusern ein häufig angewendetes Motiv. Vorbilder findet man bei Schlössern und Burgen, aber auch in der Altstadt.


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    Bankgasse 7, erbaut 1578 / 1615.

    Pittoreske Fachwerkbauten mit Eckerker, Türmchen und Quergiebel finden sich bereits ab dem Ende des 16. Jahrhunderts, wie hier beispielsweise an der Bankgasse 7 sowie vielen Land- und Sommerhäusern.


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    Unterer Graben 5, erbaut 1882/84 von Architekt Eduard Engler.

    Der Erker am 1882/84 errichteten Sichtbacksteingebäude Unterer Graben 5 führt ein völliges Schattendasein, obwohl er im Umfeld der sehr belebten Schibenertor-Kreuzung hängt. Die Füllhölzer zwischen den Balkenköpfen, die Abfasungen, Würfelfriese sowie die Ausfachung mit Sichtbackstein erinnern wie beim anfangs gezeigten Erker Schwertgasse 11 an die niedersächsische Tradition.


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    Unterer Graben 5, Detail des Erkerfusses.

    Gesichtsmasken, Drachenungeheuer und Putten waren beliebte Motive an vielen geschnitzten Erkern der Stadt aus dem späten 17. und frühen 18. Jahrhundert.